Reisemedizin up2date 1 Februar 2024 Seite 1–88 1 . Jahrgang CME-Fortbildung ▪ Dengue-Fieber ▪ Reisediarrhö ▪ Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln ▪ Reisen mit Immunsuppression – Fokus Impfungen Update Impfungen ▪ STIKO-Empfehlungen zum Pneumokokken- Konjugatimpfstoff , zur Dengue-Impfung und zur Meningokokken B-Impfung ▪ Impfstoff e gegen RSV in Deutschland verfügbar

Reisemedizin up2date 1 · 2024 Februar 2024 · 1. Jahrgang · Seite 1–88 2 Herausgeberboard · 4 Editorial · 5 In eigener Sache · 7 Studienreferate · 11 Update Impfungen · 15 Impressum 2 Infektionskrankheiten 17 Dengue-Fieber Tomas Jelinek 2 Infektionskrankheiten 33 Reisediarrhö Melanie Sasse, Fabian Reinhardt, Christoph Lübbert 4 Organisatorisches und Rechtliches 53 Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln Jochen Hinkelbein, Sunil Jagoda 6 Reisen mit besonderem Risiko 69 Reisen mit Immunsuppression – Fokus Impfungen Martina Prelog Covergestaltung: © Thieme Bildnachweis Cover: japolia/stock.adobe.com Die Übersicht über alle Rubriken Ihrer up2date erhalten Sie unter: https://eref.thieme.de/4N2K3 Thieme

l e d o m a y b d e s o P . o t o h p k c o t S – m o c . e b o d a . k c o t s / s u p a n u c © l Praktische Hinweise für die Beratung von Reisenden mit Gesundheitsrisiken Sicher reisen trotz Risiko Ergänzend zum CRM Handbuch Reisemedizin • Umfassende Informationen und praktische Hinweise für die spezifische Beratung von Reisenden mit gesundheitlichen Einschränkungen und Risiken • Jährliche Aktualisierung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Hinweise zu mehr als 60 Erkrankungen bzw. Risikogruppen: • Beurteilungs- und Bewertungskriterien zur Reisefähigkeit und Risikoabwägung • Informationen zur speziellen Vorsorge, zu besonderen Umwelteinflüssen und Aktivitäten • Nachsorge-Empfehlungen • Angaben zur medizinischen Infrastruktur für mehr als 50 ausgewählte Länder • Informationen zur Mitnahme von Medikamenten • Auslandskrankenversicherung CRM Handbuch Reisen mit Risiko Erscheinungsweise 1 x jhrl., ca. 312 S. 978-3-941386-45-7 Preis: 69,90 € inkl. MwSt. Inklusive Rubbelcode für die digitale Version des CRM Handbuchs Reisen mit Risiko in der eRef! Jetzt bestellen! Telefonbestellung: 0211/90429-55 Kundenservice @crm.de www.crm.de CRM Centrum für Reisemedizin GmbH Burgunderstr. 31 • 40549 Düsseldorf

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Studienreferate Berichterstattung von Studienergebnissen muss besser werden Grobusch MP et al. Overcoming publication and dissemination bias in infectious diseases clinical trials. Lancet Infect Dis 2023; 11: doi:10.1016/ S1473-3099(23)00455-3 Eine nicht rechtzeitige, selektive oder gar keine Berichterstattung über die Ergebnisse klinischer Studien ist ein ernstes Problem. Die WHO schreibt vor, dass die Ergebnisse einer Studie bis spätestens 24 Monate nach Studi- enabschluss veröffentlicht sein sol- len, allerdings wird nur eine begrenz- te Anzahl von Studien veröffentlicht. Grobusch et al. erläutern Lösungsan- sätze, damit verbindliche Standards geschaffen werden können. Die internationale Arbeitsgruppe um Grobusch geht in Ihrem Übersichtsarti- kel auf die Probleme einer nicht rechtzei- tigen Verbreitung und Veröffentlichung von Studienergebnissen ein. Als ein gro- ßes Problem beschreiben die Autoren verschiedene Möglichkeiten der Verzer- rung; so beeinflussen der sogenannte Publikations-Bias über selektives Veröf- fentlichen von z. B. ausschließlich guten Ergebnissen, der Verbreitungs-Bias über selektive Methoden der Veröffentlichung und der Zeitverzögerungs-Bias durch beispielsweise schnellere Veröffentli- chung vorteilhafter Daten im Vergleich zu weniger guten Daten die Art und Wei- se, wie Studienergebnisse in der Fach- welt aufgenommen werden und die wei- tere Forschung beeinflussen. Die verzö- gerte oder ausbleibende Verbreitung von Ergebnissen klinischer Studien im Bereich der Infektionskrankheiten, ins- besondere wenn es sich um Krankheiten mit pandemischem Potenzial handelt, ist besonders besorgniserregend, da die rasche Weitergabe aller Studienergeb- nisse, ob positiv oder negativ, die Grund- lage für die Wahl der besten Behand- lungsstrategien bildet. Mehrere Über- sichten und Meta-Analysen, darunter eine Cochrane-Übersicht, kamen zu dem Schluss, dass von der Industrie gespon- serte Studien zu günstigeren Ergebnis- sen führen als Studien, die mit anderen Mitteln unterstützt werden. Es hat sich auch gezeigt, dass die Nichtveröffentli- chung großer Studien häufiger vor- kommt, wenn die Studien von der Indus- trie finanziert wurden. Dies liegt häufig an sogenannten Knebelklauseln, die die Studienzentren daran hindern, die Daten unabhängig zu analysieren oder ohne die Zustimmung des Studiensponsors zu veröffentlichen. Diese Feststellung ver- deutlicht einen der besorgniserregends- ten Aspekte der Nichtveröffentlichung, nämlich die möglichen Auswirkungen auf Meta-Analysen, bei denen die Einbe- ziehung unveröffentlichter Studiendaten manchmal die Schätzung der Wirksam- keit eines Arzneimittels verändert hat. Als Kehrseite der Medaille führen die Wissenschaftler auf, dass eine rasche Verbreitung nicht zu Daten von schlech- ter Qualität führen darf. Wenn mehr Ge- wicht auf die rasche Meldung von Studi- energebnissen gelegt wird, kann dies die Gefahr der Verbreitung ungenauer Daten erhöhen. Als Lösungsansatz sehen die Experten ein strenges und langsame- res, von Fachkollegen geprüftes Veröf- fentlichungsverfahren. Gründliche Über- prüfungen durch Universitäten und Ver- lage können ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Dies kann helfen, die Glaubwür- digkeit und Verlässlichkeit von For- schungsergebnissen insgesamt zu erhö- hen. Grobusch et al. veröffentlichen mit ih- rem Review einen Aufruf zum Handeln für eine bessere und zeitnahe Berichter- stattung zu den Ergebnissen von Studi- en. Die Forscher schlagen Durchset- zungsstrategien von den klinischen Prü- fungsregistern vor, um die rechtzeitige Meldung von Ergebnissen innerhalb von 12 Monaten verbindlich zu machen. So könnten Institutionen, die sich an die Vorgaben halten, über eine grüne Mar- kierung und jene mit Nichteinhaltung automatisch über eine rote Markierung in der Datenbank gekennzeichnet wer- den. Darüber hinaus sollte die wissen- schaftliche Gemeinschaft darauf hinar- beiten, jede Möglichkeit von Knebelklau- seln auszuschalten. Der praktikabelste Ansatz könnte darin bestehen, eine ver- bindliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Meldung von Studienergebnissen in das Verfahren zur Genehmigung von Prüfplä- nen durch Ethikkommissionen im Rah- men der harmonisierten ICH-Leitlinie für die gute klinische Praxis zu integrieren. FAZIT Eine verzögerte oder ausbleibende Veröffentlichung von klinischen Stu- dienergebnissen ist problematisch, da eine rasche Weitergabe aller Er- gebnisse, ob positiv oder negativ, die Grundlage für die Wahl der besten Behandlungsstrategien bildet. Um die rechtzeitige Meldung von Ergebnis- sen durchzusetzen, schlagen die Au- toren vor, diesen Punkt bereits in das Genehmigungsverfahren von Prüfplä- nen zu integrieren. Auch eine Bewer- tung von Institutionen in Datenban- ken von Prüfungsregistern könnte ein Weg sein. Dr. Maddalena Angela Di Lellis, Tübingen Aktuelle und präzise geotemporale Karten helfen, Chikungunya einzudämmen Grabenstein JD, Tomar AS, Global geotemporal distribution of chikungunya disease, 2011– 2022. Travel Med Infect Dis 2023; 54: 102603 Chikungunya-Infektionen äußern sich in der Regel durch plötzliches Auftreten von Fieber, Hautausschlag und starken Gelenkschmerzen. In etwa 40% der Fälle entwickeln sich chronische rheumatologische Kom- plikationen, die Monate bis Jahre an- dauern können. Grabenstein et al. analysierten die Chikungunya-Fälle nach Jahr und Land, um eine genaue- re Präzision der Risikocharakterisie- rung über geografische Karten vor- nehmen zu können. Präzise Karten helfen, geografische Re- gionen zu identifizieren, in denen Bewohner oder Reisende am stärksten von Chikungunya bedroht sind. Sobald Impfstoffe zur Vorbeugung gegen Chi- Reisemedizin up2date 2024; 1: 7–10 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 7

Studienreferate und Ärzte einmal täglich über einen Zeitraum von insgesamt 7 Tagen durch. Anschlie- ßend erfolgte die Höhenexposition. Die Symptomwerte der akuten Höhenkrank- heit (AMS) bewerteten die Forscher an- hand dem Lake Louise Scoring System (2018 LLS), bestehend aus 4 Items (Kopf- schmerzen, gastrointestinale Symptome, Müdigkeit/Schwäche Schwindel/ Schwindelgefühl). Ein leichtes AMS lag bei 3–5 Punkten, ein mittelschweres AMS bei 6–9 Punkten und ein schweres AMS bei 10–12 Punkten vor. Alle Proban- den füllten am 1. bis 6. Tag nach ihrer Ankunft in der Höhe um 10 Uhr morgens einen Fragebogen aus. Die Forscher überwachten zudem die arterielle Sauer- stoffsättigung (SpO2), die Herzfrequenz, die Schlafqualität und führten neurologi- sche Tests zur einfachen Reaktionszeit von Farbe und Gehör, Ziffernsymbolen, Verfolgungszielen und zum räumlichen Gedächtnis durch. Insgesamt zeigte die RIPC-Gruppe einen niedrigeren AMS-LLS-Score als die Kon- trollgruppe, was auf einen geringeren AMS-Schweregrad in der RIPC-Gruppe hinweist. Die AMS-Scores der RIPC-Grup- pe waren jeweils am 2., 3. und 4. Tag sig- nifikant niedriger. Auch fühlten sich die Probanden der RIPC-Gruppe wacher als jene der Kontrollgruppe. Vor der RIPC- Behandlung gab es keine signifikanten Unterschiede in den neurologischen Er- gebnissen zwischen den beiden Gruppen in niedriger Höhe. Die Ergebnisse der neurologischen Verhaltenstests in gro- ßer Höhe zeigten, dass die Werte für das räumliche Gedächtnis der RIPC-Gruppe signifikant höher waren als die der Kon- trollgruppe. Der Fragebogen zur Selbst- einschätzung der täglichen Schlafquali- tät zeigte, dass die Häufigkeit von Schlaf- problemen und der Wert der täglichen Schlafqualität in der RIPC-Gruppe am 3. und 5. Tag signifikant niedriger war als in der Kontrollgruppe. Bezüglich der HR und des SpO2 gab es keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen. FAZIT Die Ergebnisse zeigen, dass eine 7- tägige, wiederholte RIPC-Behandlung vor einer Höhenexposition die AMS- Werte wirksam reduzieren und das räumliche Gedächtnis sowie die Schlafqualität bei jungen Männern, die einer Höhe von 3680 m ausgesetzt sind, verbessern kann. Die Wirksam- keit von RIPC kann bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Behandlungs- protokollen und Höhenlagen unter- schiedlich sein, so dass zur weiteren Überprüfung umfangreiche Studien am Menschen erforderlich sind, so die Experten. Dr. Maddalena Angela Di Lellis, Tübingen Einmalige intra- muskuläre Tollwut- impfung bietet aus- reichend Schutz Overduin LA et al. Boostability after single-visit pre-exposure prophylaxis with rabies vaccine: a randomised controlled non-inferiority trial. Lan- cet Infect Dis 2023; 3: doi:10.1016/S1473-3099 (23)00452-8 Eine Postexpositionsprophylaxe (PEP), bestehend aus mehreren Impf- dosen und der Gabe von Immunglo- bulin, kann den Ausbruch einer Toll- wut verhindern. Eine präexpositio- nelle Impfung (PrEP) macht eine Im- munglobulin-Gabe überflüssig, je- doch ist eine PrEP nicht ausreichend zugänglich, da sie kosten- und zeitin- tensiv ist. Overduin et al. untersuch- ten, ob die Tollwut-PrEP von zwei auf eine Impfung verkürzt werden kann, ohne an Wirksamkeit zu verlieren. Eine einmalige intramuskuläre Tollwut- impfung kann Reisende im Alter von 18– 50 Jahren und möglicherweise auch an- dere Bevölkerungsgruppen wirksam im- munisieren und könnte die derzeitige Standard-Tollwutimpfung mit zwei Imp- fungen als PrEP ersetzen. Die Wissen- schaftler aus den Niederlanden führten intramuskuläre vorliegende multizentrische, randomi- sierte Studie zwischen Mai 2018 und De- zember 2021 in drei niederländischen Reisekliniken (Medizinisches Universi- tätszentrum, Leiden; Reiseklinik Medizi- nisches Zentrum Erasmus, Rotterdam; und Medizinische Zentren der Universi- tät Amsterdam) durch. Die Forscher re- krutierten gesunde Besucher der Reise- kliniken im Alter ab 18 Jahren, die keine vorherige Tollwutimpfung erhalten hat- ten und keine Standard-Tollwut-PrEP ge- mäß den nationalen Richtlinien benötig- ten und randomisierten diese in eine von 4 Studiengruppen. Gruppe A erhielt eine einzelne intramuskuläre Dosis von 1,0 ml Tollwutimpfstoff an Tag 0; Gruppe B er- hielt zwei fraktionierte, intradermale Do- sen von 0,1ml Tollwutimpfstoff an Tag 0; Gruppe C bekam eine standardmäßige doppelte Tollwutimp- fung von 1,0 ml an Tag 0 und Tag 7; Gruppe D bekam keine Tollwutimpfung vor der Reise. Die Forscher verabreichten den Impflingen den Tollwutimpfstoff Ra- bipur der Bavarian Nordic A/S, Hellerup, Dänemark. Jede 1,0 ml-Dosis enthielt 2,5IE oder mehr lyophilisiertes inaktivier- tes Tollwutvirus. Nach 6 Monaten erhiel- ten alle Teilnehmer zwei intramuskuläre Dosen von 1,0 ml Rabipur-Impfstoff (an Tag 0 und Tag 3), um eine PEP zu simulie- ren, wie sie im Falle einer möglichen Toll- wut-Exposition, z. B. bei einer durch ein Tier verursachten Bisswunde, durchge- führt worden wäre. Die Probanden no- tierten unerwünschte Ereignisse in den ersten 5 Tagen nach jeder Impfung in einem Tagebuch. Zur Bestimmung der Konzentration der neutralisierenden An- tikörper gegen das Tollwutvirus (RVNA) nahmen die Ärzte Blut zu Beginn der Stu- die, 2 Monate nach der Erstimpfung (nur Gruppen A-C), 6 Monate nach der Erst- impfung (vor der simulierten PEP) sowie 3, 7 und 21 Tage nach Beginn der simu- lierten PEP ab. Als primäres Ergebnis be- trachteten die Forscher die Verstär- kungsfähigkeit: einer schnellen, anamnestischen Antikörper- reaktion nach der simulierten PEP, ge- messen als Anstieg des geometrischen Mittels der RVNA-Konzentrationen von Tag 0 bis Tag 7 nach der Wiederimpfung. die Induktion Die Experten schlossen 288 Freiwillige in die Studie ein. 81 Teilnehmer wiesen die Reisemedizin up2date 2024; 1: 7–10 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 9

Update Impfungen Update Impfungen Übersicht der Entwicklungen Die Rubrik „Update Impfungen“ gibt Ihnen zunächst einen tabellarischen Überblick über aktuelle Entwicklun- gen auf diesem Gebiet. Ein bis zwei Themen beleuchten wir in jeder Aus- gabe etwas ausführlicher. Zudem fin- den Sie einen Verweis auf die Seite des Paul Ehrlich-Instituts, wo Sie aktu- elle Informationen über Lieferengpäs- se von Impfstoffen abrufen können. ▶ Tab. 1 zeigt die aktuellen Entwicklun- gen auf dem Gebiet der Impfungen bzw. Impfstoffe. Zudem gibt es neue Empfeh- lungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die Pneumokokken-Impfung, die Dengue-Impfung sowie die Meningo- kokken B-Impfung. LIEFERENGPÄSSE BEI IMPFSTOFFEN Aktuelle Informationen zu Liefer- engpässen bei Impfstoffen finden Sie auf der Seite des Paul Ehrlich- Instituts (PEI): https://www.pei.de/DE/arzneimit- tel/impfstoffe/lieferengpaesse/lie- ferengpaesse-node.html Dr. Sandra Witteck, Düsseldorf ▶ Tab. 1 Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Impfungen (Stand: 19.01.2024; Quellen: diverse). Krankheit Denguefieber Chikungunya COVID-19 RSV Borreliose Meningokokken Norovirus Pneumokokken Tollwut Zika Kombinationsimpfung Influenza & COVID-19 Impfung Impfstoff Qdenga seit 2023 auf dem Markt STIKO empfiehlt Dengue-Impfung für bestimmte Reisende Impfstoff in den USA zugelassen, in der EU zur Zulas- sung eingereicht Varianten-adaptierte (Omicron XBB.1.5) Impfstoffe auf dem Markt (Comirnaty, Spikevax sowie Nuvaxovid) Impfstoffe Arexvy und Abrysvo seit 2023 auf dem Markt, mRNA-Impfstoff in der EU zur Zulassung ein- gereicht Impfstoff in Phase III STIKO empfiehlt MenB-Impfung für Säuglinge Pentavalenter Impfstoff (MenABCWY) in den USA zugelassen Impfstoff in Phase III STIKO-Empfehlung für 20-valenten Konjugatimpfstoff Tollwut-Impfstoff HDC wird durch Verorab ersetzt Impfstoff in Phase III mRNA-Impfstoff in Phase III Interessenkonflikt Bibliografie Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Reisemedizin up2date 2024; 1: 11 DOI 10.1055/a-2217-4584 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. CRM Centrum für Reisemedizin GmbH, Burgunderstraße 31, 40549 Düsseldorf, Germany STIKO-Empfehlung für 20-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoff Ende September 2023 hat die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut neue Empfehlungen bzgl. der Pneumokokkenimpfung veröffent- licht [1]. Die Standardimpfung von Per- sonen ab dem Alter von 60 Jahren soll demnach nun mit einem 20-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoff erfol- gen. Dasselbe gilt für die Indikationsimp- fung von Personen ab dem Alter von 18 Jahren, die Risikofaktoren für eine schwere Pneumokokken-Erkrankung aufweisen. Als Risikofaktoren gelten an- geborene oder erworbene Immundefek- te, anatomische oder fremdkörperasso- ziierte Risiken für eine Pneumokokken- Meningitis sowie bestimmte chronische Krankheiten, wie etwa: Asthma, chro- nisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Diabetes mellitus, chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder neu- Update Impfungen … Reisemedizin up2date 2024; 1: 11–14 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 11

Update Impfungen von unter 2 Jahren die prophylaktische Gabe von Paracetamol empfohlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn parallel noch weitere Impfungen appliziert wer- den. seit Bereits längerem empfiehlt die STIKO die Impfung gegen Meningokok- ken B für Personen mit bestimmten Grunderkrankungen, bei beruflicher Ge- fährdung sowie bei Reisen in Hochende- miegebiete. Dr. Sandra Witteck, Düsseldorf Interessenkonflikt Bibliografie Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur [1] Piechotta V, Koch J et al. Empfehlung zur Standardimpfung von Säuglingen gegen Meningokokken der Serogruppe B und die dazugehörige wissenschaftliche Begrün- dung. Epid Bull 2024; 3: 3 – 32 Reisemedizin up2date 2024; 1: 12–13 DOI 10.1055/a-2250-1143 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. CRM Centrum für Reisemedizin GmbH, Burgunderstraße 31, 40549 Düsseldorf, Germany Seit 2023 Impfstoffe gegen RSV in Deutschland verfügbar Anfang Juni 2023 hat die Europäische Kommission den ersten Impfstoff gegen das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) zugelassen [1]. Das Vakzin mit dem Na- men Arexvy enthält das gentechnisch veränderte Fusions-Protein des RS-Virus als Antigen. Zur Verstärkung der Immun- antwort ist zudem ein Adjuvans zuge- setzt. Der Impfstoff ist für Personen ab dem Alter von 60 Jahren zugelassen zum Schutz vor RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege. Er wird intra- muskulär als Einzeldosis verabreicht [2]. In einer klinischen Studie mit Probanden im Alter von mindestens 60 Jahren zeigte die Impfung eine Schutzrate von 83%. An Nebenwirkungen wurden hauptsächlich Schmerzen an der Injektionsstelle, Mü- digkeit, Kopf-, Muskel- und Gelenk- schmerzen beobachtet. Die Beschwer- den klangen in der Regel innerhalb weni- ger Tage ab [2, 3]. Ende August 2023 erteilte die Europäi- sche Kommission auch dem RSV-Impf- stoff Abrysvo die Zulassung [4]. Es han- delt sich hierbei um einen bivalenten Impfstoff, der die rekombinant herge- stellten Fusions-Proteine der RSV-Sub- gruppen A und B beinhaltet. Auch dieses Vakzin ist zugelassen für Personen ab dem Alter von 60 Jahren zum Schutz vor RSV-bedingten Erkrankungen der unte- ren Atemwege. Zudem kann es ange- wendet werden zur passiven Immunisie- rung von Säuglingen, indem es werden- den Müttern in der Schwangerschaft ver- abreicht wird und so zu einem Nest- schutz bei Säuglingen führt. Die Impfung wird intramuskulär als Einzeldosis verab- reicht, Schwangere erhalten sie zwischen der 24. und 36. Schwangerschaftswoche (SSW) [5]. Die passive Immunisierung schützt die Säuglinge von der Geburt bis zum 6. Lebensmonat mit unterschiedlich hoher Effektivität. Bei den über 60-Jähri- gen zeigte sich eine Effektivität von rund 65% bezogen auf die Verhinderung einer RSV-bedingten Erkrankung der unteren Atemwege mit mehr als 2 Symptomen. Gegen eine Erkrankung mit mehr als 3 Symptomen betrug die Effektivität rund 89%. Die häufigsten Nebenwirkungen waren bei Schwangeren Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopf- und Muskel- schmerzen; bei Personen über 60 Jahren traten am häufigsten Schmerzen an der Injektionsstelle auf [5, 6, 7]. Auch der Impfstoff Arexvy wurde für die passive Immunisierung von Säuglingen durch Impfung der werdenden Mutter getestet. Hier kam es jedoch zu einem Si- cherheitssignal (Frühgeburten), weshalb die Studie abgebrochen wurde. Ein mRNA-Impfstoff gegen RSV mit der Bezeichnung mRNA-1345 ist zur Zulas- sung bei der Europäischen Arzneimittel- behörde (European Medicines Agency, EMA) eingereicht (Stand: 01.12.2023). Die enthaltene mRNA codiert wiederum für das Fusions-Protein des RS-Virus als Antigen. Das Vakzin zeigte in der Zwi- schenauswertung einer Studie mit Pro- banden ab dem Alter von 60 Jahren eine Effektivität von bis zu 84% gegen RSV- bedingte Erkrankungen der unteren Atemwege [8]. Eine Bewertung der in Deutschland zu- gelassenen und verfügbaren RSV-Impf- stoffe sowie eine entsprechende Impf- empfehlung seitens der Ständigen Impf- kommission (STIKO) stehen noch aus (Stand: 01.12.2023). Die Sächsische Impfkommission (SIKO), die als einzige Bundesland-spezifische Impfkommission Impfempfehlungen für den Freistaat Sa- chen erarbeitet, hat Anfang November 2023 ein Positionspapier zur RSV-Imp- fung veröffentlicht. Darin empfiehlt sie die Impfung für alle werdenden Mütter, die sich zwischen September und Januar in der 32. bis 36. SSW befinden. Auf indi- vidueller Basis kann die RSV-Impfung auch bei Personen ab dem Alter von 60 Jahren erwogen werden, die ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsver- lauf aufweisen [9]. In einem gemeinsa- men Positionspapier haben elf medizini- sche Fachgesellschaften und Institutio- nen eine Empfehlung zur Impfung von Personen ab dem Alter von 60 Jahren ausgesprochen. Darüber hinaus wird die Impfung in individuellen Fällen, bei ho- hem Risiko durch eine RSV-Infektion, als sinnvoll erachtet [10]. In einem weiteren Positionspapier unter Führung der Deut- schen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) findet sich eine Update Impfungen … Reisemedizin up2date 2024; 1: 11–14 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 13

Impressum Reisemedizin up2date 1. Jahrgang Die Reisemedizin up2date erscheint 4-mal jährlich. ISSN (Print): 2940-8105 eISSN: 2940-8113 Copyright & Ownership Wenn nicht anders angegeben: © 2024. Thieme All rights reserved. Die Zeitschrift Reisemedizin up2date ist Eigentum der CRM Centrum für Reisemedizin GmbH. CRM Centrum für Reisemedizin GmbH, Burgunderstr. 31, 40549 Düsseldorf, Germany Schriftleitung Prof. Dr. med. Tomas Jelinek Wissenschaftlicher Leiter CRM Centrum für Reise- medizin, Düsseldorf, und Medizinischer Direktor Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin (BCRT) Burgunderstr. 31, 40549 Düsseldorf E-Mail: tomas.jelinek@crm.de Herausgebende Dr. med. Stefan Eßer, Neu-Isenburg Dr. med. Markus Frühwein, München Dr. med. Dr. rer. nat. Diplom Biologe Carsten Köhler, Tübingen Prof. Dr. med. Jörg Schelling, Martinsried Dr. med. Mathias Wagner, Berlin Prof. Dr. med. Thomas Weinke, Berlin Die Herausgebenden sind nicht verantwortlich für in der Zeitschrift enthaltene Anzeigen und Beilagen. Verlag CRM Centrum für Reisemedizin GmbH Burgunderstr. 31, 40549 Düsseldorf Tel.: +4921190429-0, Fax: +4921190429-98 crm.de, www.thieme.com www.thieme.de/reisemedizin-up2date www.thieme-connect.de/products Web-App: www.thieme.de/eref-app Umsatzsteuer-ID DE255919532 Handelsregister Sitz und Handelsregister Düsseldorf, Amtsgericht Düsseldorf HRB 23567 Redaktion Sie erreichen die Redaktion unter: reise-u2d.impressum@thieme.de V.i.S.d.P.: Dr. Volker Hirschel, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart Verantwortlich für den Anzeigenteil Pharmedia Anzeigen- und Verlagsservice GmbH für den Georg Thieme Verlag, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart oder Postfach 300880, 70448 Stuttgart Tel.: +49 211 90429 22, Fax: +49 211 9042969 E-Mail: Guido.Strehlau@thieme.de Produktionsmanagement Tel.: +49 711 8931-883, Fax: +49 711 8931-393 E-Mail: sarah.schenkel@thieme.de Abonnentenservice Wir bitten unsere Abonnent*innen, Adressänderungen dem Abonnentenservice mitzuteilen, um eine reibungs- lose Zustellung der Zeitschrift zu gewährleisten. 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Soweit in diesem Heft eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, dürfen die Lesenden zwar da- rauf vertrauen, dass Autor*innen, Herausgebende und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass die- Bezugspreise 2024* persönlicher Jahresbezugspreis institutioneller Jahresbezugspreis Abo 261,00 408,00** * Jährliche Bezugspreise in € (unverbindlich empfohlene Preise) inkl. der gesetzl. MWSt. und inkl. der Versand- und Handlingkosten. Preisänderungen vorbehalten. Preis für ein Einzelheft 83,00 €. Das Abonnement wird im Voraus berechnet und zur Zahlung fällig. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, sofern das Abonnement nicht bis spätestens 30.09. mit Wirksamkeit zum Kalenderjahresende gekündigt wird. ** Der institutionelle Jahresbezugspreis inkludiert Online-Zugriff für 1 Standort; weitere Informationen finden Sie unter https://lp.thieme.de/fachzeitschriften/ijbp/ Reisemedizin up2date 2024; 1 | © 2024. Thieme. 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Reisemedizin up2date 1 · 2024 Infektionskrankheiten 2 Dengue-Fieber Tomas Jelinek VNR: 2760512024165724004 DOI: 10.1055/a-2176-0823 Reisemedizin up2date 2024; 1 (1): 17–31 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Dengue-Fieber Tomas Jelinek Dengue-Fieber ist die häufigste tropenspezifische Viruserkrankung, die nach Deutschland importiert wird. Klinisch handelt es sich um eine akute, hoch fie- berhafte Erkrankung mit Myalgien, Kopfschmerzen und variablem Exanthem. Bei Reinfektion kann es zu hämorrhagischem Dengue-Fieber oder Dengue-Schock- syndrom kommen. Eine spezifische Therapie gibt es nicht. Seit Anfang 2023 ist in Europa eine neue Impfung gegen Dengue-Fieber verfügbar. ABKÜR ZUNGEN ADE DHF Ig RNA RT-PCR Reverse Transcriptase Polymerase Chain Antibody dependent Enhancement Dengue hemorrhagic Fever Immunglobulin Ribonukleinsäure Reaction WHO World Health Organisation Einführung Im Jahr 2019 erklärte die WHO (World Health Organisa- tion) Dengue zu einer der 10 größten globalen Gesund- heitsbedrohungen [1]. Dies hat einen guten Grund: Die Flavivirusinfektion ist zu einer globalen Pandemie an- gewachsen, die unmittelbaren Effekt auf das Leben eines wesentlichen Teiles der Menschheit hat. Im Wes- ten wurde die Infektion lange ignoriert, da die Überträ- germücken in temperierten Klimazonen nicht oder nur selten vorkamen. Aber das ändert sich: Dengue ist die sich weltweit am schnellsten ausbreitende, durch Mücken übertragene Viruserkrankung. Von ihr sind jährlich mehr als 300 Millionen Menschen betroffen. In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Dengue-Inzi- denz verdreißigfacht [2]. Dengue verursacht jährlich 20 000–25 000 Todesfälle, vor allem bei Kindern, und ist in mehr als 100 Ländern verbreitet. Jedes Jahr treten in immer mehr Ländern Epidemien auf. Betroffen sind vor allem Lateinamerika und Asien, jedoch verzeichnen auch Afrika und Ozeanien regelmäßig größere Ausbrü- che. Aktuell ist das Dengue-Fieber in mehr als 128 Län- dern insbesondere in den Tropen und Subtropen ende- misch (▶ Abb. 1) [3]. In Asien und Lateinamerika ge- hört Dengue zu den Haupttodes- und -hospitalisie- rungsursachen bei Kindern und Erwachsenen [4]. Im August 2023 verhängte Guatemala den Notstand we- gen der hohen Zahl an Dengue-Erkrankungen im Land. Brasilien meldete mehr als 2,5 Millionen Fälle, und klei- nere Cluster wurden in Italien registriert [5]. Das Dengue-Virus ist ein RNA-Virus (Ribonukleinsäure- Virus), das zur Familie der Flaviviren gehört. Tatsächlich existieren weltweit 4 verschiedene Serotypen, die mit DEN1 bis DEN4 bezeichnet werden. Diese Serotypen weisen nur eine relativ geringe Sequenzhomologie auf (ca. 70%), die sich insbesondere in Unterschieden im Hüllprotein der Viren manifestiert. Da die primäre Im- munantwort des Menschen gegen dieses Protein ge- richtet ist, besteht nach einer durchgemachten Infekti- on nur eine sehr kurze Kreuzprotektion gegen alle Se- rotypen. Diese ist über 2 bis maximal 6 Monate nach- weisbar und basiert vermutlich wesentlich auf der zel- lulären Immunität. Im Anschluss schützen die über Jah- re verbleibenden Antikörpertiter gegen eine erneute homologe Infektion mit demselben Serotyp, nicht je- doch gegen heterologe Infektionen mit anderen Sero- typen. Somit muss eine Dengue-Infektion insgesamt viermal durchlaufen werden, bevor eine vollständige Immunität erreicht ist. Die Verbreitung der 4 Seroty- pen variiert global. Am häufigsten werden durch DEN2 und DEN1 verursachte Ausbrüche gesehen, gefolgt von Typ 3 und dem seltenen Typ 4. Merke Die Hauptüberträger der Infektion sind weibliche Mücken der Arten Aedes aegypti und Aedes albo- pictus, aufgrund ihrer markanten Körperzeichnung oft auch Tigermücken genannt. Aedes aegypti wird mit den meisten Infektionen in Ver- bindung gebracht. Jedoch dehnt sich das Verbreitungs- gebiet von Aedes albopictus aus, da diese Mücke kalte Umgebungen besser verträgt und sich aggressiv sowie in großer Zahl verbreitet. Beide Mückenarten sind sehr effektive Vektoren, weil sie ihre Blutmahlzeit oft unter- brechen und dabei auch mehrere Menschen kurz hin- tereinander stechen. Da die Viren bei jedem Stich er- Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 19

Nach einer Infektion besteht eine lebenslange Immuni- tät gegen den Serotyp, der die durchgemachte Infekti- on verursacht hat, aber keine Kreuzimmunität gegen die verbleibenden Serotypen [8]. Nach der Injektion des Dengue-Virus durch einen Mückenstich scheinen Hautmakrophagen und dendriti- sche Zellen die ersten Ziele zu sein [9]. Es wird ange- nommen, dass die infizierten Zellen dann in die Lymph- knoten wandern und sich über das Lymphsystem auf andere Organe ausbreiten. Die Virämie kann bereits 48 h vor dem Auftreten der Symptome vorhanden sein und klingt innerhalb von 1–2 Tagen nach Beginn der Beschwerden ab. In der Virämie kommt es zu einem komplexen Zusammenspiel von Wirts- und Virusfakto- ren, das darüber entscheidet, ob die Infektion asymp- tomatisch, typisch oder schwer verläuft. Dabei hat die Fähigkeit zur Replikation der Viren einen wichtigen Ein- fluss. Insgesamt verlaufen Infektionen mit Dengue Typ 2 tendenziell schwerer, während Infektionen mit den anderen Serotypen in absteigender Reihenfolge 1, 3 und 4 zu weniger Komplikationen neigen. Merke Einen wesentlichen Einfluss auf die Pathogenese von Komplikationen von Dengue hat auch die Immunre- aktion des Wirtes. Insbesondere die Manifestation von DHF (Dengue he- morrhagic Fever), das mit erhöhter mikrovaskulärer Permeabilität, Abfall der Thrombozytenzahl, Blutungs- neigung und Schocksyndrom einhergeht, wird durch eine überschießende Immunreaktion getriggert. Diese kann sich insbesondere bei Zweitinfektionen etablie- ren. Das beruht auf einem Phänomen, das als ADE (An- tibody dependent Enhancement) bezeichnet wird. Demnach bilden bei einer vorherigen Infektion gebil- dete Antikörper gegen das Hüllprotein der Viren (Enve- lope-Antigen) aufgrund einer immunologischen Kreuz- reaktion bei einer erneuten Infektion mit einem ande- ren Serotyp Immunkomplexe mit dem Erreger. Diese Komplexe binden an Fc-Rezeptoren auf Monozyten, in- hibieren in der Folge die angeborene antivirale Immun- antwort und erlauben damit eine starke Virusreplikati- on [10]. Dabei scheint insbesondere auch eine man- gelnde Immunantwort gegen das NS1-Antigen der Vi- ren bei der Erstinfektion eine Rolle zu spielen [11]. Die- ses Antigen liegt bei allen 4 Serotypen homolog und hochkonserviert vor. Parallel zur Virämie wird NS1 frei- gesetzt, das sich an den Kapillarendothelien anlagert und eine Zellschädigung hervorruft. Diese leistet ver- mutlich der zellulären Virusaufnahme Vorschub. Wird das Antigen durch die bereits bestehende Immunität nach Erstinfektion blockiert, ist der Krankheitsverlauf eher komplikationsarm. Ist dies nicht der Fall, kommt es eher zu Komplikationen. Es gibt jedoch auch Fälle Infektion mit Dengue-Virus asymptomatisch symptomatisch undifferen- ziertes Fieber Dengue- Fieber hämorrha- gisches kompliziertes Dengue-Syndrom/ (virales Syndrom) Dengue-Fieber isolierte (DHF) Organbeteiligung ohne Hämorrhagie mit unge- wöhnlicher Hämorrhagie kein Schock Dengue- Schock- syndrom ▶ Abb. 2 Manifestationen der Dengue-Erkrankung laut WHO-Definition [7]. FALLBEISPIEL Gliederschmerzen bei Dengue-Fieber Eine 48-jährige Patientin stellt sich in der Sprechstunde direkt nach ihrem Urlaub in Südfrankreich vor. Während der Rück- fahrt einen Tag zuvor hat sie ausgeprägte Gliederschmerzen entwickelt, jetzt kommen zunehmend grippale Beschwerden hinzu. Ihre Temperatur ist nicht erhöht. Während des Urlaubs hat die Patientin ein populärwissenschaftliches Buch über Tro- penkrankheiten gelesen und ist nun überzeugt davon, Den- gue-Fieber zu haben. Tropenaufenthalte liegen Jahre zurück. Der Therapeut glaubt ihr nicht, führt aber auf ihren Wunsch hin einen Test zum Nachweis von NS1 durch. Dieser ist deutlich positiv. Bei suggestivem klinischem Bild, Leuko- und Throm- bopenie im Differenzialblutbild, mildem Anstieg der Trans- aminasenaktivität, negativem Antikörpertest gegen Dengue und negativem Stauschlauchtest wird die Patientin zunächst symptomatisch behandelt. In der Folge bestätigt ein signifi- kanter Antikörperanstieg zusätzlich die Selbstdiagnose der Patientin. Die Infektion klingt folgenlos nach einer Woche ab. von schwerem Dengue-Fieber bei einer Infektion mit nur einem einzigen Serotyp. Klinik Klassisches Dengue-Fieber In der febrilen Phase (▶ Abb. 3) tritt ein plötzliches ho- hes Fieber von etwa 40°C auf, das in der Regel 2–7 Tage anhält [10]. Zu den begleitenden Symptomen gehören Myalgien, Arthralgien, Kopfschmerzen, Halsschmer- zen, Bindehautinfektionen, Anorexie, Übelkeit und Er- brechen. Im angelsächsischen Sprachgebrauch hat Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 21

senaktivität bei Dengue nicht ungewöhnlich ist, sind schwere Manifestationen bis hin zum Leberversagen zwar beschrieben, aber selten. Weitere Komplikationen beinhalten Myokarditis, Perikarditis, akutes Lungenver- sagen, akute Nierenschädigung oder ein hämolytisch- urämisches Syndrom [12]. Schwere Verläufe sind so- wohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen möglich. Während sie bei Primärinfektionen sehr selten sind, treten sie in einer Größenordnung von etwa 2–4% bei Sekundärinfektionen auf. Merke Eine noch wenig erforschte, aber regelmäßig zu be- obachtende Langzeitfolge der Infektion ist ein Fati- gue-Syndrom, das sich im Anschluss an die Akutphase manifestiert und über Monate bis in Einzelfällen auch 2 Jahre anhalten kann. In der Literatur sind dazu Manifestationsraten von 7– 53% zu finden [13]. Eine Datenauswertung in der eige- nen Sprechstunde ergab ein Chronic-Fatigue-Syndrom bei 9,6% der Patienten mit symptomatischem Dengue- Fieber. Dengue bei Reisenden Bei Reisenden, die aus Endemiegebieten zurückkehren, stellt Dengue heute eine der häufigsten Ursachen für Fieber dar [10]. Gemäß einer aktuellen Auswertung ist mit einer Größenordnung von bis zu ca. 20–30 Den- gue-Infektionen pro 100 000 Rückkehrern aus belieb- ten Reiseländern in Asien zu rechnen [14]. Merke Es ist zu beachten, dass sich Dengue aufgrund seiner kurzen Inkubationszeit meist noch im Reiseland ma- nifestiert. Die Meldezahlen in Europa bilden daher mit Sicherheit nur einen kleinen Anteil der tatsächli- chen Fallzahlen bei Reisenden ab. Auch wenn das Fieber meist selbstlimitierend ist, wird doch regelmäßig eine ambulante oder sogar stationäre Behandlung während oder nach der Reise notwendig. Diese geht, abgesehen von der Morbidität, mit einer Unterbrechung oder einem Abbruch der Reise sowie mit Kosten für die Betroffenen und das Gesundheitswe- sen einher [10]. In Europa wurden zwischen 2015 und 2019 insgesamt 11 478 Dengue-Fälle bei Reiserückkeh- rern aus 110 Herkunftsländern gemeldet [14]. Davon entfielen 4363 Fälle allein auf das Jahr 2019 [15]. Von den Betroffenen hatten sich 71% in Asien (insbesonde- re Südostasien), 18% in der Karibik, in Südamerika und in Zentralamerika, 8% in Afrika und 3% in Ozeanien infiziert. Im Durchschnitt traten 2,8 Dengue-Fälle pro 100 000 Reisenden auf. Dabei wurden höhere Zahlen bei Rückkehrern aus Asien (6,1:100 000) und sehr hohe Zahlen bei Rückkehrern aus einzelnen beliebten FALLBEISPIEL Chronic-Fatigue-Syndrom bei Dengue-Fieber Eine 36-jährige Patientin stellt sich 2 Wochen nach ihrer vier- wöchigen Mexikoreise vor. Zwei Wochen nach Reisebeginn kam es zu einer akuten grippalen Symptomatik, ausgeprägten Gliederschmerzen, Fieber und Kopfschmerzen. Ein Exanthem ist ihr nicht erinnerlich. Die Symptome bildeten sich gegen Ende der Reise unter symptomatischer Therapie mit Ibuprofen zurück. Die Patientin leidet seit ihrer Rückkehr unter einer an- haltenden Erschöpfungssymptomatik mit Leistungsschwäche, wechselnden Gelenkschmerzen, Schlaf-, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. Zudem imponieren Palpitationen und eine ausgeprägte Tachykardie schon bei geringer Belas- tung. Die bereits erfolgte kardiologische Abklärung war un- auffällig. Ebenso finden sich keine auffälligen Parameter bei den Entzündungswerten, der Endokrinologie und der Rheu- maserologie. Es liegen keine Vorerkrankungen und keine Dau- ermedikation vor. Der klinische Untersuchungsbefund der Patientin ist unauffäl- lig. Serologisch wird ein Dengue-Fieber durch Nachweis von hochtitrigen IgM- und IgG- (Immunglobulin-M- und -G-)Anti- körpern bestätigt; die IgG-Titer steigen im weiteren Verlauf noch an. Unter der Verdachtsdiagnose eines Chronic-Fatigue- Syndroms nach Dengue-Fieber wird die Patientin ambulant betreut. Vom Umfeld und auch vom Hausarzt wird die Diag- nose nicht anerkannt. Die Patientin ist über 2 Jahre arbeitsun- fähig. Dennoch bessert sich die Symptomatik im Verlauf all- mählich, sodass sie nach 2,5 Jahren angibt, weitgehend wie- derhergestellt zu sein. Urlaubsländern wie z. B. Thailand (19,6:100 000) oder Indonesien (29:100 000) verzeichnet [14]. Die Progno- sen für die Jahre nach der Corona-Pandemie gehen auf- grund der steigenden Reiseaktivität und auch der Zu- nahme der globalen Dengue-Infektionen von einem er- heblichen Anstieg aus. Assoziationen einer Dengue-In- fektion mit der Reisedauer zeigen sich auch bei der Auswertung großer Datenbanken nicht [16]. Die Infek- tion stellt auch für Kurzzeitaufenthalte in Risikogebie- ten eine relevante Größe dar. Dabei zeigen Studien bei Reiserückkehrern eine Prävalenz von DHF unter den Dengue-Fällen von 0,9–3,0% [17, 18, 19]. Vorerkran- kungen scheinen ein Risko für Komplikationen darzu- stellen. In diesem Zusammenhang werden insbesonde- re Adipositas, Diabetes Typ 2, arterielle Hypertonie, Rheuma, chronische obstruktive Lungenerkrankungen, Karzinome, Herzinsuffizienz, neurologische Erkrankun- gen und chronische Niereninsuffizienz in den Vorder- grund gestellt [16]. Diagnose und Differenzialdiagnose Häufig ist bei klassischem Dengue der klinische Ver- dacht führend, insbesondere bei Manifestation der Gliederschmerzen und des suggestiven Virusexant- Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 23

keitssubstitution sinkt. Eine Thrombozytengabe wird in Betracht gezogen, wenn die Thrombozytenzahl auf we- niger als 20 000 Zellen/μl sinkt und ein hohes Blutungs- risiko besteht. Die Gabe von Aspirin und nicht steroida- len Antirheumatika sowie anderen Antikoagulanzien ist zu vermeiden. Eine spezifische antivirale Therapie ist nicht etabliert. Die Gabe von Ivermectin wurde in thai- ländischen Studien untersucht und zeigte trotz der Besserung einzelner Laborparameter keinen klinischen Effekt [21]. Sie wird daher nicht empfohlen. Monoklo- nale Antikörper zur Therapie des DHF befinden sich in Zulassung. Dabei stehen insbesondere Antikörper ge- gen NS1 im Vordergrund [22]. Laborparameter mit prä- diktivem Wert für die Manifestation von Komplikatio- nen sind nicht etabliert. Unbehandeltes schweres Den- gue-Fieber kann eine Sterblichkeitsrate von 10–20% haben. Eine angemessene unterstützende Behandlung senkt die Sterblichkeitsrate auf unter 1%. Prävention Mückenkontrolle und Antimückenschutz Zu den wichtigsten Präventivmethoden in betroffenen Gebieten auf Public-Health-Ebene gehören Maßnah- men zur Mückenkontrolle [7, 11, 15]. Dabei kommen neben chemischen Methoden wie Insektiziden zuneh- mend auch biologische Bekämpfungsmaßnahmen zum Einsatz. In den letzten Jahren hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere das Ausbringen von Ae- des-aegypti-Mücken bewährt, die mit Wolbachia-Bak- terien infiziert wurden. Diese sind deutlich weniger an- fällig für eine Dengue-Fieber-Virusinfektion als der Wildtyp [23]. Persönliche prophylaktische Maßnahmen zum Mücken- schutz beinhalten ▪ die Verwendung von Moskitonetzen auch tagsüber, ▪ mit Insektiziden behandelte Materialien wie Fens- tervorhänge, ▪ das Auftragen von Repellenzien auf die Haut (mit DEET, IR3535 oder Icaridin) und ▪ das Tragen von langärmeligen Hemden und lang- beinigen Hosen. Bei den mit Kontrollversuchen mit Tigermücken in den letzten Jahrzehnten gemachten Erfahrungen offenbart sich häufig eine gewisse Hilflosigkeit, da sich die Mückenpopulationen trotz aller Maßnahmen nahezu unaufhaltsam ausgebreitet haben. Merke Allenfalls das schon erwähnte, methodisch aufwen- dige Ausbringen von Wolbachia-infizierten Aedes- Moskitos scheint die Übertragung von Dengue regio- nal kurzfristig um mehr als 85% zu senken [24]. FALLBEISPIEL Zu spät behandeltes Dengue-Fieber Eine 50-jährige Frau mit Diabetes Typ 2 reist mit ihrem Mann in der Vorweihnachtszeit nach Thailand. Direkt nach ihrer Rück- kehr begeben sich beide in ihre Skihütte in den Bergen Nor- wegens, wo sie die Weihnachtstage verbringen wollen. Auf- grund starker Schneefälle werden sie eingeschneit. Drei Tage nach ihrer Ankunft bilden sich bei der Frau akut starke Schmerzen am ganzen Körper aus, zudem Fieber bis 39,5°C. Da an eine Abreise nicht zu denken ist, behandelt sich die Patien- tin mit Ibuprofen und reichlich Flüssigkeitszufuhr. Über 3 Tage halten Schmerzen und Fieber an, der Zustand der Patientin bleibt aber stabil. Am 4. Tag nach Symptombeginn kommt es zu einem deutlichen Pulsanstieg, die Patientin wird kreislau- finstabil und trübt ein. Der Ehemann bringt sie in einer mehr- stündigen und sehr schwierigen Fahrt in das nächste Kranken- haus. Dort imponiert eine Schocksymptomatik bei erheblicher Thrombopenie (15 000/µl). Versuche zur Stabilisierung der Patientin schlagen fehl, sie stirbt am 7. Tag nach Symptombe- ginn an Kreislaufversagen. Aus einer bei der Aufnahme ent- nommenen Blutprobe kann mittels RT-PCR Dengue Typ 1 nachgewiesen werden. In der Serologie sind keine Antikörper gegen Dengue nachweisbar. Somit ist ein Dengue-Schocksyn- drom bei Erstinfektion mit Dengue Typ 1 bestätigt, eine sehr seltene Komplikation. Es bleibt abzuwarten, ob diese Methode nachhaltige, langjährige Effekte zeigen kann. Impfung In Anbetracht der massiven Ausbreitung von Dengue und der erheblichen globalen Fallzahlen ist nachvoll- ziehbar, dass seit über 2 Jahrzehnten mit Hochdruck an einem Impfstoff gearbeitet wird. Dies stellt jedoch eine erhebliche Herausforderung dar, da eine mög- lichst protektive Immunreaktion gegen alle 4 Seroty- pen erreicht werden muss, um eine effektive Impfung zu erhalten. Genau betrachtet wird an einer Kombinati- onsvakzine aus 4 Impfungen gearbeitet, nicht an einem einzigen Impfstoff. In Anbetracht des bekannten Im- munphänomens des ADE, das zu kompliziertem Den- gue bis hin zum DHF führen kann, galt es von Anfang an, ein ähnliches Phänomen durch die Impfung zu ver- hindern. Kommen geimpfte Populationen bei einem Ausbruch mit einem Wildvirus in Kontakt, darf es nicht zu einer Verstärkung der Effekte der Wildinfektion durch die bereits aufgrund der Impfung vorliegenden Antikörper kommen. Daher wurden insbesondere die neueren Impfstoffkandidaten ausgiebig in langjährigen klinischen Studien in Endemiegebieten getestet. In Europa sind 2 Impfstoffe gegen Dengue zugelassen. Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 25

KERNAUSSAGEN ▪ Dengue ist eine arbovirale Infektionskrankheit, die von Aedes-Mücken auf den Menschen übertragen wird. ▪ Das Dengue-Virus gehört zur Gattung Flavivirus und umfasst 4 Serotypen (DEN1 bis DEN4), die zu unterschiedlichen klini- schen Verläufen führen können. ▪ Dengue stellt eine wichtige Herausforderung für das Ge- sundheitswesen in endemischen Gebieten dar und erfordert die Schulung von medizinischem Personal sowie die Stärkung der Surveillance-Systeme zur frühzeitigen Erkennung von Ausbrüchen. ▪ Patienten mit Dengue können ein breites Spektrum von Symptomen aufweisen, von unspezifischen grippeähnlichen Beschwerden bis hin zu schwerem Dengue, einschließlich DHF und Dengue-Schocksyndrom. ▪ Die Diagnose von Dengue erfordert serologische oder mole- kulare Tests, einschließlich PCR, Antigen- und Antikörper- nachweis, insbesondere während der akuten Phase der Krankheit. ▪ Eine frühe Diagnose und eine angemessene Behandlung sind entscheidend, um die Mortalität bei Dengue zu reduzieren. ▪ Wiederholte Dengue-Infektionen mit verschiedenen Seroty- pen erhöhen das Risiko für schweres Dengue. Das sollte bei der klinischen Einschätzung berücksichtigt werden. ▪ Die Behandlung von Dengue ist in erster Linie unterstützen- der Natur. Dabei steht die Flüssigkeitstherapie zur Verhinde- rung von Dehydratation und hämodynamischer Instabilität im Vordergrund. ▪ Präventive Maßnahmen sind von großer Bedeutung und um- fassen die Reduzierung von Brutstätten für Aedes-Mücken, Insektenschutzmittel und den Einsatz von Impfstoffen. Interessenkonflikt Erklärung zu finanziellen Interessen Forschungsförderung erhalten: ja, von einer anderen Insti- tution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.); Honorar/ geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Institution (Pharma- oder Medizintechnikfir- ma usw.); Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/ Gehaltsempfänger: ja, von einer anderen Institution (Phar- ma- oder Medizintechnikfirma usw.); Patent/Geschäftsan- teile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Be- reich der Medizin aktiven Firma: nein; Patent/Geschäftsan- teile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessen- konflikt besteht. ▶ Abb. 8 Juckendes, makulöses rumpfbetontes Exanthem in der 2. Woche nach der Impfung mit Qdenga. mehrere Tage bis eine Woche anhalten kann (▶ Abb. 8). Merke Die Lebendimpfung mit Dengue-Impfstoffen ist kontraindiziert bei Immunsupprimierten, Schwange- ren und Stillenden. Vergleich und Bewertung beider Impfstoffe In Zusammenschau stellen beide Impfstoffe sicherlich keine idealen Vakzine dar. Jedoch bietet TAK-003 eine deutliche Protektion gegen ein in zahlreichen Ländern sehr häufiges Virus, das schwere Krankheitsmanifesta- tionen und in seltenen Fällen auch tödliche Komplika- tionen verursachen kann. Die Impfung bietet deutlich besseren Schutz als die reine Expositionsprophylaxe, die die einzige Alternative darstellt. Darüber hinaus ist sie in ihrer protektiven Effektivität anderen Vakzinen, die in der Reisemedizin verwendet werden, zumindest gleichwertig. Für betroffene Populationen in Endemie- gebieten, aber auch für Reisende in solche Gebiete stellt die Impfung einen wesentlichen Vorteil dar. Eine gebremste Umsetzung der jetzt verfügbaren Möglich- keit zur Prävention setzt Betroffene einem unnötigen Risiko durch die Infektion aus [28]. Insofern empfiehlt sich die Impfung entsprechend der Zulassung aktuell insbesondere für Reisende in Risikogebiete, die durch Epidemien oder endemische Situationen betroffen sind. Bei niedriger Inzidenz von Dengue am Reiseziel oder lediglich Vorkommen von kleinen, lokalen Ausbrü- chen muss die Impfung sicherlich nicht vordringlich empfohlen werden. Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 27

Bibliografie Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 DOI 10.1055/a-2176-0823 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. CRM Centrum für Reisemedizin GmbH, Burgunderstraße 31, 40549 Düsseldorf, Germany [24] Utarini A, Indriani C, Ahmad RA et al. Efficacy of Wohlba- chia-infected mosquito deployments for the control of dengue. N Eng J Med 2021; 384: 2177–2186 [25] Paul Ehrlich Institut. Denguefieber-Impfstoffe. Dengvaxia, 2023. Zugriff am 11. Oktober 2023: https://www.pei.de/ DE/arzneimittel/impfstoffe/denguefieber/dengue-inhalt. html [26] Thomas ST, Yoon IK. A review of Dengvaxia: development to deployment. Hum Vaccine Immunother 2019; 15: 2295– 2314 doi:10.1080/21645515.2019.1658503 [27] Paul Ehrlich Institut. Denguefieber-Impfstoffe. Qdenga, 2023. Zugriff am 11. Oktober 2023: https://www.pei.de/ DE/arzneimittel/impfstoffe/denguefieber/dengue-inhalt. html [28] Thomas SJ. Is new dengue vaccine efficacy data a relief or cause for concern? npj Vaccines 2023; 8: 55 doi:10.1038/ s41541-023-00658-2 Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 29

Punkte sammeln auf CME.thieme.de Fortsetzung ... Frage 9 Welche Art von Impfstoff wird derzeit für die Prävention von Dengue-Fieber verwendet? Frage 10 Welche der folgenden Aussagen zu den in Europa zugelassenen Impfungen gegen Dengue ist korrekt? Totimpfstoff A attenuierter Lebendimpfstoff B C Messenger-RNA-Impfstoff D Proteinimpfstoff E Ganzvirus-Totimpfstoff A Die Impfungen sind für alle Altersgruppen gleichermaßen geeignet. B Die Impfungen bieten zu 100% Schutz vor allen Serotypen. Personen, die bereits eine Dengue-Infektion hatten, sollten C geimpft werden. D Die Impfungen sind nur in Regionen mit hoher Dengue- Inzidenz verfügbar. E Die Impfungen erfordern jährliche Auffrischungsimpfun- gen. Jelinek Tomas. Dengue-Fieber … Reisemedizin up2date 2024; 1: 17–31 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 31

Reisemedizin up2date 1 · 2024 Infektionskrankheiten 2 Melanie Sasse Fabian Reinhardt Christoph Lübbert Reisediarrhö VNR: 2760512024165724012 DOI: 10.1055/a-2174-8823 Reisemedizin up2date 2024; 1 (1): 33–49 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Reisediarrhö Melanie Sasse, Fabian Reinhardt, Christoph Lübbert Die Reisediarrhö ist die häufigste Infektionskrankheit in der Reisemedizin. Dieser Beitrag geht auf Epidemiologie, wichtige Erreger, Prophylaxe und Therapie ein. Hierbei werden detailliert auslösende Erreger, wichtige Differenzialdiagnosen und Indikationen für erweiterte diagnostische Maßnahmen thematisiert. Des Weiteren werden Aspekte der reisemedizinischen Beratung sowie Möglichkeiten und Grenzen der Infektionsprävention dargestellt. Epidemiologie Die Reisediarrhö gilt in der Reisemedizin als die häu- figste Infektionskrankheit [1]. Tritt eine Reisediarrhö auf, ist dies häufig sehr belastend und führt bei 12– 46% der Reisenden zu Reiseplanänderungen [2]. Eine reiseassoziierte Diarrhö wird größtenteils (80–90 % der Fälle) durch Bakterien verursacht und hat meist einen milden, selbstlimitierenden Verlauf. Risikofakto- ren für das Auftreten von Reisediarrhö sind Reiseziel, Reisedauer (längere Reisen), einfache Reisebedingun- gen (Rucksacktourismus) und jüngeres Alter der Rei- senden [3, 4]. Je nach Reiseziel sind unterschiedliche Risikokonstella- tionen für eine Reisediarrhö zu erwarten. Ein niedriges Risiko besteht für Industrienationen mit hohem hygie- nischem Standard, wie z. B. USA, Kanada, Australien, Mittel- und Nordeuropa. Findet eine Reise in tropische Gebiete statt, wie z. B. Subsahara-Afrika oder Südame- rika, sind 20–50% der Reisenden von Reisediarrhö be- troffen. Indien, Ägypten und Pakistan gelten als Hoch- risikoländer, wo mehr als jeder zweite Reisende von Durchfall betroffen ist [5]. Ebenso unterscheiden sich die Erreger je nach Reiseregion. Enterotoxin-bildende Escherichia coli (ETEC) treten vor allem in Südamerika, Afrika und der Karibik auf. Mit Campylobacter- oder Giardia-lamblia-Infektionen ist vor allem nach Reisen in Süd- und Südostasien zu rechnen [2]. ▶ Tab. 1 gibt einen Überblick über Reiseregionen und zu erwartende Erreger einer Reisediarrhö. Neuere epidemiologische Arbeiten zeigen allerdings, dass enteropathogene Escherichia coli (EPEC) und en- teroaggregative Escherichia coli inzwischen häufiger als ETEC als Auslöser einer Reisediarrhö zu be- rücksichtigen sind [7]. Saisonale Effekte und Aus- bruchsgeschehen haben einen zusätzlichen Einfluss auf die Erregerkonstellation. (EAEC) ▶ Tab. 1 Reiseländer und das zu erwartende Erregerspektrum als Auslöser einer Reisediarrhö (modifiziert nach [6]). Länder Lateinamerika und Karibik Erreger ETEC EAEC Norovirus/Rotavirus Shigellen Campylobacter spp./Salmonel- len/Giardia lamblia Subsahara-Afrika ETEC Norovirus Häufigkeit >35% 25–35% 15–25% 5–15% <5% 25–35% 15–25% Rotavirus/Salmonellen/Shigellen 5–15% Campylobacter spp./EAEC/ Giardia lamblia <5% Indien und Südasien ETEC/EAEC/Campylobacter spp. 15–25% Norovirus/Rotavirus/Shigellen/ Giardia lamblia Salmonellen Südostasien Campylobacter spp. ETEC/Salmonellen/Giardia lamblia 5–15% <5% 25–35% 5–15% Norovirus/Rotavirus/Shigellen <5% EAEC: enteroaggregative E. coli, ETEC: Enterotoxin-bildende E. coli Definition und Klinik Merke Die Reisediarrhö ist als eine Veränderung der Stuhl- gewohnheiten mit erhöhter Stuhlfrequenz (≥3 Stühle innerhalb von 24 h) und Veränderung der Stuhlkon- sistenz (ungeformter Stuhl) definiert [2]. Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 35

störungen führen. Die Folge sind breiig-wässrige Durchfälle, welche auch schleimig, aber nicht blutig sein können. Enteroaggregative E. coli (EAEC) EAEC können über verschiedene Virulenzfaktoren die Darmmukosa schädigen und die Liberation von Inter- leukin-8 induzieren. Dies hat in der Regel eine wässrige Diarrhö ohne Blutbeimengung zur Folge, welche häufig von abdominellen Schmerzen, Erbrechen und Fieber begleitet ist. Bei Immunsupprimierten können EAEC- Infektionen auch Ursache einer chronischen Diarrhö sein. Enteroinvasive E. coli (EIEC) EIEC-Infektionen sind sehr selten und beginnen meist mit wässrigen Durchfällen. Diese können im Verlauf blutig sein und von dysenterischen Beschwerden be- gleitet werden. Ähnlich wie bei der Shigellose erfolgt eine intrazelluläre Vermehrung in den Zellen der Dick- darmwand mit resultierender Kolitis, welche mit schweren Krankheitsverläufen assoziiert sein kann. Therapie der E.-coli-Infektionen Eine Routinetherapie mit Antibiotika ist bei darmpa- thogenen E.-coli-Stämmen nicht indiziert, da die Infek- tionen in der Regel selbstlimitierend verlaufen und so Nebenwirkungen sowie Resistenzentwicklung vermie- den werden können. Cave Besonders bei Infektionen mit EHEC/STEC sollte auf- grund der Gefahr der Entwicklung eines HUS auf eine Antibiotikatherapie verzichtet werden. Bei schwer verlaufenden Infektionen ist eine antiinfekti- ve Therapie sinnvoll. Diese sind durch Fieber, mehr als 6 Stühle pro Tag, Exsikkose, anhaltende Diarrhö an mehr als 6 Tagen und/oder Blutbeimengungen gekennzeich- net. Auch bei Immunsupprimierten sollte großzügiger zu einer spezifischen Therapie geraten werden. Mittel der Wahl ist Azithromycin (1000 mg als Einmalgabe) bei Infektionen ohne Dysenterie bzw. mit verlängerter Therapiedauer Azithromycin (1 × 500 mg für 3 Tage) bei dysenterischen Symptomen. Alternativ können die Fluorchinolone Ciprofloxacin (750–1000 mg als Einzel- dosis bzw. 2 × 500 mg für 3 Tage) oder Levofloxacin (1 × 500 mg für 3 Tage) eingesetzt werden, aufgrund des Nebenwirkungsprofils sollte die Indikation jedoch sehr streng gestellt werden [9]. Nichttyphoidale Salmonellen Salmonellen-Enteritiden sind nach Campylobacter-In- fektionen die zweithäufigste Ursache für eine infektiö- se Diarrhö in Deutschland [8] und der Europäischen Union. Sie werden primär durch mangelnde Lebensmit- tel- und Sanitärhygiene verursacht. Es treten häufig übelriechende Diarrhöen mit Tenesmen auf. Die Symp- tomatik ist fast immer selbstlimitierend und bedarf in der Regel keiner antibiotischen Therapie. Ältere Patien- ten, Kleinkinder und Säuglinge können durch prolon- gierte Diarrhöen dehydrieren, weshalb in diesen Risiko- gruppen auf eine adäquate Flüssigkeitsaufnahme bzw. Rehydrierung geachtet werden muss. Eine gezielte antimikrobielle Therapie ist bei schweren invasiven Verlaufsformen bzw. bei Sepsis angezeigt. Komplikationen sind nicht auszuschließen bei ▪ Erkrankungen im ersten Lebensjahr, ▪ hochbetagten Patienten, ▪ Personen mit angeborenen oder erworbenen Im- mundefekten, ▪ Dialysepatienten und ▪ Patienten mit bekannten Anomalien bzw. protheti- schem Ersatz an Herzklappen oder Gefäßen. Daher sollte bei diesen Personengruppen eine antimi- krobielle Therapie auch dann erwogen werden, wenn eine rein gastroenteritische Manifestation vorliegt [6]. Geeignete Antibiotika sind Fluorchinolone wie Cipro- floxacin, aber auch Ampicillin, Azithromycin oder Ce- phalosporine der dritten Generation über 7–10 Tage (14 Tage bei immunsupprimierten Patienten) [10]. Problematisch sind zunehmend resistente Salmonel- lenspezies, vor allem nach Aufenthalt in Süd- und Süd- ostasien. Auch in Südeuropa sind Fluorchinolon- und Cephalosporin-Resistenzen keine Seltenheit mehr. Selten werden Patienten zu Dauerausscheidern (Aus- scheidung von Salmonellen über mehr als 1 Jahr). Prä- disponierende Faktoren wie das Vorliegen einer Chole- zystolithiasis sollten überprüft werden; ggf. muss ein Eradikationsversuch in Form einer Kombination aus An- tibiotikatherapie und chirurgischer Sanierung (Chole- zystektomie) eingeleitet werden. Merke Bei Salmonellen-Dauerausscheidern ist die enge Zu- sammenarbeit zwischen betroffener Person, Arbeit- geber und Gesundheitsamt wichtig (Tätigkeitsverbot bei Arbeit in gastronomischen Betrieben). Shigellen Shigellen kommen mit deutlich geringerer Inzidenz als ETEC, EPEC und EAEC als Auslöser einer Reisediarrhö in Betracht. Shigellosen treten klassischerweise bei Rei- sen nach Ägypten, Indien oder Indonesien auf [2, 11]. 2019 wurden dem RKI insgesamt 627 Shigellosen ge- meldet, wobei 48% der Infektionen mutmaßlich im Ausland erworben wurden [8]. 73% der Infektionen wurden durch Shigella (S.) sonnei verursacht. S. flexne- ri (21%), S. boydii (3%) und S. dysenteriae (3%) spielten bei den gemeldeten Fällen eine untergeordnete Rolle Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 37

strenge Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von grö- ßeren Ausbrüchen im Vordergrund stehen [10]. Rotaviren Rotaviren kommen in den Tropen ganzjährig vor. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral. Rotavirus-Infektionen sind vor allem für Säuglinge und Kleinkinder <5 Jahren relevant. In dieser Patientengruppe treten schwere Verläufe mit Fieber, Erbrechen und wässriger Diarrhö auf [17]. Ähnlich der Norovirus-Infektion erfolgt die Therapie symptomatisch. Nachweislich können Infek- tionen durch die zugelassene Rotavirus-Schluckimp- fung reduziert werden [18]. Diese Impfung weist für die Reisemedizin jedoch keine besondere Bedeutung auf. Protozoen Protozoen spielen als Auslöser der Reisediarrhö eine untergeordnete Rolle, führen bei manifester Erkran- kung jedoch häufig zu lang anhaltenden Durchfällen mit ausgeprägtem Krankheitsgefühl. Giardia lamblia ist unter den Protozoen der am häufigsten diagnosti- zierte Erreger, aber auch Kryptosporidien und Amöben können gelegentlich für Beschwerden verantwortlich sein. Die seltenen Infektionen mit Mikrosporidien und Isospora belli bei Immunsupprimierten werden an die- ser Stelle nicht weiter ausgeführt [10, 19]. Giardia lamblia Infektionen des menschlichen Dünndarms mit Giardia lamblia werden als Giardiasis (syn. Lambliasis) bezeich- net. In Ländern mit schlechten hygienischen und sani- tären Bedingungen tritt diese Erkrankung endemisch auf. In der Regel erfolgt die Aufnahme über kontami- nierte Speisen oder kontaminiertes Wasser, aber auch fäkal-orale Schmierinfektionen sind möglich. Für eine Infektion sind weniger als 10 Lamblienzysten ausrei- chend, allerdings kommt es auch bei einer Infektion nur selten zu Symptomen. Prinzipiell besteht bei jeder symptomatischen Lamblia- sis eine Therapieindikation. Die Erkrankung kann aber auch selbstlimitierend verlaufen, weshalb bei Gesun- den mit milder Symptomatik auch abgewartet werden kann. Aufgrund der Laktoseintoleranz sollte für ca. 1 Monat auf laktosehaltige Lebensmittel verzichtet wer- den. Die antiinfektive Therapie erfolgt in erster Linie mit Metronidazol (3–4 × 500 mg p. o. für 7–10 Tage). Bei persistierenden Beschwerden kommen alternativ Nitazoxanid, Albendazol, Paromomycin oder Mepacrin zum Einsatz. Gelegentlich sind wiederholte Therapie- zyklen zur vollständigen Erreger-Eradikation nötig [5, 10]. Zunehmende Metronidazol-Resistenzen stellen ein Problem dar, insbesondere wenn die Giardiasis in Indien erworben wurde. INFO Lebenszyklus und Symptome Die Zysten von Giardia lamblia reifen nach der Ingestion im Dünndarm zu begeißelten Trophozoiten und heften sich an die Darmmukosa, wo sie sich vermehren. Diese Prozesse führen zur Atrophie des intestinalen Bürstensaums und zur Vermin- derung der dort lokalisierten Disaccharidasen, wodurch es zu breiigschleimiger Diarrhö und Laktoseintoleranz kommt. Die Durchfälle können von dysenterischen Beschwerden, Flatulenz sowie fauligem Aufstoßen begleitet sein und sind oft sehr langwierig. Bei Verlassen der Darmwand erfolgt die erneute Umwandlung der Trophozoiten in Zysten. Diese können au- ßerhalb des Wirtes ca. 3 Monate überleben und werden auch durch die Chlorierung von Wasser nicht adäquat abgetötet. Kryptosporidien Die Kryptosporidiose ist eine beim Menschen seltene, hauptsächlich durch Cryptosporidium parvum ausge- löste Darminfektion. Die Infektion erfolgt durch Inges- tion der Oozysten, die vom infizierten Wirt ausgeschie- den werden und in erster Linie über kontaminiertes Wasser und Lebensmittel übertragen werden. Das Erre- gerreservoir bilden hauptsächlich Nutztiere wie Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe. Cryptosporidium parvum persistiert im menschlichen Darm und setzt dort sei- nen komplexen Vermehrungszyklus fort. Bei Immunkompetenten kann die Infektion asympto- matisch verlaufen oder zu wässrigen Durchfällen, die innerhalb von wenigen Tagen selbstlimitierend sind, führen. Symptome wie abdominelle Schmerzen und leichtes Fieber sind ebenfalls möglich. Bei Immunsup- primierten und Kleinkindern kann es zu schwerer pro- longierter Diarrhö mit Komplikationen wie Exsikkose, Elektrolytverschiebung und Malabsorption kommen. Auch extraintestinale Manifestationen wie Cholangitis und Pankreatitis sind möglich [20]. Merke Bei Kryptosporidiose besteht eine Behandlungsindi- kation bei Symptomdauer von mehr als 14 Tagen oder bei immunsupprimierten Patienten. Bei immunkompetenten Patienten sollte die antiinfek- tive Therapie mit Nitazoxanid 2 × 500 mg p. o. über 3–5 Tage erfolgen; die Evidenz aus kontrollierten klinischen Studien für diese Empfehlung ist bislang allerdings noch unzureichend. Immundefiziente Patienten sollten primär eine Optimierung ihrer Abwehrsituation erfah- ren (z. B. antiretrovirale Therapie bei HIV-Infizierten, mögliche Reduktion von Immunsuppressiva). Die anti- infektive Therapie erfolgt dann mit Nitazoxanid in hö- herer Dosierung (2 × 1000 mg p. o.) über mindestens 2 Wochen [21]. Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 39

Über eine sorgfältige Anamnese und gründliche klini- sche Untersuchung lässt sich gut abschätzen, ob eine komplizierte Diarrhö vorliegt und mit welchem Erre- gerspektrum gerechnet werden muss. „Praxisempfeh- lungen – Anamnese und Untersuchung“ stellt das emp- fohlene Vorgehen für Anamneseerhebung und klini- sche Untersuchung bei Vorliegen einer Reisediarrhö dar. Bei folgenden Alarmsymptomen sollte eine weiterfüh- rende Diagnostik durchgeführt werden: ▪ nächtliche Diarrhö ▪ Fieber ▪ deutlicher Gewichtsverlust ▪ Blutbeimengung ▪ Diarrhö bei fortgeschrittenem Alter mit Komorbidi- tät ▪ abdominelle Schmerzen und Exsikkose Cave Eine Reisediarrhö bei Kleinkindern und Säuglingen stellt immer ein erhöhtes Risiko für komplizierte Ver- läufe dar und sollte vom Kinderarzt mitbeurteilt wer- den. Zur Basis-Labordiagnostik gehören Differenzialblutbild (Leukozytose? Eosinophilie? Anämie?), Elektrolyte (Ex- sikkose?), TSH (Hyperthyreose?), Leber- und Nieren- werte (Nierenversagen? Hepatitis? Cholestase? Cho- langitis/Cholezystitis?). Bei Fieber sollten immer min- destens 2 Paar Blutkulturen gewonnen werden. Wenn es einen Aufenthalt in einem Malaria-Risikogebiet gab, ist zwingend eine Malaria auszuschließen. Hierzu muss umgehend ein Malaria-Schnelltest erfolgen und ein „di- cker Tropfen“ sowie ein Blutausstrich mikroskopisch untersucht werden. Mikrobiologische Diagnostik Besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion, sind Stuhlkulturen indiziert. Diese sollten darmpatho- gene E. coli, Salmonellen, Shigellen, Yersinien und Campylobacter abdecken. Bei Antibiotikatherapie in- nerhalb der letzten 3 Monate sollte auch eine Clostri- dioides-difficile-Diagnostik erfolgen. Bei länger anhal- tenden Beschwerden, Dysenterie, schleimigen Durch- fällen, Husten, Hautausschlag und/oder Bluteosinophi- lie sollte auch an Infektionen mit Parasiten gedacht werden. Merke Der diagnostische Goldstandard ist die mikroskopi- sche Untersuchung von nativem Stuhl, ergänzt durch Immunfluoreszenz und spezifische PCR-Verfahren oder Antigennachweise. Da Würmer, Wurmeier und Protozoen häufig nicht kontinuierlich ausgeschieden werden, sollten für die Diagnostik mindestens 3 ver- schiedene Stühle genutzt werden. PR A XISEMPFEHLUNGEN Anamnese und Untersuchung Bei Reisediarrhö gelten folgende Empfehlungen für die Anam- nese und die klinische Untersuchung: ▪ Jetztanamnese: Seit wann bestehen die Beschwerden? Wie begannen die Beschwerden? Stuhlfrequenz, -volumen, -konsistenz, -farbe? Gibt es Blutbeimengungen, Schmerzen/ Tenesmen? Bestehen zusätzlich extraintestinale Symptome: Übelkeit/Erbrechen? Gewichtsverlust? Fieber? Besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme? Kommt es zu nächtlicher Diarrhö? Sistieren die Durchfälle nach Nahrungskarenz? Sind Angehörige/Mitreisende betrof- fen? Kam es in den letzten 3 Monaten zu Hospitalisierung und/oder antiinfektiver Therapie? Was wurde bisher unter- nommen? Was hat geholfen? ▪ Eigenanamnese: Vorerkrankungen, Operationen, Kinder- krankheiten, Allergien/Unverträglichkeiten, Medikamente- nanamnese (z. B. Antiinfektiva, Antidiabetika, Antihyperten- siva), Impfstatus ▪ Reiseanamnese: Ort, Art der Reise, Dauer des Aufenthalts, Rückkehrdatum, Kontakt mit Erkrankten, Insektenstiche, Sexualkontakte (geschützt/ungeschützt, Einheimische/Mit- reisende), Baden in Süßwasser, Lebensmittelhygiene, Mala- riaprophylaxe, Tierkontakte, Alkohol/Drogen ▪ Klinische Untersuchung: Exsikkose, Lymphknotenschwel- lung, Ikterus/Exanthem, Meningismus, Anämie, abdominelle Untersuchung (Darmgeräusche, Abwehrspannung, Druck- schmerz, pathologische Resistenzen), Ödeme, digital-rektale Untersuchung (Hämorrhoiden, Sphinktertonus, pathologi- sche Resistenzen, Druckschmerz, Stuhlkonsistenz, -farbe) Für die Typisierung von darmpathogenen E. coli sind Zusatzuntersuchungen erforderlich. Sollte der Ver- dacht auf eine Kryptosporidiose bestehen, so ist der mikroskopische Erregernachweis im konzentrierten Stuhl mit Anwendung von Spezialfärbungen (z. B. Kiny- oun-Färbung) indiziert. Bei Nachweis von Amöben im Stuhl sollte eine PCR-Un- tersuchung (PCR: Polymerase-Kettenreaktion) zum Ausschluss einer Besiedelung mit den apathogenen Spezies E. dispar und E. moshkovskii erfolgen. Auch für darmpathogene E. coli und Kryptosporidien wird mittlerweile eine molekulare Diagnostik von einigen Laboren angeboten. Eine virologische Diagnostik der Diarrhö ist in der Regel nicht indiziert, da virale Durch- fallerkrankungen meist selbstlimitierend und unkom- pliziert verlaufen. In selektierten Fällen kann die Unter- suchung einer einzelnen Stuhlprobe mittels spezieller Multiplex-PCR-Assays auf verschiedene pathogene Er- reger („Gastroenteritis-Panel“) einen diagnostischen Mehrgewinn ermöglichen (hohe Sensitivität, mäßige Spezifität; jedoch keine Resistenztestung) [6]. Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 41

jährig etablierte WHO-Rezeptur. In schweren Fällen kann auch eine intravenöse Rehydrierung mit Elektro- lytausgleich notwendig werden. Koffeinhaltige Geträn- ke sind aufgrund ihrer motilitätssteigernden Wirkung nicht zu empfehlen. Antidiarrhoika Für die symptomatische Therapie steht der Enkephali- nase-Inhibitor Racecadotril in allen Altersklassen zur Verfügung. Als Sekretionshemmer gilt Racecadotril als Mittel der ersten Wahl, da es die Selbstreinigungsfunk- tion des Darmes nicht beeinflusst und ein günstiges Nebenwirkungs- und Interaktionsprofil aufweist [26]. Es handelt sich hierbei um ein Prodrug, das zu Thiorp- han hydrolysiert wird. Dieser Metabolit verzögert den Abbau endogener Enkephaline und hemmt dadurch die Sekretion von Wasser und Elektrolyten im Gastroin- testinaltrakt. Die Empfehlung beruht auf Expertenmei- nungen [23]. Loperamid oder Bismutsubsalicylat können ebenfalls eine therapeutische Option sein [24]. Bei Loperamid wird eine Tagesdosis von 4 mg zum Therapiebeginn empfohlen (z. B. auch als sublinguale Anwendung), wo- bei häufig bereits 2 mg pro Tag einen guten Effekt zei- gen. Cave Bei Fieber, blutigen Durchfällen oder Verdacht auf Clostridioides-difficile-Enterokolitis ist der Einsatz von Motilitätshemmern kontraindiziert [25], ebenso bei Kindern. Flohsamenschalen als natürliches Quellmittel können bei jeder Form der Diarrhö zur Normalisierung der Stuhlkonsistenz eingesetzt werden. Antimikrobielle Therapie Die empirische Antibiotikatherapie ist bei milder Reise- diarrhö keine Option. Sie sollte nur bei schweren Krank- Fieber, blutige Diarrhö, heitssymptomen (hohes schwere Dehydration) oder Risikofaktoren (z. B. Im- munsuppression, CED) erfolgen [24]. Liegt eine Indika- tion vor, wird primär Azithromycin für die Selbstthera- pie auf Reisen empfohlen (Fluorchinolone sollten empi- risch nicht mehr eingesetzt werden). Insbesondere für Reisende in Süd- bzw. Südostasien ist Azithromycin das Mittel der Wahl (häufige Resistenzen gegen Fluorchi- nolone und Rifaximin) [2, 10, 24]. Für Kinder sind Azi- thromycin, Rifaximin (ab 12 Jahre) oder Doxycyclin (ab 8 Jahre) geeignet. Die schlecht resorbierbaren Antibiotika Rifaximin und Rifamycin wirken selektiv im Darmlumen gegen mikro- bielle Pathogene und sind prinzipiell bei Reisediarrhö ohne dysenterische Symptome indiziert [27, 28]. Es werden weniger als 1% des Wirkstoffs resorbiert, wes- PR A XISEMPFEHLUNGEN Therapie Reisediarrhö Eine praktische Handlungsempfehlung ist die Konsensus- basierte Therapie der Reisediarrhö nach dem klinischen Schweregrad [24]: 1. Leichte Reisediarrhö (Bewegungsfreiheit nicht einge- schränkt): – Flüssigkeit und Elektrolyte sollten ersetzt werden. – Antidiarrhoika können eingesetzt werden. – Antibiotika sind nicht indiziert. 2. Mittelschwere Reisediarrhö (eingeschränkte Bewegungs- freiheit): – Flüssigkeit und Elektrolyte sollten ersetzt werden. – Antidiarrhoika und Antibiotika können zur schnellen Wie- derherstellung der Reisetauglichkeit eingesetzt werden. 3. Schwere Reisediarrhö (Dysenterie, Patient kann das Zimmer nicht verlassen) – Flüssigkeit und Elektrolyte sollten ersetzt werden. – Der Einsatz von Antibiotika ist indiziert. – Loperamid kann unter Beachtung der Kontraindikationen zusätzlich gegeben werden. systemische Effekt vernachlässigbar halb der ist. Schwere Nebenwirkungen sind nicht beschrieben, und insbesondere beim Einsatz von Rifamycin wurde keine Selektion von ESBL-Bildnern (ESBL: Extended-Spect- rum-Betalaktamasen) beobachtet [28]. Die genannten Substanzen können als Einmalgabe oder über 3 Tage eingenommen werden [10]. Der Einsatz von Antibiotika sollte immer kritisch ge- prüft werden, da eine antibiotische Therapie mit rele- vanten Nebenwirkungen behaftet sein kann und einen wichtigen Risikofaktor für die Selektion multiresisten- ter Erreger (insbesondere ESBL-bildende E. coli) dar- stellt (▶ Abb. 1 u. ▶ Abb. 2) [29, 30]. ▶ Tab. 3 gibt einen Überblick über antibiotische Therapiemöglichkeiten und der Kasten „Praxisempfehlungen – Therapie Reise- diarrhö“ zeigt die Konsensus-basierte Therapie in Ab- hängigkeit vom Schweregrad. Impfungen Vor jeder Reise sollte der individuelle Impfstatus im Rahmen der Reiseberatung erhoben werden. Standard- wie Reiseimpfungen sollen gemäß den aktuellen Emp- fehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) überprüft und aufgefrischt bzw. vervollständigt werden. Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 43

▶ Tab. 3 Orale Antibiotika zur Behandlung der Reisediarrhö (Daten nach [24]). Präparat Dosis Therapiedauer Kommentar Azithromycin 1 × 1000 mg Einzeldosis Levofloxacin 1 × 500 mg 1 × 500 mg 3 Tage 3–5 Tage Ciprofloxacin 1 × 750–1000 mg Einzeldosis Ofloxacin Rifaximin Rifamycin 2 × 500 mg 1 × 400 mg 3 × 200 mg 2 × 400 mg 3–5 Tage 3–5 Tage 3 Tage 3 Tage Mittel der Wahl bei Reisediarrhö mit Dysenterie und/ oder Fieber Fluorchinolone weisen ein umfangreiches Nebenwir- kungsprofil auf und sollten nur bei schweren Infektionen sowie fehlender Behandlungsalternative eingesetzt werden. Bei Dysenterie oder Fieber sollte keine Anwendung er- folgen. bislang keine verlässlichen Daten zum optimalen Zeit- punkt der Auffrischung vorliegen [23]. Zudem stehen ein intramuskulär zu verabreichender und ein oraler Impfstoff gegen Typhus abdominalis zur Verfügung. Ab dem 2. Lebensjahr kann der intramusku- lär zu applizierende Impfstoff (Typhim Vi) angewandt werden; eine Immunisierung wird nach 14 Tagen er- zielt, eine Auffrischung ist nach ca. 3 Jahren notwen- dig. Der orale Lebendimpfstoff (Typhoral, Cave: Kont- raindikationen beachten) steht ab dem 5. Lebensjahr zur Verfügung. Er sollte mit Einnahme jeweils einer Kapsel nach 0–2–4 Tagen zur Anwendung kommen. Ausreichende Zeitabstände zur Malaria-Chemoprophy- laxe sind zu beachten. Eine Auffrischungsimpfung ist bereits nach 1 Jahr indiziert. Prinzipiell wird bei der Impfung gegen Typhus abdominalis nur ein unvollstän- diger Impfschutz von 60–70% erreicht [23]. Meldepflicht Nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind namentli- che Meldungen bei Verdacht, Tod und Erregerausschei- dung von Typhus, Paratyphus und Cholera vorzuneh- men. Eine namentliche Meldung soll auch erfolgen bei gesicherter Infektion mit: Rota- oder Norovirus, Cam- pylobacter spp., Salmonella spp., Yersinia enterocolica, enterohämorrhagischen E. sonstigen darmpathogenen E. coli, Shigella spp., Giardia lamblia sowie Cryptosporidium spp. [6]. Hierbei sind unter- schiedliche Bestimmungen der einzelnen Bundesländer zu beachten. (EHEC), coli KERNAUSSAGEN ▪ Die Reisediarrhö ist meist harmlos und hat einen selbstlimitierenden Verlauf. ▪ Eine symptomatische Behandlung der Reise- diarrhö steht im Vordergrund. ▪ Eine antibiotische Therapie ist speziellen Pa- tientengruppen (z. B. schweres Krankheitsbild mit prolongierter Diarrhö, immunsupprimierter Patient) vorbehalten. Die Betrachtung des Rei- selandes sollte bei möglichen lokalen Resisten- zen die Wahl des Antibiotikums beeinflussen. ▪ Eine differenzierte mikrobiologische Stuhlun- tersuchung ist bei prolongierten und blutigen Durchfällen und/oder Fieber indiziert. ▪ Bei fieberhaften Verläufen müssen andere Dif- ferenzialdiagnosen mit begleitender Diarrhö berücksichtigt werden; insbesondere muss bei Reisen in Endemiegebieten eine Malaria zuver- lässig ausgeschlossen werden. ▪ Eine umfassende qualifizierte reisemedizinische Beratung sollte vor jeder größeren Fernreise stattfinden und Präventionsmaßnahmen, Mala- ria-Chemoprophylaxe, Impfungen, Möglichkei- ten der Selbsttherapie und Verhalten bei reise- assoziierten Erkrankungen beinhalten. Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 45

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Punkte sammeln auf CME.thieme.de Fortsetzung ... Frage 9 Eine Kolonisation durch ESBL-Bildner erwerben Reisende vor allem… in Lateinamerika in Subsahara-Afrika A auf der arabischen Halbinsel B C D in Australien E in Südasien Frage 10 Welches Antibiotikum ist sowohl zur Therapie einer Reisedi- arrhö ohne dysenterische Symptome als auch (bei gegebe- ner Indikation) zur Prophylaxe einer Reisediarrhö geeignet? Rifaximin Azithromycin A Ciprofloxacin B C D Doxycyclin Ampicillin E Sasse Melanie et al. Reisediarrhö … Reisemedizin up2date 2024; 1: 33–49 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 49

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Reisemedizin up2date 1 · 2024 Organisatorisches und Rechtliches 4 Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln Jochen Hinkelbein Sunil Jagoda VNR: 2760512024165724038 DOI: 10.1055/a-2192-6276 Reisemedizin up2date 2024; 1 (1): 53–66 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln Jochen Hinkelbein, Sunil Jagoda Medizinische Notfälle treten immer und überall auf. Die Versorgung von Patien- ten an Bord von Verkehrsmitteln ist nicht mit der Qualität und Routine möglich, wie sie im boden- oder luftgebundenen Rettungsdienst stattfindet. Nichtsdesto- trotz gibt es einige Konzepte zur Patientenversorgung. Der Beitrag beschreibt für die Szenarien Bahn-, Schiffs- und Flugreisen typische notfallmedizinische Proble- me und stellt die vorhandenen Möglichkeiten zur praktischen notfallmedizini- schen Hilfe vor. ABKÜR ZUNGEN AED AMAA DGLRM Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt- automatischer externer Defibrillator Aviation Medical Assistance Act DK EMK ERC FAK IATA medizin e. V. Doctor’s Kit Emergency Medical Kit European Resuscitation Council First-Aid-Kit International Airlines Transport Asso- ciation In-Flight Medical Emergency IFME MANV Massenanfall an Verletzten MOC Medical Operations Center NN Normalnull Hintergrund Medizinische Notfälle treten zu jeder Zeit, überall und bei allen Menschen in vielfältigen Lebenssituationen auf. Wenngleich medizinisches Fachpersonal Routine in der Abarbeitung von Notfällen im gewohnten not- fallmedizinischen Setting besitzt – beispielsweise durch die Tätigkeit im Rettungsdienst oder Notarzt- dienst –, erreichen Helfer in ungewohnten Situationen und ungewöhnlichen Rahmenbedingungen sehr oft und sehr leicht ihre persönlichen Grenzen. Ungewohnte Umgebungen, wenig Training, nicht be- kanntes Equipment und vieles mehr optimieren nicht gerade die medizinische Versorgung. In derartigen komplexen Situationen und Rahmenbedingungen muss für die notfallmedizinische Versorgung oft im- provisiert werden, sodass diese nicht immer die sonst übliche Qualität und Souveränität erreicht. Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln sind nicht selten – vielmehr treten sie häufig auf –, aber er- fordern von allen Beteiligten ein hohes Maß an Überle- gung und durchdachten Handlungsweisen. Das Setting ist in der Regel unbekannt, medizinisches Equipment oft nur spärlich vorhanden, und auch die sonstigen Rahmenbedingungen machen eine notfallmedizinische Versorgung sehr komplex. In diesem Beitrag werden zunächst exemplarisch medi- zinische Notfälle an Bord von Verkehrsflugzeugen er- läutert. Notfallmedizinisches Wissen ist bei diesen Not- fällen unerlässlich, um flugphysiologische Besonder- heiten, Symptome und Probleme richtig erfassen und bewerten zu können. Auch der Rettungsdienst in der FALLBEISPIEL Auf einem Flug mit einer deutschen Airline wegen einer Vor- tragseinladung von München nach Peking sind seit dem Start bereits 7 Stunden Flugzeit vergangen. Etwas müde vom letz- ten Bereitschaftsdienst als Notarzt liegen Sie in Ihrem gemüt- lichen Sitz in der Businessclass und schauen interessiert einen Film. Sie befinden sich aktuell nördlich des Himalaja in Reise- flughöhe. Auf dem Weg zur Toilette zeigt sich Ihnen folgendes Bild: Sie sehen einen etwa 75 Jahre alten Herrn auf der mittleren Sitz- bank in der Economyclass liegen. Eine Flugbegleiterin, die ge- rade den Blutdruck des Patienten misst, ist besorgt über ihn gebeugt. Aufgrund dieser Situation bieten Sie Ihre Hilfe als versierter Notarzt an. Der Patient berichtet, seit dem Start im- mer wieder pektanginöse Beschwerden zu haben. Eine kardiale Vorerkrankung wird verneint, wie auch andere Vorerkrankun- gen. Zwar sind die Vitalwerte des Patienten im Normbereich, ihm geht es aber subjektiv nicht gut. Die Flugbegleiter haben in der Zwischenzeit Rücksprache mit dem Kapitän gehalten und fragen Sie nun, was zu tun ist. Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 55

ge, der eine Frequent-Flyer-Card besitzt, hat meist gleich einen Notfall mit inkludiert. desfälle an Bord reichen von 1 pro 3–5 bis 1 pro 10 Mio. Passagiere [10]. TAKE HOME MESSAGE Berechnet man die Auftretenswahrscheinlichkeit hinsichtlich der zurückgelegten Flüge, tritt 1 medizinischer Notfall mit einer Wahrscheinlich- keit von 95% während 24 Interkontinentalflügen auf. Über die Relevanz und Details zur Auftretenswahr- scheinlichkeit sowie Inzidenz und Outcome sind nur wenige solide Daten in den letzten Jahren publiziert worden. Die limitierte Anzahl verfügbarer Publikatio- nen zeigt, wie selten dieses Thema in der Notfallmedi- zin bisher wissenschaftlich untersucht wurde [2]. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Bezugsgrößen (Flugzei- ten, Flugstrecken) nur selten einheitlich erfasst und verglichen werden können. Hierdurch werden sowohl Vergleiche als auch eine sachliche Diskussion der The- matik zumindest deutlich erschwert. Sinnvolle Bezugs- größen und verlässliche Register zur Auswertung wer- den seit Jahren gefordert, sind allerdings bis dato nicht verfügbar. Notfälle Merke Notfälle während des Fliegens sind meist Folge einer Verschlechterung des vorbestehenden Zustands (65%) und nur selten neu aufgetretene Erkrankungen (28%) [7]. Von den vorbestehenden Erkrankungen sind die häu- figsten: ▪ Atemwegserkrankungen (21 %), ▪ Herz-Kreislauf-Erkrankungen (14 %) und ▪ abdominelle Beschwerden (10 %). Bei den neu aufgetretenen Problemen sind Herz-Kreis- lauf-Probleme (Kollaps, Synkope) am häufigsten [3, 7]. Neben Herz-Kreislauf-Problemen führen auch Infektio- nen (z. B. Gastroenteritis) immer wieder zu medizini- schen Notfällen während des Fluges [8]. Herz-Kreislauf-Stillstand Auch Daten über plötzliche Todesfälle beim Fliegen und Herz-Kreislauf-Stillstände in der kommerziellen Luftfahrt werden nur sehr spärlich publiziert. Schät- zungen der International Airlines Transport Association (IATA) gehen von etwa 1000 Fällen pro Jahr aus [9], die Inzidenz läge somit bei 1 Herzstillstand pro 5–22,6 Mio. transportierte Passagiere [1]. Angaben über To- Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass in etwa 89% der Fälle ein Kammerflimmern oder eine ventriku- läre Tachykardie vorliegt, sodass ein AED an Bord sehr hilfreich wäre [9]. Europäische Airlines sind bisher aller- dings nicht gesetzlich zur Vorhaltung derartiger Geräte verpflichtet, wobei die US-Standards zum Mitführen eines AED bereits häufig erfüllt werden [11]. Eine mög- lichst frühzeitige Defibrillation nach einem Herz-Kreis- lauf-Stillstand während des Fluges hat eine sehr hohe Erfolgsrate (bis 91%) [9], wenngleich die Weiterversor- gung extrem komplex ist [11]. Merke Insgesamt ist die Anwendung eines AED an Bord eines Verkehrsflugzeugs – sofern vorhanden – unproble- matisch, sollte aber kurz mit der Besatzung abge- sprochen werden. Welche Reanimationstechnik verwendet wird (▶ Abb. 1), hängt entscheidend von den Platzverhältnissen und der Situation ab. Idealerweise sollte sie, wie in den Leitlinien des ERC vorgegeben [12], mit zwei Helfern durchgeführt werden. Bei sehr engen Platzverhältnis- sen im Flugzeug kann/sollte die Reanimation entspre- chend der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin (DGLRM) aus dem Jahr 2018 auch mit einem einzelnen Helfer oder über Kopf durch- geführt werden [11]. Diversions Kardiale und zerebrale Notfälle sind die häufigsten Ur- sachen für unplanmäßige Zwischenlandungen (sog. Di- versions). Ursächlich sind Myokardinfarkt (22,7 %), Apoplex (11,3 %) oder Krampfanfälle (9,4 %) [3]. Herz- Kreislauf-Stillstände sind nur für etwa 6,8% der Diversi- ons verantwortlich. Diversions sind zwar eine wichtige Option, um die Be- handlung von Passagieren in einem Krankenhaus zu er- möglichen, sie sind aber auch mit erheblichen Kosten und möglicherweise mit konsekutiven Gefahren auf- grund der schlecht vorbereiteten Landung verbunden. Da der Pilot/Kapitän generell die Gesamtverantwor- tung für das Luftfahrzeug, die Besatzung und alle Pas- sagiere trägt, obliegt ihm allerdings die endgültige Ent- scheidung über eine mögliche außerplanmäßige Zwi- schenlandung oder die Fortsetzung des Flugs. Bei der Entscheidung müssen u. a. die verbleibende Flugstre- cke, Wettergegebenheiten, Treibstoffmenge, Verfüg- barkeit und Zustand alternativer Landemöglichkeiten sowie die Logistik am Ausweichflughafen berücksich- tigt werden. Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 57

dical Kit sind üblicherweise ausreichend Medikamente und Materialien verfügbar. Wenngleich die gesetzlichen Vorgaben die Ausstattung weitestgehend festlegen, gibt es kleinere Unterschiede zwischen den Airlines [13, 14]. Eine Studie deutscher Airlines [13] zeigte, dass unge- fähr die Hälfte der Fluggesellschaften orale Medika- mente gegen Schmerzen bereitstellt. Auf mehr als ⅔ der Flugzeuge sind antipyretische, antiemetische und antiallergische Medikamente an Bord vorhanden. Ma- terial für i. v. Zugänge und Infusionslösungen werden von 61,5% der Airlines mitgeführt [2]. Diese Daten de- cken sich mit einer Untersuchung europäischer Air- lines, die ein vergleichbar heterogenes Bild aufzeichnet [14]. Problematisch sind oftmals die Lagerung bzw. die In- halte der Kits der jeweiligen Airlines. In einem medizi- nischen Notfall wird das Bordpersonal das Equipment/ den Koffer zur Verfügung stellen. Daher ist es nicht zwingend erforderlich, exakt zu wissen, was sich wo befindet, sondern eher ratsam, sich mit den Inhalten der Koffer auseinanderzusetzen. Die Minimalinhalte werden durch europäische Regelungen definiert (EASA AMC Part NCO, AMC1 NCO.IDE.A.145). Rechtliche Rahmenbedingungen Oft gibt es große rechtliche Bedenken hinsichtlich der Durchführung ärztlicher oder notfallmedizinischer Maßnahmen bei einem Notfall im Flugzeug. Merke Grundsätzlich gilt an Bord das Haftungsrecht des Landes, unter dessen Flagge das Flugzeug registriert ist. Daher gilt in einem deutschen Flugzeug deutsches Recht und in einem in der VR China zugelassenen Flug- zeug chinesisches Recht usw. Dies gilt unabhängig vom Standort bzw. Flugweg. Es spielt also keine Rolle, über welches Staatsgebiet das Flugzeug gerade fliegt. Problematisch ist hierbei aber nicht nur, dass Hilfeleis- tungen und Komplikationen ggf. nach ausländischem Recht bewertet werden und ganz andere rechtliche Rahmenbedingungen herrschen, sondern auch, dass man, beispielsweise nach US-Recht, mit einer deut- schen Approbation nicht regelhaft einfach ärztlich tä- tig werden darf/kann. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die vorgehaltenen Medikamente u. U. andere Na- men haben oder gar die Sprache ein Lesen verhindert (z. B. chinesische Beschriftungen einer Ampulle). Zum besseren Schutz des Hilfeleistenden wurde 1998 der Aviation Medical Assistance Act (AMAA, „Good Sa- maritan Law“) beschlossen. Er stellt bei amerikanischen Fluglinien, die meist nicht über eine haftungsrechtliche Mitversicherung für Hilfeleistende verfügen, helfende Ärzte unter gewissen Bedingungen von der Haftung frei. Dies ist zwar kein Freifahrtschein für notfallmedizi- nische Maßnahmen, jedoch ist i. d. R. ein Arzt haftungs- rechtlich im sicheren Bereich, wenn er in einem Notfall, unentgeltlich nach bestem Wissen und Gewissen, je- mandem hilft. TIPP Über das Programm „Arzt an Bord“ können sich Ärzte innerhalb der Lufthansa-Gruppe registrie- ren lassen und sind dann im Notfall für die Flug- begleiter auf der Passagierliste erkennbar. Über das Programm ist es auch möglich, Fortbil- dungskurse zum Thema IFME zu buchen und weitergehende Informationen zur Notfallausrüs- tung an Bord zu erhalten. Telemedizin Im Falle eines Notfalls wird oftmals vom Bordpersonal eine Durchsage gemacht. Bei etwa 80% aller Flüge ist auch ein Arzt an Bord (Umfrage einer deutschen Air- line) [1], der sich im Rahmen seiner Hilfeleistungs- pflicht um die erkrankte bzw. verletzte Person küm- mern wird. Dies kann jedoch in anderen Ländern we- sentlich geringer sein, z. B. im United Kingdom, da es dort keine Hilfeleistungspflicht wie in Deutschland gibt. Ist nun der Helfer nicht ausreichend trainiert oder qua- lifiziert für spezifische Fragestellungen, gibt es in den meisten Fällen die Möglichkeit, über Satellitentelefon oder auf anderem Weg das MOC (Medical Operations Center) zu kontaktieren. Es gibt auch weitere Firmen, die diese Serviceleistung in Zusammenarbeit mit den Airlines anbieten (z. B. MedAire), um die bestmögliche notfallmedizinische Versorgung an Bord sicherzustel- len. So ist telemedizinisch 24/7 ein Arzt verfügbar, mit FALLBEISPIEL Sie selbst stellen sich einige generelle Fragen zur medizini- schen Versorgung an Bord von Flugzeugen: Welches Equip- ment ist vorhanden, welche medizinischen Möglichkeiten gibt es? Wie wirken sich die veränderten Umgebungsbedingungen auf Passagiere aus? Wie sehen die rechtlichen Rahmenbedin- gungen für eine Versorgung in 40 000 Fuß über dem Himalaja aus? Was passiert, wenn der Patient dekompensiert und schnellstmöglich eine qualifizierte notfallmedizinische Thera- pie benötigt? Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 59

Erste Hilfe ■ Erste-Hilfe-Material befindet sich beim Zugpersonal First aid ■ First aid material is available from the train staff. Premiers secours ■ Le personnel de bord est équipé de trousses de premiers secours. ▶ Abb. 4 Hinweisschild in einem ICE zur Verfügbarkeit von medizinischem Equipment. ÜBERSICHT Inhaltsliste Notarztkoffer im ICE Zum Zweck der Übersichtlichkeit formal modifizierte Inhaltsliste des Notarztkoffers im ICE (die Auflistung der Medikamente erfolgt entsprechend der Original- Bestückungsliste der Bahn mit Handelsnamen) (aus [15]): Beatmung ▪ Beatmungsbeutel mit Masken ▪ Guedel-Tuben ▪ Larynxtuben ▪ Sauerstoffflasche ▪ Druckminderer mit Schlauch ▪ Magill-Zange ▪ Sauerstoffatemmaske Diagnostik ▪ Blutdruckmesser ▪ Stethoskop ▪ Diagnostiklampe ▪ Fingerpulsoxymeter ▪ Blutzuckermessgerät ▪ Kleiderschere I. v. Zugang ▪ Venenverweilkanülen ▪ Fixierpflaster ▪ Einwegspritzen ▪ Einmalkanülen ▪ Stauschlauch ▪ Infusionssystem ▪ Kanülenabwurfbehälter I. v. Medikamente ▪ Ringer-Lösung ▪ NaCl-Ampullen ▪ Atropin ▪ Adrenalin ▪ Beloc ▪ Fenistil ▪ Glukose 40% ▪ Vomex A ▪ Tramal Enterale Medikamente ▪ Diazepam-Rektiole ▪ Diazepam-Tbl. ▪ Nitro-Spray ▪ Berotec Aerosol Sonstiges ▪ Einmalhandschuhe ▪ Verbandpäckchen ▪ Mullkompressen ▪ Hautdesinfektionsmittel ▪ Rettungsdecke ▪ Pflaster Was das notfallmedizinische Spektrum von Notfällen an Bord von Zügen in Deutschland betrifft, herrscht wei- testgehend Unklarheit. Auch eine ausgiebige Interne- trecherche lieferte keine belastbaren Zahlen zur Inzi- denz von Notfällen sowie deren Art oder notfallmedizi- nischer Therapie. Hier ist zukünftig sicherlich Optimie- rungspotenzial vorhanden. Schiff Medizinische Notfälle an Bord von Schiffen auf hoher See stellen die Helfer und Retter meist vor sehr große Herausforderungen. Neben Kreuzfahrtschiffen treten Notfälle auf allen Schiffen (u. a. Handelsschiffe, Lotsen- boote, Segeljachten und Fischereifahrzeuge) auf [16]. Neben dem Faktor Zeit sind allerdings auch die Entfer- nung vom Festland sowie die Erreichbarkeit des Not- fallortes von großer Bedeutung. Für derartige Einsätze steht nur in wenigen Fällen eine Hubschrauberlande- möglichkeit zur Verfügung. Insofern muss bei einem Notfall auf See immer eine Evakuierung der betroffe- nen Person(en) in Erwägung gezogen werden. Dies ist jedoch oft nur in Küstennähe möglich. Kreuzfahrtschiff Kreuzfahrtschiffe verfügen oft über ausreichende, ei- gene medizinische Ressourcen (medizinische Behand- lungsräume, Medikamente, Schiffsarzt), sodass Notfäl- le auch ohne Hilfe von außen bewältigt werden kön- nen. Für zeitkritische Notfälle ist allerdings häufig ex- terne Hilfe notwendig. Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 61

KERNAUSSAGEN ▪ Der geringere Umgebungsdruck in der Kabine eines Flugzeugs resultiert in einem niedrigeren Sauerstoffpartialdruck und verursacht im Flug beim Passagier eine milde Hypoxie mit Abfall der Sauerstoffsättigung auf 90–95% beim Ge- sunden. ▪ Notfälle während des Fliegens sind meist Folge einer Verschlechterung des vorbestehenden Zustands (65 %) und nur selten neu aufgetrete- ne Erkrankungen (28 %). ▪ Kardiale Notfälle sind die häufigsten Ursachen für unplanmäßige Zwischenlandungen (sog. Diversions). ▪ In Flugzeugen mit mehr als 30 Sitzplätzen wird zusätzliches Material gefordert, das in der Regel unter Verschluss gehalten wird und nur medizi- nischem Fachpersonal zugänglich ist (Emer- gency Medical Kit, EMK/Doctor’s Kit, DK). ▪ Grundsätzlich gilt an Bord das Haftungsrecht des Landes, unter dessen Flagge das Flugzeug registriert ist. ▪ Der Zugang zu einem ICE/Zug im Gleisbett ist oftmals problematisch, und der Zug kann nicht selten nur zu Fuß erreicht werden. Aufgrund dessen bietet sich eine Mitalarmierung eines Hubschraubers zur notfallmedizinischen Ver- sorgung an. ▪ Notfallmedizinisches Equipment gibt es in je- dem Zug, jedoch oft nur kleinere Verbandskäs- ten. ▪ Bei einer Entfernung von teils mehreren hun- dert oder tausend Kilometern vom Festland oder medizinischer Hilfe ist eine Evakuierung von verletzten oder erkrankten Passagieren von Schiffen nicht generell machbar. ▪ Ab einer Personenanzahl von 100 ist ein Arzt an Bord eines Schiffes vorgeschrieben. Interessenkonflikt Erklärung zu finanziellen Interessen Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Be- rater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Bereich der Medizin aktiven Firma: nein; Pa- tent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein Autorinnen/Autoren Univ.-Prof. Dr. med. Jochen Hinkelbein, DESA, EDIC, FAsMA seit 2023 Klinikdirektor der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallme- dizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bo- chum. Seine klinischen und wissenschaftli- chen Schwerpunkte sind Atemwegsmanage- ment, Reanimation, Polytrauma sowie Proteinbiochemie und molekularbiologische Mechanismen der Hypoxie und Sepsis. Dr. med. Sunil Jagoda Leitender Oberarzt an der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallme- dizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bo- chum. Seine klinischen Schwerpunkte sind Anästhesiologie, Notfallmedizin sowie Kin- deranästhesie. Korrespondenzadresse Univ.-Prof. Dr. med. Jochen Hinkelbein, DESA, EDIC, FAsMA Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfall- medizin, Johannes Wesling Klinikum Minden, Universitäts- klinikum der Ruhr-Universität Bochum Hans-Nolte-Str. 1 32429 Minden Deutschland E-Mail: jochen.hinkelbein@rub.de Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbe- stimmungen für diesen Beitrag ist Univ.-Prof. Dr. med. Jo- chen Hinkelbein, Minden. Zitierweise für diesen Artikel Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66. doi: 10.1055/a-2192-6276 Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Hinkelbein J, Jagoda S. Medizinische Notfälle an Bord von Verkehrsmitteln. Notfallmedizin up2date 2023; 18: 217– 230. DOI: 10.1055/a-1945-6640. Literatur Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessen- konflikt besteht. [1] Graf J, Stüben U, Pump S. In-flight medical emergencies. Dtsch Arztebl Int 2012; 109: 591–602 doi:10.3238/arzt- ebl.2012.0591 Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 63

Punkte sammeln auf CME.thieme.de Diese Fortbildungseinheit ist in der Regel 12 Monate online für die Teilnahme verfügbar. Unter https://eref.thieme.de/CXMNWEK oder über den QR-Code kommen Sie direkt zur Startseite des Wissenstests und zum Artikel. Sie finden dort auch den genauen Einsendeschluss. Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, finden Sie unter https://cme.thieme.de/hilfe eine ausführ- liche Anleitung. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg beim Beantworten der Fragen! VNR 2760512024165724038 Frage 1 In wie viel Prozent der Fälle ist bei europäischen Fluglinien zufällig ein Arzt oder medizinisches Personal an Bord? Frage 5 Ab welcher Passagierzahl ist ein Arzt auf einem Kreuzfahrtschiff vorgeschrieben? A 10% 40% B C 60% D 80% E 100% A 10 50 B C 100 D 500 E 1000 Frage 2 Welche Sauerstoffsättigung ist bei einem gesunden Passagier aufgrund des reduzierten Luftdrucks in der Kabine normal? Frage 6 Welche Ursachen sind bei neu aufgetretenen Problemen beim Fliegen am häufigsten? A 90–94% 70–75% B C 96–98% D 100% E 80–85% A Kopfschmerzen B Gastroenteritis C D Kollaps und Synkope E Herzinfarkt Schlaganfall Frage 3 Wie viele Interkontinentalflüge muss man statistisch durchfüh- ren, bis man auf einen medizinischen Notfall trifft? Frage 7 Welche Aussage zu rechtlichen Rahmenbedingungen an Bord von Flugzeugen trifft zu? A Der dringenden Empfehlung des Arztes über eine Zwi- schenlandung hat der Flugkapitän zu folgen. B Der Flugkapitän ist für die Sicherheit des Luftfahrzeugs und C der Personen an Bord zuständig. Es kommt häufig vor, dass der Flugkapitän sich gegen die Empfehlung des Arztes zu keiner Zwischenlandung ent- scheidet. D Medizinische Hilfe an Bord eines Luftfahrzeugs ist immer von Schadensersatzforderungen befreit. E Wenn sich das Flugzeug im internationalen Luftraum befindet, gilt an Bord internationales Recht. A 30 24 B C 20 D 15 E 10 Frage 4 Welche Aussage trifft auf den Sauerstoff an Bord von Linien- flugzeugen zu? A Hochkonzentrierter Sauerstoff ist in beliebiger Menge vor- handen, weil die Turbinen die Luft komprimieren. B Die Sauerstoffversorgung über die Masken aus der Decke C kann für medizinische Notfälle genutzt werden. Sauerstoff ist an Bord wegen der Explosionsgefahr nicht erlaubt. D Es ist nur Sauerstoff aus Konzentratoren verfügbar. E Es sind meist nur 2–3 grüne Sauerstoffflaschen für medizi- nische Zwecke verfügbar. Hinkelbein Jochen et al. Medizinische Notfälle an … Reisemedizin up2date 2024; 1: 53–66 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 65

eRef Aus- und Weiterbildung Wie wäre es, eine Art Navigator zu haben, der Sie sicher durch alle Phasen Ihrer Facharzt- weiterbildung lotst. Sie fachlich fit hält. Der für Weiterbildung und Klinikalltag die passenden Infos parat hat. Mit dem Sie so effektiv lernen wie nie zuvor – und am Ende souverän die Fach- arztprüfung meistern. Schöne Vorstellung? Erleben Sie es selbst – mit eRef Aus- und Weiterbildung. i . e m e h T y b d e t i d E . s l e d o m y b d e s o p – z t i r e k c ö G t e D / e m e h T © i R 3 P P 2 2 Mehr erfahren: www.thieme.de/all-you-need

Reisemedizin up2date 1 · 2024 Reisen mit besonderem Risiko 6 Reisen mit Immunsuppression – Fokus Impfungen Martina Prelog VNR: 2760512024165724020 DOI: 10.1055/a-2189-8911 Reisemedizin up2date 2024; 1 (1): 69–87 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Reisen mit Immunsuppression – Fokus Impfungen Martina Prelog Die verbesserte Lebensqualität von Patienten mit chronisch inflammatorischen oder onkohämatologischen Erkrankungen führt zu einem Anstieg der Reiselust trotz der immunsuppressiven und immunmodulatorischen Therapien. Wie die Auswahl und Durchführung der Reiseimpfungen mit dem besten Schutz vor impfpräventablen Infektionskrankheiten auch unter Immunsuppression erfolg- reich durchgeführt werden kann, zeigt dieser Beitrag. Einleitung Impfungen bei Personen mit einer erworbenen Immun- schwäche durch Immunsuppression finden in einem Spannungsfeld aus Grunderkrankung, zu erwartenden Komplikationen, wie erhöhte Infektanfälligkeit, Inflam- mationsrisiko und potenziell eingeschränkter Impfwir- kung statt. Die dynamische epidemiologische Situation von Infektionserkrankungen, die Besonderheiten ende- mischer Infektionen und das individuelle Risikoverhal- ten stellen eine Herausforderung für den Reisemedizi- ner dar. Bei immunsupprimierten Patienten ist oftmals die Impfwirksamkeit eingeschränkt und Impfschemata sollten bevorzugt werden, die zu einer besseren Stimu- lation des adaptiven Immunsystems führen. Zugleich sind bei hochdosierter pharmakologischer Immunsup- pression attenuierte Lebendimpfstoffe kontraindiziert oder sollten nur nach besonders sorgfältiger Risiko- Nutzen-Abwägung erfolgen [1]. Aktive Immunisierung Im Gegensatz zur passiven Immunisierung, bei der nur Antikörper verabreicht werden, induzieren aktive Im- munisierungen eine Stimulation des erworbenen (adaptiven) Immunsystems und ein daraus resultieren- des Immungedächtnis. Die Impfstoffantigene werden von den antigenpräsentierenden Zellen aufgenommen und den spezifischen Abwehrzellen, B- und T-Lympho- zyten in den regionalen Lymphknoten präsentiert. Für eine erfolgreiche Immunantwort sind 3 Signale notwendig (▶ Abb. 1) [2]. ▪ 1. Signal: Zur Stimulation einer erfolgreichen Anti- genpräsentation am großen Gewebskompatibili- tätskomplex (MHC). Antigenpräsentierende Zellen (APC), wie z. B. dendritische Zellen, exprimieren typischerweise den MHC Typ II, der CD4 + Helfer-T- Zellen induziert. Alle kernhaltigen Zellen sind prin- zipiell fähig, Antigene über MHC Typ I zu präsentie- ren und damit zytotoxische CD8 + T-Zellen zu stimu- lieren, die z. B. virusinfizierte Zellen abtöten können. Der T-Zell-Rezeptor (TCR) erkennt das Antigen in der Bindungsstelle des MHC. ▪ 2. Signal: Ko-Stimulation z. B. über die Interaktion ko-stimulatorischer Moleküle CD28 auf der T-Zelle und CD80/CD86 auf der APC, damit T-Zelle aktiviert wird. ▪ 3. Signal: immunologische Botenstoffe, wie Zytoki- ne, die über Bindung an Zytokinrezeptoren eine weitere Signalkaskade in der Zielzelle auslösen. Diese Zytokine sind oftmals Teil einer Reaktion auf sog. „danger or pathogen associated molecular patterns“ (gefahr- oder pathogenassoziierte molekulare Muster), die der Zelle anzeigen, dass eine Reaktion erforderlich ist („pathogen response reaction“, Pathogen-Antwort- Reaktion). Hierbei spielt das angeborene Immunsystem eine entscheidende Rolle. Impfstoffe induzieren, ähn- Defense triggers CD80/ CD86 2 CD28 APC AG MHC-II TCR 1 Zytokine 3 CD4+ T-Zelle ▶ Abb. 1 Schematische Darstellung der Antigenpräsentation und Im- munaktivierung. Ag: Antigen; MHC: großer Gewebskompatibilitätskom- plex; APC: antigenpräsentierende Zellen; TCR: T-Zell-Rezeptor. Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 71

Therapeutika ohne oder mit geringgradiger immunsuppressiver Wirkung Therapeutika mit geringgradiger immunsuppressiver Wirkung mit niedriger Dosierung Medikament ▪Hydroxychloroquin ▪Sulfasalzin ▪Mesalazin ▪Apremilast ▪Dimethylfumarat ▪Glatirameracetat ▪Typ 1 Interferon Kontraindikation Hinweis Nein Nein Keine Kontraindikation oder besondere Warnhinweise für MMR-, MMR-V und Varizellen-Impfung mit Priorix®, PriorixTetra®, bzw. Varilrix® (Fachinformationen der Impfstoffe beachten). Anwendung dieser Imfpstoffe nur nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung (Expertenkonsens). Medikament Kontraindikation Hinweis ▪ Niedrigdosierte GC (Erw. <10 mg Nein Prednisolon äquivalent/Tag; Kinder <0,2 mg Prednisolonäquivalent/kg/Tag) ▪ GC Kurzzeittherapie (<2 Wochen) ▪ Nicht systemische GC Nein ▪ Methotrexat (Erw. ≤0,4 mg/kg/Woche oder ≤20 mg/Wo.; Kinder ≤15 mg/m2 KOF/Wo.) ▪ Ciclosporin (Kinder und Erw. ≤2,5 mg/kg/Wo.) ▪ Lefl unomid (Erw. ≤20 mg/Tag; Kinder ≤0,5 mg/kg/Tag) ▪ Mycophenolat-Mofetil (Erw. ≤2000 mg/Tag; Kinder ≤1200 mg/m2/Tag) ▪ Tofacitinib (Erw. ≤5–10 mg/Tag) ▪ Einige niedrigdosierte Biologika z.B. Infl iximab (≤3 mg/kg alle 8 Wochen) Keine Kontraindikation für alle MMR-, MMR-V und Varizellen-Impfungen (siehe Fachinfor- mationen der Impfstoff e) Varizellen: Lymphozyten > 1200/μl CD4+ >25% Anteil, keine T-Zell-Funktions- störung Keine Kontraindikation für alle MMR-, MMR-V und Varizellen-Impfung mit Priorix®, Priorix- Tetra®, bzw. Varilrix® (Expertenkonsens). Nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung in stabilen Krankheitsphasen. Andere Lebendimpfstoffe während Therapie generell kontraindiziert (siehe Fachinfor- mationen der Impfstoffe, Impfabstände zur immunsuppressiven Therapie beachten!) Medikament Kontraindikation Hinweis Ja ▪ Hochdosis GC Therapie ▪ Therapiedauer ≥2 Wochen ▪ i.v. Stoßtherapie mit sehr hohen Dosen (z.B. 20 mg/kg/Tag Prednisolonäquiva- lent über mehrere Tage in monatlichen Wiederholungen) ▪ Hochdosierte Basistherapeutika (MTX, Ja Therapeutika mit 6-Mercaptopurin, etc.) schwerer immunsuppressiver Wirkung ▪ Azathioprin ▪ Biologika mit schwerer immunsupres- siver Wirkung, z.B. Infl iximab (≥5 mg/ kg alle 4 Wochen bzw. ≥7 mg/kg alle 8 Wochen); Abatacept, Alemtuzumab, Ocrelizumab, Rituximab) ▪ Kombinationen von Immunsuppressiva Generelle Kontraindikation für Lebendimpf- stoff e, siehe Fachinformationen und empfoh- lene Impfabstände zur immunsuppressiven Therapie Generelle Kontraindikation für Lebendimpf- stoff e, siehe Fachinformationen und empfoh- lene Impfabstände zur immunsuppressiven Therapie a b c ▶ Abb. 2 Positionspapier zu Empfehlungen zur Durchführung von Lebendimpfungen (Daten nach [1]). A: Keine oder geringe Immunsuppres- sion. B: Geringgradige Immunsuppression kann zu einer relativen Kontraindikation gegen Lebendimpfungen führen. C: Schwere Immunsup- pression stellt eine Kontraindikation gegen Lebendimpfungen dar. Abkürzungen: Erwachsene, Erw.; Glukokortikoide, GC; Körperoberfläche, KOF; Methotrexat, MTX; Mumps-Masern-Röteln-(Varizellen), MMR-(V); Woche, Wo.; Cluster of Differentiation, CD Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 73

▶ Tab. 2 Altersabhängige Normwerte Lymphozyten und T-Zell-Subpopulationen bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen [7, 8]. Zelltyp Neugeborene* 1W–2M 2–5M 5–9M 9–15M 15–24M 2–5J 5–10J 10–16J Erwachsene Lymphozyten gesamt CD19 + B-Zellen absolut CD3 + T-Zellen absolut CD3 + / CD4 + T-Zellen absolut CD3 + / CD8 + T-Zellen absolut CD19 + B-Zellen relativ CD3 + T-Zellen relativ CD3 + /CD4 + T-Zellen relativ CD3 + /CD8 + T-Zellen relativ CD4/CD8 Ratio 4,8 (0,7–7,3) 0,6 (0,04–1,1) 2,8 (0,6–5,0) 1,9 (0,4–3,5) 1,1 (0,2–1,9) 12% (5–22) 62% (28–76) 41% (17–52) 24% (10–41) 1,8 (1,0–2,6) 6,7 (3,5–13,1) 1,0 (0,6–1,9) 4,6 (2,3–7,0) 3,5 (1,7–5,3) 1,0 (0,4–1,7) 15% (4–26) 72% (60–85) 55% (41–68) 16% (9–23) 5,9 (3,7–9,6) 1,3 (0,6–3,0) 3,6 (2,3–6,5) 2,5 (1,5–5,0) 1,0 (0,5–1,6) 24% (14–39) 63% (48–75) 45% (33–58) 17% (11–25) 6,0 (3,8–9,9) 1,3 (0,7–2,5) 3,8 (2,4–6,9) 2,8 (1,4–5,1) 1,1 (0,6–1,2) 21% (13–35) 66% (50–77) 45% (33–58) 18% (13–26) 5,5 (2,6–10,4) 5,6 (2,7–11,9) 1,4 (0,6–2,7) 3,4 (1,6–6,7) 2,3 (1,0–4,6) 1,1 (0,4–2,1) 25% (15–39) 65% (54–76) 44% (31–54) 18% (12–28) 1,3 (0,6–2,7) 3,5 (1,4–8,0) 2,2 (0,9–5,5) 1,2 (0,4–2,3) 28% (17–41) 64% (39–73) 41% (25–50) 20% (11–32) 3,3 (1,7–6,9) 0,8 (0,2–2,1) 2,3 (0,9–4,5) 1,3 (0,5–2,4) 0,8 (0,3–1,6) 24% (14–44) 64% (43–76) 37% (23–48) 24% (14–33) 2,8 (1,1–5,9) 0,5 (0,2–1,6) 1,9 (0,7–4,2) 1,0 (0,3–2,0) 0,8 (0,3–1,8) 18% (10–31) 69% (55–78) 35% (27–53) 28% (19–34) 2,2 (1,0–5,3) 0,3 (0,2–0,6) 1,5 (0,8–3,5) 0,8 (0,4–2,1) 0,4 (0,2–1,2) 16% (8–24) 67% (52–78) 39% (25–48) 23% (9–35) 1,8 (1,0–2,8) 0,2 (0,1–0,5) 1,2 (0,7–2,1) 0,7 (0,3–1,4) 0,4 (0,2–0,9) 12% (6–19) 72% (55–83) 44% (28–57) 24% (10–39) 3,8 (1,3–6,3) 2,7 (1,7–3,9) 2,5 (1,6–3,8) 2,4 (1,3–3,9) 1,9 (0,9–3,7) 1,6 (0,9–2,9) 1,2 (0,9–2,6) 1,7 (0,9–3,4) 1,9 (1,0–3,6) Die Absolutwerte sind in 1000/µl Blut angegeben (Multiplikation des Zahlenwertes mit 1000). Prozentangaben sind auf absolute Lymphozyten (100%) bezogen. W: Wochen; M: Monate; J: Jahre P r e l o g M a r t i n a . R e i s e n m i t I m m u n s u p p r e s s i o n … R e i s e m e d i z i n u p 2 d a t e 2 0 2 4 ; 1 : 6 9 – 8 7 | © 2 0 2 4 . T h i e m e . A l l r i g h t s r e s e r v e d . 7 5

Frühsommer-Meningoenzephalitis Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wird durch Flaviviren verursacht, wobei die FSME vor allem durch Zecken übertragen wird. Fallberichte wiesen auf schwere oder sogar tödliche Verläufe von FSME bei Im- munsuppression hin, weshalb bei einer möglichen Ze- ckenexposition in einem FSME-Risikogebiet die Imp- fung gegen FSME empfohlen ist. Es stehen 2 Totimpf- stoffe mit inaktivierten FSME-Viren zur Verfügung, wo- bei ab einem Alter von 1 Jahr mit 3 Impfstoffdosen geimpft wird. Je nach Impfstoff beträgt der Abstand zur 1. Impfstoffdosis 1–3 Monate und zur 2. Dosis 5– 12 bzw. 9–12 Monate. Merke Das Schnellimmunisierungsschema ist für Immun- supprimierte ungeeignet, da eine suboptimale Impf- wirkung möglich ist [1]. Generell gibt es zur Immunogenität der FSME-Impfstof- fe bei Immunsupprimierten wenig Daten. Bei herz- transplantierten Patienten wurden eine niedrigere Se- rokonversionsrate und geringere Antikörperwerte ge- messen. Bei Patienten mit Methotrexat und/oder TNFα-Inhibition wurde die Serokonversionsrate mit 39% berichtet, verglichen mit 79% in der Kontrollgrup- pe. Die Diskrepanz zwischen Immunsupprimierten und Gesunden war bei Personen >60 Jahren noch deutlicher ausgeprägt (31 vs. 81%). Generell sind Durchbruchsin- fektionen jenseits des 50. Lebensjahres häufiger. Es gibt einen Expertenkonsens, dass im Analogieschluss zur physiologischen Immunoseneszenz bei Immundefi- zienz eine zusätzliche Priming-Dosis nach dem Schema 0, 1, 3 und 12 Monate durchgeführt werden könnte [10, 11]. Eine serologische Kontrolle der neutralisieren- den Antikörper ist bei Immunsupprimierten sinnvoll (s. ▶ Tab. 1). Japan-B-Enzephalitis Bei längerem Aufenthalt in den entsprechenden Ende- miegebieten (Süd-, Südost- und Ostasien) und bei Rei- sen mit erhöhter Exposition, z. B. in ländlichen Gebie- ten und in der Nähe von Reisanbauflächen, ist eine Impfung gegen Japan-B-Enzephalitis indiziert. In Deutschland ist ein adjuvantierter, inaktivierter Tot- impfstoff ab 2 Jahren zugelassen und wird mit 2 Dosen im Abstand von 28 Tagen geimpft. Bei erneuter Exposi- tion ist nach 12–24 Monaten eine Auffrischung emp- fehlenswert, wobei der Impfschutz bei Immungesun- den für ca. 10 Jahre anhält. Bei Immungesunden wer- den hohe Seroprotektionsraten in allen Altersgruppen erreicht, die bei Koadministration oder nach einer Auf- frischimpfung >90% liegen [12]. Vorangegangene Imp- fungen gegen anderen Flaviviren, z. B. FSME-Viren, können die Impfantwort verstärken. Die Bestimmung der Antikörper gegen Japan-B-Enzephalitis kann beim Immunsupprimierten sinnvoll sein, um eine frühere Auffrischimpfung in Erwägung zu ziehen [4]. Merke Das Schnellimpfschema ist bei Immundefizienz nicht empfehlenswert, allerdings ist die Datenlage bei Im- munschwäche sehr dürftig [1]. Typhus Impfpräventable Durchfallerkrankungen wie Typhus und Cholera stellen vor allem für Personen mit chro- nisch entzündlichen Darmerkrankungen ein hohes Risi- ko dar, da schwere Krankheitsverläufe folgen können oder auch ein Schub der Grunderkrankung ausgelöst werden kann [13]. Die reisemedizinischen Indikations- impfungen sollen daher insbesondere bei dieser Pa- tientengruppe großzügig durchgeführt werden. Gegen Typhus stehen prinzipiell ein oraler Lebendimpf- stoff (Typhoral L Kapsel) und ein parenteraler Totimpf- stoff (Typhim Vi) zur Verfügung, wobei alle verfügba- ren Typhusimpfungen nur einen begrenzten Schutz er- geben, wie Studien gezeigt haben [14]. Merke Der orale Lebendimpfstoff ist bei Immunsuppression wegen der Gefahr der disseminierten Erkrankung kontraindiziert. Dies gilt insbesondere für immunsupprimierte Patien- ten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen aufgrund der vorhandenen Barrierestörung des Darms und für Patienten die Vedolizumab, einen Antikörper gegen a4b7-Integrin, erhalten. Der parenterale Typhusimpfstoff, der ab dem Alter von 2 Jahre zugelassen ist, zeigt sich bei Immunsuppression nur eingeschränkt wirksam [1, 14]. Für jüngere Kinder ist der Impfstoff nicht geeignet, da er aufgrund des noch unreifen B-Zell-Systems bei Säuglingen und klei- nen Kindern nur eine unzureichende Wirkung als Poly- saccharidimpfstoff aufweist. Auch eine abgeschwächte Immunantwort, eine sog. „Hyporesponsiveness“, wird für diesen Impfstoff bei wiederholten Impfungen dis- kutiert. Cholera Die Cholera ist keine übliche Reiseerkrankung. Das Er- krankungsrisiko wird für Touristen aus Europa und Nordamerika auf 2–3 Fälle pro 1 Million Reisende ge- schätzt. Ergänzend zu den allgemeinen Hygieneregeln ist allerdings eine Impfung gegen Cholera indiziert bei Beschäftigten in der Flüchtlings- und Katastrophenhil- Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 77

bei 68% der Betroffenen in Afrika oder im West-Pazifik leben. Gegen Hepatitis B stehen Impfstoffe zur Verfügung, die das rekombinant hergestellte Hepatitis-B-Oberflä- chenantigen HBs enthalten. Antikörperkonzentratio- nen >100 Internationale Einheiten (IE)/l werden als pro- tektiv angesehen und gelten als Schutzkorrelat gegen eine Ansteckung. Bei Immunsupprimierten ist es wich- tig, die Antikörperkonzentration nach der Hepatitis-B- Impfung zu bestimmen, was üblicherweise 4–8 Wo- chen nach der 2. Impfstoffdosis erfolgt. Gegebenen- falls muss bei diesen Personen bei niedrigen Antikör- perwerten eine erneute Impfung erfolgen mit Titer- kontrolle [9, 18]. Auch höher dosierte Impfstoffformu- lierungen sind erhältlich. Bei Immunsupprimierten kann bei niedrigen Antikörperwerten eine zum Beispiel jährliche Antikörperkontrolle sinnvoll sein und eine Auffrischimpfung erforderlich machen. Meningokokken Die Impfung gegen Meningokokken der Serogruppen A, B, C, W und Y stellt eine Indikationsimpfung für alle Personen mit Immunschwäche und Asplenie dar, aber auch für Kontaktpersonen und Laborpersonal. Zusätz- lich besteht die Reiseindikation für Studienaufenthalte und religiös motivierte Gruppenreisen in die entspre- chenden Endemiegebiete („Meningitisgürtel in Afri- ka“). Bei Immunsupprimierten wurden schlechtere Impfantworten gegen den ACWY-Konjugatimpfstoff beobachtet, sodass hier eine 2. Impfstoffdosis und eine Auffrischung nach 5 Jahren erwogen werden kann [9, 18]. Im Expertenkonsens sollte nach Analogie zu an- deren Impfstoffen die 2. Impfstoffdosis nach 6 Mona- ten für eine ideale Impfantwort erfolgen. Gegen Me- ningokokken der Serogruppe B, die in Deutschland zwi- schen 60–70% der invasiven Meningokokkenfälle aus- machen, kann der Impfschutz mit einem der 2 zugelas- senen rekombinanten Impfstoffe indiziert sein, die je nach Impfstoff ab 2 Monaten bzw. ab 10 Jahren zuge- lassen sind. Eine Bestimmung der Antikörperkonzentrationen nach der Impfung gegen Meningokokken ACWY und B kann 4 Wochen nach der Impfung durchgeführt werden, Schutzkorrelate fehlen jedoch. Bei entsprechender Indikation für eine Meningokok- kenimpfung gegen die Serotypen A, C, W, Y wird emp- fohlen, eine 2. Impfstoffdosis eines Meningokokken- ACWY-Konjugatimpfstoffs im Abstand von 4–8 Wo- chen zur 1. Impfstoffdosis zu verabreichen [1, 9, 19]. Eine Auffrischimpfung bei erneuter Exposition sollte nach 5 Jahren durchgeführt werden. Merke Personen mit Immundefizienz und entsprechendem Risiko sollten reiseunabhängig gemäß der STIKO-In- dikationsempfehlungen auch gegen den Serotyp B geimpft sein. Pneumokokken Die Pneumokokkenimpfung ist eine Indikationsimp- fung für alle immunschwachen und chronisch kranken Personen, wobei nun der 20-valente Konjugatimpfstoff ab 18 Jahren empfohlen wird [20]. Personen, die nach dem sequenziellen Impfschema mit einem Konjugat- impfstoff gefolgt vom 23-valenten Polysaccharidimpf- stoff geimpft wurden, können 6 Jahre später mit dem 20-valenten Konjugatimpfstoff aufgefrischt werden [18]. Gleiches gilt für Personen, die ausschließlich mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff geimpft wur- den. Bei Personen, die mit dem 13-valenten Konjugat- impfstoff begonnen haben, können 12 Monate später die weiteren Serotypen mit dem 20-valenten Konjuga- timpfstoff ergänzt werden [20]. Durch den Einsatz des höhervalenten Konjugatimpfstoffs kann einerseits die optimale T-Zell-Hilfe durch das konjugierte Trägerpro- tein und damit Langzeitschutz sowie andererseits die Schutzwirkung gegen weitere Serogruppen erlangt werden. Merke Aufgrund der unterschiedlichen Serotypenverteilung weltweit, ist vor allem auf die breite Serotypenabde- ckung auch im Rahmen von Reisen bei immunschwa- chen Indikationsgruppen und >60-Jährigen zu ach- ten. Influenza Influenza und andere respiratorische Viren erhöhen das Myokardinfarktrisiko um das 10-Fache und das Schlag- anfallrisiko um das 8-Fache [21]. Es stehen Ei-basierte und Zellkultur-basierte rekombinante Impfstoffe zur Verfügung, die Oberflächenantigene Hämagglutinin und Neuroaminidase verschiedener Influenzastämme enthalten. Ein adjuvantierter Sub-Unit-Impfstoff für über 65-Jährige und ein ab 60 Jahren empfohlener te- travalenter Hochdosisimpfstoff adressieren die Not- wendigkeit für wirkverstärkte Influenza-Impfstoffe für ältere Personen. Eine Metaanalyse zum Hochdosisimpf- stoff gegen Influenza zeigte einen Rückgang von kar- diorespiratorisch und pneumoniebedingten Hospitali- sationen [22]. Für Reisende ist relevant, dass die Influenza z. B. in tro- pischen Ländern ganzjährig vorkommt und nicht die ty- pische Saisonalität aufweist. Somit ist die Impfung bei allen Personen ab 60 Jahren, aber auch allen Personen mit einem erhöhten Risiko für schwere Influenzaverläu- Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 79

FALLBEISPIEL 1 Reise nach Ghana Anamnese Eine 25-jährige Frau stellt sich in der reisemedizinischen Beratung vor, da sie ihren Freund in seine Heimat nach Ghana für einen 4-wöchigen Aufenthalt begleiten möchte. Die Reise soll in ca. 8 Wochen angetreten werden. Die Familie ihres Freundes lebt im ländlichen Bereich. Die Frau erkrankte vor 2 Jahren an einer ANCA-assoziier- ten granulomatösen Polyangiitis (ehemals Morbus Wegener) mit Manifestationen an der Lunge, im Bereich der Nasenschleimhäute und einer Glomerulonephritis. Zusätzlich waren im Blutbild Howell-Jolly-Körperchen als Kernreste in den Erythrozyten aufgefallen, die für eine funktionelle Asplenie im Rahmen der Vaskulitis sprechen. Die Patientin ist unter Rituximab-Therapie B-Zell-depletiert und zeigt sich in Remission. Methotrexat wird niedrigdosiert weitergeführt (15 mg/kg Körpergewicht/Woche) und weiter niedrig dosiertes Prednisolon 5 mg täglich. Die letzte Rituximabgabe liegt 3 Monate zurück. Impfstatus ▪ Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, Hepatitis B, Hämophilus influenzae Typ B und Pertussis; im 5. Lebensjahr Auffrischung gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis und Pertussis ▪ Grundimmunisierung gegen Mumps, Masern, Röteln und Varizellen ▪ Pneumokokkenimpfung im Säuglingsalter ▪ Grundimmunisierung sowie einmalige Auffrischung gegen COVID-19; vor 9 Monaten nachgewiesene COVID- 19 Infektion Impfempfehlungen für Ghana ▪ Auffrischung gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis und Pertussis ▪ Poliomyelitisimpfung: für Ghana sollte die letzte Impfung gemäß WHO-Empfehlung zwischen 4 Wochen und 1 Jahr vor der Ausreise erfolgt sein ▪ Auffrischimpfung gegen Hepatitis B: möglicher Kontakt mit ghanaischem Gesundheitssystem; serologische Kontrolle und bei Antikörperkonzentrationen <100 IE/l ggf. weitere Impfstoffdosis geben ▪ Auffrischimpfung gegen Pneumokokken mit 20-valentem Konjugatimpfstoff (PCV20): durch funktionelle As- plenie der Patientin muss besonders an den Schutz vor bekapselten bakteriellen Erregern gedacht werden. Cave: generell können Impfantworten gegen Pneumokokken unter Rituximab geringer ausfallen ▪ Impfung gegen Meningokokken mit Konjugatimpfstoff gegen Meningokokken Serogruppe A, C, W und Y: aufgrund der Asplenie und Ghana als Risikoland ▪ Impfung gegen Meningokokken B mit einem der 2 zugelassenen rekombinanten Proteinimpfstoffe ▪ Influenzaimpfung wichtig: ggf. 2 Dosen im Abstand von 4 Wochen für einen besseren Impfschutz ▪ Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) dringend empfohlen: 3 Impfdosen für optimalen Schutz ▪ COVID-19-Auffrischimpfung: Risiko für schwere Verläufe bei der Patientin. Die Zulassung für die Auffrisch- impfung mit dem angepassten Impfstoff liegt ab 3 Monaten nach dem letzten immunologischen Ereignis vor. ▪ Tollwut: hohes Risiko für Hundetollwut in Ghana; Impfung mit anschließender serologischer Kontrolle. Cave: kein Schnellschema bei immunsupprimierten Personen! ▪ Impfung gegen Hepatitis A: für Ghana empfohlen; 1. Impfung mit 2 Impfstoffdosen; für optimalen Impferfolg entweder simultan oder im Abstand von 4 Wochen verabreichen. 3. Impfung: für den Langzeitschutz ▪ Typhusimpfung: mit parenteralem Polysaccharidimpfstoff, oraler Lebendimpfstoff kontraindiziert. Cave: ge- ringere Immunantwort unter B-Zell-depletierender Therapie zu erwarten Ausnahmen ▪ Gelbfieber: Impfbefreiung ausstellen, da unter immunsuppressiver Behandlung kontraindiziert. ▪ Gegen Hämophilus influenza Typ B wäre eine Auffrischimpfung mit einem monovalenten Impfstoff möglich, allerdings ist der Impfstoff in Deutschland nicht erhältlich. Fazit ▪ Reisewunsch der Patientin suboptimal, da die letzte Rituximab-Gabe nur 3 Monate zurückliegt ▪ vor allem 1-malige Auffrischimpfungen möglich, optimaler Zeitpunkt 2 Wochen vor Abreise für größeren Ab- stand zur letzten Rituximab-Gabe ▪ Impfungen zur Grundimmunisierung sofort beginnen, für ausreichend Zeit zum Wirkaufbau Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 81

FALLBEISPIEL 3 Reise nach Thailand Anamnese Eine 32-jährige Patientin, die vor 15 Monaten nierentransplantiert wurde, möchte mit ihrem Freund im Juni für 3 Wochen eine Trekkingreise in Thailand machen. Sie hat derzeit eine immunsuppressive Therapie mit Ta- crolimus und Mycophenolat sowie 2,5 mg Prednisolonäquivalent oral jeden 2. Tag. Impfstatus ▪ altersgemäße Grundimmunisierung und Komplettierung der Auffrischimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelitis; Mumps, Masern, Röteln und Varizellen Impfempfehlungen für Thailand ▪ Hepatitis-A-Impfung: generell zu empfehlen ▪ Tollwut: empfohlen! Aufgrund der Trekkingreisen erhöhtes Risiko für Expositionen; kein Schnellschema bei Immunsuppression, Antikörperkontrolle mit evtl. darauffolgender Zusatzimpfdosis ▪ Hepatitis-B-Impfung: aufgrund der Nierentransplantation oder eines möglichen Trekkingunfalls, da ggf. Kon- takt mit thailändischem Gesundheitssystem; nach Impfung Kontrolle der HBs-spezifischen IgG-Konzentration und ggfs. bei Werten <100 IE/l weitere Impfstoffdosis ▪ Typhus: bei Risikoverhalten parenterale Impfung empfohlen ▪ Japanische Enzephalitis: empfohlen aufgrund geplanter Reise in ländliche Gebiete für längeren Zeitraum in den Sommermonaten ▪ Influenza-Impfung: gemäß STIKO-Empfehlung für diese Indikationsgruppe Ausnahme ▪ Gelbfieber: Impfbefreiung ausstellen! In Thailand besteht Nachweispflicht für alle Personen ≥9 Monate, bei Einreise oder Flughafentransit aus endemischen Ländern KERNAUSSAGEN ▪ Der Impfstatus sollte, wenn möglich, vor dem Beginn einer immunsuppressiven Therapie überprüft und Impfungen ergänzt werden. ▪ Totimpfstoffe sind immer möglich, idealerweise werden diese in der Remission oder stabilen Phase der Erkrankung verabreicht, um eine ba- lancierte Immunantwort zu erreichen. ▪ Die Gabe von Lebendimpfstoffen ist abhängig vom Ausmaß der Immunsuppression und der Art der Immundefizienz, wobei orientierend die Lymphozytenzahlen hilfreich sein können. ▪ Antikörperbestimmungen sollten dann vorge- nommen werden, wenn protektive Antikörper- werte bekannt sind und sich daraus eine Konse- quenz ergibt, z. B. eine zusätzliche Impfdosis. Interessenkonflikt Erklärung zu finanziellen Interessen Forschungsförderung erhalten: ja, von einer anderen Insti- tution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.); Honorar/ geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Institution (Pharma- oder Medizintechnikfir- ma usw.); Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/ Gehaltsempfänger: ja, von einer anderen Institution (Phar- ma- oder Medizintechnikfirma usw.); Patent/Geschäftsan- teile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Be- reich der Medizin aktiven Firma: nein; Patent/Geschäftsan- teile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen Beirätin Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 83

Bibliografie Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 DOI 10.1055/a-2189-8911 ISSN 2940-8105 © 2024. Thieme. All rights reserved. CRM Centrum für Reisemedizin GmbH, Burgunderstraße 31, 40549 Düsseldorf, Germany [21] Ackerson B, Tseng HF, Sy LS et al. Severe Morbidity and Mortality Associated With Respiratory Syncytial Virus Ver- sus Influenza Infection in Hospitalized Older Adults. Clin In- fect Dis 2019; 69: 197–203 doi:10.1093/cid/ciy991 [22] Lee J, Lam GK, Yin JK et al. High-dose influenza vaccine in older adults by age and seasonal characteristics: Systematic review and meta-analysis update. Vaccine X 2023; 14: 100327 doi:10.1016/j.jvacx.2023.100327 [23] Smolen JS, Landewé R, Breedveld FC et al. EULAR recom- mendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheu- matic drugs: 2013 update. Ann Rheum Dis 2014; 73: 492– 509 doi:10.1136/annrheumdis-2013-204573 [24] Goldacker S, Gause AM, Warnatz K. Kommission Pharmako- therapie der DGRh. Impfung bei erwachsenen Patienten mit chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen. Z Rheumatol 2013; 72: 690–704 doi:10.1007/s00393-013- 1155-4 [25] Krüger K. Ad-hoc Kommission Covid-19-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. [Does metho- trexate influence the efficacy of vaccination against SARS- CoV-2?] Z Rheumatol 2021; 80: 552–554 doi:10.1007/ s00393-021-01036-w [26] Wratil PR, Stern M, Priller A et al. Three exposures to the spike protein of SARS-CoV-2 by either infection or vaccina- tion elicit superior neutralizing immunity to all variants of concern. Nature Medicine 2022; 28: 496–503 doi:10.1038/ s41591-022-01715-4 Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 85

Punkte sammeln auf CME.thieme.de Fortsetzung ... Frage 8 Die COVID-19 mRNA Impfung ist… Frage 10 Bei der FSME-Impfung… A bei Reisen unwichtig. B nur bei Personen durchzuführen, die keine Hybridimmuni- tät aufweisen. C mit protektiven Antikörperspiegeln nachweisbar. D als jährliche Auffrischimpfung für Risikopatienten und ab E 60 Jahren empfohlen. bei hochdosierten Glukokortikoiden oder Biologika kontra- indiziert. Frage 9 Die Meningokokken-B-Impfung ist… A ein rekombinanter Impfstoff gegen Meningokokken der A wird keine Kreuzreaktivität mit anderen Flaviviren beob- B C achtet. kann bei Immunsupprimierten eine zusätzliche Impfstoff- dosis zu einer besseren Immunogenität führen. empfiehlt sich insbesondere für Immunsupprimierte das Schnellimmunisierungsschema. D ist eine Antikörperkontrolle nach der Impfung von Immun- supprimierten nicht sinnvoll, da es kein serologisches Kor- relat für Schutz gibt. gibt es zahlreiche Studien, die die Impfstoffeffektivität bei Patienten unter immunmodulierender oder immunsup- pressiver Therapie belegt. E B C Serogruppe B. ein reiner Polysaccharidimpfstoff gegen Meningokokken der Serogruppe B. eine Impfung, die in Deutschland die seltenste Meningo- kokken-Serogruppe abdeckt. D erst ab 18 Jahren zugelassen. E bei Säuglingen unwirksam. Prelog Martina. Reisen mit Immunsuppression … Reisemedizin up2date 2024; 1: 69–87 | © 2024. Thieme. All rights reserved. 87

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