physioscience Wissenschaft & Forschung in der Physiotherapie ▪ Schlaganfall-Bezugstherapie ▪ Gesundheitskompetenz in Ausbildung und Studium ▪ Rückenschmerz: STarT Back Tool 2 Juni 2021 Seite 49–96 17. Jahrgang Herausgeber T. Braun M. Bruderer-Hofstetter G. Diermayr R. Hilfiker S. Karstens C. Pott A.-K. Rausch S. Rogan U. Wolf

Editorial Warum wir Forschungsprioritäten zur Vermeidung von Research Waste brauchen Tobias Braun Christian Kopkow Korrespondenzadresse Dr. Tobias Braun Hochschule für Gesundheit Bochum, Studienbereich Physiotherapie; und IB Hochschule für Gesundheit und Soziales, Studienzentrum Köln, Deutschland tobias.braun@hs-gesundheit.de Bibliografie physioscience 2021; 17: 49–51 DOI 10.1055/a-1392-8428 ISSN 1860-3092 © 2021. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany Seit langem ist bekannt, dass der größte Anteil der biomedizini- schen Forschung keinen Nutzen für betroffene Patientinnen und Patienten, Gesundheitsdienstleistende und die Gesellschaft hat, da viele Studien nicht verwendete oder nicht verwertbare Ergeb- nisse produzieren [1–3]. Bereits 1994 formulierte Douglas Alt- man, dass „jährlich riesige Geldsummen für Forschung ausgege- ben werden, die durch die Verwendung unangemessener Designs, nicht repräsentativer Stichproben, kleiner Stichproben, falscher Analysemethoden und fehlerhafter Interpretation schwerwiegende Mängel aufweisen“ [2]. 2009 wurde von Chal- mers und Glasziou der Begriff „Research Waste“ geprägt [1] („For- schungsmüll“ oder „Forschung für die Tonne“ [3]), um der von Altman beschriebenen skandalösen Situation einen Namen zu ge- ben. Chalmers und Glasziou schätzen den Anteil an vermeidba- rem „Abfall“ bei der Durchführung und Berichterstattung biome- dizinischer Forschung auf erstaunliche 85 % [1]. Damit verbunden ist eine erhebliche Verschwendung von investierten Forschungs- fördermitteln, Ressourcen und Anstrengungen. Die Erzeugung von Research Waste hat schwerwiegende Folgen für die klinische Versorgung, Forschung, Gesundheitspolitik und letztendlich für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Research Waste kann unterschiedliche Ursachen und Verursa- chende haben. Die Ursachen liegen hauptsächlich im Design, der Durchführung und Berichterstattung von Studien. Als Verursa- chende gelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst, akademische Institutionen, Fördermittelgebende, regula- torische Behörden und wissenschaftliche Zeitschriften [4, 5]. Es sind 4 Stufen für die Entstehung von Research Waste beschrieben [1, 3]: ▪ Prioritätensetzung: Sind die Fragen relevant für Klinikerinnen und Kliniker sowie für Patientinnen und Patienten? ▪ Methoden: Sind Design, Durchführung und Analysen ange- messen? ▪ Publikationskultur: Sind die Forschungsarbeiten vollständig zugänglich? ▪ Berichterstattung: Ist diese unverzerrt und brauchbar? In diversen Artikeln wurde beschrieben, wie die jeweiligen Verur- sachenden Research Waste vermeiden können [4–6]. In diesem Zusammenhang wichtige Aspekte sind z. B. die Berücksichtigung von Forschungsprioritäten [4], die Einbeziehung von Patientinnen und Patienten sowie der Gesellschaft in Forschungsprojekte [7], die (prospektive) Studienregistrierung und Publikation von Stu- dienprotokollen [8], die Beachtung von Core Outcome Sets [9], Leitlinien zur Berichtserstattung von Forschungsergebnissen [10] sowie Preprints [11] und Open-Access-Publikationen [12]. Die Gefahr durch Publikationen in sogenannten Predatory Journals [13], in denen zunehmend Research Waste publiziert wird, ist dabei ein vergleichsweises neues Phänomen – und auch für den Bereich Physiotherapie relevant [14, 15]. Nicht zuletzt wurden, um die existierenden Probleme zu fokussieren und gleichzeitig die Leistungen redlicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler anzuerkennen, die Hong-Kong-Prinzipien formuliert [16]. Research Waste gilt weltweit als eine der dringendsten Heraus- forderungen für die biomedizinische Forschung, der auf unter- schiedlichen Ebenen begegnet werden kann. Es ist jedoch unklar, welche Bedeutung Research Waste für die physiotherapeutische Forschung hat. Uns sind keine Untersuchungen und Schätzungen über das Ausmaß von Research Waste im Bereich der Physio- und Bewegungstherapie bekannt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Anteil im Vergleich zu anderen Bereichen nicht bedeu- tend geringer [17] und auch in den letzten Jahren nicht entschei- dend weniger geworden ist [6]. Die Vermeidung von Research Waste für die relativ junge Phy- siotherapiewissenschaft und die überschaubare physiotherapeuti- sche Forschung in Deutschland sowie im deutschsprachigen Braun T et al. Warum wir Forschungsprioritäten… physioscience 2021; 17: 49–51 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 49

Auch Studierende und Promovierende können Forschungspriori- täten nutzen, um eigene Projekte zu planen oder um Projekte zu identifizieren, in die sie sich einbringen können [34]. In Anbetracht der Bedeutung von Forschungsprioritäten als Baustein zur Vermeidung von Research Waste und damit für die (Weiter-)Entwicklung der Profession Physiotherapie sowie für die Gesellschaft im Allgemeinen möchten wir eine offene Debatte an- stoßen, ob für Deutschland eigene Physiotherapie-Forschungs- prioritäten benötigt werden. Potenzielle Vorteile sind u. a. ein größerer Nutzen der (physiotherapeutischen) Forschung für die öffentliche Gesundheit sowie eine effizientere, sinnvollere und gerechtere Verteilung der begrenzten Ressourcen. Nationale Forschungsprioritäten könnten direkt genutzt werden, um physiotherapeutische Forschung zu fördern, zu beauftragen und zu steuern. Ein vergleichender Blick auf Deutschland und die Länder, für die bereits professionsspezifische Physiotherapie- Forschungsprioritäten existieren, offenbart Unterschiede in Bezug auf die Gesundheitssysteme, die Bevölkerungsstruktur, den (akademischen) Entwicklungsstand und gleichzeitig auch die Rolle der Physiotherapie in Versorgung und Forschung. Zusam- menfassend sind wir der Auflassung, dass die Entwicklung von Physiotherapie-Forschungsprioritäten für Deutschland ein notwendiger und hilfreicher Baustein in der Weiterentwicklung der Physiotherapiewissenschaft in Deutschland ist. Interessenkonflikt Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur [12] Glasziou P. The role of open access in reducing waste in medical research. PLoS Med 2014; 11: e1001651 [13] Cukier S, Lalu M, Bryson GL et al. Defining predatory journals and responding to the threat they pose: a modified Delphi consensus process. 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Inhalt physioscience Juni 2021 · 17. Jahrgang · Seite 49–96 49 54 66 75 82 84 Editorial | Warum wir Forschungsprioritäten zur Vermei- dung von Research Waste brauchen Tobias Braun, Christian Kopkow Originalarbeit | Formative Evaluation der Schlaganfall- Bezugstherapie Phase-E Schleswig-Holstein aus Sicht der Therapeutinnen und Therapeuten Claudia Pott Original Paper | Stroke Care Management Phase E in Schleswig-Holstein – a Formative Evaluation from the Therapists’ Perspective Originalarbeit | Das Konstrukt Gesundheitskompetenz in Ausbildung und Studium der Physiotherapie in Deutsch- land – Ergebnisse einer Dokumentenanalyse Corinna Wirner, Claudia Pott, Michaela Kirschneck, Michaela Coenen Original Paper | The Construct Health Literacy in Training and Study of Physiotherapy in Germany – Results of a Document Analysis Original Paper | Convergent and known group validity of the STarT Back Tool in a Nigerian population with chronic low back pain Chidozie Emmanuel Mbada, Joshua Oluwafunmibi Ojo, Opeyemi Ayodiipo Idowu, Taofik Oluwasegun Afolabi, Aanuoluwapo Deborah Afolabi, Kayode Israel Oke, Oluwatobi Ademola Sonuga, Sven Karstens, Francis Fatoye Originalarbeit | Konvergenz und Gruppenvalidität für Risikogruppen des STarT Back Tools bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in Nigeria gelesen und kommentiert | Auswirkungen von unter- schiedlichen Transplantaten auf Muskelkraft und Funk- tionsfähigkeit bei Patientinnen und Patienten mit Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes: eine randomisierte-kontrollierte Studie gelesen und kommentiert | Reliabilität, Validität und Veränderungssensitivität multidimensionaler Schmerz- Messinstrumente für postoperative, erwachsene Patien- tinnen und Patienten: eine systematische Übersichts- arbeit der Gütekriterien 86 88 gelesen und kommentiert | Elektromechanisch-assistiertes Training für Gehfähigkeit nach Schlaganfall gelesen und kommentiert | Folgen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten bei der Behandlung muskuloske- lettaler Erkrankungen den Empfehlungen evidenzbasier- ter Leitlinien? Systematische Übersichtsarbeit 91 Mitteilungen der DGPTW | Forschungsförderung der Deutschen Gesellschaft für Physiotherapiewissenschaft (DGPTW) e. V. 91 Mitteilungen der DGPTW | 5. Forschungssymposium Physiotherapie 93 93 93 Buchbesprechung | Scham und Würde: Auf Physiotherapie übertragbar Buchbesprechung | Screening in der Physiotherapie – ein Praxishelfer Buchbesprechung | Rehabilitation von Sportverletzungen – mit vielen Fallbeispielen 93 Buchbesprechung | Bewegt altern – ein Ideenpool 95 96 Just accepted | Veranstaltungen Impressum Covergestaltung: © Thieme Bildnachweis Cover: © Irina Shi/stock.adobe.com physioscience 2021; 17 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 53

Method 18 trained BZT-therapists (occupational-, speech- and physiotherapists) were questioned about the effects of the training on their professional activities as BZT-therapists, the need for change in regard to training and BZT complex in- tervention in a semi-standardized, paper-based question- naire-interview. Results Respondents considered time for case conferences and resource gathering to be the most important aspects. They assessed participation-goal orientation, as the most widely implemented principle, however, time for case-confer- ences as the least implemented. They perceived more coordi- nated and patient-centered care as advantages. Further seen as beneficial were performance-related remuneration, better use of resources through participation-goal orientation and easier integration of relatives. Difficulty in working with thera- pists who were not trained in the BZT project was assessed as a disadvantage. Conclusion All respondents evaluate training and conception as positive and confirm the importance of participation (goal-) orientation and the top-down approach. Further activities should serve to promote the implementation of assessments, guidelines and case conferences. Stroke care management has a model character for broadening in other regions or for other diagnostic groups. Einleitung Weltweit erleiden 33 Millionen Menschen pro Jahr einen Schlagan- fall [11], bis 2030 wird mit einer Verdopplung der Fallzahlen gerechnet [22, 25]. Schlaganfall ist die häufigste neurologische Er- krankung in Deutschland [18, 21]. Laut Gesundheitsberichterstat- tung des Bundes lag die Diagnose „Hirninfarkt“ in Rehabilitations- einrichtungen mit mehr als 100 Betten 2017 mit 76 687 Fällen an vierter Stelle der Reha-Diagnosen [17]. Mehr als 20 000 Menschen aus Hamburg und Schleswig-Holstein sind pro Jahr von einem Schlaganfall betroffen [17]. 25–33 Prozent dieser Patientenschaft versterben innerhalb des ersten Jahres nach Schlaganfall, von den Überlebenden leiden bis zu 40 Prozent an erheblichen funktionellen Einschränkungen. Aktuell leben etwa 110 000 Menschen in Ham- burg und Schleswig-Holstein mit den Schlaganfallfolgen, ca. die Hälfte ist jünger als 65 Jahre, d. h. im erwerbsfähigen Alter [36]. Die wachsende Nachfrage nach Konzepten für eine wirksame Schlaganfallversorgung in Kombination mit begrenzten Ressour- cen im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren zu einem verstärkten Interesse an den wirtschaftlichen Aspekten bei der Versorgung von Personen mit Schlaganfall geführt [43]. Die Euro- päische Union (EU) gab dafür 2017 rund 60 Mrd. Euro aus [28], bis 2040 wird eine Steigerung auf 86 Mrd. prognostiziert [26]. Die Kosten für die indirekte medizinische Versorgung wie informelle Pflegekosten schätzte die EU 2015 auf 15,9 Mrd. Euro, die Kosten für Produktivitätsverluste auf 5,4 Mrd. Euro [28]. Nach Entlassung aus der stationären Versorgung begibt sich der überwiegende Teil der ca. 270 000 Patientinnen und Patien- ten in Deutschland in die Behandlung der Hausärzteschaft [37], die auch die Kooperation und Koordination der Versorgung übernehmen [8] und Hilfsmittelverordnungen ausstellen. Der Bedarf an Verordnungen für eine ambulante Therapie ist hoch, da Personen nach Schlaganfall in der Mehrzahl unter umfangrei- chen funktionellen Beeinträchtigungen leiden [37]. Bei je zwei Einzeltherapien pro Woche belaufen sich die Kosten nach der Kassenärztlichen Bundesvereinbarung für eine Logopädie- Einzelbehandlung auf 37,99 Euro/Einheit, für Ergotherapie (sen- somotorisch-perzeptive Behandlung) auf 52,50 Euro/Einheit und für Physiotherapie-KG-ZNS auf 37,99 Euro/Einheit, insgesamt ent- stehen ca. 13 000 Euro Kosten pro Fall und Jahr [20]. Die im Heil- mittelreport nach § 302 SGB erfassten Routinedaten wie Ausga- benentwicklung, Verordnungsmengen und -arten lassen aber keine Schlüsse auf Effektivität und Effizienz der Heilmittelversor- gung zu [45]. Während Akutversorgung und frühe rehabilitative Behandlun- gen im deutschen Gesundheitssystem sichergestellt sind, fehlt es im Sozialraum, d. h. im Lebens- und Arbeitsumfeld der Patienten- schaft meist an ausreichenden therapeutischen Angeboten [34]. Kostenträger bemängeln Unterbrechungen in der medizinisch- therapeutischen Versorgung. Obwohl im Entlassmanagement eine möglichst zeitnahe Therapiefortsetzung empfohlen wird, besteht eine Lücke von 1,5 Monaten für Logopädie und Physiothe- rapie nach Klinikentlassung [6]. Die fehlende Verfügbarkeit von ambulanter Physio- oder Ergotherapie bei über 50 Prozent der betroffenen Personen ist belegt [31]. Angehörige von Gesundheitsfachberufen sowie die Patienten- schaft stellen andere Probleme in den Vordergrund, wie die von einer multidisziplinären Zusammenarbeit weit entfernte selektierte Leistungserbringung im ambulanten Bereich [2] und die mangel- hafte sektorenübergreifende Kommunikation bzw. Koordination [34]. Therapeutische Maßnahmen in der Heilmittelerbringung ba- sieren häufig auf einem vagen empirischen Wissen und sind von der Verordnungspraxis der zuweisenden Ärzteschaft geprägt [3]. Basierend auf einer Evaluation von physio- und ergotherapeuti- schen Versorgungsverläufen und der Mortalität im ersten Jahr nach Insult empfehlen Peschke et al. [31] therapeutische Versor- gungsprozesse sektorenübergreifend und leitlinienbasiert zu im- plementieren. Das Pilotprojekt Schlaganfall-Bezugstherapie (BZT) in Schles- wig-Holstein greift diese Empfehlung auf (▶ Abb. 1). Pilotprojekt Schlaganfall-Bezugstherapie Ende 2018 begann die Entwicklung der neuen Versorgungsform durch die Organisation Schlaganfall-Ring Schleswig-Holstein (SRSH), die in vier Kompetenznetzen (Rendsburg, Pinneberg, Lübeck, Plön/Ostholstein) Patientinnen und Patienten sowie An- gehörige kostenlos telefonisch und aufsuchend berät. Zusätzlich zum Beratungsangebot finden Treffen und Informationsveranstal- tungen mit ca. 60 Kompetenznetz-Partnerschaften aus dem am- bulanten und stationären Sektor sowie den verschiedenen Profes- sionen statt. Im Rahmen der Schlaganfall-Kompetenznetze und unter wissenschaftlicher Begleitung des Instituts für Allgemein- Pott C. Formative Evaluation der… physioscience 2021; 17: 54–64 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 55

Das Reporting dieser Studie basiert auf dem Strengthening the Reporting of Observational Studies in Epidemiology (STROBE) Statement [42]. mit 18 Bezugstherapeutinnen und -therapeuten in 2 Gruppen durchgeführt, die interprofessionell zusammengesetzt waren. Alle ausgebildeten Therapeutinnen und -therapeuten nahmen an der Befragung teil. Formative Evaluation der komplexen Intervention Bezugstherapie Fragebogen Eine formative Evaluation dient der Identifikation von Einflussfak- toren zur Optimierung der Programmgestaltung [10] und der Im- plementierung in die Versorgungspraxis [46]. Im Sinne einer Change/Veränderungs- bzw. Programmtheorie werden dabei Pro- zesse, Ergebnisse und Interaktionseffekte auf behandelte und behandelnde Personen sowie auf die organisatorische Ebene eva- luiert [46]. Die formative Evaluation im Rahmen dieser Studie fokussiert das Erleben der Schulung und des Theorie-Praxis-Trans- fers, d. h. das Umsetzen der Schulungsinhalte. Die Therapeutin- nen und Therapeuten reflektieren durch die Befragung ihre beruf- lichen Erfahrungen, die sie unter den neuen Strukturen der BZT in der ambulanten Heilmittelversorgung vs. des herkömmlichen Systems gesammelt haben. Ihre Bewertung der komplexen Inter- vention BZT soll die Weiterentwicklung und Implementierung in die Regelversorgung fördern. Die Evaluation zur Bewertung der Qualität der Schulung erfolgt in einer gesonderten Qualitätssiche- rungsmaßnahme unter wissenschaftlicher Begleitung des Insti- tuts für Allgemeinmedizin der Universität Kiel. Das Ziel dieser Studie ist die BZT in der Schlaganfallnachsorge in Schleswig-Holstein aus Sicht der Therapeutinnen und Thera- peuten im Hinblick auf folgende Fragstellungen zu untersuchen: 1. Wie beurteilen Therapeutinnen und Therapeuten die Wirkung der Schulung auf ihre berufliche Tätigkeit als Bezugstherapeu- tinnen und -therapeuten? 2. Besteht Veränderungs- oder Weiterentwicklungsbedarf der komplexen Intervention BZT hinsichtlich a) der Schulung zu und b) der Tätigkeit als Bezugstherapeutinnen und -therapeu- ten? Untersuchungsfeld Die komplexe Intervention BZT wird in Schleswig-Holstein im Feld der ambulanten Heilmittelversorgung von Patientinnen und Pa- tienten nach Schlaganfall in der Phase-E erprobt. Als Phase-E wird die Behandlungs- und Rehabilitationsphase nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation; Leistungen zur Sicherung des Erfol- ges der medizinisch-therapeutischen Rehabilitation und Leistun- gen zur Teilhabe am Arbeitsleben bzw. zur Teilhabe an Erziehung und Bildung sowie am Leben in der Gemeinschaft bezeichnet [4]. Die Befragten sind Therapeutinnen und Therapeuten der Gesund- heitsfachberufe aus den Kompetenznetzen des SRSH. Das Versen- den der Fragebögen an die Teilnehmenden erfolgte über den Adressverteiler des SRSH. Teilnehmende An der Studie nahmen Therapeutinnen und Therapeuten der Ge- sundheitsberufe mit folgenden Kriterien teil: (1) Zugehörigkeit zu den Berufsgruppen Physio-, Ergo- oder Sprachtherapie mit abge- schlossener Berufsausbildung, (2) abgeschlossene Schulung zur und (3) begonnene Tätigkeit als Bezugstherapeutin bzw. -thera- peut. Von September bis November 2019 wurden die Schulungen In dem halbstandardisierten Fragebogen-Interview wurden die Befragten mit 3 offenen und 4 geschlossenen Fragen (mit Frei- Feld-Option) zu folgenden Angaben gebeten: (1) Wirkungen der Schulung auf die berufliche Tätigkeit als Bezugstherapeutin bzw. -therapeut, (2) Veränderungsbedarf bzgl. der Schulung und (3) der komplexen Intervention BZT. Freifelder für Antworten („Weitere Anmerkungen“) dienten dem Feedback des For- schungsprozesses, dem besseren Verständnis der Antworten auf geschlossene Fragen, der Vertiefung bzw. Identifizierung von (neuen) Themen sowie der Entwicklung neuer Forschungsfragen [14]. Die Autorin entwickelte das halbstandardisierte Fragebogen- Interview in Zusammenarbeit mit dem SRSH, der die Praktikabili- tät im Hinblick auf die Verständlichkeit der Fragen und den Zeit- umfang beurteilte. Gemeinsam diskutierten sie die Umrechnung der Fragebögen mit Likert-Skala und die Items hinsichtlich der Konstruktvalidität. Aufgrund der limitierten Ressourcen und der kleinen Stichprobe musste auf eine statistische Berechnung verzichtet werden. Der kognitive Pretest wurde mit einer Physio- therapeutin des Neuro-Reha-Netzes München durchgeführt. Die ersten Fragen beziehen sich auf Aspekte, die für die Entwick- lung der BZT als relevant erachtet wurden. Die befragten Personen wurden gefragt, für wie wichtig (unwichtig bis extrem wichtig) sie bestimmte allgemeine bzw. patientenspezifische Aspekte im her- kömmlichen System der Heilmittelerbringung auf einer vierstufi- gen Skala erachten. Es schloss sich die Frage an, inwieweit sie diese Punkte im BZT-Projekt als bereits umgesetzt beurteilen, ebenfalls mit Likert-Skala von 1–4 (nicht umgesetzt bis vollständig umge- setzt). Beurteilt werden sollten die Aspekte: Zeit für Fallkonferen- zen, interprofessioneller Therapieplan, Teilhabe- und Zielorientie- rung, spezifische Vergütung der Koordinationsarbeit. Für die Patientenzentrierung wurden Empowerment/Befähigung [27, 39], Shared Decision/Geteilte Entscheidungsfindung [33], Ressourcen- erfassung, (patientenbezogene) Assessments, Teilhabeorientie- rung und konkrete Zielformulierung beurteilt. Weitere Items adres- sierten, ob während der Schulung gelehrte Inhalte für die therapeutische Tätigkeit übernommen wurden, sowie mögliche Vor- und Nachteile. Als mögliche antizipierte Vorteile der BZT waren eine im Vergleich zur herkömmlichen Versorgungspraxis koordiniertere Versorgung, interprofessionellere Kommunikation im Hinblick auf Zielabsprachen bzw. Therapieplangestaltung, eine patientenzentriertere Versorgung und die Aufwertung der Thera- pieberufe vorgegeben; zusätzliche Vorteile konnten die Befragten ergänzen. Neben der Möglichkeit eigene Nachteile zu formulieren beantworteten die befragten Personen, ob weitere Aussagen ihre Zustimmung finden, z. B.: ▪ Die Zusammenarbeit mit Therapeutinnen und Therapeuten, die nicht im BZT-Projekt geschult wurden, ist schwierig. ▪ Mir fällt es schwer, die Dinge praktisch umzusetzen, die ich in der Schulung gelernt habe. Pott C. Formative Evaluation der… physioscience 2021; 17: 54–64 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 57

P o t t C . F o r m a t i v e l E v a u a t i o n d e r … i p h y s i o s c e n c e 2 0 2 1 ; 1 7 : 5 4 – 6 4 | © 2 0 2 1 . i T h e m e . A l l r i g h t s r e s e r v e d . 5 9 ▶ Tab. 1 Wichtigkeit und Umsetzung. Fallkon- ferenzen Interprof. Therapieplan Teilhabeziel Vergütung Koordination Empower- ment Shared Decision Ressourcen- erfassung Assessments Teilhabe- Orientierung Zielformulierung Wichtigkeit gültig fehlend Mittelwert Standardabweichung Varianz Minimum Maximum Umsetzung gültig fehlend Mittelwert Standardabweichung Varianz Minimum Maximum 18 0 2,75 1,00 1,01 1,00 4,00 13 5 2,84 0,80 1,00 1,00 4,00 18 0 2,55 1,04 1,09 1,00 4,00 13 5 3,30 0,94 1,00 1,00 4,00 18 0 2,66 1,02 1,05 1,00 4,00 13 5 3,84 0,37 1,00 3,00 4,00 18 0 2,55 1,24 1,55 1,00 4,00 13 5 3,46 0,96 3,00 1,00 4,00 18 0 3,22 0,80 0,65 2,00 4,00 14 4 3,21 0,57 1,00 2,00 4,00 18 0 3,22 0,80 0,65 2,00 4,00 14 4 3,50 0,65 2,00 2,00 4,00 18 0 3,38 0,69 0,48 2,00 4,00 14 4 3,42 0,85 2,00 1,00 4,00 18 0 2,44 0,61 0,37 1,00 3,00 14 4 3,21 0,89 1,00 1,00 4,00 18 0 3,33 0,90 0,82 1,00 4,00 14 4 3,64 0,63 1,00 2,00 4,00 18 0 3,00 0,90 0,82 2,00 4,00 14 4 3,57 0,85 2,00 1,00 4,00 Ausmaß von Wichtigkeit und Umsetzung mit 1 = unwichtig/nicht umgesetzt; 2 = wenig wichtig/gering umgesetzt; 3 = sehr wichtig/größtenteils umgesetzt; 4 = extrem wichtig/vollständig umgesetzt; allgemeine Aspekte = blau; Aspekte Patientenzentrierung = grün. ▶ Tab. 2 Integration von Schulungsinhalten in die therapeutische Tätigkeit. Nachteile Assessments Top-down-Ziel Bezugsperson, Angehörige Literaturrecherche Top-down-Therapie- plan Ressourcenevaluation Leitlinienrecherche Abs. % Abs. % Abs. % Abs. % Abs. % Abs. % Abs. % nein ja bereits vor der Schulung gesamt 8 6 4 18 44,4 33,3 22,2 100 1 15 2 18 5,6 83,3 11,1 100 1 12 5 18 5,6 66,7 27,8 100 7 8 3 18 38,9 44,4 16,7 100 2 14 2 18 11,1 77,8 11,1 100 3 11 4 18 16,7 61,1 22,2 100 8 9 1 18 44,4 50,0 5,6 100

Teilhabe- und Ziel-Orientierung sowie Top-down-Modell Wünsche der Therapeutinnen und Therapeuten Die Aspekte „Teilhabe- und Ziel-Orientierung“ sowie „Top-down- Vorgehensweise“ wurden mit hoher Akzeptanz bewertet. Ein Re- view [39] belegt die positiven Effekte von Zielvereinbarungen bei Personen mit Schlaganfall im Hinblick auf funktionelle Verbesse- rungen, Performanz, positiven Einfluss auf die Selbstwirksamkeit und das Gefühl des Eingebundenseins in den Rehabilitationspro- zess. Das Top-down-Modell bezieht sich auf das partizipationsori- entierte Vorgehen bei der Anamnese- und Befunderhebung sowie der Therapieplanung. Das übergeordnete Ziel liegt im Erreichen einer maximalen Selbstbestimmung und Partizipation und impli- ziert eine präzise Betrachtung aller relevanten Kontextfaktoren, d. h. Förderfaktoren und Barrieren. Ausgehend von der Frage, in welchen Lebensbereichen die Betroffenen langfristig teilnehmen wollen, werden die aktuellen Beeinträchtigungen auf der Handlungsebene und auf der Ebene der Körperfunktionen erfasst. Zusätzlich werden Erfahrungen mit den bisherigen Interventionen im Sinne von fördernden und hem- menden Faktoren erfragt: „Was hat Ihnen bislang auf dem Weg zu Ihrer Gesundheit geholfen? Was hat sich als Hindernis erwiesen?“ Davon ausgehend werden konkrete, im Team und mit den betrof- fenen Menschen abgestimmte Ziele unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren festgelegt. Demgegenüber steht in Bottom-up- Ansätzen das Training von gestörten Körperfunktionen im Vorder- grund mit der inhärenten Annahme, dass sich die Behinderung linear aus diesen Störungen ergibt [12]. Standardisierte Messverfahren und Leitlinien Auf die Frage, ob während der Schulung gelehrte Inhalte in die the- rapeutische Tätigkeit übernommen wurden, fanden die Top-down- Therapieplanung die größte (77,8 %) und die Assessments die geringste (33,3 %) Zustimmung (▶ Tab. 3). Jeweils 8 Personen ga- ben an, Assessments und Leitlinien nicht in die praktische Arbeit übernommen zu haben, eine Person hatte schon vor der Schulung Guidelines, 4 Personen standardisierte Tests angewendet. Die rela- tiv geringe Akzeptanz bzw. Integration von Assessments und Leitli- nien in die Praxisabläufe entspricht breiter angelegten Untersu- chungen, z. B. bei Physiotherapeutinnen und -therapeuten in Österreich [9]. Bezüglich der Integration von Assessments können die Ergebnisse der deskriptiven Analyse (▶ Tab. 1) und offene Ant- worten dahingehend interpretiert werden, dass die Befragten dem Thema Assessments eher kritisch gegenüberstehen. Standardisierte Messverfahren erlauben die präzise Einschätzung der Leistungsfähigkeit bzw. des Ausmaßes an Defiziten sowie deren Veränderungen im Behandlungsverlauf. Patientinnen und Patienten wünschen sich regelmäßige, nachvollziehbare Rückmeldung zu Ergebnissen und dem Therapieverlauf in für Laien verständlicher Sprache – verbal und schriftlich; das zeigt eine Untersuchung zur Erfassung der individuellen Erfahrungen von Patientinnen und Pa- tienten mit Assessments während der Schlaganfall-Rehabilitation [42]. Da der Einsatz von Assessments im Sinne des Clinical Reaso- nings zur Befunderhebung und Erfolgskontrolle während der Schu- lung ausführlich behandelt wurde, zeichnet sich hier ein Handlungs- bedarf zur weiteren Optimierung ab. Weitere Schulungen und Maßnahmen scheinen notwendig zu sein, um das Implementieren von Assessments und Leitlinien zu fördern. Die formative Evaluation diente der Identifikation von Einflussfak- toren zur Optimierung der komplexen Intervention [10]. Die Befragung fokussierte die Reflexion der Schulungsinhalte und beruflichen Erfahrungen, welche die Bezugstherapeutinnen und -therapeuten unter den neuen Strukturen der BZT in der ambu- lanten Heilmittelversorgung im Vergleich zum herkömmlichen System sammeln konnten. Für die Weiterentwicklung der Schu- lung wünschten sich die Befragten weitere Inhalte und mehr Zeit für komplexe Themen. Für die Optimierung der Gesamtkonzep- tion des BZT-Projektes u. a.: die Ausweitung des Projektes auf weitere Regionen, auf weitere neurologische Diagnosen (MS, Parkinson) und „schwerer betroffene PatientInnen“, eine weitere interprofessionelle und sektorenübergreifende Vernetzung und den fortlaufenden Erfahrungsaustausch. Als weitere Implementie- rungsunterstützung wünschten sich die Befragten (noch) einheit- lichere Befund- und Dokumentationssysteme und gemeinsam zu entwickelnde Verfahrensanweisungen. Bezugstherapie als komplexe Intervention zur bedarfsgerechten Versorgung Laut Bundesärztekammer stellt das Case Management „ein Instru- ment für das effiziente patientenbezogene Prozessmanagement sowohl im hausärztlichen wie im fachärztlichen Bereich dar. Es um- fasst die Planung, Koordination, Steuerung und Evaluation von passgenauen Hilfen bei komplexen Problemlagen bzw. Mehrfach- belastungen und fehlender Selbsthilfefähigkeit“ [5]. Die Leitlinie „Schlaganfall“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin adressiert die Hausärzteschaft für die Kooperation und Koordina- tion der Versorgung [8], allerdings verfügt diese kaum über ent- sprechende Ressourcen [23]. In der komplexen Intervention BZT übernehmen Bezugstherapeutinnen und -therapeuten die Aufga- ben des Case Managements. Unter Berücksichtigung aktueller Leit- linien legen diese die Auswahl des Heilmittels, Dauer und Frequenz der beteiligten Fachkräfte fest, sie kommunizieren außerdem fall- bezogen mit Ärzteschaft und Mitarbeitenden, um die mit der Patientenschaft sowie deren Bezugspersonen gemeinsam festge- legten Teilhabeziele zu erreichen. Weitere Bestandteile der komple- xen Intervention sind das Unterstützen des Selbstmanagements und das Stärken der Selbstkompetenz der Patientenschaft. Damit geht ihr Verantwortungsbereich weit über die Modellversuche zur Blankoverordnung hinaus. Die genannten Aspekte spielen im Hin- blick auf die sehr unterschiedlichen und komplexen Problemlagen, die gravierendenden Teilhabedefizite und die Lebensqualität der Menschen mit Schlaganfall eine wichtige Rolle. Während in anderen Ländern Therapeutinnen und Therapeu- ten der nichtärztlichen Gesundheitsberufe bereits im Erstkontakt und in interdisziplinären Teams arbeiten, schränkt das deutsche System der Heilmittelerbringung die Autonomie und professio- nelle Berufsausübung von Therapeutinnen und Therapeuten mas- siv ein, wodurch Potenziale zur bedarfsgerechten Versorgung nicht genutzt werden [19]. Die dargestellten Probleme einer Fehl- versorgung von Menschen mit bzw. nach Schlaganfall erfordern neue komplexe Interventionen und Versorgungskonzepte. Diese wurden in anderen Ländern bereits entwickelt und evaluiert. Eine kanadische Querschnittsstudie mit 794 Personen [1] belegt den Pott C. Formative Evaluation der… physioscience 2021; 17: 54–64 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 61

Interessenkonflikt Bei der Studie handelt es sich um eine Selbstevaluation, die Autorin ist Teil des Entwicklungsteams der BZT. Das Erstellen des Curriculums zur Schulung der Bezugstherapeutinnen und -therapeuten sowie die Tätig- keit als Dozentin wurden aus Projektmitteln des Versorgungssiche- rungsfonds des Landes Schleswig-Holstein finanziert. Danksagung Die Autorin dankt allen Personen, die an der Befragung teilgenommen haben, sowie Jürgen Langemeyer vom Schlaganfall-Ring Schleswig- Holstein e. V. als Initiator der BZT für die Unterstützung und vertrauens- volle Zusammenarbeit, Prof. Nikolaus Ballenberger für den fachlichen Austausch und Prof. Bernd Reuschenbach von der Katholischen Stiftungshochschule München für den wertvollen Input im Rahmen des Studiengangs Versorgungsforschung. Literatur [1] Allen L, Richardson M, McIntyre A et al. Community Stroke Rehabilitation Teams: Providing Home-Based Stroke Rehabilitation in Ontario, Canada. 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Im Internet (Stand 01.03.2020): www.barmer.de/blob/38672/e6fd313626a0e87d1c92b916fb32175d/ data/pdf-hehi-report-2007.pdf [7] Denzin NK. The research act: A theoretical introduction to sociological methods. New Jersey: Prentice Hall; 1989 [8] Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin. Schlaganfall. DEGAM- Leitlinie Stand: 2020. Im Internet (18.06.2020): www.awmf.org/uplo ads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2020-05.pdf [9] Diermayr G, Lohkamp M, Schachner H et al. Implementierung von evi- denzbasierter Praxis in der Physiotherapie in Österreich: aktueller Stand und Faktoren, die das EBP Verhalten bestimmen. German Medical Science GMS Publishing House; 2015: Doc15ebmC2bIm. Internet (Stand 18.06.2020): www.egms.de/static/en/meetings/ebm2015/15ebm012. shtml [10] Döring N, Bortz J. Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. vollst. überarb., akt. und erw. Aufl. 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physioLink Ihr Physiowissen. Von Thieme. l e d o m a y b d e s o P . o t o h p k c o t S – m o c . e b o d a . k c o t s / t t a t s k r e w t s a r t n o c © Es gibt sie – Situationen, in denen Sie weiterwissen müssen. Mit einem Klick erhalten Sie Direktzugriff auf umfassende Thieme Inhalte: Über 70 Fachbücher, 750 Videos, E-Learning und alle Fachzeitschriften inkl. Online-Archiv. Wie Ihre Frage auch lautet, es sind alle Bereiche der Physiotherapie abgedeckt. Finden Sie relevantes Wissen in Thieme Qualität – jederzeit und überall! J t wi : www.thieme.de/physiolink-info

ABSTR AC T Background Physiotherapists play a key role in promoting patients’ health literacy. Those physiotherapists, in turn, show a great interest in deepening their knowledge on health literacy. Among other things, training is seen as an important aspect for expanding knowledge on this topic. Objective An explorative study to examine to what extent health literacy is embedded in curricula of vocational and aca- demic physiotherapy education in Germany. Method An analysis of vocational and academic physiother- apy training documents (e. g. curricula, module descriptions) was carried out. In the context of preparatory work, an expert workshop was held to develop the basis of the coding guide- line used in the analyses. The documents were analyzed using structured content analysis according to Mayring. Results Out of 27 analyzed documents, only one source mentioned the term „health literacy“ explicitly. However, im- portant skills and abilities for promoting the patients’ health literacy, such as communication skills, are taught during voca- tional and academic physiotherapy training. Conclusion Both in vocational and academic physiotherapy training, the topic of health literacy is not sufficiently an- chored. By raising awareness and including it in the curricula, the explicit knowledge of the physiotherapists can be dee- pened and thus their key role in the promotion of patients’ health literacy can be further extended. Einleitung Das Konstrukt Gesundheitskompetenz (GK) [1], im Englischen als health literacy bezeichnet, findet immer mehr Beachtung in den Gesundheitswissenschaften und bei der Versorgung der Patienten- schaft [2–4]. Sie „basiert auf allgemeiner Literalität und beschreibt das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, rele- vante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu fin- den, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung Urteile fällen und Entscheidungen tref- fen zu können“ [5, 6]. Nach Erkenntnissen des deutschen Health Literacy Surveys (HLS-GER) weisen 54 % der deutschen Bevölkerung eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz auf [7]. Diese Ein- schränkung beeinflusst die Entscheidungsfindung bezüglich ge- sundheitsrelevanter Themen und die Lebensqualität von Personen während des gesamten Lebenslaufes [5]. Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz verfügen nach eigener Einschätzung häufi- ger über einen schlechteren Gesundheitszustand und nehmen das Gesundheitssystem häufiger in Anspruch [7–9]. Der im Jahr 2018 veröffentlichte Nationale Aktionsplan Ge- sundheitskompetenz (NAP) soll mit konkreten Handlungsempfeh- lungen und Strategiepapieren dazu beitragen, die Gesundheits- kompetenz der Bevölkerung in Deutschland zu fördern [6, 10]. Dieses Ziel erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Sekto- ren, Ressorts, Organisationen und Professionen [6]. Dabei stellen Physiotherapeutinnen und -therapeuten eine besondere Schlüs- selfunktion dar [11–14]. Sie haben durch ihre Arbeit Kontakt mit verschiedenen Gruppen von Patientinnen und Patienten und so- mit auch zu vulnerablen und oft für das Gesundheitssystem schwer erreichbaren Gruppen. Sie stellen für viele Menschen eine Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen dar und können durch ihr Fachwissen und Verständnis von Prozessen und formalen Abläu- fen im Gesundheitswesen zur Beratung und Informationsvermitt- lung beitragen [11–13]. Eine der Voraussetzungen für die Förde- rung der Gesundheitskompetenz durch Physiotherapeutinnen und -therapeuten ist, dass der Berufsgruppe das Thema sowie die Relevanz und damit verbundene Herausforderungen bewusst sind [11, 15]. Dafür ist ein entsprechendes Verständnis der eige- nen Rolle und eine intensive Vorbereitung auf die Ausübung die- ser notwendig, um den aufgeführten Anforderungen gerecht zu werden. Daher kommt dieser Thematik in der Aus- und Weiterbil- dung ein hoher Stellenwert zu [16, 17]. Die Vermittlung von ent- sprechenden Kompetenzen, z. B. die zielgruppenspezifische Gesprächsführung und Kommunikationstechniken, sowie Kennt- nisse über das Gesundheitssystem, dessen Strukturen und Rollen anderer Professionen sind dabei entscheidend [16]. Im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Raum ist das Thema Gesundheitskompetenz in Deutschland bislang nur vereinzelt und nicht systematisch erforscht [6]. So wird auch im NAP die Not- wendigkeit der Forschung im Bereich der Gesundheitsprofessio- nen betont [6, 18]. Es gilt zu untersuchen, wie die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Gesundheitsfachpersonen zur Förderung der Gesundheitskompetenz der Patientenschaft ausgeprägt sind, wie Gesundheitsfachpersonen für das Thema Gesundheitskompe- tenz sensibilisiert und wie die zur Unterstützung notwendigen Kompetenzen entsprechend gefördert werden können [18]. Zwar liegen bereits Studien zu den Berufsgruppen der Ärzteschaft [19, 20] und Pflegekräfte [21] vor, die Physiotherapie hingegen ist noch unzureichend beleuchtet. In einer bundesweiten Befragung von Expertinnen und Experten unter Angehörigen der Berufs- gruppe Physiotherapie wurde bereits den Fragen nachgegangen, inwieweit der Begriff Gesundheitskompetenz unter Physiothera- peutinnen und -therapeuten in Deutschland bekannt ist, wie diese ihre Rolle bei der Förderung der Gesundheitskompetenz einschät- zen und welche Bedarfe vorhanden sind [14]. Die Befragung ergab, dass der Begriff Gesundheitskompetenz knapp 60 % der Befragten bekannt ist. Es besteht ein großer Informationswunsch von Physiotherapeutinnen und -therapeuten zum Thema Gesund- heitskompetenz. Die Ausbildung wird u. a. als wichtiger Informati- onsweg für dieses Thema eingeschätzt [14]. Die Kenntnis zum Thema Gesundheitskompetenz kann durch die Verankerung in der Ausbildung und im Studium der Physiotherapie maßgeblich beeinflusst werden [19, 22, 23]. Die Physiotherapieausbildung in Deutschland basiert auf der bundesweit verbindlichen Vorgabe des Masseur- und Physiothera- peutengesetzes (MPhG) [24] und die darin beinhaltete Ausbil- dungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh- APrV) [25]. Zusätzlich wurde 2013 vom Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK e. V.) ein umfangreiches Curriculum als Emp- Wirner C et al. Das Konstrukt Gesundheitskompetenz… physioscience 2021; 17: 66–74 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 67

Hochschule zur Verfügung standen, wurden entsprechende Hochschulen von Februar bis April 2019 per E-Mail oder telefo- nisch kontaktiert und über die Studie informiert. Das Senden der Curricula wurde als Einwilligung zur weiteren Analyse gewertet. ▶ Abb. 1 stellt im Flussdiagramm das entsprechende Vorgehen beim Dokumenteneinschluss dar. Datenanalyse Als Vorbereitung für die Dokumentenanalyse wurde im März 2019 ein Workshop mit Expertinnen [29] durchgeführt. Diese zeichnen sich durch detailliertes und spezialisiertes Wissen aus [30]. Die 3 teilnehmenden Physiotherapeutinnen weisen langjährige Berufserfahrung in verschiedenen Tätigkeitsbereichen (Akutver- sorgung, Rehabilitationseinrichtungen, ambulante Praxen, Lehre sowie Forschung) auf und wurden durch persönliche Kontakte sowie mittels Schneeballprinzip [31] rekrutiert. Die Teilnehmerin- nen diskutierten Begrifflichkeiten zum Thema Gesundheitskom- petenz zur Generierung von Codes für die Erstellung eines Kodier- leitfadens anhand der folgenden 3 Leitfragen: 1. Was macht Gesundheitskompetenz für die am Workshop Teil- nehmenden aus? 2. Wie können Physiotherapeutinnen und -therapeuten die Ge- sundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten stärken? 3. Welche Fähigkeiten/Kompetenzen brauchen Physiotherapeu- tinnen und -therapeuten, um die Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten zu fördern? Die Ergebnisse des Workshops wurden in einem Ergebnisprotokoll festgehalten, den Teilnehmerinnen zur Sichtung und Freigabe vor- gelegt und von einer weiteren fachlichen Beraterin (CP) ebenfalls gesichtet. Basierend auf einer ergänzenden Literaturrecherche wurde das Ergebnisprotokoll um weitere relevante Begrifflichkeiten ergänzt und zu einem Kodierleitfaden für die inhaltliche Dokumentenanaly- se weiterentwickelt. Der Kodierleitfaden besteht aus 7 Kategorien mit mehreren Kodes. Die Kategorien wurden durch eine genaue Definition, ein Ankerbeispiel sowie falls nötig einer Kodierregel und Quelle beschrieben, um ein einheitliches und nachvollziehba- res Vorgehen während der Kodierung zu ermöglichen. Der Kodier- leitfaden ist im Anhang dargestellt. Die identifizierten Dokumente wurden von Mai bis Juni 2019 in ihrer Struktur (z. B. Seitenumfang) beschrieben und anhand des Kodierleitfadens mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach May- ring (Analysetechnik inhaltliche Strukturierung [32]) unter Zuhil- fenahme der Software MAXQDA 12 [33] deduktiv und ergänzend induktiv am Text kodiert. Zur Qualitätssicherung wurden 15 % der Dokumente von der Co-Autorin (MK) zusätzlich kodiert. Es wurde anhand der Anzahl der Kodierungen untersucht, ob und in welcher Ausprägung die Kodes in den einzelnen Dokumenten vorliegen und ob Unter- schiede zwischen den verschiedenen Dokumentengruppen (Grundlagendokumente, Ausbildungslehrpläne der Berufsschu- len, Modulbeschreibungen der Hochschulen) feststellbar sind. Ergebnisse In die Dokumentenanalyse wurden insgesamt 27 Dokumente ein- geschlossen und den Gruppen Grundlagendokumente (MPhG mit PhysTh-APrV, Curriculum ZVK, n = 3) [24–26], Ausbildungslehr- pläne (n = 7) [34–40] und Modulbeschreibungen (n = 17) [41–57] zugeordnet. Es lassen sich große Unterschiede im Umfang der jeweiligen Dokumente feststellen (Spannweite Grundlagendoku- mente 24–1287 Seiten; Spannweite Ausbildungslehrpläne 16– 185 Seiten; Spannweite Modulbeschreibungen 16–189 Seiten). Verankerung des Themas Gesundheitskompetenz Der Begriff Gesundheitskompetenz wird in allen 3 Dokumenten- gruppen nur in einer einzigen Modulbeschreibung [41] als Begriff genannt, in einer weiteren erfolgt eine Annäherung an den Be- griff: „(…) sie [die Student*innen] sind in der Lage, die Handlungs- kompetenz des Patienten zu erkennen und zu integrieren“ [46]. Auch die mit Gesundheitskompetenz verbundenen Begriffe, die im Workshop identifiziert worden waren (Verantwortung, Coping, Empowerment, Autonomie), finden in den analysierten Dokumenten wenig Berücksichtigung. Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Förderung der Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten In allen 3 Dokumentengruppen lassen sich wichtige Inhalte zur Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten identifizieren, wel- che Physiotherapeutinnen und -therapeuten zur Förderung der Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten befähi- gen können. Ein eindeutiger Fokus in allen Dokumentengruppen liegt auf der Aneignung von Fachwissen (Code 4.1 „Fachwissen“), also Wissen zu gesundheitlichen Themen, z. B. die Phasen der Ent- wicklung von Krankheit und verschiedene Maßnahmen der primä- ren, sekundären oder tertiären Prävention [26]. Bei den Grundla- gendokumenten und Ausbildungslehrplänen ist als weiterer Schwerpunkt die Coachingfunktion (Kategorie 2 „Coaching“), vor allem im Bereich der Beratung und Anleitung (Code 2.6 „Beratung und Anleitung“), erkennbar. Darunter wurde im Kodierleitfaden die Anwendung von Maßnahmen zur Information, Schulung und Beratung von Patientinnen und Patienten sowie An- und Zugehö- riger im Sinne der Selbstwirksamkeit definiert. Dazu wird als übergeordneter Begriff die Patientenedukation angesehen. Fol- gende Textstelle stellt ein Beispiel dafür dar: „Der Schüler soll dem (…) Patienten geeignete Techniken und Wissen vermitteln, die diesen befähigen sollen, seine Erkrankung besser zu bewälti- gen“ [26]. ▶ Tab. 1 zeigt im direkten Vergleich die inhaltlichen Schwer- punkte der vermittelten Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Förde- rung der Gesundheitskompetenz im Studium und in der Ausbil- dung anhand der Rangfolge der häufigsten Kodierungen. In beiden Bereichen hat die Kommunikationskompetenz (Code 6.3 „Kommunikationskompetenz“) einen hohen Stellenwert. Darun- ter werden im Kodierleitfaden die Bereitschaft und Befähigung, kommunikative Situationen sowohl mit Patientinnen und Patien- ten als auch interdisziplinär zu verstehen und aktiv mitzugestal- ten, verstanden. „Die Studierenden kennen Kommunikationsfor- Wirner C et al. Das Konstrukt Gesundheitskompetenz… physioscience 2021; 17: 66–74 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 69

Die Notwendigkeit, Physiotherapeutinnen und -therapeuten in kommunikativen Kompetenzen zu schulen, zeigt sich auch im Strategiepapier #4 des NAP [10]. In der 2019 durchgeführten Online-Befragung der Profession Physiotherapie zum Thema Ge- sundheitskompetenz [14] kristallisierten sich zudem interaktive Aspekte als relevant für die Förderung der Gesundheitskompe- tenz heraus. Das Berücksichtigen der Individualität von Patientin- nen und Patienten hinsichtlich ihrer motivationalen und kogniti- ven Eigenschaften sowie die Gestaltung einer angemessenen Beziehung zwischen Therapeutin bzw. Therapeut und Patientin bzw. Patient erfordert eine ausgeprägte Kommunikationskompe- tenz seitens der Therapeutinnen und Therapeuten [68]. Die Feststellung, dass Physiotherapeutinnen und -therapeuten mit Hochschulabschluss das Thema Gesundheitskompetenz rund 20 % häufiger bekannt ist [14], bestärkt die aktuellen Forderungen einer Akademisierung in der Physiotherapie [69]. Durch eine ein- deutige Darstellung des Konstrukts Gesundheitskompetenz und deren Relevanz sowie dazugehöriger Begrifflichkeiten in der Aus- bildung und im Studium der Physiotherapie kann zu einer Sensibi- lisierung für das Thema beigetragen und daraus resultierend vor- handene Kompetenzen bewusster angewandt werden [17, 22, 70]. Dieses ausgebaute explizite Wissen [71, 72] könnte sich posi- tiv auf die ausgeübte Schlüsselrolle der Physiotherapeutinnen und -therapeuten bei der Förderung der Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten auswirken. Der von Physiotherapeu- tinnen und -therapeuten geäußerte hohe Informationsbedarf zum Thema Gesundheitskompetenz und vor allem ihre Bereit- schaft, sich mit dem Konstrukt Gesundheitskompetenz näher aus- einanderzusetzen [14], bestärken diese Feststellung. Vor allem praxisrelevante Informationen, z. B. zu Möglichkeiten der Förde- rung von Gesundheitskompetenz der Patientenschaft und zur angepassten Vermittlung von gesundheitsrelevanten Informa- tionen, sollten über eine große Bandbreite an Vermittlungswegen transportiert werden [14]. Zusätzlich zu Ausbildung und Studium sollte die Thematik auch in Fachartikeln und Fortbildungen darge- stellt werden, welche auch bereits tätigen Physiotherapeutinnen und -therapeuten zugänglich sind [14]. Es bestehen bereits vor- handene Trainings- und Fortbildungsangebote für Gesundheits- professionen zum Thema Gesundheitskompetenz [73–75], wel- che weiter ausgebaut werden sollten. Hierfür wurden bereits Materialien [76–79] erarbeitet, welche Gesundheitsprofessionen den Zugang und Umgang mit der Thematik erleichtern sollen. Es gilt in weiteren Analysen zu prüfen, ob diese Materialien von Phy- siotherapeutinnen und -therapeuten wahrgenommen und ange- wandt werden, oder ob ein zusätzlicher Bedarf in diesem Bereich vorliegt. Die Ergebnisse der Studie zeigen die vielseitigen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf, welche angehende Physiotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung und Studium vermittelt werden und welche sie in der Ausübung einer Schlüsselfunktion bei der Förderung von Gesundheitskompetenz ihrer Patientenschaft qua- lifizieren. Allerdings wird, unabhängig von der Art der Ausbildung, ein inhaltliches Defizit zum Thema Gesundheitskompetenz deut- lich. Da in diesem Bereich bisher keine vergleichende Literatur vorliegt, können die Ergebnisse als Darstellung eines Ist-Zustan- des angesehen und für zukünftige Revisionen berufsqualifizieren- der Curricula genutzt werden. Die durchgeführte Bestandsauf- nahme stellt eine erstmalige Analyse des Ist-Zustandes in diesem Bereich dar, welche einen eindeutigen Handlungsbedarf aufzeigt. Dazu gehört u. a., dass das Bewusstsein zur Relevanz des Themas Gesundheitskompetenz sensibilisiert wird, damit es bei zukünfti- gen Überarbeitungen oder Neuauflagen von Curricula für Ausbil- dung und Studium berücksichtigt und integriert werden kann. Limitationen Bezüglich der Übertragbarkeit der Ergebnisse gilt es zu betonen, dass kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann. Ob- wohl es landesweite Vorgaben gibt, an welche sich (Hoch-)Schu- len halten müssen, kann jede Ausbildungsstätte individuelle Schwerpunkte und Erweiterungen in ihren Lehrinhalten setzen und deren Vermittlung entsprechend gestalten. Zusätzlich wurde von einigen Ausbildungsinstituten zurückgemeldet, dass sie sich gerade im Überarbeitungsprozess der jeweiligen Curricula befin- den. In die Datenanalyse konnten nur die Curricula eingeschlossen werden, welche zur Verfügung gestellt wurden oder online ver- fügbar waren. Die tatsächliche Wissensvermittlung zum Thema Gesundheitskompetenz könnte somit höher sein als im Rahmen der vorliegenden Studienergebnisse angenommen. Des Weiteren können aufgrund des verwendeten Datenmate- rials nur Aussagen über die geplante Vermittlung von Inhalten und Kenntnissen in der Ausbildung und Studium getroffen wer- den und nicht darüber, inwieweit diese in der Praxis angewendet werden können. Weiterführende Studien könnten dieses Thema untersuchen. Schlussfolgerungen In der beruflichen Ausbildung von Physiotherapeutinnen und -therapeuten wird das Thema Gesundheitskompetenz unabhän- gig vom Ausbildungsweg nicht bzw. nicht explizit berücksichtigt. Allerdings werden für die Förderung der Gesundheitskompetenz notwendige Kompetenzen vermittelt. Aufgrund der auf dem Datenmaterial basierenden Limitationen sind weitere Studien not- wendig, um z. B. auch die praktische Umsetzung der vermittelten Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend abbilden zu können. Durch die Verankerung der Thematik in den entsprechenden Cur- ricula kann das explizite Wissen der Physiotherapeutinnen und -therapeuten vertieft und die ausgeübte Schlüsselfunktion in der Förderung der Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Pa- tienten weiter ausgebaut werden. Weiterhin muss in der berufli- chen Weiterqualifikation die Wissensvermittlung zur Gesund- heitskompetenz durch zielgerichtete Angebote und Materialien sichergestellt werden. Interessenkonflikt Die Autorinnen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Danksagung Die Autorinnen bedanken sich bei den teilnehmenden Expertinnen des Workshops sowie bei den kontaktierten Ausbildungsinstituten, die Informationen für die Dokumentenanalyse zur Verfügung stellten. Wirner C et al. Das Konstrukt Gesundheitskompetenz… physioscience 2021; 17: 66–74 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 71

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Das Konstrukt Gesundheitskompetenz… physioscience 2021; 17: 66–74 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 73

Original Paper Convergent and known group validity of the STarT Back Tool in a Nigerian population with chronic low back pain Konvergenz und Gruppenvalidität für Risikogruppen des STarT Back Tools bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in Nigeria Authors Chidozie Emmanuel Mbada1, Joshua Oluwafunmibi Ojo1, Opeyemi Ayodiipo Idowu2, Taofik Oluwasegun Afolabi3, Aanuoluwapo Deborah Afolabi3, Kayode Israel Oke2, Oluwatobi Ademola Sonuga1, Sven Karstens4, Francis Fatoye5 Affiliations 1 Department of Medical Rehabilitation, Obafemi Awolowo University, Ile-Ife, Nigeria 2 Department of Physiotherapy, University of Benin, Benin City, Nigeria 3 Department of Physiotherapy. University of Medical Science, Ondo, Nigeria 4 Department of Computer Science, Therapeutic Sciences, Trier University of Applied Sciences, Trier, Germany 5 Department of Health Professions, Manchester Metropolitan University, Birley Fields Campus, Bonsall Street, Manchester, Great Britain Key words low-back pain, disability, risk, STarT Back Tool, Nigeria Schlüsselwörter Rückenschmerzen, Beeinträchtigung, Risiko, StarT Back Tool, Nigeria received 26.07.2020 accepted 04.01.2021 published online 29.03.2021 Bibliography physioscience 2021; 17: 75–81 DOI 10.1055/a-1250-4832 ISSN 1860-3092 © 2021. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany Correspondence Opeyemi Ayodiipo Idowu Department of Physiotherapy, University of Benin, Benin City, Nigeria opeyemi.idowu@uniben.edu Z US A M M E N FA SS U N G Hintergrund Das STarT Back Tool (SBT) wurde entwickelt, um Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen in Risikogruppen, die zukünftige Risiken für Beeinträchtigungen im Alltag beschreiben, einzuteilen. Ziel Untersuchung der konvergenten Validität und der Validi- tät des SBT für bekannte Gruppen im Vergleich zu psychoso- zial ausgerichteten Instrumenten. Methode Querschnittsstudie mit 30 Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen aus einer ambu- lanten physiotherapeutischen Abteilung einer Einrichtung aus dem tertiären Sektor in Nigeria. Erfassung des Risikos für zukünftige Beeinträchtigung im Alltag anhand des SBT. Erfas- sung der psychosozialen Konstrukte Schmerzkatastrophisie- rung, Angstvermeidungsüberzeugungen und Kinesiophobie anhand der Schmerzkatastrophisierungsskala (Pain Catastro- phizing Scale, PCS), des Fear-Avoidance-Beliefs-Fragebogens (FABQ) und der Tampa Skala für Kinesiophobia (TSK). Zur deskriptiven Datenanalyse wurden relative Häufigkeiten bestimmt. Berechnung der Spearman’sche Korrelationskoeffi- zienten. Ergebnisse Anhand des SBT zeigten 43,3 % bzw. 23,3 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein niedriges bzw. hohes Risiko für zukünftige Beeinträchtigungen im Alltag. Der Me- dian lag für Schmerzkatastrophisierung bei 13,5, für Angst- vermeidungsüberzeugungen bei 16,5 (körperliche Aktivität) bzw. 14,0 (Arbeit) und für Kinesiophobie bei 39. Es bestand eine moderate Korrelation für den Zusammenhang zwischen der SBT-Gesamtpunktzahl und der FABQ-Subskala zur Arbeit (rho = 0,45 (95 % CI 0,09–0,70). Die Angstvermeidungsüber- zeugungen zu körperlicher Aktivität unterscheiden sich signi- fikant (p = 0,04) zwischen den SBT-Subgruppen. Schlussfolgerung Das SBT und die verwendeten psychoso- zialen Instrumente korrelierten nicht auf angemessenem Niveau. Zudem konnten Patientinnen und Patienten, die Katastrophisierung, Angstvermeidungsüberzeugungen oder Kinesiophobie zeigen, nicht anhand der SBT-Risikogruppen differenziert werden. Die Ergebnisse sollten zurückhaltend interpretiert werden, bis Studien mit einer angemessenen Fallzahl vorliegen. Mbada CE et al. Convergent and known… physioscience 2021; 17: 75–81 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 75

Methods Prior to the conduction of this study, the researchers made full disclosure of the study purpose and obtained signed consent from each respondent. For this study, eligible respondents were patients diagnosed with non-specific chronic LBP, who were 18 years and older, and who were literate in either English or Yoruba language. Those excluded from the study were patients with chronic LBP, who were diagnosed with any severe associated pathology or comorbidity (e. g. cauda equine compression or malignancy) and had undergone spinal surgery in the past six months. The study was carried out at the out-patient Physiother- apy Clinic of the Obafemi Awolowo University Teaching Hospital Complex (OAUTHC), Ile-Ife, Nigeria. The risk of ongoing disability was assessed using the SBT [7, 25]. Psychosocial variables including pain catastrophizing, fear-avoidance beliefs and kinesiophobia levels were assessed using Pain Catastrophizing Scale (PCS) [26], Fear-Avoidance Be- liefs Questionnaire (FABQ) [27] and Tampa Scale of Kinesiophobia (TSK) [28] respectively. Following the recommendations by Bea- ton et al. [29], the SBT, PCS and TSK were forward and back back-translated by clinical/non-clinical translators into the Yoruba language, appraised by an expert review committee. After pre- testing, 100 native Yoruba speaking patients with chronic non- specific LBP took part in the psychometric evaluation of the SBT translation. The SBT and its subscale demonstrated acceptable internal consistencies (α = 0,857 and α = 0,704), test-retest relia- bility (ICC = 0,89; 95 % CI: 0,84–0.93 and ICC = 0,82; 95 % CI: 0,74–0,87), and had no ceiling or floor effects. However, the PSC and TSK are yet to be psychometrically evaluated. The cultural adaptation of the Yoruba version of the FABQ [30] is documented elsewhere. The Yoruba FABQ (α = 0,85; ICC = 0,97; 95 % CI: 0,95– 0,98) has been reported to have adequate test-retest reliability and internal consistency. The language choice in the administra- tion of the tools (Yoruba or English) was based on participants’ preference and language comprehensibility. The questionnaires were administered to the participants by an assessor (OJ) who comprehended English and Yoruba. Furthermore, data was obtained on age, gender, and the anthropometric parameters of weight, height, and body mass index (BMI). Approval for this study was obtained from the Ethics and Research Committee of the Obafemi Awolowo University Teaching Hospital Complex (OAUTHC), Ile-Ife, Nigeria (ERC/2019/12/13) and all participants gave written consent before participation. Instruments SBT The SBT (9-item version) is a brief validated tool designed to screen primary care patients with low back pain for potential pre- dictive indicators relevant to initial decision making [6, 30]. The SBT assesses a gamut of physical and psychological constructs, in- cluding referred leg pain, comorbid pain, pain catastrophizing, fear of movement, perceived disability, depression, anxiety, and bothersomeness [6, 9]. The SBT helps primary care clinicians (general physicians, physiotherapists, etc.) to group patients with LBP into three categories (low, medium and high) of risk of poor outcome (persistent disabling symptoms). This may enable the development of subgroup oriented targeted management plans for patients with LBP, thus improving LBP outcomes [6, 30]. Scores are calculated for the total and a psychological subscale. Total scores range from 0–9 and are calculated by adding up all positive items; item number 9 (bothersomeness) is positive, if one of the categories “very much” or “extremely” is ticked; patients who achieve a score of 0–3 are classified into the low-risk sub- group and those with scores of 4–9 into the medium- or high- risk subgroup [7]. The psychological subscale of the SBT (compris- ing 5 out of the 9 items) further classifies patients, who fall into the medium- or high-risk subgroup. The psychological subscale scores range from 0–5, with patients scoring 4 or 5 being alloca- ted to the high-risk subgroup [7]. Hill et al. found the internal con- sistency and the test-retest reliability for the overall tool scores (α = 0.79 and 0.73; 95 % CI: 0.57–0.84) and the psychosocial subscale scores (α = 0.74 and 0.69; 95 % CI: 0.51–0.81) of the SBT to be adequate [7]. PCS Pain catastrophizing is characterised by the tendency to magnify the threat value of a pain stimulus and to feel helpless in the pres- ence of pain [26]. It affects the way individuals experience pain. The PCS was developed to help quantify an individual’s pain experience, asking about how they feel and what they think about when they are in pain. It is a 13-item scale, with each item rated on a 5-point scale; 0 (not at all) to 4 (all the time). The total score ranges from 0–52 points. The PCS has been shown to have adequate internal consistency ranging from 0.76–0.97 [32, 33] and test-retest reliability of 0.85; 95 % CI: 0.76; 0.91 [33]. FABQ The FABQ is a patient-reported questionnaire, which specifically focuses on a patient’s fear-avoidance beliefs about physical acti- vity and how work may affect and contribute to their low back pain and resulting disability [27]. The questionnaire consists of 16-items in which patients rate their agreement with each state- ment on a 7-point Likert scale, where 0 = completely disagree and 6 = completely agree. There is a maximum score of 96. A higher score indicates more strongly held fear-avoidance beliefs. There are two subscales within the FABQ; the work subscale (FABQw) comprising items 6, 7, 9–12, 15 (maximum score of 42), and the physical activity subscale (FABQpa) comprising items 2–5 (maxi- mum score of 24). The FABQ correlates significantly with other measures of fear-avoidance, such as the Tampa Scale of Kinesio- phobia (r = 0.33–0.59) [34], and the internal consistency of FABQ is within the acceptable range (0.77 and 0.88) [27]. TSK The TSK is a 17-item self-reported checklist using a 4-point Likert scale, which was developed as a measure of fear of movement or (re)injury [28]. The TSK developers defined kinesiophobia as “an irrational and debilitating fear of physical movement and activity resulting from a feeling of vulnerability to painful injury or re-injury”. The scale is based on the model of fear-avoidance, fear of work-related injuries, fear of movement and fear of re-in- Mbada CE et al. Convergent and known… physioscience 2021; 17: 75–81 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 77

▶ Table 3 Comparison of pain catastrophizing, fear-avoidance beliefs and kinesiophobia across the SBT risk groups (N = 30). PCS median (IQR) FAB work subscale, median (IQR) FAB physical activity subscale, median(IQR) TSK median (IQR) SBT classification low risk (n = 13) 13.0 (10.00) 11.0 (8.50) 14.0 (11.00)a 37.0 (7.50) medium risk (n = 10) 16.0 (7.25) 18.5 (17.25) 13.0 (9.50)a, b 40.5 (4.50) high risk (n = 7) 11.0 (5.00) 20.0 (6.00) 22.0 (3.00)a 39.0 (4.00) p-value 0.42 0.20 0.04* 0.18 Following post hoc using Bonferonni, values with different superscript (i. e a vs. ab) are significantly different (p < 0.001) while values with the same superscripts (a vs a ) were not significantly different; Note: statistical test was Kruskal-Wallis test; FAB = fear avoidance beliefs; PCS = Pain Catastrophizing Scale score; IQR = interquartile range; p < 0.05; SBT = StaRT Back Tool; TSK = Tampa Scale of Kinesiophobia. * = significance at p < 0.05. Discussion This study aimed to assess the convergent and known group vali- dity of the SBT in a Nigerian population with LBP using disability- related psychosocial outcomes. The SBT has been developed and designed to determine a prognosis for patients with LBP, and it categorises patients as having low, medium, and high risk of an unfavourable treatment outcome [10]. Since the development of the original SBT in English, the tool has been cross-culturally adap- ted into several languages [39]. However, the methodological accuracy of the psychometric evaluation of the SBT and its appli- cability in clinical practice seems to be of concern. Consequently, Kenny et al. [40], in a systematic review, found that the quality of evidence for the psychometric properties of SBT ranges from poor to fair. Thusfurther studies were required to help establish the psychometric properties of SBT, as the tool was considered as still in a developmental stage based on the findings [40], hence this study. The patients who participated in this study were 55 years old on average. This age conforms with the literature on the age demographic in which LBP is common and disabling [41, 42]. In this study, the SBT total scores and the FAB work subscale demon- strated a significant moderate correlation. On the other hand, the SBT and the other psychosocial constructs did not significantly correlate to a sufficient degree. In addition, patients exhibiting catastrophizing, fear-avoidance beliefs, or kinesiophobia could not be differentiated based on SBT risk groups. Therefore, the current study did not find evidence for convergent validity and known group validity between the SBT and these measures. In contrast to the findings of this study, SBT total score has been reported to demonstrate acceptable convergent and known group validities with psychosocial subscales such as catastrophiz- ing, fear, depression [7, 20]. In addition, an earlier study found that both the total and subscore of the Japanese version of the SBT had moderate to strong correlations with PCS, FABQ and TSK [24]. However, Beneciuk et al. found that the quality of predic- tions of clinical outcomes by psychology-based measures varies [43]. It is possible that the small number of participants enrolled in this study might have impacted the findings on the correlations between SBT and the other tools. As a result, the findings of the study should be interpreted with caution, as studies with small sample sizes are prone to response bias. Since SBT and the other psychosocial instruments used in this study did not correlate to a sufficient degree, SBT should be used with caution in similar settings until additional studies with sufficient sample sizes are at hand. Limitations The small sample size used in this study may undermine the find- ings’ internal and external validity. Thus, studies with a larger sample size are recommended. Furthermore, most related studies were conducted among patients with sub-acute LBP. However, the current study was among patients with chronic non-specific LBP, limiting the number of studies with which comparison can be made. A related study found that the use of SBT among patients with chronic LBP provided an acceptable indication of the development of disability within the next year but had poor predictive and discriminative ability for future pain [44]. Further, the translated Yoruba versions of PSC and TSK used in this study have yet to be fully psychometrically evaluated beyond the face validity by expert reviews. It is also important to state that chronicity of pain has socio-cultural aspects [45, 46]. As such, perception and expression of pain are influenced by culture and religion in the African setting [47]. Anecdotally, the psychoso- cial consequences of pain are moderately expressed or denied among Nigerians, except when it is out of control. An earlier study reported that Nigeria is a religious country and that Nigerian patients with chronic illnesses have high levels of religious inclina- tion [48]. This religious disposition translates into being positive- minded and sometimes with unwavering optimism. In this setting, it is common that patients often speak in terms of their anticipation for better outcomes rather than expressing their cur- rent situation accurately. The foregoing represents a significant limitation to assessing psychosocial outcomes in LBP, hence this study’s findings. Mbada CE et al. Convergent and known… physioscience 2021; 17: 75–81 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 79

[31] Hill JC, Whitehurst DG, Lewis M et al. Comparison of stratified primary care management for low back pain with current best practice (STarT Back): a randomised controlled trial. Lancet 2011; 378: 1560–1571. doi:10.1016/S0140-6736(11)60937-9 [32] Ikemoto T, Hayashi K, Shiro Y. A systematic review of cross-cultural validation of the pain catastrophizing scale. Eur J Pain 2020; 24: 1228– 1241. doi:10.1002/ejp.1587 [40] Kenny D, Ball J, Bloxham C et al. An evaluation of the psychometric properties of the STarT Back Screening Tool-a systematic review. Physiother 2015; 101: e948–e949 [41] Hoy D, Brain C, Williams G et al. Systematic review of the global preval- ence of low back pain. Arthritis Rheum 2012; 64: 2028–2037. doi:10.1002/art.34347 [42] Macfarlane GJ, Beasley M, Jones EA et al. The prevalence and manage- [33] Fernandes L, Storheim K, Lochting I et al. Cross-cultural adaptation and validation of the Norwegian pain catastrophizing scale in patients with low back pain. BMC Musculoskelet Disord 2012; 13: 111 ment of low back pain across adulthood: results from a population- based cross-sectional study (the MUSICIAN study). Pain 2012; 153: 27– 32. doi:10.1016/j.pain.2011.08.005 [34] Swinkels-Meewisse E, Swinkels R, Verbeek A et al. Psychometric proper- ties of the Tampa Scale for kinesiophobia and the fear-avoidance beliefs questionnaire in acute low back pain. Manual Ther 2003; 8: 29–36 [35] Vincent HK, Seay AN, Montero C et al. Kinesiophobia and fear-avoidance beliefs in overweight older adults with chronic low-back pain: relation- ship to walking endurance–part II. Am J Phys Med Rehabil 2013; 92: 439–445. doi:10.1097/PHM.0b013e318287633c [36] Vlaeyen JW, Kole-Snijders AM, Boeren RG et al. Fear of movement/(re)- injury in chronic low back pain and its relation to behavioral perform- ance. Pain 1995; 62: 363–372. doi:10.1016/0304-3959(94)00279-n [37] Hinkle D, Wiersma W, Jurs S. Applied Statistics for the Behavioural Sciences. 3rd ed Boston: Houghton Mifflin Company; 2003 [38] Kongsted A, Johannesen E, Leboeuf-Yde C. Feasibility of the STarT back screening tool in chiropractic clinics: a cross-sectional study of patients with low back pain. Chiropract Manual Ther 2011; 19: 10 [39] Ami NB, Weisman A, Yona T et al. STarT back tool retained its predicting abilities in patients with acute and sub-acute low back pain after a transcultural adaptation and validation to Hebrew. Musculoskelet Sci Pract 2020; 46: 102134 doi:10.1016/j.msksp.2020.102134 [43] Beneciuk JM, Bishop MD, Fritz JM et al. The STarT back screening tool and individual psychological measures: evaluation of prognostic cap- abilities for low back pain clinical outcomes in outpatient physical ther- apy settings. Phys Ther 2013; 93: 321–333. doi:10.2522/ptj.20120207 [44] Kendell M, Beales D, O’Sullivan P et al. The predictive ability of the STarT Back tool was limited in people with chronic low back pain: a prospective cohort study. J Physiother 2018; 64: 107–113. doi:10.1016/j. jphys.2018.02.009 [45] Shipton EA. The pain experience and sociocultural factors. N Z Med J 2013; 126: 7–9 [46] Rodrigues-de-Souza DP, Palacios-Cena D, Moro-Gutierrez L et al. Socio- cultural factors and experience of chronic low back pain: a Spanish and Brazilian patients’ perspective. A qualitative study. PloS ONE 2016; 11: e0159554 doi:10.1371/journal.pone.0159554 [47] Mbada CE, Adeniyi OA, Idowu OA et al. Cross-cultural adaptation and psychometric evaluation of the Yoruba version of the Back beliefs ques- tionnaire among patients with chronic low-back pain. Health Qual Life Outcomes 2020; 18: 74 doi:10.1186/s12955-020-01322-2 [48] Mbada CE, Onayemi O, Ogunmoyole Y et al. Health-related quality of life and physical functioning in people living with HIV/AIDS: a case–control design. Health Qual Life Outcomes 2013; 11: 106 Mbada CE et al. Convergent and known… physioscience 2021; 17: 75–81 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 81

Schlussfolgerung Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie gehört, dass die StG-Gruppe bei der Flexion weniger Kraft aufbringen konnte als die QTB-Gruppe. Bei der Extension war es um- gekehrt, die StG-Gruppe war der QTB-Grup- pe überlegen. Im Vergleich zur KG hatten Teilnehmende mit StG-Transplantat gleich- mäßige und moderate Verminderungen bei Knieflexion und -extension. Die Gruppe mit Transplantat aus der Quadrizepssehne hatte zwar nur Einschränkungen bei Streckung, diese waren jedoch ausgeprägt. Die Funkti- onsfähigkeit zeigte keinen Unterschied zwi- schen den beiden Transplantattypen, aller- dings waren beide IG gleichermaßen defizitär im Vergleich zur KG. Kommentar Die Ergebnisse von Staghøj Sinding et al. 2020 sind ähnlich wie die der Studie von Fi- scher et al. 2018 [1]. Beide Studien zeigen, dass bei einem Transplantat aus der Quadri- zepssehne 6–12 Monate postoperativ vor allem die Kraft in der Extension einge- schränkt ist. Bei einem Transplantat aus der Semitendinosussehne sind im gleichen Zeit- raum sowohl Extension als auch Flexion ein- geschränkt. Kuenze et al. [2] zeigten, dass 30 Monate nach Operation jedoch keine Un- terschiede mehr in der Kraft nachgewiesen werden können. Daraus lässt sich schließen, dass 1 Jahr Rehabilitation zu kurz ist, um Kraftdefizite auszugleichen. Das Besondere an der Studie von Staghøj Sinding et al. 2020 ist, dass zum ersten Mal eine Randomisierung vor OP stattfand. Diese wurde zuvor vielleicht aus ethischen Gründen abgelehnt, da Patientinnen und Patienten nicht entscheiden können, wel- ches Transplantat sie erhalten, und daher nicht frei über ihren Körper entscheiden können. Die Randomisierung sichert hinge- gen die Daten und macht diese vertrauens- würdiger, da das Transplantat nicht vor OP auf eine Patientin bzw. einen Patienten ab- gestimmt wurde und mögliche Verzerrun- gen dadurch verhindert werden. Da beim StG eine schwächere Kraft in der Flexion vorhanden ist, schließen Staghøj Sin- ding et al. 2020 darauf, dass bei diesem Transplantat eine höhere Gefahr für eine Re-Ruptur besteht als beim QTB, was sich durch die stabilisierende Wirkung der Flexo- ren auf das VKB erklären lässt. Da es beim IKDC Score keine unterschied- lichen Ergebnisse gab, scheint es für das subjektive Empfinden der Patientenschaft keinen Unterschied zu machen, welches Transplantat verwendet wird. Bei der Wahl des Transplantats sollten jedoch auch die Kraftverhältnisse der Muskulatur in den un- teren Extremitäten eine Rolle spielen. In die- ser Studie wurde dafür der LSI und die HQ- Ratio erhoben. Teilnehmende mit StG- Transplantat schlossen bei der HQ-Ratio schlechter ab als Teilnehmende mit QTB. Die StG-Gruppe war beim LSI der Gruppe mit QTB jedoch überlegen. Somit gibt es kein Transplantat, das generell favorisiert werden kann. Es ist jedoch möglich, auf- grund dieser Ergebnisse für die unterschied- lichen Typen Empfehlungen abzuleiten, je nachdem, welche Sportart Patientinnen und Patienten später wieder ausführen möchten. Dafür sollte eine genaue Analyse der Sportart und deren Anforderungen vor OP erfolgen. Bei Sportarten mit vielen Sprüngen sollte eher das StG-Transplantat in Betracht gezogen werden. Wenn hinge- gen der typische Verletzungsmechanismus auftritt (Valgus und Innenrotation des Knies), sollte das QTB-Transplantat bevor- zugt werden, weil die Wiederverletzungsge- fahr sonst größer ist. Eine weitere wichtige Schlussfolgerung von Staghøj Sinding et al. 2020 ist, dass die post- operative Rehabilitation sehr wichtig ist und genau auf das verwendete Transplantat und die jeweilige Sportart abgestimmt werden sollte. Der Schwerpunkt sollte vor allem auf dem gezielten Krafttraining liegen, um Kraftschwächen und funktionelle Einbußen, die vielleicht dem Transplantat geschuldet sind, auszugleichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Staghøj Sinding et al. 2020 mit der erfolgten Randomisierung neue Wege im Bereich der Untersuchung von Transplantaten für das VKB beschritten haben. Dabei kommen sie zu ähnlichen Ergebnissen wie zuvor veröf- fentlichte Untersuchungen: Das Transplan- tat sollte auf das Anforderungsprofil einer Patientin bzw. eines Patienten abgestimmt werden, die anschließende Rehabilitation sollte auf das Transplantat abgestimmt wer- den, um ein bestmögliches individuelles Re- sultat zu erzielen. Korrespondenzadresse Alexander Elser, Moritz Scherer, Studierende MSc. Therapiewissenschaften Prof. Dr. Monika Lohkamp SRH Hochschule Heidelberg Fakultät für Therapiewissenschaften Maria-Probst-Str. 3 69123 Heidelberg Deutschland Alexander.Elser@Stud.Hochschule- Heidelberg.de Literatur [1] Fischer F, Fink C, Herbst E et al. Higher hamstring-to-quadriceps isokinetic strength ratio during the first post-operative months in patients with quadriceps tendon compared to hamstring tendon graft following ACL reconstruction. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2018; 26: 418–425. doi:10.1007/ s0016 7-017-4522-x [2] Kuenze C, Pietrosimone B, Lisee C et al. Demographic and surgical factors affect quadriceps strength after ACL reconstruction. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2018. doi:10.1007/s00167-018-5215-9 Bibliografie 10.1055/a-1326-0154 physioscience 2021; 17: 82–83 DOI ISSN 1860-3092 © 2021. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany physioscience 2021; 17: 82–83 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 83

Die Übersichtsarbeit erfüllt viele qualitative Kriterien, z. B. Registrierung des Protokolls der Übersichtsarbeit vor Beginn der Daten- sammlung [3], Angabe von Abweichungen vom pre-registrierten Protokoll mit Begrün- dung, umfangreiche Beschreibung der Ein- und Ausschlusskriterien, Suche in mehr als 2 relevanten Datenbanken inklusive der Su- che nach grauer Literatur, Veranschauli- chung der kompletten Suchstrategie, Aus- führung des Screenings, Datenextraktion und Qualitätsbeurteilung der Studien durch mindestens 2 unabhängige Untersucherin- nen bzw. Untersucher sowie Angabe der ausgeschlossenen Studien inklusive Darle- gung der Gründe für deren Ausschluss. Eine wesentliche Limitation der Übersichts- arbeit besteht darin, dass Lapkin et al. der Inhaltsvalidität wenig Aufmerksamkeit schenkten. Die Inhaltsvalidität gilt als das wichtigste Gütekriterium von latenten (also nicht beobachtbaren) Konstrukten [1, 4]. Evidenz für eine fehlende oder unzureichen- de Inhaltsvalidität ist ein starkes Argument gegen die Empfehlung eines Assessments für die klinische Versorgung [5]. 3 Faktoren sollten für die Inhaltsvalidität begutachtet werden: Verständlichkeit, Relevanz und Vollständigkeit [4]. In der Übersichtsarbeit sind 3 Studien zur Inhaltsvalidierung des BPI sowie des APS-APOQ-R und keine Studie für die übrigen Instrumente identifiziert worden. Es ist anzumerken, dass es für Letz- tere durchaus Studien zur Inhaltsvalidität mit anderen Zielpopulationen geben könnte (z. B. Patientinnen und Patienten mit chroni- schen Schmerzen < 18 Jahre). Das BPI und das APS-APOQ-R sind im Hinblick auf Ver- ständlichkeit und Relevanz begutachtet worden [6–8]. Der Faktor Vollständigkeit wurde jedoch in keiner der Studien unter- sucht. Gerade dieser Faktor wäre wesent- lich, um zu bestätigen, dass alle Dimensio- nen zur Evaluation der postoperativen Schmerzen berücksichtigt wurden. Das BPI beinhaltet 2 Dimensionen, Schmerzintensi- tät und Funktionsbeeinträchtigung, wäh- rend das APS-APOQ-R 3 weitere Dimen- sionen beinhaltet (affektive Erfahrung, Nebenwirkungen und Zufriedenheit mit Schmerztherapie). Eine weitere Limitation ist, dass Lapkin et al. das Evidenzlevel für das gesamte Instru- ment, anstatt wie im COSMIN-Manual emp- fohlen [9], für jedes Gütekriterium eines Instruments individuell beurteilten, obwohl manche der Gütekriterien (z. B. Inhaltsvali- dität) eine höhere Relevanz haben, wenn es um die Empfehlung eines Messinstruments geht [1]. Dennoch wäre auch nach Einhaltung aller von COSMIN vorgegebenen Kriterien das BPI das empfehlenswertere Messinstru- ment. Die Vollständigkeit des BPI ist mit 2 Dimensionen allerdings fraglich. Das APS- APOQ-R könnte zusätzlich empfohlen wer- den. Für die übrigen 3 Instrumente kann aufgrund der fehlenden Evidenz der Inhalts- validität zum aktuellen Zeitpunkt keine Empfehlung ausgesprochen werden. Während es für das BPI eine validierte deut- sche Version gibt [10], liegt für das APS- APOQ-R noch keine validierte deutsche Version vor. Übersetzungen und/oder wei- tere Validierungen der APS-APOQ-R, MPG, HPOI und QUIPS-POP mit der angemesse- nen Zielpopulation sind für die Anwendung in deutschsprachigen Ländern weiterhin erforderlich. Korrespondenzadresse Andrés Jung, MSc Universität zu Lübeck, Institut für Gesundheitswissenschaften, Studiengang Physiotherapie, Pain and Exercise Research Luebeck (P.E.R.L) Ratzeburger Allee 160 23562 Lübeck Deutschland a.jung@uni-luebeck.de Literatur [1] Prinsen CA, Mokkink LB, Bouter LM et al. COSMIN guideline for systematic reviews of patient-reported outcome measures. Qual Life Res 2018; 27: 1147–1157 [2] Schug SA, Palmer GA, Scott DA et al. Acute pain management: scientific evidence, fourth edition, 2015. Med J Aust 2016; 204: 315–317 [3] Lapkin S, Fernandez R, Ellwood L et al. 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entscheidende Kriterium für eine relevante alltagsorientierte Verbesserung der Mobili- tät zu sein. Die festgestellten Verbesserun- gen bei der Gehgeschwindigkeit sowie die Differenzen bei den verwendeten Interven- tionen sind sicher für weiterführende Unter- suchungen relevant, scheinen aber für die Rückkehr in das gewohnte häusliche Umfeld eher eine untergeordnete Rolle zu spielen [5, 6]. So ist z. B. eine Verbesserung der in den Studien publizierten Gehgeschwindig- keit um 0,06 m/s für eine Alltagsfunktion eher als gering und für viele Patientinnen und Patienten als nicht klinisch relevant ein- zustufen. Die Minimal Clinical Important Difference der Gehgeschwindigkeit wird nach Bohan- non mit Werten von 0,1–0,2 m/s bezeichnet [7]. Laut Hesse et al. [8] wird zur Über- windung einer Fußgängerampel im städt- ischen Umfeld eine Gehgeschwindigkeit von 0,89 +/–0,41 m/s benötigt. Diese Geschwin- digkeit wird jedoch von vielen Patientinnen und Patienten nach Schlaganfall selten er- reicht. Hesse et al. schlagen daher eine Geh- geschwindigkeit von mindestens 0,66 m/s für eine sichere Alltagsmobilität außerhalb des Hauses vor [8]. Das aktuelle Review bestätigt, was frühere Untersuchungen bereits gezeigt haben: Die Gehfähigkeit nach Schlaganfall verbessert sich, unabhängig von Lokalisation und Schweregrad des Insults, der Dauer seit Beginn des Ereignisses oder des elektrome- chanisch-assistierten Gerätetyps, wenn das Gehen trainiert wird. Die Wirksamkeit der physiotherapeutischen Interventionen ist dann am größten, wenn mit den Patientin- nen und Patienten frühzeitig, aufgabenspe- zifisch und repetitiv geübt wird [9]. Korrespondenzadresse Detlef Marks Rehaklinik Zihlschlacht Physiotherapie Hauptstr. 2 8588 Zihlschlacht/TG Schweiz d.marks@rehaklinik-zihlschlacht.ch Literatur [1] Mehrholz J, Werner C, Kugler J et al. Electro- mechanical-assisted training for walking after stroke. Cochrane Database Syst Rev 2007: CD006185 doi:10.1002/14651858. CD006185.pub2 [2] Mehrholz J, Thomas S, Kugler J et al. Electro- mechanical-assisted training for walking after stroke. Cochrane Database Syst Rev 2020; 10: CD006185 doi:10.1002/14651858. CD006185.pub5 [3] Mehrholz J, Elsner B, Werner C et al. Electro- mechanical-assisted training for walking after stroke. Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD006185 doi:10.1002/14651858. CD006185.pub3 [4] Mehrholz J, Thomas S, Werner C et al. Elec- tromechanical-assisted training for walking after stroke. Cochrane Database Syst Rev 2017; 5: CD006185 doi:10.1002/14651858. CD006185.pub4 [5] Fries W. Rehabilitation und Nachsorge nach Schädelhirnverletzung. Möglichkeit und Wirk- lichkeit. Reihe zentrales Nervensystem Bd. 1. Hippocampus: Bad Honnef; 2007 [6] Frommelt P, Lösslein H, Hrsg. Neurorehabili- tation. Ein Praxisbuch für interdisziplinäre Teams. Berlin: Springer; 2010 [7] Bohannon RW, Glenney SS. Minimal clinically important difference for change in comforta- ble gait speed of adults with pathology: a systematic review. J Eval Clin Pract 2014; 20: 295–300. doi:10.1111/jep.12158 [8] Hesse S, Welz A, Assmann E et al. Fussgänger in Berlin nach einem Schlaganfall. Anforde- rungen im Straßenverkehr und in der U-Bahn. Nervenarzt 2009; 80: 953–958. doi:10.1007/ s00115-009-2700-x [9] Langhorne P, Bernhardt J, Kwakkel G. Stroke rehabilitation. The Lancet 2011; 377: 1693– 1702. doi:10.1016/S0140-6736(11)60325-5 Bibliografie 10.1055/a-1404-9667 physioscience 2021; 17: 86–87 DOI ISSN 1860-3092 © 2021. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany physioscience 2021; 17: 86–87 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 87

▶ Tab. 1 Physiotherapeutische Versorgungssituation bei muskuloskelettalen Erkrankungen. Prozentualer Anteil (Median) der Physio- therapeutinnen und Physiotherapeuten, die Maßnahmen entsprechend der Empfehlung anwenden (würden)1 Prozentualer Anteil (Median) der Patientinnen und Patienten, die Maßnahmen entsprechend der Empfehlung erhalten2 + 54 % (n = 23) 35 % (n = 9) 85 % (n = 6) 93 % (n = 4) 58 % (n = 5) 39 % (n = 2) 29 % (n = 1) 93 % (n = 5) – 43 % (n = 37) 44 % (n = 24) 38 % (n = 5) 90 % (n = 1) 45 % (n = 6) 14 % (n = 1) 43 % (n = 1) 52 % (n = 4) o 81 % (n = 37) 72 % (n = 24) 97 % (n = 6) 79 % (n = 4) 98 % (n = 5) 7 % (n = 1) 98 % (n = 1) 62 % (n = 4) + 63 % (n = 8) 50 % (n = 5) – (n = 0) 76 % (n = 3) 65 % (n = 2) – (n = 0) 87 % (n = 1) 65 % (n = 1) – 27 % (n = 20) 18 % (n = 15) 79 % (n = 4) 8 % (n = 1) 21 % (n = 1) – (n = 0) – (n = 0) 43 % (n = 1) o 45 % (n = 31) 43 % (n = 23) 57 % (n = 4) 62 % (n = 3) 53 % (n = 2) 45 % (n = 1) 90 % (n = 1) 2 % (n = 1) Muskuloskelettale Erkrankungen3 Kreuzschmerzen Nackenschmerzen, Schleudertrauma Schulterschmerzen Kniegelenksarthrose, Knieschmerzen Distorsion des Sprunggelenks Plantarfasziitis Knieendoprothese + = empfohlene Maßnahmen; – = nicht empfohlene Maßnahmen; o = Maßnahmen mit offener Empfehlung; n = Anzahl der Studien. 1 erfasst durch Befragungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. 2 erfasst durch Befragungen von Patientinnen und Patienten, klinische Dokumentation/Abrechnungspositionen, klinische Beobachtungen etc. 3 Werte für Schulterschmerzen und Knieendoprothese wurden bei der Zusammenfassung aller muskuloskelettaler Erkrankungen nicht berücksichtigt. ner Maßnahmen und lassen keine Rück- schlüsse auf Kombinationen mehrerer Be- handlungsansätze zu. Demnach können anhand der Übersichtsarbeit keine Anga- ben gemacht werden, wie hoch der Anteil der Physiotherapeutinnen und Physiothe- rapeuten ist, die nur empfohlene Maßnah- men, nur nicht empfohlene Maßnahmen oder nur Maßnahmen mit offener Empfeh- lung anwenden. Kommentar Zadro et al. haben mit dieser Studie die erste systematische Übersichtsarbeit vorgelegt, in der die physiotherapeutische Versorgung von Erkrankungen des Bewegungsapparates zusammengefasst und mit den Empfehlun- gen evidenzbasierter Literatur abgeglichen wurde. Obwohl verschiedene Studien die Vorteile leitlinienkonformer Versorgung be- legen [4, 5], scheint das Verhalten von Phy- siotherapeutinnen und Physiotherapeuten von den Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien abzuweichen. Zu den am häufigsten genannten Barrieren bei der Anwendung evidenzbasierter Praxis im physiotherapeutischen Setting zählen Zeitmangel, Unsicherheit im Umgang mit statistischen Daten, fehlende Ressourcen sowie fehlende Unterstützung am Arbeits- platz. Zudem kann die klinische Entschei- dungsfindung durch eine negative Einstel- lung der Therapeutin bzw. des Therapeuten gegenüber evidenzbasierter Praxis beein- flusst werden. Häufig sind die aktuellen Leit- linienempfehlungen den Physiotherapeutin- nen und Physiotherapeuten aber auch gar nicht bekannt [6]. Die Übersichtsarbeit umfasst keine Studie aus Deutschland und bis heute liegen nur wenige Daten zur aktuellen physiotherapeu- tischen Versorgungssituation von muskulo- skelettalen Erkrankungen in Deutschland vor [7, 8]. Die Ergebnisse des Reviews lassen sich nur bedingt auf das deutsche Gesundheits- system übertragen, da Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in anderen Ländern wie den Niederlanden, Großbritannien oder den USA autonom über die Wahl der physio- therapeutischen Maßnahmen entscheiden können und nicht unbedingt an eine ärztli- che Verordnung gebunden sind. Zudem ist der deutsche Ausbildungsstandard defizitär und entspricht nicht den Anforderungen für den Direktzugang [9]. Eine Untersuchung der physiotherapeutischen Versorgungssi- tuation in Deutschland ist erforderlich, um eine mögliche Über-, Unter- und Fehlversor- gung aufzudecken und darüber hinaus län- derspezifische Barrieren in der Anwendung von Leitlinien zu identifizieren. Derzeit gibt es noch keinen etablierten Ansatz für die Übertragung von evidenzbasierter Pra- xis in das deutsche Gesundheitssystem [10]. Eine wissenschaftlich fundiert entwickelte Strategie zur Implementierung von Leitlinien, welche neben der Beseitigung struktureller Barrieren auch eine Veränderung der Einstel- lung und des Verhaltens von Physiotherapeu- tinnen und Physiotherapeuten adressiert, bie- tet die Chance, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern. physioscience 2021; 17: 88–90 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 89

Mitteilungen der DGPTW Forschungsförderung der Deutschen Gesellschaft für Physiotherapiewissenschaft (DGPTW) e. V. Bis 1. September 2021 Anträge einreichen Die DGPTW wird in diesem Jahr zum ersten Mal physiotherapeutische Forschungsvor- haben in Höhe von maximal 10 000 Euro fördern. Es werden Projekte gefördert, die einen klaren Bezug zur Physiotherapie haben. Antragsberechtigt sind Physiotherapeutin- nen und Physiotherapeuten, die Mitglied der DGPTW sind und einen akademischen Abschluss haben. Die Summe kann entweder einem Projekt zugesprochen oder auf mehrere Projekte verteilt werden. Einsendeschluss ist der 01.09.2021. Weitere Informationen über das Antrags- verfahren sowie die Einreichungsformu- lare sind auf der Webseite der DGPTW (www.dgptw.org) veröffentlicht. 5. Forschungssymposium Physiotherapie Forschung fördern, Lehre entwickeln, Versorgung stärken – für die Zukunft der Physiotherapie Die Brandenburgische Technische Univer- sität Cottbus-Senftenberg (BTU) und die Deutsche Gesellschaft für Physiotherapie- wissenschaft e. V. (DGPTW) laden gemein- sam alle wissenschaftlich interessierten Physiotherapeutinnen und Physiothera- peuten und an der Physiotherapie Interes- sierte sehr herzlich zum 5. Forschungs- symposium Physiotherapie am 26. und 27.11.2021 in Senftenberg ein. Symposiums ist es, die Forschung in der Physiotherapie und deren Verknüpfung mit Lehre und Versorgung umfassend dar- zustellen. Es ist vor allem vor dem Hinter- grund der andauernden Diskussion rund um die Akademisierung der Physiothera- pie in Deutschland wichtig, gemeinsam zu diskutieren, wie die Zukunft der Physio- therapie aussehen soll und welche Rolle Wissenschaft dabei spielen kann. Das diesjährige Forschungssymposium Physiotherapie steht unter dem Motto „Forschung fördern, Lehre entwickeln, Versorgung stärken – für die Zukunft der Physiotherapie“. Das Ziel des diesjährigen Maßgeblich möchten die Veranstalter das Symposium, wie es sich in den vergange- nen Jahren bewährt hat, an eingereichten Beiträgen aus der Zielgruppe ausrichten und laden Teilnehmende daher herzlich dazu ein, Beiträge einzureichen, um das Programm aktiv mitzugestalten. Die Teilnehmenden erwartet eine span- nende Veranstaltung mit der Möglichkeit, sich zu präsentieren und auszutauschen, bestehende Netzwerke zu vertiefen, neue zu initiieren und nicht zuletzt sich selbst neues Wissen anzueignen, denn neben Vorträgen und Posterpräsentationen wer- den auch beim 5. Forschungssymposium Physiotherapie zahlreiche Workshops zu unterschiedlichen Themen angeboten. www.b-tu.de/fg-physiotherapiewissen schaft/forschungssymposium physioscience 2021; 17: 91 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 91

Buchbesprechung Scham und Würde: Auf Physiotherapie übertragbar Immenschuh U. Unerhörte Scham in der Pflege. Über die Notwendigkeit einer unbeliebten Emo- tion. Mabuse-Verlag, 2020, ISBN 9783863215378, 184 Seiten, 29,95 Euro Unerhört bedeutet unglaublich oder au- ßergewöhnlich, aber auch empörend oder anstößig. Unerhört kann aber auch so ver- standen werden, dass etwas „unerzählt“ und somit ungehört bleibt. Ursula Immen- schuh, Professorin für Pflegepädagogik und -wissenschaft an der Katholischen Hochschule Freiburg, verschafft in diesem Buch den vielen facettenreichen Erlebnis- sen und Sichtweisen von Pflegenden zu Würde und Scham Gehör. Ihre Protokolle von Gruppensupervisionen mit Pflegekräf- ten, die sich zu diesem Thema ausge- tauscht und ihren Gefühlen und Assozia- tionen nachgegangen sind, bilden hierfür die Grundlage. Scham ist brennend, schmerzt, lässt im Boden versinken. Scham fungiert aber auch als Hüterin der Würde, als Wächterin von Grenzen und kann ein starker Impuls zur Weiterentwicklung sein, so Immen- schuh. Die Aufzeichnungen zu lesen be- rührt, nimmt mit und stößt an, selbst zu reflektieren und über eigene Geschichten von Scham nachzudenken. Obwohl das Buch im Kontext Pflege steht, ist manches auf die Physiotherapie übertragbar, und so frage ich mich beim Lesen: In welchen Si- tuationen schäme ich mich, wann beschä- me ich meine Patientinnen und Patienten? Wie gehe ich mit Scham um? In ihren Analysen des gewonnenen Materi- als rollt die Autorin das Feld der Pflegenden auf, die alleingelassen sind und in dem Di- lemma stecken, ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden zu können. Das schmerzt mitunter beim Lesen, beschäftigt mich daher aber auch nachhaltig. Und so passiert bei der Lektüre das, was Immen- schuh schreibt: „Unerhörte Scham in der Pflege ist beschämend und entwürdigend, vor allem für die Pflegekräfte. Die Scham ist der Schlüssel dazu, […] sich betreffen zu lassen und die Pflege nicht mehr allein zu lassen damit.“ Das geht uns alle an. Stephanie Moers, M.A. Physiotherapeutin aus Freiburg i. Brsg. Screening in der Physiotherapie – ein Praxishelfer Lüdtke K, Grauel L, Laube D. Screening in der Physiotherapie. Das Flaggen-System – Warnsig- nale erkennen. 2. akt Aufl, Thieme Verlag, 2020, ISBN 9783132437524, 160 Seiten, 64,99 Euro Der therapeutische Alltag ist meist eng getaktet. Umso wichtiger ist es, dass The- rapeutinnen und Therapeuten schnell und zielgerichtet relevante Risikofaktoren und Kontraindikationen für eine Behandlung von Patientinnen und Patienten erkennen können. Das Buch „Screening in der Phy- siotherapie“ ist als Nachschlagewerk für individuelle und adäquate Entscheidungen am und mit Patientinnen und Patienten ein gut strukturierter Praxishelfer. Die Ge- sundheit und Symptome von Patientinnen und Patienten unterliegen natürlichen Schwankungen. Zudem ist jeder Mensch stets individuell und tagesaktuell zu be- trachten. Daher ist es für Therapeutinnen und Therapeuten wichtig, ergänzend zur ärztlichen Diagnose, anpassungsfähig und wachsam zu sein. Das Buch bietet einen hilfreichen Leitfaden zum Erkennen und Screenen von „Red Flags“ verschiedener Körperbereiche und Körpersysteme. Von den großen Gelenken und der Wirbelsäule über den Kopf bis hin zu Auffälligkeiten des Herz-Kreislauf-Systems, des Nerven- systems und der Geschlechtsorgane ler- nen Leserinnen und Leser Risikofaktoren und Kontraindikationen für eine Behand- lung gezielt zu erkennen und zu bewerten. Die im Buch beschriebenen Screenings sollten zum Standardwissen zählen, insbe- sondere die im Fokus stehenden „Red Flags“ als Entscheidungshelfer. Die Scree- nings sind in Text und Bild übersichtlich und leicht verständlich dargestellt. Einzig der Untertitel mit Verweis auf „Das Flag- gen-System“ wäre mit „Red Flags – Be- handlungsrisiken und Kontraindikationen erkennen und screenen und schnell und zielgerichtet Entscheidungen treffen“ mit Blick auf den Fokus des Buches „Red Flags“ treffender formuliert. Dominik Suslik, Leiter Gesundheit/Medi- zin/Athletik – Die Akademie Hannover 96 aus Hannover Rehabilitation von Sportverletzungen – mit vielen Fallbeispielen Van Duijn A, Overberg JA, Hrsg. Rehabilitation von Sportverletzungen. Sportreha-Fälle aus der evidenzbasierten Praxis. Thieme Verlag, 2021, ISBN 9783132426450, 432 Seiten, 89,99 Euro physioscience 2021; 17: 93–94 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 93

Just accepted | Veranstaltungen JUST ACCEPTED Simone Schweda, Daniel Leyhr, Inga Krauß The Functional Movement Screen as an Injury Prediction Tool for German Physical Education and Exercise Science Students: a Prospective Cohort-study eingereicht: 29.10.2020 akzeptiert: 22.03.2021 Agnes Wischke-Baltes, Sarah F Tyson, Tobias Braun Die deutsche Version des Brunel Balance Assessments zur Erfassung der Gleichgewichtsfähigkeit bei Menschen nach einem Schlaganfall: kulturelle Adaptation und erste psychometrische Evaluation eingereicht: 07.12.2020 akzeptiert: 05.04.2021 Lionel Butry, Annemarie Förster, Christian Thiel, Christian Kopkow Erwartungen von Patientinnen und Patienten mit unspezifi- schen Kreuzschmerzen an die physiotherapeutische Behand- lung im ambulanten Setting eingereicht: 07.12.2020 akzeptiert: 20.04.2021 Johanna Seeländer, Oliver Fricke Ein neurophysiologischer Ansatz in der Physiotherapie zur Behandlung von Developmental Coordination Disorder – Ergebnisse einer Pilotstudie eingereicht: 04.01.2021 akzeptiert: 29.04.2021 Veranstaltungen 2. Kongress der Teilhabeforschung, Aktionsbündnis Teilhabeforschung & Katholische Hochschule NRW 15.–16.09.2021, Münster www.teilhabeforschung.org TheraPro Essen 01.–02.10.2021, Essen www.messe-stuttgart.de/therapro-essen/ Deutscher Schmerzkongress 20.–23.10.2021, Mannheim www.deutscherschmerzkongress.de FIBO 2021 04.–07.11.2021, Köln www.fibo.com MEDICA 15.–18.11.2021, Düsseldorf www.medica.de Forschungssymposium Physiotherapie 26.–27.11.2021, Senftenberg www.b-tu.de/fg-physiotherapiewissenschaft/for- schungssymposium 15. physiokongress mit TheraPro 28.–30.01.2022, Stuttgart www.messe-stuttgart.de/therapro 12th Congress of the European Pain Federation (EFIC) 27.–30.04.2022, Dublin, Irland www.efic-congress.org Drei-Länder-Tagung des VFWG – Fachtagung für Gesundheitsberufe 05.–06.05.2022, Bern, Schweiz www.bfh.ch/dreilaendertagung-vfwg Absage von Veranstaltungen wegen der Coronapandemie: Bitte prüfen Sie, ob alle hier angekündigten Veranstaltungen wie geplant stattfinden. 95

Erleben Sie, wie Experten therapieren In diesem Buch stellen erfahrene Therapeuten aus dem Bereich des Leistungs- und Hochleistungssports ihre lehr- reichsten Fälle vor. Sie zeigen, mit welchen Zielsetzungen, Trainingsmethoden, Übungen und Techniken sie Sportler rehabilitiert und zurück zum Wettkampf gebracht haben. Erfahren Sie, • wie eine Reha auf Basis einer Sportart- und Belastungsanalyse aufgebaut werden kann • welche Test, Techniken und Übungen in der Reha angewandt werden können • welche Therapieansätze bei den Sportlerinnen und Sportlern erfolgreich waren • welche Probleme es zu lösen gab. Auch als E-Book ISBN 978 3 13 242645 89,99 € [D] www.thieme.de/shop . 9 9 4 3 A R H , t r a g t t u t S r e t s i g e r s l e d n a H d n u - z t i S , G K g a l r e V e m e h T g r o e G i . t e n h c e r e b r e t i e w n e t s o k d n a s r e V n e d n e l l i a f n a e d n e d r e w ] D l [ b a h r e ß u a n e g n u r e f e i L i e B . n e t l a h e b r o v r e m ü t r r I d n u n e g n u r e d n ä s i e r P