Studienreferate In der vorliegenden Studie untersuchten Bormann et al. die Prävalenz und Ausprä- gung von Kniegelenkinstabilitäten 1 Jahr nach operativer Versorgung von Tibiakopf- frakturen. Die Studie wurde als retrospekti- ve Single-Center-Kohortenstudie durchge- führt und umfasste 54 Patienten, die zwi- schen 2014 und 2020 in einem deutschen Level-1-Traumazentrum behandelt worden waren. Ligamentäre Begleitverletzungen wurden perioperativ mittels MRT-Bildge- bung oder durch klinische Untersuchung eines erfahrenen Chirurgen oder einer er- fahrenen Chirurgin erfasst. Eingeschlossen wurden volljährige Patien- ten mit einer unilateralen, isolierten Frak- tur des Tibiaplateaus bei intaktem Kapsel- Band-Apparat vor dem Trauma. Ausge- schlossen wurden Patienten mit extraarti- kulären Verletzungen, bilateralen Frakturen oder vorausgegangenen operativ oder kon- servativ behandelten Bandverletzungen am Kniegelenk. Die Frakturklassifikation er- folgte nach Schatzker, im Falle einer Luxa- tionsfraktur nach Moore. Das Follow-up betrug mindestens 12 Monate. Subgrup- penanalysen wurden in Abhängigkeit vom Frakturtyp sowie bei operativ versorgten Band- oder Meniskusverletzungen und der anterior–posterioren (AP- Translation) durchgeführt. Translation Die Analyse der Gelenkinstabilität, insbe- sondere des dynamischen Valgus, erfolgte mittels des Orthelligent-Systems (OPED GmbH, Valley, Deutschland) bei Durchfüh- rung eines Einbeinstands mit 20–30° Knie- beugung sowie mithilfe des Laxitesters (ORTEMA Sport Protection, Markgröningen, Deutschland) zur Erhebung der Außen- und Innenrotation bei einem Drehmoment von 2 N. Darüber hinaus wurde die AP- Translation in Neutralstellung, Innenrota- tion und Außenrotation mit einem Lach- meter (Equipamentos Ortopedicos LTDA, Preto, Brasilien) erfasst. Die Messungen er- folgten im Seitenvergleich zur gesunden kontralateralen Gegenseite. Die statisti- sche Auswertung wurde für normalverteil- te Parameter mittels t-Test und für nicht normalverteilte Parameter mithilfe des Kruskal-Wallis- und Mann-Whitney-U-Tests durchgeführt. Zum Zeitpunkt des letzten Follow-ups konnten 32 Frauen und 22 Männer (Mittel- wert 51 ± 11,9 Jahre) in die Studie einge- schlossen werden. Bei allen Patienten konn- te ein signifikanter Unterschied in der Ge- lenkinstabilität in der AP-Translation in Neu- tralstellung (M = 1,02 mm ± 1,4; p < 0,05) sowie in der AP-Translation in Innenrota- tion (M = 0,71 mm ± 1; p < 0,05) im Ver- gleich zur kontralateralen gesunden Seite festgestellt werden. Darüber hinaus wurde ein signifikantes Defizit in der Außenrota- tion (M = − 5,1° ± 10,1; p < 0,05) erhoben. In Bezug auf den Frakturtyp zeigte sich, dass komplexe Frakturen (n = 26, Schatzker IV–VI) im Vergleich zu einfachen Frakturen (n = 28, Schatzker I–III) signifikant weniger Außenrotation aufwiesen (− 7,4° ± 11,2 vs. − 3,1° ± 15,1). Ein signifikanter Unterschied in der AP-Translation zwischen den beiden Gruppen konnte jedoch nicht festgestellt werden. In der Subgruppenanalyse mit zusätzlicher ligamentärer Rekonstruktion, im Vergleich zu Patienten ohne ligmentäre Rekonstruk- tion, zeigte sich bei 24 Patientinnen, die eine solche Rekonstruktion erhielten, ein signifikanter Unterschied mit höheren Gradzahlen in der AP-Translation (1,51°; Range 0,9–2,1° vs. 0,71°; Range 0,1–1,2°; p < 0,05) sowie in der AP-Translation in Innenrotation (1,19°; Range 0,6–1,8° vs. 0,44°; Range 0,1–0,8°). Zudem war die maximale Innenrotation (− 0,3° ± 12,4 vs. 3,8° ± 8,5; p < 0,05) und die maximale Au- ßenrotation (− 7,5° ± 10,3 vs. − 3,1° ± 9,6) bei ligamentär rekonstruierten Patientin- nen signifikant erhöht. Die maximale Beu- gung war jedoch signifikant niedriger (126,2° ± 14 vs. 127,8° ± 8,4). Insgesamt wiesen 15 Patienten eine AP- Translation von mehr als 2 mm auf. Diese Patientinnen zeigten ebenfalls eine signi- fikant erhöhte AP-Translation in Innenro- tation (1,7° ± 1,2 vs. 0,44° ± 0,97) und Au- ßenrotation (1,2° ± 1,4 vs. − 0,2° ± 1,2) im Vergleich zu den Patienten mit einer AP- Translation von unter 2 mm. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen eine hohe Prävalenz persistierender, multi- direktionaler Kniegelenkinstabilität 1 Jahr nach operativer Versorgung von Tibiakopf- frakturen im Vergleich zur kontralateralen gesunden Seite. Interessanterweise trat die Instabilität unabhängig von der Schwere der knöchernen Verletzung auf. Die Auto- ren postulieren, dass Tibiakopffrakturen als komplexe Verletzungen betrachtet werden sollten, die nicht nur die knöchernen Struk- turen, sondern auch die ligamentären und meniskalen Strukturen des Kniegelenks be- treffen. FAZIT Die Ergebnisse der vorliegenden Stu- die lassen vermuten, dass aufgrund aktuell unzureichend adressierter Begleitverletzungen am Tibiakopf eine persistierende Gelenkinstabili- tät verbleiben kann, die sich poten- ziell negativ auf die Entstehung einer posttraumatischen Arthrose auswir- ken könnte. Dr. med. Johannes Herold, Dresden Sofortige oder verzögerte venöse Thromboseprophy- laxe nach Wirbelsäulen- operationen? thromboembolism prophylaxis Lambrechts MJ et al. Immediate vs. delayed ve- nous following spine surgery: increased rate of unplanned re- operation for postoperative hematoma with im- mediate prophylaxis. Spine J 2024. DOI: 10.1016/j. spinee.2024.06.568 Venöse Thromboembolien, einschl. tie- fer Venenthrombosen und Lungenem- bolien, sind eine häufige Komplikation nach elektiven Wirbelsäulenoperatio- nen. Das Risiko für postoperative Hä- matome, die möglicherweise eine Notfalloperation erfordern, stellt eine wesentliche Herausforderung bei der Entscheidung über den Beginn der Thromboseprophylaxe dar. Während mechanische prophylaktische Maßnah- men wie Kompressionsstrümpfe weit- gehend akzeptiert sind, besteht unter den Chirurginnen und Chirurgen Un- einigkeit über den optimalen Zeitpunkt für den Beginn einer medikamentösen Prophylaxe, insbesondere, da die Lite- ratur hierzu widersprüchliche Ergebnis- se liefert. 114 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2025; 20 | © 2025. Thieme. All rights reserved.