intensiv Fachzeitschrift für Intensivpfl ege und Anästhesie A N G E H Ö R I G E N B E T R E U U N G I Wenn Betroff ene zu Entscheidern werden A N G E H Ö R I G E N B E T R E U U N G I I Das aktive Angehörigentelefonat D E L I R P R O P H Y L A X E Behandlungspfad zur Früherkennung 1 | 18 Januar 2018 26 . Jahrgang Seite 1–52 ISSN 0942-6035 www.thieme-connect.de/ products C N E S C H W E R P U N K T Gewalt auf Intensivstationen

Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, den Mitmenschen zu quälen. Auch die sind es, die solches weit von sich weisen. Sie wissen nur nicht, was sie tun. (Alexander Mitscherlich (1908–1982), deutscher Arzt, Psychoanalytiker und Publizist) Liebe Leserinnen und Leser, Gewalt ist ein alltägliches Phänomen, es stößt ab und fasziniert zugleich. Mit Ent­ setzen nehmen wir die Gräueltaten in Kriegsgebieten wahr, voller Abscheu und Unverständnis sehen wir die Ausbrei­ tung von Terror mitten in unseren west­ lichen Gesellschaften. Zugleich sitzen wir zu Millionen jeden Sonntag vor dem Bild­ schirm und lassen uns im „Tatort“ von mehr oder weniger spektakulären Mord­ fällen unterhalten, eine ganze Sparte von Literatur lebt von der Faszination für das Grausame und Morbide. Mord und Tot­ schlag sind also ständig präsent. Und doch sind Gewaltakte in Pflegebeziehun­ gen etwas, was wir lange Zeit nicht wahr­ haben wollten und verdrängt haben. Wir sind schockiert von den Berichten über Patiententötungen in Krankenhäusern und Altenheimen, nehmen mit Abscheu wahr, dass die Gewalt gerade auch in Hel­ ferbeziehungen alltäglich zu sein scheint. Dabei beginnt es ja meistens ganz subtil, mit der Verrohung der Sprache, einer dis­ tanzierten und kühlen Handlungsweise, dem Nicht­Wahrnehmen der Bedürfnisse des Patienten. In diesem Schwerpunkt widmen wir uns diesem sensiblen Thema mit zwei Beiträ­ gen. Der erste Beitrag stammt von mir und ist als Einführungs­ und Übersichtstext gedacht. Es geht hier zunächst um die Klärung grundlegender Begriffe, um die Formen der Gewalt und des Machtmiss­ brauchs, aber auch um deren Ursachen und mögliche Präventionsansätze. Der Text von Prof. Dr. Karl H. Beine thema­ tisiert die extremste Form der Gewalt an Schutzbefohlenen: die Tötung von Pati­ enten. Lange haben wir geglaubt und uns eingeredet, dass diese extreme Ausübung von Gewalt nur ganz vereinzelte Fälle von überforderten und frustrierten Kollegen sind. Doch die Realität sieht wohl etwas anders aus. Prof. Beine schildert einige Tö­ tungsserien weltweit und in Deutschland, der Fall Niels H. spielt dabei eine heraus­ ragende Rolle. Im weiteren Text werden Täterprofile und Motive he rausgearbeitet und letztendlich wird deutlich, dass „Per­ sönlichkeitseigenschaften und situative Gegebenheiten“ der gemeinsame Nährbo­ den für solche Gewaltexzesse sind. Umso wichtiger ist das Nachdenken über präven­ tive Maßnahmen. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Patiententötungen sei auf das in dieser Ausgabe besprochene Buch „Tatort Kran­ kenhaus“ von Beine und Turczynski hinge­ wiesen. Ich wünsche allen eine zum Nachdenken anregende Lektüre und verbleibe als Ihr Heiner Friesacher Herausgeber Lothar Ullrich (RbP) Münster Leiter der Weiterbildungs- stätte für Intensivpflege & Anästhesie und Pflege in der Onkologie am Univer- sitätsklinikum Münster, Mitbegründer, Heraus- geber und Schriftleiter intensiv und weitere Auto- ren- und Herausgeber- tätigkeiten im Bereich der Pflege, Mitglied zahlreicher Programm- und Experten- kommissionen bei nationa- len und internationalen Fachkongressen, Vorsitzen- der der Deutschen Gesell- schaft für Fachkranken- pflege und Funktionsdienste e. V. (DGF). E-Mail: lothar.ullrich@ ukmuenster.de Dr. Heiner Friesacher Langwedel (bei Bremen) Pflegewissenschaftler und Dipl. Berufspädagoge, freier Hochschuldozent an verschiedenen Universi- täten und Hochschulen. Gründungsherausgeber und Schriftleiter der Zeit- schrift intensiv. Diverse Publikationen in Fachzeit- schriften und Fach büchern. E-Mail: Heiner@ Friesachers.de Rita Hofheinz München Leiterin der Fachweiterbil- dung Intensivpflege und Anästhesie, Krankenschwe- ster für Intensivpflege und Anästhesie, zertifizierte Wundmanagerin, Lehrerin für Pflegeberufe, Kranken- hausbetriebswirtin, Klinikum der Universität München. E-Mail: rita.hofheinz@ med.uni-muenchen.de Jenny Wortha-Hoyer, MBA Berlin Stellvertretende Pflegedi- rektorin, Charité – Universitäts medizin Berlin. E-Mail: jenny.wortha- hoyer@charite.de www.thieme.de/intensiv intensiv X|16

Inhalt | Ausgabe Januar 2018 3 Intensivpflege 8 Wenn Betroffene zu Entscheidern werden 14 Unterstützung für Angehörige potenzieller Organspender Vom passiven zum aktiven Angehörigentelefonat Telefonate als wirksame Pflegeintervention 19 Wieder auf die Beine kommen 24 Umsetzung des Expertenstandards zur Frühmobilisation Schritt für Schritt Entwicklung eines Behandlungspfads zur Delirprophylaxe CNE Schwerpunkt – Gewalt auf Intensivstationen 30 Nur das Ende einer Spirale 38 Machtmissbrauch und Gewalt in der Intensivpflege Tatort Klinik Tötungsserien in deutschen Krankenhäusern Informationen 4 Einblick 6 Kolumne 7 Rechtsticker 46 Rundumblick 48 DGF-Mitteilungen 52 Vorschau · Impressum i Redaktion Christine Grützner, Kristin Schmidt-Sumera Autoren Francy Ballmann, Karl H. Beine, Michaela Brause, Heidi Günther, Isabell Heinicke, Carolin Keim, Daniel Kluger, Jürgen Maier, Paola Massarotto, Rahel Naef, Sandra Tewes, Irena Trcek, Tobias Weimer Für die DGF Susann Gebhardt, Dominik Zergiebel Artikel-Archiv Sie suchen einen Artikel aus einer älteren Ausgabe? Unter www.thieme-connect.de/products finden Sie alle Artikel ab 2001. CNE Fragebogen Den CNE Fragebogen für Abonnenten finden Sie ab sofort ausschließlich im Internet. Unter www.thieme-connect.de/products (→ intensiv → aktuelle Ausgabe → Fragebogen) können Sie ihn sich herunterladen. k c o t S e b o d A / e n g a m i y M i k c o t S e b o d A / o d u t s 2 a r i www.thieme.de/intensiv intensiv 1 | 18

Einblick 5 Bestnoten für Schlaganfall-Versorgung Bei Patienten, die einen Schlaganfall erleiden, wird bei besonders schwer betroffenen Fäl- len seit vielen Jahren ein hoch wirksames Verfahren angewendet: Bei der mechanischen Thrombektomie werden große Blutgerinnsel mit einem Mikrokatheter entfernt. Dabei wird ein Katheter von der Leiste aus bis an die verstopfte Stelle im Gehirn geschoben, wo er das Gerinnsel wie ein Drahtkäfig umschließt und es so herausgezogen werden kann. Schwere Behinderungen nach einem Schlaganfall lassen sich damit vermeiden. Den Eingriff führen sogenannte Neuro-Interventionalisten durch, Spezialisten bei der Be- handlung von Verengungen und Verschlüssen von Blutgefäßen in Gehirn und Rücken. 450 dieser Experten sind auf etwa 140 Standorte in Deutschland verteilt, was einer nahezu flächendeckenden Versorgung entspricht – damit liegt Deutschland im europäischen Ver- gleich an erster Stelle. 2016 wurden hierzulande etwa 7.000 mechanische Thrombektomien durchgeführt. Die Versorgungsstruktur soll trotz der Spitzenposition in den kommenden Jahren weiter ausge- baut werden, denn die Experten erwarten eine weitere Steigerung der Behandlungszahlen. Quelle: Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft k c o t S e b o d A / s y l b e a N Der TeleArzt kommt! Tarnung aufgeflogen Eine andere Lösung für eine bessere ärztliche Versorgung auf dem Land könnte der TeleArzt sein. Ein entsprechendes Konzept wurde im vergangenen Jahr mit dem Telematik Award 2017 ausgezeich- net. Mit technischen Hilfsmitteln soll dabei die räumliche Distanz zwischen Arzt und Patient faktisch eliminiert werden. Zur Entla- sung für den Arzt werden bestimmte Leistungen an eine speziell ausgebildete medizinische Versorgungsassistentin (MFA) delegiert. Welche Patienten die Tele-MFA besuchen soll, wählt der Arzt in der Praxis aus. Die Tele-MFA nimmt dann vor Ort die Vitaldaten des Pa- tienten auf und überträgt sie in die Arztpraxis, wo der Arzt sie be- funden kann. Bei Bedarf kann er sich über Videotelefonie zusätzlich mit MFA und Patient in Verbindung setzen – er wird also nur einge- schaltet, wenn er wirklich gebraucht wird. Mehr als 30 Krankenkas- sen, darunter nahezu alle Privatkassen, unterstützen das Projekt. Quelle: www.tele-arzt.com Krebszellen sind normalerweise so gut getarnt, dass die körperei- gene Abwehr sie nicht entdeckt und somit auch nicht bekämpfen kann. Nun haben Forscher einen Weg gefunden, die Tarnung der krankmachenden Zellen auffliegen zu lassen: Die für das Immun- system zuständigen T-Zellen werden im Labor gentechnisch so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und vernichten. Einziger Wermutstropfen: Die Nebenwirkungen der Therapie mit den so- genannten „chimären Antigenrezeptoren“ (CAR) sind sehr stark, weshalb sie bisher nur in den USA und bei seltenen Formen von Blutkrebs zugelassen ist und auch nur, wenn andere Optionen aus- geschöpft sind. Doch der vielversprechende Ansatz wird weiter verfolgt – bald können auch Patienten in Europa von der Therapie profitieren. Quelle: Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. Safran hellt die Stimmung auf Safran, das sind die Blütenfäden einer Krokusart, erlebt in pseudowissenschaftlichen wie auch in medi- zinischen Behandlungen gerade eine Renaissance. Aus früheren Studien weiß man um seine helfende Wirkung gegen depressive Symptome, wenn man Safran mit Curcumin kombiniert. Jetzt untersucht ein Team von Wissenschaftlern vom Institut für Ernährungswissenschaften im spanischen Madrid, ob ein reiner Safranextrakt mit den wirksamen Bestandteilen Crocin und Safranal ebenso stim- mungsverbessernd wirkt. Für die Studie wurden 128 Teilnehmer mit selbstberichteter depres- siver Stimmung vier Wochen lang zufallsverteilt mit hochdosiertem, weniger hochdosiertem Extrakt oder Placebo behandelt. Anschließend wurde u. a. der allgemeine Stimmungszu- stand ermittelt. Ergebnis: Die höchste Dosierung bewirkte eine Linderung der nega- tiven Stimmung, die niedrigere Dosierung brachte keinen Effekt. Da nur gesunde Teilnehmer befragt wurden und diese ihre Symptome selbst einschätzen sollten, ist die Studie in ihrer Aussage eingeschränkt. Das Ergebnis zeigt jedoch, dass der Safranextrakt allein möglicherweise auch bei leichteren depressiven Symptomen helfen und eventuell als Nahrungsergänzung unter- stützend auch bei stärkeren Depressionen die Beschwerden lindern könnte. Quelle: www.beilit.de k c o t S e b o d A / o d u t S a c i r f A i www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Viele bekannte Menschen sind gestorben. Das war immer ein bisschen traurig, aber am schlimmsten war für unsere Familie der Tod unseres Vaters im Januar 2017. Auf Station haben wir auch alle Höhen und Tiefen, die ein Stati­ onsleben zu bieten hat, mitgenommen. Von Überbelegung bis zur temporären Stationsschließung wegen Personalmangels. Die Stim- mung im Team reichte von himmelhoch jauchzend bis zu Tode be­ trübt. Wir haben einige neue Kollegen eingestellt, dafür aber auch Kollegen durch Elternzeit, Kündigung und Versetzungen verloren. Aber eine Besonderheit gab es doch. Eine Kollegin hatte im Sommer gekündigt. Sie wollte berufl iche Veränderung, eine neue Aufgabe und Herausforderung suchen. Sie hatte sich für eine In­ tensivstation in einem Haus der Maximalversorgung hier in Mün­ chen entschieden. Mit großer Vorfreude und Enthusiasmus ist sie am 1. Juli 2017 dort angetreten. Drei Monate später ist sie, um eine Erfahrung reicher und mit geknicktem Selbstbewusstsein, wieder zurück zu uns gekommen. Für uns natürlich ein großes Glück, aber ein Armutszeugnis für die andere Station. Apropos Armutszeugnis: die Gesundheitspolitik 2017! Seit dem 1.1.2017 gilt ja das Pfl egestärkungsgesetz mit seinen fünf Pfl egegraden. Gut. Dann wurde am 10.3. Cannabis als Schmerz- medikament gesetzlich freigegeben. Dieses sollte in Blüten oder als Extrakt für Schwerstkranke zur Verfügung stehen. Aber halt, nicht zu früh gefreut. Schon im Juli 2017 wurde ein Lieferengpass für medizinisches Cannabis gemeldet, gefolgt von einer Mahnung des Herrn Gröhe, dass er, ob der Verschreibung der schmerzlin­ dernden Pfl anze, darauf achten wird, dass das auch so abläuft, wie der Gesetzgeber sich das einst mal dachte. Übrigens, Hermann Gröhe ist gerade jetzt noch der für uns zu­ ständige Minister. Wer das bis jetzt noch nicht wusste – macht nichts, mit der neuen Regierung soll es ja einen neuen geben. An­ sonsten fällt mir nicht viel in Sachen Verbesserungen im Gesund­ heitswesen ein. Aber im Endspurt des Wahlkampfs und als die Prognosen schon bergab gingen hat ja der gemeine Politiker ver- sucht, sein Heil in der Pfl ege zu suchen. Zu spät, und selbst der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hatte erkannt, dass mit den Themen Gesundheit und Pfl ege keine Wahlen gewonnen werden können. Wer hätte das gedacht! Das Jahr 2017 war auch das Jahr der Pleiten. Von Air Berlin bis Boris Becker. Das Jahr der Skandale. Von Diesel bis Fipronil. Das Jahr der Trennungen. Da fällt mir gerade nur Heidi Klum ein. Und, skandalös: Birgit Schrowange hat graue Haare. Alles in allem kann ich nur hoff en, dass es 2018 besser wird. An mir soll es nicht liegen. Besonders optimistisch bin ich da für mei­ nen Hund Lotte, ist es doch nach dem chinesischen Horoskop das Jahr des Hundes. Nun hoff e ich, dass wir alle frohe Weihnachtstage verbracht ha- ben und gut in ein gesundes, glückliches und erfolgreiches neues Jahr gestartet sind. Das wird schon! Ihre Heidi Günther hguenther@schoen-kliniken.de www.thieme.de/intensiv Rechtsticker 7 Rechtsticker a i l o t o F _ x x o r f Implantation einer Radiuskopf prothese Das OLG Dresden urteilte, dass vor der Implan- tation einer Radiuskopfprothese nicht darüber aufzuklären ist, dass die Prothesengröße erst intraoperativ exakt bestimmt werden kann. Auch müssten die Ärzte eines Klinikums nicht darauf hinweisen, dass der Patient eine Spe- zialklinik für Ellenbogenverletzungen aufsu- chen kann. Allein der Umstand, dass die Im- plantation einer Radiuskopfprothese selten durchgeführt wird, rechtfertige nicht den Schluss, dass es den Behandlern an der ausreichenden Fachkompetenz gefehlt hätte – insbesondere dann nicht, wenn es in Deutschland keine Spezialkliniken für komplexe Ellenbogengelenksverletzungen gibt, so das OLG. Dies sei der Fall, wenn entsprechende Verletzungen, die eine Implantation notwendig machen, auch an sehr großen Kliniken üblicherweise lediglich vier- bis fünfmal im Jahr vorkommen. Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 09.05.2017 – 4 U 1491/16 Beraterhinweis: Übernehmen Ärzte eine Behandlung, für die ihnen die Fachkenntnis fehlt, so liegt ein Behandlungsfehler im Sinne eines Übernahmeverschuldens vor. Hierher gehört zunächst die grundsätzliche Pfl icht des Arztes, eine ärztliche Behandlung nur aufgrund hinreichender, allgemeiner und spe- zieller Fachkenntnisse vorzunehmen und sich durch ständige Weiterbildung auf seinem Fachgebiet auf dem wissenschaftlich neuesten Stand zu halten. Diagnoseirrtum bei Auswertung von Röntgenbildern Ein nicht zu vertretender reiner Diagnoseirrtum, aber kein Be- handlungsfehler liegt vor, wenn bei einer Röntgenuntersuchung eine winzige Aufhellung auf der linken Seite nur unter Berück- sichtigung der später gewonnenen Erkenntnisse zum Vorliegen eines tumorösen Geschehens bereits als entsprechender Hin- weis eingeordnet werden kann. Liegt ein Diagnoseirrtum vor, obliegt es nicht der Behandlungsseite nachzuweisen, dass sich die gestellte (unzutreff ende) Diagnose als in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde darstellt. Plausi- bilisiert ein medizinischer Sachverständiger seine eingehend begründete Beurteilung einer angegriff enen Diagnosestellung durch die „Erprobung“ seiner Bewertung durch die testweise Befundauswertung durch radiologische Institutsärzte, ist dies nicht zu beanstanden und kann bei der Beweiswürdigung fl an- kierend herangezogen werden. OLG Koblenz, Beschluss v. 20.02.2017 – 5 U 1349/16 Autor Dr. Tobias Weimer, M. A. Fachanwalt für Medizinrecht Master of Arts – Management v. Gesundheitseinrichtungen WEIMER I BORK – Kanzlei für Medizin- & Strafrecht Frielinghausstr. 8 44803 Bochum E-Mail: info@kanzlei-weimer-bork.de www.kanzlei-weimer-bork.de intensiv 1 | 18

Intensivpflege | Angehörigenbetreuung I 9 – Sandra Tewes, Michaela Brause – Dieser Beitrag möchte die Perspektive der Angehörigen von potenziellen Spendern in der akuten Entscheidungssituation näher beleuchten. Zudem wird aufgezeigt, wel­ che Unterstützungsmöglichkeiten sich im Hinblick auf die Betreuung der Angehöri­ gen in der Praxis ableiten lassen. Zahlen zum Transplantationsgesche- hen: Angehörige als Entscheider Seit 2012 gilt in Deutschland die Entschei­ dungslösung. Jeder Bundesbürger ist auf­ gefordert, eine Entscheidung zur Organ­ spende zu treffen und diese im Idealfall auch schriftlich zu dokumentieren.1 Aller­ dings spiegelt sich die mehrheitlich posi­ tive Einstellung der deutschen Bevölke­ rung zur Organspende nicht in schriftlich dokumentierten Zustimmungen wider. Während 81 % der Bevölkerung der Organ­ und Gewebespende prinzipiell positiv ge­ genüberstehen und 69 % der Befragten grundsätzlich bereit wären, im Falle ih­ res Todes Gewebe und Organe zu spenden, haben nur 36 % ihren Spendewunsch auch schriftlich fixiert.2 Im Jahr 2016 wurden der Deutschen Stiftung für Organtrans­ plantation (DSO) 1.213 Fälle potenzieller Spender gemeldet. In 916 Fällen wurde der Organspende zugestimmt und in 297 Fällen wurde die Organspende abgelehnt. Wie → Abb. 1 zeigt, basiert über die Hälf­ te der Organspendeentscheidungen auf dem mutmaßlichen Willen des Spenders bzw. dem Willen der Angehörigen.. Nur bei rund 16 % der möglichen Spender lag eine schriftlich fixierte Zustimmung vor.3 Wenn der Wille des Verstorbenen be­ züglich einer Organspende bekannt ist, kommt es häufiger zu einer stabilen Ent­ scheidung der Angehörigen.4 Eine stabi­ le Entscheidung, die im Nachhinein nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt wird, ist für die Angehörigen immens wichtig, denn sie müssen mit dieser Entscheidung ein Leben lang weiterleben.5 Deshalb ist es besonders wichtig, den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu ermitteln – wenn es eben geht. Hierfür werden bei­ spielsweise die geäußerten Einstellungen bzw. Erklärungen zur Organspende, per­ sönliche Wertvorstellungen oder religiöse Wünsche des Verstorbenen bei den nächs­ ten Angehörigen nachgefragt.1,6 Da aber 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % 12,3 % 44,5 % 26,7 % 16,4 % 35,0 % 28,3 % 32,3 % 4,4 % Schriftlicher Wille Mündlicher Wille Vermuteter Wille Angehörige Zustimmung 916 Fälle Fehlende Zustimmung 297 Fälle Abb. 1 Entscheidung zur Organspende 2016.3 in vielen Familien (58 %) das Thema Or­ ganspende überhaupt nicht angesprochen wird,7 können in manchen Fällen keine An­ haltspunkte für den mutmaßlichen Willen gefunden werden, sodass Angehörige die Organspendeentscheidung nach eigenen ethischen Maßstäben treffen müssen.8 Die Angehörigen befinden sich in einer äußerst schwierigen Ausgangslage: Sie sol­ len in einer emotionalen Ausnahmesitua­ tion im Sinne einer anderen Person über eine sehr persönliche Angelegenheit ent­ scheiden. lich psychisch belastet. Mitunter kommt es zu Traumatisierung und Folgeerkran­ kungen. Angst­ bzw. Depressionssympto­ me treten bei Angehörigen von ITS-Pati­ enten besonders häufig auf, und wenn der Patient verstirbt, steigt das Risiko, eine Depression zu entwickeln.11 Bei rund ei­ nem Drittel der Angehörigen kommt es zu posttraumatischen Stressreaktionen. Sind Angehörige zudem an einer End­of­Life­ Entscheidung beteiligt, so zeigen über 80 % posttraumatische Belastungssymp­ tome.12 Die emotionale Ausnahmesituation: Angehörige auf der Intensivstation Meist wird schon die Einlieferung eines Patienten auf die ITS von Angehörigen be­ gleitet. Sie warten vor der Tür, bis sie hi­ neingelassen werden. Im Patientenzim­ mer treffen sie auf ein kritisch erkranktes Familienmitglied, das an Schläuche und Maschinen angeschlossen ist. Was Ar­ beitsalltag für das Krankenhauspersonal ist, wirkt auf die Angehörigen bedroh­ lich und löst häufig große Ängste aus.9 Die Krisensituation des Patienten stürzt die Angehörigen in eine emotionale Aus­ nahmesituation. Hoffen und Bangen um das betroffene Familienmitglied prägen die Zeit auf der ITS und stehen in der Re­ gel außerhalb des normal kognitiven und gefühlsmäßigen Bezugsrahmens der An­ gehörigen, sodass ihre Wahrnehmung in dieser Situation häufig eingeschränkt ist.10 Die Angehörigen sind während des ITS-Aufenthalts als auch danach erheb­ Konfrontation mit dem Hirntod Die Zeit auf der Intensivstation wird von den meisten der Angehörigen als schmerz­ haft, verwirrend und traumatisierend insbesondere wenn das Ereig­ erlebt, nis plötzlich auf sie hereinbricht. Mit der ständigen Verschlechterung des Zustands des Patienten im Laufe des ITS-Aufent­ halts werden Angehörige zunehmend mit schlechten Nachrichten bis zur Überbrin­ gung der Todesnachricht konfrontiert.4 Eine besondere Form des Todes ist der Hirntod. Der Hirntod unterscheidet sich in seinem äußeren Erscheinungsbild vom biologischen Gesamttod des Menschen. To­ deszeichen wie Leichenblässe bzw. ­kälte und Ausbleiben der Atmung fehlen beim Verstorbenen. Der Verstorbene liegt, wie noch vor der Hirntoddiagnostik, warm, (vermeintlich) atmend und mit am Moni­ tor sichtbarer Herzfrequenz im Patienten­ bett.5 In der äußerlichen Wahrnehmung erscheint der Verstorbene eher lebendig www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Intensivpflege | Angehörigenbetreuung I 11 Psychosoziale Unterstützung wirkt wie ein Puffer gegen Stress und Belastungen10 und kann über unterschiedliche Wege angebo­ ten werden:23 ▬ Praktische Unterstützung kann durch das Bereitstellen praktischer Hilfen gewährleistet werden, wie z. B. Verzicht auf Besuchszeiten, Versor­ gung mit Speisen und Getränken, Aus­ ruhmöglichkeiten in einem gesonder­ ten Raum anbieten, evtl. Organisation von Übernachtungsmöglichkeiten, Einbeziehen der Angehörigen in die pflegerische Versorgung des Patienten, Einschalten des Sozialdienstes, um z. B. eine Haushaltshilfe zu organisieren. ▬ Emotionale Unterstützung vermittelt den Angehörigen Halt, Vertrauen und Stabilität. Sie wird durch eine akzep­ tierende und wertschätzende Grund­ haltung der Pflegenden vermittelt.24 Sie öffnet den Angehörigen die Tür, ihre Fragen zu stellen und ihre Sorgen sowie Gefühle frei zu äußern. Durch Respekt, Akzeptanz und Achtung den Angehörigen gegenüber kann eine positive Gesprächsatmosphäre entstehen, in der Vertrauen wachsen und Beziehungen aufgebaut werden können.24,25 ▬ Unterstützung durch Informationen ist ein zentrales Bedürfnis von Angehöri­ gen während des gesamten ITS-Aufent­ halts.12 Angehörige brauchen regel­ mäßige, klare und adressatengerechte Informationen über den Patienten- status. Damit das Team mit „einer Stimme spricht“,5 sollten zuständige Ärzte und betreuende Pflegekräfte die Angehörigengespräche zusammen füh­ ren.5 Die Installation von fest angesetz­ ten Angehörigenkonferenzen sichert die Informationswege zu den Angehö­ rigen und im ITS-Team.26 Für organ­ spezifische Fragestellungen sollte der Transplantationsbeauftragte oder der DSO­Koordinator an den Gesprächen beteiligt werden. ▬ Geistige Unterstützung kann durch die Akzeptanz der Werte und der Normen der betroffenen Angehörigen und durch eine individuelle und kultursen­ sible Betreuung gewährleistet werden. Im Bedarfsfall sollte ein entsprechen­ der Seelsorger eingeschaltet werden.27 k c o t S e b o d A / 1 k o d u s Die weitergeführten pflegerischen und technischen Maßnahmen sind für Angehörige oft schwierig zu verstehen. Unterstützung der Angehörigen bei der Trauerarbeit Beim Organspendegeschehen stehen oft im Vorder­ die Entscheidungsprozesse grund. Dabei wird zuweilen vergessen, dass die Angehörigen nicht nur Entschei­ der, sondern auch Trauernde sind. Deshalb ist ein wesentlicher Faktor in der Angehö­ rigenbegleitung, für die betroffene Fami­ lie Raum und Privatsphäre zu schaffen. Die Familie muss in Ruhe um den Verstorbe­ nen trauern und sich verabschieden kön­ nen.16 Trauerprozesse sind physiologische Antworten des Menschen, um mit ein­ schneidenden Verlusterlebnissen umzu­ gehen. Sie sind integraler Bestandteil des Lebens und weisen eine hohe Individua­ lität auf.28 Jeder Trauernde muss seinen individuellen und persönlichen Trauer­ weg finden und beschreiten, damit Trau­ er ihre Wirkung entfalten kann. Verlust­ gefühle können früh bereits während des Sterbeprozesses auftreten – genau genom­ men schon Stunden vor dem Tod –, setzen aber spätestens mit der Übermittlung der Todesnachricht ein. Die Trauereingangs­ bzw. die Auslösesituation hat dabei einen erheblichen Einfluss auf die anschließende Trauerbewältigung.28,29 Aus dem perimortalen Traueraufga­ benmodell von Lammer (2013) lassen sich praktische Handlungsmöglichkei­ ten für die Trauerbegleitung im Kranken­ haus ableiten und auf die Angehörigen von potenziellen Organspendern über­ tragen. Nach Lammers Konzept müssen erste Interventionen für einen gelingen­ den Trauerprozess schon im Krankenhaus angeboten werden, mit dem Ziel, Trau­ erprozesse zu initiieren und somit er­ schwerten Trauerprozessen vorzubeugen. Insbesondere sind die erste (Realisation) und zweite (Initiation) sowie die letzte Traueraufgabe (Evaluation) als Erstinter­ ventionen für das Setting Krankenhaus geeignet (→ Tab. 1).30 Den Verlust eines geliebten Menschen zu akzeptieren ist niemals leicht. Sich von einem geliebten Menschen zu verab­ schieden, bei dem der Hirntod diagnosti­ www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Intensivpfl ege | Angehörigenbetreuung I 13 [ ] Fazit Fazit Angehörige von potenziellen Organspendern befi nden sich in einer emotional schwierigen Situation, in der sie häufi g die Organ- Angehörige von potenziellen Organspendern befi nden sich in einer emotional schwierigen Situation, in der sie häufi g die Organ- spendeentscheidung für ihr verstorbenes Familienmitglied übernehmen müssen. Der Entscheidungsprozess erfordert eine intensive Begleitung vonseiten des Behandlungsteams, unabhängig davon, ob einer Organspende zugestimmt oder widersprochen wird. Die heraus- fordernde Entscheidungssituation darf jedoch nicht dazu führen, dass Angehörige nur noch als Entscheider wahrgenommen werden und nicht mehr als Betroff ene in einem Trauerprozess. Die Betreuung der Angehörigen beansprucht Zeit, die unter den Rahmenbedingungen auf der ITS, mit einer geringen Personalausstattung und einer immer höheren Arbeitsverdichtung,34 kaum vorhanden ist. Die Angehörigen müssen mit ihrer Entscheidung leben und nach der Frage zur Spendenbereitschaft gibt es keine Möglichkeit mehr, sich nicht zu entscheiden. Unter diesen Umständen müssen Bedingungen geschaff en werden, in denen Angehörige von potenziellen Organspen- dern angemessen in ihrer besonderen Situation, ihrer Trauer und bei der Organspendeentscheidung begleitet werden können. Wenn wir als Gesellschaft die Transplantationsmedizin unterstützen und an der → erweiterten Zustimmungslösung festhalten wollen, haben wir eine moralische Verpfl ichtung gegenüber den Organ- und Gewebespendern und ihren Angehörigen. Literatur 1 Transplantationsgesetz (TPG). Gesetzgebung. Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertra- gung von Organen und Geweben, 1997 (Fassung 15.7.2013). TPG, 1–25. Online unter www. gesetze-im-internet.de/bundesrecht/tpg/ gesamt.pdf, letzter Zugriff : 12.01.2015 2 Caille-Brillet AL, Schielke C, Stander V. Bericht zur Repräsentativstudie 2016 „Wissen, Einstellung und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Or- gan- und Gewebespende“. Köln: BZgA; 2017 3 Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Jahresbericht 2016. Organspende und Transplan- tationen. Frankfurt/Main: Deutsche Stiftung Or- gantransplantation; 2017 4 Kesselring A, Kainz M, Kiss A. Traumatic Memories of Relatives Regarding Brain Death for Organ Donation and Interactions with Profes- sionals in the ICU. Am J Transplant 2007, 7 (1): 211–217 5 Blaes AB, Mauer D. Betreuung der Angehörigen von Organspendern – Herausforderung für das Intensivpersonal. intensiv 2004, 12(6): 271–277 6 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). . München: Deut- scher Taschenbuch Verlag; 2010 7 Eurobarometer. Europeans and organ donation: Report, 2007. Online unter http://ec.europa.eu/ health/ph_threats/human_substance/ documents/ebs272d_en.pdf, letzter Zugriff 19.11.17 8 Wirges U, Smit H, Meyer S, Wilhelm W. Hirn- toddiagnostik und Organspende. In: Wilhelm W (Hrsg.). Praxis der Intensivmedizin. Konkret, kompakt, interdisziplinär. 2. Aufl . Berlin: Springer; 2013, S. 689–700 9 Geisler L. Feind, Freund oder Partner. Angehöri- ge im Krankenhaus. Dr. med. Mabuse 2007, 167: 23–26 10 Hausmann C. Psychologie und Kommunikation für Pfl egeberufe. 3. Aufl . Wien: Facultas; 2014 11 Pochard F, Darmon M, Fassier T et al. Symptoms of anxiety and depression in family members of intensive care unit patients before discharge or death. A prospective multicenter study. J Crit Care 2005, 20(1): 90–96 12 Azoulay E, Pochard F, Kentish-Barnes N et al. Risk of Post-traumatic Stress Symtoms in Family Mem- bers of the Intensive Care Unit Patients. Am J Res- pir Crit Care Med 2005, 171(9): 987–994 13 Hiemetzberger M. Zwischen Leben und Tod – Pfl egende als Grenzgänger. Eine Studie zur Pfl ege hirntoter Menschen. Wien: Facultas; 2006 14 Lloyd-Williams M, Morton J, Peters S. The end- of-life care experiences of relatives of brain dead intensive care patients. J Pain Symptom Manage 2009, 37(4): 659–664 15 Conrad J, Feuerhack M. Hirntod, Organtransplan- tation und Pfl ege. Wissenschaft Bd. 61. Frankfurt: Mabuse; 2002 16 Pearson A, Robertson-Malt S, Walsh K, Fitzgerald M. Intensive care nurses’ experiences of caring for brain dead organ donor patients. J Clin Nurs 2001, 10(1): 132–139 17 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) Leitlinien der DGP Sektion Pfl ege: Handeln nach dem Versterben. 2014. Online unter https:// www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/ Leitlinie_Versorgung_nach_dem_Versterben_ end.pdf, letzter Zugriff 08.06.2016 18 Forsberg A, Flodén A, Lennerling A et al. The core of after death care in relation to organ donation – a grounded theory study. Intensive Crit Care Nurs 2014, 30(5): 275–282 19 Berufsordnung Ärzte. (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel. 2011. On- line unter www.bundesaerztekammer.de/page. asp?his=1.100.1143, letzter Zugriff 01.06.2016 20 Baldinazzo S. Coping with relatives during end- of-life decisions. Eur J anaesthesiol Suppl 2008, 25(42): 164–166 21 Haslinger J. Organspender – der etwas andere Pa- tient. ProCare 2009, 14(1–2): 26–29 22 Koloroutis M. Professionelle Pfl egepraxis. In: Ko- loroutis M, Dingman S (Hrsg.). Beziehungsbasier- te Pfl ege. Ein Modell zur Veränderung der Pfl ege- praxis. Bern: Hans Huber; 2011, S. 105–134 23 Kaluza G. Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. 3. Aufl . Berlin: Springer; 2015 24 Stefanoni S, Alig B. Pfl egekommunikation. Ge- spräche im Pfl egeprozess. Bern: Hans Huber; 2009 25 Sander K, Ziebertz T. Personenzentrierte Bera- tung. Ein Lehrbuch für Ausbildung und Praxis. Weinheim: Juventa; 2010 26 Janssens U, Graf J. Angehörigenkonferenz. Inten- sivmedizin und Notfallmedizin 2010, 4 (1): 35–41 27 Mörz S. Trauerarbeit im kulturellen Kontext. In: Wehner L (Hrsg.). Empathische Trauerarbeit. Vienna: Springer; 2014, S. 54–61 28 Lammer K. Trauer verstehen. Berlin, Heidelberg: Springer; 2014 30 Lammer K. Den Tod begreifen: Neue Wege in der Trauerbegleitung. Neuenkirchen-Vluyn: Neu- kirchner Theologie; 2013 31 Moskopp D. Hirntod an der Schnittstelle zur Or gan- transplantation. 1. Aufl . Stuttgart: Thieme; 2015 32 Müller M, Brathuhn S, Schnegg M (Hrsg.). Hand- buch der Trauerbegegnung und -begleitung. Theorie und Praxis in Hospizarbeit und Palliative Care. 2. Aufl . Göttingen: Vandenhoeck & Rup- recht; 2014 33 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Regelung der Organspende in Deutsch- land. Informationen zur Organspende. 2016. Online unter https://www.organspende-info. de/sites/all/fi les/fi les/BZGA-15–02525_Flyer_ Entscheidungslo%CC%88sung_DE.pdf, letzter Zu- griff 18.01. 2016 34 Isfort M, Weidner F. (2012). Pfl ege-Thermometer 2012. Eine bundesweite Befragung von Leitungs- kräften zur Situation der Pfl ege und Patientenver- sorgung auf Intensivstationen im Krankenhaus. Deutsches Institut für angewandte Pfl egefor- schung e. V. Online unter www.dip.de/fi leadmin/ data/pdf/projekte/Pfl ege_Thermometer_2012. pdf, letzter Zugriff 03.06.2016 Autorinnen Sandra Tewes (M.A.) Krankenschwester, B.Sc. Pflege und Gesundheit, Schwerpunk Management, M.A. Berufspädagogik Pflege und The- rapie, zurzeit wissenschaftliche Mit- arbeiterin im Projekt „Pflege und Or- ganspende – Rollen und Aufgaben“ (PflO-RA) E-Mail: sandra.tewes@fh-bielefeld.de Prof. Dr. Michaela Brause Dr. PH, MPH, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Professorin für Gesundheits- wissenschaften an der FH Bielefeld, FB Wirtschaft und Gesundheit, Lehrein- heit Wirtschaft und Gesundheit Bibliografie 29 Schindler N, Schindler A, Vagts D. Psychologische Gesprächsführung – Das Überbringen „schlechter Nachrichten“ an Angehörige. AINS 2009, 44(10): 700–704 DOI 10.1055/s-0043-120857 Intensiv 2018 ; 26 : 8–13 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0942-6035 www.thieme.de/intensiv intensiv 1 | 18

Intensivpflege | Angehörigenbetreuung II 15 rige aktiv miteinbeziehen, andererseits sind ihre Ressourcen begrenzt und sollten der direkten Patientenbetreuung zugute­ kommen. Dabei unterschätzen sie oft den Kommunikationsbedarf der Angehörigen, was zu Spannungen und Misstrauen zwi­ schen den Angehörigen und dem Behand­ lungsteam führen kann.1 Um dem Informationsbedürfnis der An­ gehörigen und den knappen Zeitressour­ cen des Personals gerecht zu werden, er­ folgte 2009 die Einführung eines aktiven, pflegeinitiierten Angehörigentelefonats auf fünf der sechs Intensivstationen des Uni­ versitätsspitals Zürich (USZ). Dieses Ange­ bot richtet sich an die Hauptbezugsperson eines Patienten, um sie zu einem definier­ ten Zeitpunkt über den aktuellen Zustand zu informieren (→ Abb. 1). Die Uhrzeit des Telefonats ist frei wähl­ bar. Die Hauptbezugsperson informiert nach dem Anruf weitere Familienmitglie­ der. Dadurch reduziert sich die Zahl der Angehörigenanrufe auf der Intensivsta­ tion. Eine interne Befragung ergab, dass sich Angehörige durch das pflegeinitiier­ te Telefonat gut informiert fühlten und die Anzahl der Anrufe von Familienmit­ gliedern um zwei Drittel sank.4 Aufgrund dieser positiven Ergebnisse führte auch die Intensivstation Innere Medizin im Ja­ nuar 2016 das aktive Angehörigentelefo­ nat ein. Ziel Im Rahmen einer systematischen, qualita­ tiven Evaluation gingen wir den folgenden Fragen nach: ▬ Welchen Nutzen bringt das Angehö­ rigentelefonat aus Sicht des Behand­ lungsteams? ▬ Welche Herausforderungen erlebt das Behandlungsteam bei der Einführung des Angehörigentelefonats? ▬ Wie verändert sich für das Behand­ lungsteam die Angehörigenbetreuung durch das aktive Telefonat? Methode Im September 2016 führten wir drei se­ mistrukturierte Fokusgruppeninterviews mit 17 diplomierten Intensivpflegenden und Studierenden sowie drei Ärzten. Die Auswertung basierte auf der qua­ litativen Inhaltsanalyse.5 Fokusgruppen­ www.thieme.de/intensiv Struktur des Angehörigentelefonats Kreislauf, Atmung/Beatmung Neurologischer Zustand Zustand während der Nacht Veränderungen gegenüber dem Vortag Geplante Untersuchungen für den heutigen Tag Heutige Besuchszeit Abb. 1 Auszug aus dem Merkblatt für das Angehörigentelefonat (USZ, 2016). interviews eigneten sich, weil die Teil­ nehmenden sich untereinander über ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen konnten. Die Interviews dauerten zwi­ schen 20 und 30 Minuten. Wir zeichneten sie auf, transkribierten sie und anonymi­ sierten die Aussagen. Die qualitative Inhaltsanalyse um­ fasst drei Analysetechniken: Zusammen­ fassung, Strukturierung und Explikation. Bei der Zusammenfassung erfolgte zuerst eine Auslegeordnung pro Interviewgrup­ pe, um die Richtung der Analyse festzule­ gen. Dabei beachteten wir folgende Schrit­ te: Paraphrasierung, Generalisierung auf einem höheren Abstraktionsniveau und erste Reduktion durch Selektion. Im Rah­ men der Selektion wählten wir Textpas­ sagen in Bezug auf die Fragestellung aus, paraphrasierten sie und bündelten sie in weiteren Schritten. Bei der zweiten Re­ duktion stimmten wir die drei Interviews aufeinander ab und erarbeiteten ein Ka­ tegoriensystem. Durch induktive Kate­ gorienbildung fokussierten wir zentrale Aussagen in Bezug auf die Fragestellung. Hierbei reduzierten wir das Material in ei­ ner Weise, die es erlaubt, das Grundmate­ rial weiterhin abzubilden und wesentliche Interviewaussagen zu erhalten. Abschlie­ ßend überprüften wir die Ergebnisse an­ hand des Ausgangsmaterials.5 Ethische Aspekte Die Interviewteilnahme war freiwillig. Die Mitglieder des Behandlungsteams waren darüber informiert, dass sie ihre Teilnah­ me jederzeit zurückziehen können. For­ schungsethische Prinzipien fanden Be­ rücksichtigung. Da eine Evaluation nicht unter das Humanforschungsgesetz fällt, war kein Votum der Ethikkommission er­ forderlich. Ergebnisse Die Analyse ergab drei Kategorien mit un­ terschiedlichen Aspekten, die wir beispiel­ haft anhand von Zitaten verdeutlichen (→ Abb. 2). Auf einige dieser Aspekte ge­ hen wir im Folgenden vertieft ein. Nutzen des Angehörigentelefonats Die gezielte Kontaktaufnahme mit Ange­ hörigen und die Möglichkeit, das Telefonat zielgerichtet zu gestalten, beschrieben die Teilnehmenden aller drei Interviews als wichtig und wertvoll. Das Telefonat ermöglicht dem Behand­ lungsteam im Rahmen des Drei-Schicht- Betriebs, mit Angehörigen bereits im Vor­ feld ihres Besuchs auf der Intensivstation in Kontakt zu treten. Dies empfinden die Befragten als angenehm: „Ich empfand es als eine sympathische Begegnung. Ich hat- te bereits am Telefon mit ihr gesprochen und dann sahen wir uns am Nachmittag.“ (02_04) Pflegefachpersonen halten es für vor­ teilhaft, wenn sich Angehörige innerhalb ihrer Familie organisieren. Sie denken, dass es für die einzelnen Familienmitglie­ der entlastend ist, sich untereinander ab­ intensiv 1|18

Intensivpflege | Angehörigenbetreuung II 17 ruhigung sorgen kann: „(…) Dadurch hat- te ich das Gefühl, dass eine gewisse Ruhe in die Situation einkehrt – ja, trotz allem.“ (02_06) Kurz nach der Einführung des Telefo­ nats erhielt das Behandlungsteam ein po­ sitives Feedback von den Angehörigen. Das aktive Telefonat wirkte sich förderlich auf die Beziehung mit den Angehörigen aus. Mehrheitlich erlebten die Befragten die Einführung des Angehörigentelefonats als positiv: „(…) Ich habe von Angehörigen schon ein positives Feedback diesbezüglich erhalten. Sie finden das sehr wertvoll, aber wir selbst bekommen das relativ selten mit.“ (03_02) Herausforderungen in der inter­ professionellen Zusammenarbeit Der Gesundheitszustand der Patienten auf der Intensivstation kann sich schnell verändern. Deshalb ist es für das Behand­ lungsteam oftmals nicht möglich, konkre­ te Aussagen über den Verlauf der nächs­ ten Stunden zu treffen. Dadurch kann es zu widersprüchlichen Informationen kommen. Auskünfte korrigieren zu müs­ sen, weil sich die Patientensituation ver­ ändert hat, empfinden die Befragten als schwierig. Bei einigen löst dies Unbeha­ gen aus: „(…) Das fand ich extrem schwie- rig. Später riefen die Ärzte an: Es ist alles sehr schlecht, Sie müssen fast herkommen. Und zwei Stunden zuvor sagte ich, es sei al- les gut.“ (02_03) Das Angehörigentelefonat soll den In­ formationsprozess unterstützen. Auskünf­ te in Bezug auf den Zustand des Patienten erfolgen nur entsprechend den Kompeten­ zen. Im Behandlungsteam muss klar sein, wer welche Verantwortung trägt: „(…) Das ist zum Teil schwierig abzuschätzen, wie wir informieren sollen, damit wir auch wirklich alle das Gleiche sagen und nicht die Angehörigen von verschiedenen Seiten im- mer wieder etwas anderes hören, was dann eher wieder verunsichert.“ (03_02) Aus Sicht der Pflegefachpersonen soll­ ten Angehörige wissen, dass bestimmte Informationen aus rechtlichen Gründen nur durch den ärztlichen Dienst erfolgen können: „Ich sage immer: ,Es ist nicht mei- ne Kompetenz, Ihnen das zu sagen‘, wenn sie nochmals nachhaken. Und ich habe das Ge- fühl, es ist manchmal besser, wenn ich sage: Das ist nicht meine Kompetenz, das muss Ihnen der Arzt sagen.“ (01_05) Bestehen Fragen, deren Antwort nicht im Kompetenzbereich der Pflegefachper­ sonen liegt, können sie das Anliegen der Angehörigen dennoch aufnehmen und ein entsprechendes Gespräch organisie­ ren: „Ich kann Ihnen diese Information nicht geben. Sie kommen heute Nachmit- tag doch zu Besuch, dann organisiere ich Ihnen ein Gespräch mit dem Arzt.“ (01_07) Klare Kommunikation und Absprachen in­ nerhalb des Behandlungsteams sind so­ mit von enormer Bedeutung, wie ein Arzt verdeutlicht: „(…) Es kann auch sein, dass Angehörige bereits Informationen erhalten haben und ich mich dann fragte: Woher ha- ben sie die? Haben sie diese Informationen eventuell durch das Angehörigentelefonat erfahren?“ (03_01) Veränderungen im Tagesablauf Eine gute Vorbereitung ist wichtig, um das Angehörigentelefonat durchzuführen. Dazu gehört aus Sicht der Befragten, Infor­ mationen im Vorfeld zusammenzutragen. Auf eine angemessene und zielgruppenge­ rechte Sprache ist zu ebenfalls zu achten. Wie das Beratungsteam berichtet, verän­ dert sich durch das Telefonat der Tages­ ablauf auf der Station. Den Pflegefachper­ sonen ist es wichtig, die vereinbarte Zeit für das Angehörigentelefonat einzuhalten. Hohe Arbeitsintensität kann jedoch dazu führen, dass sich Telefonate verzögern. Im Einzelfall stellt sich zudem die Frage, ob der Zeitpunkt des Anrufes sinnvoll gewählt war. Findet das Angehörigentelefonat bei­ spielsweise vor der Visite statt, lässt sich nicht immer vorhersehen, ob am selben Tag noch weitere Untersuchungen anste­ hen. Deshalb ist es dem Behandlungsteam ein Anliegen, sinnvolle Zeitabsprachen mit den Angehörigen zu treffen: „(…) Ich fän- de es gut, wenn es gewisse Sperrzeiten gibt, in denen [ein Telefonat ] einfach ungünstig ist.“ (02_03) Die Angehörigen erhalten ein Merk­ blatt über das Angehörigentelefonat, auf dem auch die Anrufzeit notiert ist. Das Be­ handlungsteam ist sich uneinig, ob die­ se Informationen ausreichen: „Haben [die Angehörigen] das Merkblatt und wissen sie Bescheid? Oder haben sie es ihnen einfach mündlich gesagt: Wir rufen dann jeden Tag an, hier haben Sie die Nummer. Was wissen [die Angehörigen] überhaupt über dieses Te- lefonat?“ (02_06) Zudem war unklar, wie konsequent das Team die schriftlichen Informationen über das Telefonat den Angehörigen tatsäch­ lich aushändigt: „(…) Ich weiß nicht, ob es vielleicht nicht doch gut wäre, das Merk- blatt vermehrt abzugeben. Vielleicht ist dar- in auch erwähnt, dass sich die Situation auf Intensivstationen schnell verändern kann und es deshalb eine initiale Information ist, zu einer ganz bestimmten Zeit.“ (02_02) Den Aufwand des Angehörigentelefo­ nats nehmen die Teilnehmenden unter­ schiedlich wahr. Einige berichten einen zusätzlichen Aufwand: „(…) Meistens ist es ja am Morgen und man muss dann noch an etwas Zusätzliches denken.“ (02_01) Für andere hingegen stellt das Telefonat eine Intervention dar. Sie sehen darin kei­ nen Mehraufwand. Die Möglichkeit eines Anrufbeantwor­ ters kam in einem Interview zur Sprache. Eine Nachricht zu hinterlassen, führt zu Unsicherheiten und ist eine Hemmschwel­ le für Angehörige, insbesondere, wenn sie erstmals anrufen. Eine Pflegefachper­ son gibt zu bedenken: „Ich finde es posi- tiv, wenn du die richtige Nummer hast und weißt, mit wem du es zu tun hast – und du sicher weißt, du rufst die richtige Person an. Wenn du einen Anruf bekommst, weißt du manchmal nicht genau, wer am Telefon ist: Ist das wirklich jemand, dem du Auskunft geben darfst? Darum finde ich es rechtlich eigentlich nicht so schlecht, wenn du selbst anrufst und weißt, die Person, die du anru- fen möchtest, nimmt auch ab.“ (02_03) Schlussfolgerung und Empfehlun- gen für die Praxis Das Angehörigentelefonat hat sich als wichtige Intervention erwiesen, um die Beziehung zwischen Angehörigen und dem Behandlungsteam auf der Intensivsta­ tion zu fördern. Seit der Einführung erleb­ ten wir positive Veränderungen in Bezug auf die Informationsqualität, die interpro­ fessionelle Zusammenarbeit und den Kon­ takt mit den Angehörigen. Das Team kann gemeinsam mit den Angehörigen den Tagesverlauf gestalten, die Besuchszeiten individuell festlegen und so die Zeit bis zum Besuch überbrücken. Auch wichtige www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Intensivpflege | Frühmobilisation 19 Wieder auf die Beine kommen Umsetzung des Expertenstandards Für Patienten auf der Intensivstation hängt der Verlauf ihrer Genesung auch davon ab, wie schnell sie wieder in Bewegung kommen. Sobald es möglich ist, sollte mit der Frühmobilisierung begonnen werden. Das fordert auch der Expertenstandard, der in Teilen auf der Station des Autors auch schon durchgeführt wird. l l d e fi å B o v a a P Je früher, desto besser: In manchen Fällen kann bereits am zweiten postoperativen Tag mit dem Gehtraining begonnen werden. www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

tifizierten Probleme, Wünsche und Res­ sourcen an.“5 Dabei gilt es vor allen Dingen die Wün­ sche, Möglichkeiten und Ängste des Pa­ tienten wahrzunehmen und zu berück­ sichtigen. Auch muss der Patient über die Notwendigkeit der angestrebten Mobilisa­ tionsmaßnahmen informiert werden, um ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Patienten werden präoperativ über die Wochen nach der Herzoperation bezüglich der Mobilität, wie stehe ich auf, wie setzte ich mich, welche Bewegungen sollte ich vermeiden etc. aufgeklärt. Durch praktisches Üben der Maßnahmen bietet dies bessere Aussichten auf Akzeptanz der Bewegungsanweisungen als das reine Be­ ratungsgespräch bzw. Aushändigen von In­ formationsmaterial.6 Maßnahmenplan „Die Pflegefachkraft unterbreitet dem pfle­ gebedürftigen Menschen kontinuierlich Angebote zur Erhaltung und Förderung der Mobilität und führt die mit dem Pfle­ gebedürftigen vereinbarten Maßnahmen durch.“5 Sämtliche Körperfunktionen sind ab­ hängig von Bewegung, besonders die herz­ chirurgischen Patienten sind in ihrer Be­ wegungsfähigkeit aufgrund der medianen Sterniotomie sowie der Zu- und Ableitungen eingeschränkt. Innerhalb von 24 Stunden anhaltender Immobilität können patholo­ gische Veränderungen wie Muskelatrophie, Kreislaufdepression, Thromboseneigung und Atelektasen entstehen.7 Ein zusätzli­ ches Gefühl der Sicherheit und des Vertrau­ ens kann durch das Bobath-Konzept und die kinästhetische Bewegungslehre vermit­ telt werden. Mobilisation hat Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, die Atmung, die Orientierung und das allgemeine Wohl­ befinden sowie auf die Dauer des Kranken­ hausaufenthaltes8 und das Outcome.9 Bei beatmeten Patienten wird durch das tägliche passive Durchbewegen der Gelenke und das dreistündliche Lagern die Körperwahrnehmung gefördert und der Muskelatrophie vorgebeugt.7,10 Dabei sind eine lückenhafte Überwa­ chung und eine aufmerksame klinische Beobachtung des Patienten während der gesamten Mobilisationsphase überaus wichtig. www.thieme.de/intensiv Der Zustand des Patienten und seine Bedürfnisse sind ausschlaggebend für den Umfang der Mobilisierungsmaß- nahme, den die be- treuende Pflegekraft festlegt. l l d e fi å B o v a a P Fitness- und Bewegungsübungen Sämt­ liche Übungen, die eine Zug- oder Druck­ belastung auf das Brustbein ausüben, sind in den ersten sechs Wochen nach einer medianen Sterniotomie kontraproduktiv. Dies kann zu Wundheilungsstörungen so­ wie zum Ausriss der Drahtcerclagen und somit zu einer Sternuminstabilität führen. Deshalb ein klares Nein zu diesen Übun­ gen auf der Intensivstation. Eine endgül­ tige Belastung kann erst erfolgen, wenn das Sternum belastungsstabil ist und dies durch den behandelten Arzt ausgespro­ chen und diagnostiziert wurde. Spezielle Fitnessübungen, wie z. B. die Fahrrader­ gometrie, wären nach Entfernung der in­ vasiven Zugänge und mit mehr zeitlicher Ressourcen auf der Intensivstation durch­ aus möglich. Bei einem komplikationsfrei­ en Verlauf wird dies auf der Normalstation ab dem fünften postoperativen Tag ange­ boten. Transfer und Mobilitätsförderung im All- tag Das Erlernen des gesundheitsför­ derlichen Aufstehens aus dem Bett, das Sitzen an der Bettkante und/oder der Transfer in den Stuhl sind alltägliche Be­ wegungen, die bei postoperativen herz­ chirurgischen Patienten eine Möglichkeit zur Erhaltung und Förderung der Mobili­ tät bieten und sich in den Pflegealltag in­ tegrieren lassen.11 Übungen mit komplexen Bewegungsab- läufen Alle erwähnten Übungen im Ex­ pertenstandard mit komplexen Bewe­ gungsabläufen wie z. B. Tanzen, Tai Chi etc.12 lassen sich auf einer herzchirur­ gischen Intensivstation nicht umsetzen. Dies liegt zum einen noch an der invasi­ ven Überwachung und den Zu- und Ablei­ tungen, zum anderen an der eventuellen Schmerzproblematik nach einer frischen Sterniotomie. intensiv 1|18

Intensivpflege | Frühmobilisation 23 Tab. 1 ICU Mobility Scale.13 Stufe Beschreibung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Keine Mobilisierung Im Bett sitzen bzw. Übungen im Bett Passiv in einen Stuhl bewegen Auf der Bettkante sitzen Stehen vor dem Bett Aktiver Transfer in einen Stuhl Auf der Stelle gehen (zwei Schritte jedes Bein) Gehen mit zwei oder mehr Personen > 5 m Gehen mit einer Person > 5 m Gehen mit Hilfsmittel > 5 m 10 Unabhängiges Gehen trainiert. Nur so kann es zu einer erfolgrei­ chen Extubation mit positivem Einfluss auf den weiteren Genesungsprozess kommen. Schmerzmanagement „Unbehandelte oder nicht ausreichend be­ handelte Schmerzen können zu gravieren­ den Komplikationen führen, z. B. Pneumo­ nien, Kontrakturen und Dekubitalulzera, da durch den Schmerz beispielsweise eine adäquate Bewegung und das Durchatmen ggf. nicht möglich ist.“21 Schmerzen gehö­ ren wie Stress zu den typischen Sympto­ men, die bei einer Behandlung auftreten und das Behandlungsergebnis verschlech­ tern können.20 Die Schmerzintensität in Ruhe und bei Mobilisation soll mit vali­ dierten Instrumenten erfragt werden, da Bewegungen schmerzverstärkend wirken und das Risiko einer Immobilität erhö­ hen können. Eine geltende interdisziplinä­ re Verfahrensregelung mit Bezug auf das WHO- Stufenschema stellt die effektive medikamentöse Schmerztherapie sicher. Das Ziel sollte eine weitgehende Schmerz­ linderung sein, um dem Patienten uner­ trägliche Schmerzen bei der Mobilisation zu ersparen und damit er sich nicht gegen Bewegungen sperrt. Zusammenfassung Der Artikel stellt die Notwendigkeit der In­ terdisziplinären Zusammenarbeit auf ei­ ner herzchirurgischen Intensivstation dar, denn für ein autonomes Dasein ist Mobili­ tät unabdingbar. Der konsentierte Entwurf des Expertenstandards nach §113 a SGB XI Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege befindet sich seit 2015 in der modellhaften Implementierung, dessen Ergebnisse für Mitte 2016 erwartet wur­ den… Um Qualität in der Pflege zu sichern und weiterzuentwickeln ist es wichtig, be­ stehende Prozesse transparent zu machen, denn der Leistungserbringer ist zur Siche­ rung und Weiterentwicklung der Qualität gesetzlich verpflichtet. Literatur 1 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege. Osnabrück: Präambel zum Expertenstan- dard, Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege, 2016 2 Wasmund S. § 39 SGB V Krankenhausbehandlung; 2016. Online unter www.sozialgesetzbuch-sgb. de/sgbv/39.html, letzter Zugriff 14.03.2017 3 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. S2e Leitlinie Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Thera- pie von pulmonalen Funktionsstörungen. Früh- mobilisation, 2015 4 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Er- haltung und Förderung der Mobilität in der Pfle- ge. Osnabrück: Zusammenfassung und Schluss- folgerungen, 2014 5 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Er- haltung und Förderung der Mobilität in der Pfle- ge. Osnabrück: Expertenstandard Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege, 2014 6 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Er- haltung und Förderung der Mobilität in der Pfle- ge. Osnabrück: Kommentierungen der Standard- kriterien, 2014 7 Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M. Intensivpfle- ge und Anästhesie. Stuttgart, New York: Thieme; 2010 8 Tiziano C, Putzu A, Santambrogi L. Hemodynamic challenge to early mobilization after cardiac sur- gery: A pilot study. Annals of Cardiac Anaesthesia 2016; 19: 425–432 9 Green M, Marzano V, Leditschke I, Mitchell I et al. Mobilization of intensive care patients: a multi- disciplinary practical guide for clinicans. Journal of Multidisciplinary Healthcare 2016, 9: 247 10 Brahmbhatt N, Murugan R, Milbrandt E. Early mo- bilization improves functional outcomes in criti- cally ill patients. Critical Care 2010; 14: 1–2 11 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Er- haltung und Förderung der Mobilität in der Pfle- ge. Osnabrück: Transfer und Mobilitätsförderung im Alltag, 2014 12 Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege. Expertenstandard nach § 113a SGB XI Er- haltung und Förderung der Mobilität in der Pfle- ge. Osnabrück: Übungen mit komplexen Bewe- gungsabläufen, 2014 13 Nydahl P, Dubb R, Filipoviy S. et al. Algorithmen und Checklisten unterstützen Frühmobilisierung. PflegenIntensiv 13; 4: 16–17 14 Wasmund S. § 135a SGB V Verpflichtung der Leis- tungserbringer zur Qualitätssicherung; 2016. Online unter www.sozialgesetzbuch-sgb.de/ sgbv/135a.html, letzter Zugriff 01.04.2017 15 Bailey P, Thomsen G, Vicky J et al. Early activit is feasible and safe in respiratory failure patients. Critical Care Medicine 2007; 35: 139–145 16 Morris P, Goad A, Thompson C et al. Early inten- sive care unit mobility therapy in the treatment of acute respiratory failure. Critical Care Medicine 2008; 36: 2238–2243 17 Müller S. Physiotherapie auf Intensivstationen. Therapiekonzept zur Frühmobilisierung. Online unter www.frühmobilisierung.de/ Fruehmobilisierung/News/Eintraege/2011/5/26_ Physiotherapie__ein_Baustein_zur_ Fruhmobilisierung_files/Poster%20Physiothera peutisches%20Konzept.pdf, letzter Zugriff 24.03.2017 18 Dembinski R. Entwöhnung von der Beatmung. In- tensivmedizin up2date 2012; 1: 11 19 Dembinski R. Entwöhnung von der Beatmung. In- tensivmedizin up2date 2012; 1: 14 20 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. Monitoring von Analgesie, Sedierung, Delir, Stress, Angst und Schlaf. S3 Leit- linie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin, 2015 21 Knipfer E, Kochs E. Schmerzwahrnehmung und -therapie. Klinikleitfaden Intensivpflege 2008, 4: 556 Autor Daniel Kluger Fachkrankenpfleger für Anästhesie- und Intensivpflege. E-Mail: dfkluger@gmail.com Bibliografie DOI 10.1055/s-0043-120861 Intensiv 2018; 26: 19–23 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0942-6035 www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Intensivpflege | Delir 25 hirnorganisches Syndrom, das mit gleich­ zeitig bestehenden Störungen des Be­ wusstseins, der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Ge­ dächtnisses, der Psychomotorik, der Emo­ tionalität und des Schlaf­wach­Rhythmus einhergeht4 (→ Tab. 1). Das Delir ist kein ei­ genständiges Krankheitsbild, sondern tritt im Rahmen vielfältiger Erkrankungen auf. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesi­ ologie und Intensivmedizin (DGAI) sowie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv­ und Notfallmedizin (DIVI) be­ schreiben in ihren Ausführungen zu den 2015 erschienenen Leitlinien bezüglich des Delirmanagements den Umfang der Ri­ sikofaktoren. Diese sind breit gestreut und reichen von Komorbiditäten, einem vorbe­ stehenden kognitiven Defizit, chronischen Schmerzen und der Schwere einer Erkran­ kung über vorbestehende Immobilität, operative Eingriffe, anticholinerge Medika­ tion bis hin zum Einsatz von Benzodiazepi­ nen, der Tiefe und Dauer einer Sedierung, maschineller Beatmung, Intubation sowie psychologischen, sozialen und iatrogenen Faktoren und Umwelteinflüssen.5 Es ist in jedem Fall als potenziell lebensbedrohli­ cher Zustand zu bewerten.7 Die Prävalenz bei intensivstationär behandelten Patien­ ten liegt zwischen 30 % und 80 %, beatme­ te Patienten gelten am gefährdetsten (zwi­ schen 60 % und 80 %). Das Auftreten eines interkurrenten Delirs erhöht – unabhän­ gig von der Schwere der Grunderkrankung, des Alters und des Geschlechts – die Mor­ talität und Morbidität des Betroffenen.6 Zusammenfassend ist demnach jeder Pati­ ent auf einer Intensivstation als potenziell delirgefährdet einzuschätzen. Neben einer Kostensteigerung, die be­ dingt durch die Erhöhung des pflegeri­ schen und ärztlichen Aufwands entsteht, sind nachfolgende Komplikationen des Delirs bekannt: Eine Verlängerung der Liegedauer, Störungen des Heilungsver­ laufs, eine Erhöhung des Rehabilitations­ aufwands, eine erhöhte Selbstgefährdung des Patienten (durch akzidentelle Extuba­ tion, Stürze, Weglauftendenz) sowie eine mögliche Fremdgefährdung (durch unge­ steuerte Aggressionen), Lagerungsschä­ den, Aspiration und Pneumonien. Ergänzt werden diese durch eine erhöhte Leta­ lität (das Auftreten eines Delirs verdrei­ Tab. 1 Formen des Delirs (eigene Darstellung in Anlehnung an6). Bezeichnung Charakter Hyperaktives Delir Angst, Verkennung, psychomotorische Unruhe, Wahn, Wut, Agitiert- heit, häufig vegetative Symptome Hypoaktives Delir Interessenarmut, Affektarmut, Rückzugstendenzen, Apathie, fehlende Kontaktaufnahme, reduzierte Bewegung, selten vegetative Symptome Gemischtes Delir Rascher Wechsel zwischen hyper- und hypoaktiver Form Tab. 2 Behavioral Pain Scale (BPS) und Behavioral Pain Scale – not intubated (BPS-NI; eigene Darstellung in Anlehnung an DGAI). Item Beschreibung Punkte Gesichtsausdruck Entspannt Teilweise angespannt Stark angespannt Grimassieren Obere Extremität Keine Bewegung Teilweise Bewegung Anziehen mit Bewegung der Finger Ständiges Anziehen Adaption an das Beat- mungsgerät (BPS) Beatmung wird gut toleriert Seltenes Husten Kämpfen mit dem Beatmungsgerät Kontrollierte Beatmung nicht möglich Verbaler Ausdruck (BPS-NI) Keine verbale Äußerung von Schmerzen Seltenes Jammern/Stöhnen Häufiges Jammern/Stöhnen Weinen (verbale Schmerzäußerung, Luft anhalten) 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4 facht die Sechs­Monats­Mortalität), eine erschwerte Beatmungsentwöhnung sowie bleibende körperliche und kognitive Ein­ schränkungen.6 Verschlechterte kognitive Leistungen bestehen häufig noch ein Jahr nach der Entlassung des Betroffenen von der Intensivstation.8 Etwa zwei Drittel al­ ler deliranten Syndrome werden ohne ein gezieltes Screening nicht korrekt identifi­ ziert. Besonders hypoaktive Delirzustände sind schwerer zu erkennen als die hyper­ aktive oder gemischte Form. Dabei stehen für die klinische Routine bereits valide und reliable Delirscreening­Instrumente www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Intensivpflege | Delir 27 Ein Delir liegt vor, wenn: 1, 2 und 3 oder 1, 2 und 4 positiv 1. Psychische Veränderungen Akuter Beginn (im Vergleich zu prä-OP) Ändert sich das Verhalten im Tagesverlauf? Ja 2. Aufmerksamkeitsstörungen „Drücken Sie meine Hand, wenn der Buchstabe „A“ gesagt wird Lesen Sie einzeln folgende Buchstaben vor: A N A N A S B A U M Fehler: Pat. drückt beim „A“ nicht die Hand Fehler: Pat. drückt bei einem anderen Buchstaben als „A“ > 3 Fehler 3. Bewusstseinsveränderung („aktueller“ RASS) Falls RASS = 0, weiter zur nächsten Stufe RASS = 0 4. Unorganisiertes Denken: – Schwimmt ein Stein auf dem Wasser? (Schwimmt ein Boot auf dem Wasser?) – Gibt es Fische im Meer? (Gibt es Elefanten im Meer?) – Wiegt ein Kilo mehr als zwei Kilo? (Wiegen zwei Kilo mehr als ein Kilo?) – Kann man mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlagen? (Kann man mit einem Hammer Holz sägen?) 5. Anweisung: „Halten Sie so viele Finger hoch“ (Untersucher hält zwei Finger hoch) „Nun machen Sie dasselbe mit der anderen Hand“ (Wiederholen Sie nicht die Anzahl der Finger) Abb. 2 Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit (CAM-ICU). Nein Stop Kein Delir 1 oder 2 Fehler Stop Kein Delir Falls RASS nicht 0 Delir 2 Fehler und mehr Delir Max. 1 Fehler Stop Kein Delir Null ergibt, kann jedoch von einem De­ lir ausgegangen werden. Zeigt sich der Patient allerdings wach und ruhig, wird die CAM-ICU weiter getestet. Die Pfle­ gekraft oder der Arzt stellen Fragen zum unorganisierten Denken. Werden auch hier wieder mindestens zwei Fehler ge­ macht, muss von einem Delir gesprochen werden. Wird dieser Test ohne Fehler be­ standen, wird der Patient aufgefordert, Anweisungen nachzukommen. Ein Pati­ ent gilt als nicht delirant, wenn maximal ein Fehler gemacht wird. Ein Delir wurde jedoch detektiert, wenn zwei Fehler un­ terlaufen sind. Der Zeitaufwand für die Durchführung des CAM­ICU beträgt le­ diglich 50 Sekunden, erfordert jedoch eine ausgiebige Schulung der durchfüh­ renden Pflegekräfte und Ärzte.12 www.thieme.de/intensiv Ein Behandlungspfad Ziel war es, einen Behandlungspfad für po­ tenziell delirgefährdete Patienten auf einer Intensivstation zu erarbeiten (→ Abb. 3) und die eben beschriebenen Assessment­ Instrumente in eine geeignete zeitliche Abfolge zu bringen. Das folgende Beispiel wurde für eine internistische Intensiv­ station am Universitätsklinikum Erlan­ gen entwickelt. Um eine Umsetzung auf der Station zu ermöglichen, wurde bereits im Vorfeld eine Arbeitsgruppe aus Pfle­ gefachkräften und Ärzten der Station ge­ bildet. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sollten als Ansprechpartner für auftreten­ de Fragen der Mitarbeiter fungieren. Die Auswahl der Screeningtools wurde in der Arbeitsgruppe diskutiert und versuchs­ weise in der Praxis angewandt. Aufgrund der Handhabung, Validität und Reabilität wurden folgende Assessmentinstrumen­ te aus den Empfehlungen der S3­Leitlinie gewählt: RASS, BPS und BPS­NI, CAM­ICU. Des Weiteren wurden Fortbildungen zu den Assessmentinstrumenten angeboten, um eine Sicherheit im Umgang mit den Screening­Tools aufzubauen. Der sechsstündige Anwendungsrhyth­ mus wurde gewählt, um das Durchführen des Pfads an weitere festgelegte Maßnah­ men auf Station zu koppeln. Dies sollte die Anwendung vereinfachen. Die Mitarbeiter wurden zudem aufgefordert, den Behand­ lungspfad bei Veränderungen der Vigilanz der Patienten abzuarbeiten, auch wenn sechs Stunden noch nicht vergangen wa­ ren. So können rechtzeitig Veränderungen am Patienten festgestellt werden. intensiv 1|18

Intensivpflege | Delir 29 Detaillierter Ablauf des Pfads Mit Aufnahme eines Patienten auf die In­ tensivstation gilt dieser automatisch wie eingangs erwähnt als delirgefährdet. Aus diesem Grund sollte unmittelbar nach der Aufnahme oder zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit dem Behandlungspfad be­ gonnen werden. Zu Beginn wird die Vigilanz des Pa­ tienten beurteilt. Dies erfolgt mittels RASS. Weist die RASS einen Wert von ­4 oder ­5 auf, so ist ein Delirscreening zu diesem Zeitpunkt nicht durchführbar. Die Sedierung des Patienten ist in diesem Falle zu tief und muss auf ärztliche Anordnung hin optimiert werden. Eine erneute Ein­ schätzung der Vigilanz erfolgt nach weite­ ren sechs Stunden. Ist das Ergebnis der RASS größer oder gleich ­3, müssen vor der Schmerzerfassung noch Ausschlusskriterien überprüft wer­ den. Bestehen ein Narkoseüberhang, eine Kommunikationseinschränkung oder eine mangelnde Kooperationsbereitschaft des Patienten, dann muss diesen Faktoren zu­ nächst geeignet begegnet werden, da sonst ebenfalls kein Delirscreening möglich ist. Des Weiteren ist in Erfahrung zu bringen, ob aufgrund von sprachlichen Barrieren der Einsatz eines Dolmetschers erforderlich ist. Im nächsten Schritt erfolgt die Schmerzeinschätzung des Patienten. Ist der Patient intubiert, erfolgt die Schmerz­ erfassung mittels BPS-NI. Andernfalls fin­ det die BPS Anwendung. Ist das Ergebnis der Beurteilung größer 5, ist eine Anpas­ sung der Schmerztherapie notwendig. An­ schließend findet nach sechs Stunden er­ neut eine Vigilanzbeurteilung statt, sodass der Behandlungspfad wieder vom Start­ punkt aus begonnen wird. Ist das Ergebnis der Schmerzerfassung kleiner 6, kann mit dem Delir­Monito­ ring mittels CAM­ICU begonnen werden. Fällt dieses negativ aus, sollte eine Delir­ Diagnos tik erfolgen. Gleichzeitig werden nicht­pharmakologische und medikamen­ töse Therapiemaßnahmen ergriffen. In ei­ nem Rhythmus von sechs Stunden wird mit dem Behandlungspfad erneut begonnen. Fällt der CAM­ICU positiv aus, kann auf eine Delir­Diagnostik und pharmakologi­ sche Therapie verzichtet werden. Dennoch werden nicht­pharmakologische Maßnah­ men zur Delirprävention angewandt. Der Behandlungspfad wird so lange wiederholt, bis der Patient die Intensiv­ station verlässt. Die Vorgaben des Behand­ lungspfads wurden der Arbeitsorganisati­ on der Pilot­Intensivstation angepasst, um eine größtmögliche Akzeptanz und An­ wendungsgewährleistung zu erreichen. Ausblick Die festgelegte Reihenfolge der Screening­ tools scheint eine Erleichterung für die Mitarbeiter einer Intensivstation zu sein. Einzelne Schritte zur Detektion eines De­ lirs werden nicht vergessen, da ein ein­ heitliches Vorgehen festgelegt ist. Auf­ grund der kurzen Beobachtungszeit kann abschließend noch nicht festgestellt wer­ den, ob sich die Zahl der detektierten De­ lirien verändert hat. Des Weiteren kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob durch nicht­medikamentöse Maß­ nahmen das Auftreten des Delirs verhin­ dert bzw. die Schwere reduziert werden konnte, da hierzu eine gesonderte Studie durchgeführt werden muss. Festzuhalten ist jedoch bereits jetzt, dass durch die An­ wendung des Behandlungspfads dem Syn­ drom Delir eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteilwird. Wünschenswert sind weitere Maßnahmen, um Patienten individuell be­ treuen zu können, wie beispielsweise das Führen eines Intensivtagebuchs oder eines Biografiebogens. Literatur 1 Roeder N. Definition klinischer Behandlungspfa- de. In: Roeder N, Küttner T (Hrsg.). Klinische Be- handlungspfade: mit Standards erfolgreich arbei- ten. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2007, S. 19–23 2 Kahla-Witzsch HA. Praxiswissen Qualitätsma- nagement im Krankenhaus: Hilfen zur Vorberei- tung und Umsetzung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; 2009 3 Küttner T, Hülsemann J, Lakomek H, Roeder N. Klinische Behandlungspfade in der Inneren Medi- zin: Am Beispiel der akut-stationären Rheumato- logie. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2007 4 DIMDI – Deutsches Institut für medizinische Doku- mentation und Information. Kapitel V. Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99); 2016. Online unter https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd- 10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2016/ block-f00-f09.htm, letzter Zugriff 23.04.2017 5 DGAI – Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin; DIVI – Deutsche Interdiszi- plinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfall- medizin. S3-Leitlinie: Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin; 2015a. Online unter www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/001–012p_S3_Analgesie_ Sedierung_Delirmanagement_Intensivmedizin_ 2015–08_01.pdf, letzter Zugriff 23.04.2017 6 Hansen HC, Förstl H. Qualitative Bewusstseins- störungen. In: Hansen HC (Hrsg.). Bewusstseins- störungen und Enzephalopathien: Diagnose, Therapie, Prognose. Berlin, Heidelberg: Springer- Medizin; 2013, S. 18–28 7 Adelt I. Delir und psychiatrische Störungen. In: Wilhelm W (Hrsg.). Praxis der Intensivmedizin: konkret, kompakt, interdisziplinär. Berlin, Heidel- berg: SpringerMedizin; 2013, S. 679–687 8 Pandharipande P, Girard T, Jackson J et al. Long- term cognitive impairment after critical illness. The New England journal of medicine 2013, 201(369): 6–16 9 Chanques G, Jaber S, Barbotte E et al. Impact of systematic evaluation of pain and agitation in an intensive care unit. Critical care medicine 2006, 34(6): 1691–1699 10 Sessler C, Gosnell M, Grap M et al. The Richmond Agitation-Sedation Scale – Validity and Reliability in Adult Intensiv Care Unit Patients; 2002. On- line unter www.atsjournals.org/doi/full/10.1164/ rccm.2107138#readcube-epdf, letzter Zugriff 23.04.2017 11 Fresenius M, Heck M. Repetitorium Intensivme- dizin – Vorbereitung auf die Prüfung „Intensiv- medizin“. 4. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 2011 12 Hasemann W, Schmid R, Rohrbach E, Verloo H. Assessment. In: Savaskan E, Hasemann W (Hrsg.). Leitlinie Delir – Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter. Bern: Hogrefe; 2017, S. 104–116 Autorinnen Isabell Heinicke Fachkrankenpflegerin für Intensivpflege und Anästhesie am Universitätsklinikum Erlangen, arbeitet auf der Intensivstation der Medizin I M1-BU-1, Praxisanleiterin. Cand. B. A. Pflegemanagement Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft. E-Mail: Isabell.Heinicke@uk-erlangen.de Francy Ballmann Gesundheits- und Krankenpflegerin im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Rodewisch, arbeitet auf der Station für Gerontopsychiatrie B4/1. Cand. B. A. Pflegemanagement Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft. Irena Trcek Fachkrankenpflegerin für Intermediate Care im Krankenhaus Neuenbürg, arbeitet auf der IMC-Station. Cand. B. A. Pflege- management Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft. Bibliografie DOI 10.1055/s-0043-120863 Intensiv 2018; 26: 24–29 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0942-6035 www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 31 – Heiner Friesacher – Bevor wir uns dem Phänomen des Machtmissbrauchs und der Ge­ walt in der Pflege annähern, müssen zunächst einige zentrale Be­ griffe geklärt werden. Eine berühmte Definition von Macht lautet: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“1 Diese Definition des So­ ziologen Max Weber lässt viel Spielraum, da es diverse Möglich­ keiten eines Menschen gibt und viele verschiedene Situationen, in denen der eigene Wille gegen den Willen eines anderen durchge­ setzt werden kann. Der französische Philosoph Michel Foucault, der sich über viele Jahrzehnte mit einer Analytik der Macht be­ schäftigt hat, vermeidet es über weite Strecken in seinen Arbei­ ten, den Begriff der Macht näher zu definieren, ihn theoretisch zu objektivieren. Nur gelegentlich findet sich bei Foucault eine nä­ here Umschreibung von Macht, wie „Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in un­ aufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftver­ hältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutio­ nelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetz­ gebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern“.2 Die moderne Macht richtet sich nach Foucault auf die Manipula­ tion des Körpers und die Einstellungen und Überzeugungen des einzelnen Individuums. Die Technologien zur Internalisierung be­ stimmter Verhaltensweisen bezeichnet Foucault als Disziplinen. Hierzu zählen bis ins Kleinste geregelte Zeiteinteilungen, Kon- trolle der Sitzweisen und Haltungen und eine entsprechende Ar­ chitektur und Raumaufteilung. Foucaults Verständnis von Macht wird vielfach auch für die Analyse in der Pflege und Intensivpfle­ ge rezipiert.3–5 Abzugrenzen von dem Begriff der Macht ist der Begriff der Herrschaft. Dieser wird als Spezialfall von Macht angesehen und meint eine institutionalisierte Macht oder ein „institutionalisier­ tes Dauerverhältnis der Machtausübung“, oftmals gekennzeich­ net durch zunehmende Entpersönlichung und Formalisierung. Macht orientiert sich hier vermehrt an feststehenden Regeln und Verfahrensweisen.6 Ein Aspekt, der auch die Arbeit im Kranken­ haus kennzeichnet. Von den Begriffen Macht und Herrschaft sind die Begriffe Ag­ gression und Gewalt abzugrenzen. Aggression bedeutet zunächst ein Herangehen, ist somit etwas Aktives. Dieses Aktivsein kann sich in verschiedenen Formen zeigen, als Kraft und Neugier, oftmals aber eben als negatives Gefühl (Wut, Zorn, Hass) in Form von ver­ baler Aggression bis hin zur physischen Gewalt.7,8 Aggression ist in jedem Menschen vorhanden. Erklärungen liefern dafür z. B. die (nicht unumstrittene) Triebtheorie, wonach Aggression ein nor­ maler, angeborener Trieb ist, oder die Frustrations-Aggressions- Hypothese, wonach Aggression die Reaktion auf frustrierende Er­ eignisse darstellt. Aber auch das Modelllernen, d. h. Imitation und Nachahmung eines aggressiven Verhaltens (besonders, wenn die­ se bei einer in der Hierarchie höherstehenden Person beobach­ tet wird), kann als Erklärung für aggressives Verhalten herangezo­ gen werden.8 Beim Begriff der Gewalt gibt es viele Versuche einer Definition, so ist nach Zimbardo9 Gewalt eine extreme und sozial nicht akzeptable Form von Aggression. Eine in der Pflege viel be­ achtete Definition stammt von Dieck und lautet: Gewalt ist „… eine systematische, nicht einmalige Handlung oder Unterlassung mit dem Ergebnis einer ausgeprägt negativen Einwirkung auf die Befindlichkeit des Adressaten. Eine einmalige Handlung/Unterlas­ sung muss sehr gravierende Negativfolgen für den Adressaten ha­ ben, soll sie unter den Begriff der Gewalt subsumiert werden kön­ nen.“10 Hirsch definiert in Anlehnung an Galtung den Begriff der Gewalt als „eine Handlung oder Drohung […], die grundlegende menschliche Bedürfnisse (Wohlbefinden, Überleben, persönliche Identität und Freiheit) beeinträchtigt, einschränkt oder deren Be­ friedigung verhindert“.11 Die Definition von Dieck betont die ne­ gativen Folgen für die betroffene Person, ihr Gewaltbegriff ist en­ ger und an Interaktion zwischen Personen gebunden, während Hirsch die Nichterfüllung von Bedürfnissen im Vordergrund sieht und den Gewaltbegriff erweitert. So vielfältig der Gewaltbegriff ist, so viele verschiedene Theo­ rieansätze gibt es. Diese können hier nicht weiter vertieft werden, verwiesen sei auf den Band „Theorien der Gewalt“ von Beck und Schlichte.12 Pflegehandeln, Machtmissbrauch und Gewalt – wie passt das zusammen? Überall da, wo Menschen handeln und andere von diesem Han­ deln betroffen oder sogar abhängig sind, spielen Fragen der Macht und Herrschaft, des Missbrauchs und der Gewalt eine Rolle. Zu handeln bedeutet ja, einen Zustand oder eine Situation zu verän­ dern. Durch unser Handeln greifen wir in die Welt ein und damit ist Handeln immer auch logisch mit Macht verknüpft. Der eng­ lische Soziologe Anthony Giddens behauptet sogar, dass der Ge­ brauch von Macht typisch ist für jegliches Handeln.13 Das gilt dann auch für pflegerisches Handeln. Aber ist das nicht ein Widerspruch? Denn die Pflege ist doch stark eingeschränkt in ihren Handlungen und zu weiten Teilen auch immer noch fremd­ bestimmt durch medizinische Abläufe und ökonomische Zwän­ ge. Die scheinbare Machtlosigkeit entpuppt sich aber als durchaus zwiespältig. So besitzen Pflegende ▬ „Disziplinar-Macht“ zur Durchsetzung der Anpassung an die Institution Krankenhaus, ▬ „Therapie-Macht“ zur Kontrolle und Sicherung des Gesund­ heitszustands, ▬ „Allokations-Macht“ zur Verteilung von Ressourcen der Menschlichkeit und eine ▬ „Deutungs-Macht“, die sich aus dem Wissen und der Erfah­ rung ergibt und zur Erklärung des medizinischen Vorgehens beiträgt.14 Pflege erweist sich also durchaus als mächtige Berufsgruppe, die sich zumindest gegenüber den ihr anvertrauten Patienten in einer machtvollen Position befindet. Macht muss aber nicht per se negativ besetzt sein. Schon Fou­ cault2 sieht die Macht als etwas Dynamisches und Produktives, nicht www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 33 k c o t S e b o d A / e n g a m i y M i Auch das Unterlassen von Hilfe oder die bewusste Vernachlässigung von Patienten sind Formen von Gewalt. lichen Kern von Galtungs Begriff. Schwerer wiegt aber die Kritik, dass der Begriff der strukturellen Gewalt sich zur Rechtfertigung von Gewalttaten eignet, exemplarisch dafür die Argumentati­ on der Roten Armee Fraktion in den 1970er-Jahren, die ihre An­ schläge mit der „Gewalt des Systems“ legitimierte. Peter17 schlägt deshalb vor, den Begriff nicht mehr zu benutzen und stattdessen eher Begriffe wie soziale Zwänge oder Herrschaft zu verwenden. In diesem Text wird der Begriff beibehalten, wir verwenden ihn nicht im politisch-gesellschaftlichen Kontext, sondern ausschließ­ lich bezogen auf institutionelle und organisatorische Aspekte. Die gesellschaftliche Ebene lässt sich mit dem Begriff der „kulturellen Gewalt“ in den Blick nehmen, geht es hierbei z. B. um die Akzep­ tanz von Gewalt oder die Vorurteile gegenüber bestimmten Be­ völkerungsgruppen.11 In → Tab. 1 sind die dargestellten Gewalt(unter)formen auf- gezeigt.10,11,19 www.thieme.de/intensiv Handlungsort Intensivstation In seiner berühmten Studie „Die Geburt der Klinik“ zeigt Fou­ cault,20 dass die Bedeutung der modernen Klinik in einer grund­ legenden Reorganisation sowohl der medizinischen Erkenntnis­ se als auch der Ermöglichung eines Diskurses über die Krankheit überhaupt liegt. In der Klinik spielt das einzelne Individuum eine unterge­ ordnete Rolle, man hat es mit Krankheiten zu tun, deren Träger gleichgültig sind. „Im Spital ist der Kranke Subjekt seiner Krank­ heit, d. h. es handelt sich um einen Fall; in der Klinik geht es nur um ein Beispiel: Hier ist der Kranke ein Akzidens seiner Krankheit, das vorübergehende Objekt, dessen sie sich bemächtigt hat“.20 Die Kranken wurden gezählt und erfasst, klassifiziert, diagnostiziert, kategorisiert, normiert, und ihre Befunde dokumentiert und ar­ chiviert. Foucault spricht gleich zu Beginn seiner Studie von der „Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen“.20 intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 35 und seine Frau in eindringlichen Erfahrungsberichten, wie subtil und alltäglich die Machtausübung und Gewalt im Alltag der In­ tensivpflege präsent ist, z. B. in scharfen Kommentaren, im War­ ten lassen auf dem Flur und in demütigenden Gesten. Die Würde bleibt dabei immer wieder auf der Strecke. Ursachen der Gewalt und Lösungsansätze Pflegende befinden sich in einem Dilemma: Die vielen Gesichter und Formen der Gewalt lassen fast den Schluss zu, dass eine Pflege ohne Gewalt im Berufsalltag kaum realisierbar ist. Und doch gibt es bestimmte Ursachen und Konstellationen, die den Machtmiss­ brauch und die Gewaltanwendung befördern, und andere, die zu einem gewaltfreien Milieu beitragen. So sind zum Beispiel persön­ liche Probleme der Helfer (psychische Labilität, soziale Isolation) ein immer wieder genannter Faktor, ebenso ein problematischer Umgang mit Nähe und Distanz und ein überzogenes Helfer- Ideal. Aber auch die Dauerbelastung durch Personalmangel, der Zeit­ druck, die verdichtete Arbeit, die mangelnde Anerkennung der Pflegearbeit, Probleme im Team (unter den Pflegenden, aber auch zwischen Pflegenden und Ärzten), mangelnde Kommunikation, fehlende ethische Reflexionsmöglichkeiten, eine Tradierung und Gewöhnung von Gewalthandlungen, hierarchische Strukturen, die starke ökonomische Ausrichtung und nicht zuletzt der feh­ lende politische Wille, grundlegende Reformen der Pflege auf den Weg zu bringen – dies alles sind bekannte und vielfach beschrie­ bene Faktoren, die mehr oder weniger direkt oder indirekt zu Machtmissbrauch und Gewalt in der Pflege beitragen.10,11,14,19,23,24 Dabei gibt es oftmals Warnzeichen genug: Persönlichkeits­ veränderungen bei Kollegen, eine Verrohung der Sprache (z. B. in Übergaben und Teambesprechungen), Streitereien im Team bis hin zum Mobbing, ein resignatives Arbeitsklima, eigenmächti­ ge Verabreichung von Medikamenten und höherer Medikamen­ tenverbrauch, vermehrte Todesfälle während der Arbeitszeit be­ stimmter Mitarbeiter u. a. m. www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 37 Das Thema Gewalt und Machtmissbrauch in der Pflege wei­ ter zu beforschen sollte ein wichtiges Anliegen sein. Wir können über viele Zusammenhänge noch nicht genügend valide Aussagen treffen. Dazu sind interdisziplinäre Forschungsprojekte von Pfle­ gewissenschaftlern und Sozialwissenschaftlern notwendig. Gute Untersuchungsergebnisse zu Präventionsstrategien gegen Gewalt sind dann auch die Grundlage für die Aus-, Fort- und Weiterbil­ dung zu diesem Themenbereich und zur Entwicklung von praxis- tauglichen Ansätzen wie z. B. das Programm „ProDeMa“ (Professi­ onelles Deeskalationsmanagement).34 Letztendlich ist es eine gesellschaftliche Frage, welche Pfle­ ge wir wollen und was wir bereit sind, dafür zu investieren. Eine immer stärkere Ausrichtung an ökonomischen Leitideen und ein Weiterdrehen der Überforderungsspirale mündet in einer ent­ menschlichten Pflege und Medizin. Das Humane verkommt da­ bei zu einer nur noch als Restkategorie wahrnehmbaren Dimen­ sion. Ein Armutszeugnis für Deutschland als ein Wohlstandsland, in dem die Diskussion um Autos scheinbar wichtiger ist als eine Debatte über die Pflege von Menschen in ihrer größten Verletz­ lichkeit. Literatur 1 Weber M. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Sozio- logie. Frankfurt/M.: Zweitausendeins; 2005, S. 38 (Originalausgabe von 1922) 2 Foucault M. Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. Band 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp; 1995, S. 113–114 (Originalausgabe von 1976) 3 Friesacher H. Foucaults Konzept der Gouvernementalität als Analyseinstru- ment für die Pflegewissenschaft. Pflege 2004, 17: 364–374 4 Henderson A. Power and knowledge in nursing practice: the contribution of Foucault. Journal of Advanced Nursing 1994, 20: 935–939 5 Arnold D. Krankenpflege und Macht – Anwendung sogenannter poststruktu- ralistischer Theorie auf die Analyse der Machtverhältnisse im „Frauenberuf“ Krankenpflege. Pflege 1996, 9(1): 72–79 Imbusch P. Macht und Herrschaft. In: Korte H, Schäfers B (Hrsg.). Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie. 6. Aufl. Opladen: Leske und Budrich; 2002 6 7 Klessmann M. Aggression im Krankenhaus. Eine helfende Institution und ihre Widersprüche. Pflegezeitschrift 1994, 9: 496 8 Bärsch T, Rohde M. Deeskalation in der Pflege. 2. überarb Aufl. Norderstedt: BoD; 2013 9 Zimbardo PG, Gerrig R. Psychologie. 16. Aufl. Berlin: Springer; 2004 10 Dieck M. Gewalt gegen ältere Menschen im familialen Kontext – Ein Thema der Forschung, der Praxis und der öffentlichen Information. Zeitschrift für Ge- rontologie ZFG 1987, 20: 305–313 11 Hirsch R. Gewalt in der Pflege: Ursachen, Häufigkeiten und Prävention. Öster- reichische Pflegezeitschrift 2011, 1: 11–17 12 Beck TK, Schlichte K. Theorien der Gewalt. Zur Einführung. Hamburg: Junius; 2014 13 Giddens A. Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Mit einer Einleitung von Hans Joas. 3. Aufl. Frankfurt, New York: Campus; 1997 14 Wettreck R. „Am Bett ist alles anders“ – Perspektiven professioneller Pflege- ethik. Münster: LIT; 2001 15 Cassier-Woidasky AK. Macht – (k)ein Thema für die Pflege? Reflexionen zu Macht in der Professionsentwicklung der Pflege. Die Schwester/Der Pfleger 2005, 44(10): 798–802 16 Reemtsma JP. Die Natur der Gewalt als Problem der Soziologie. In: Rehberg, KS (Hrsg.), Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Hrsg.). Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2. Frankfurt am Main: Campus; 2008 17 Peter J. Zur Dynamik der Gewalt. Pflege & Gesellschaft 2017, 22(2): 183–186 18 Galtung J. Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek bei Hamburg 1975 19 Jacobs P. Aus der Tabuzone holen. Gewalt in der Pflege. Die Schwester/Der Pfleger 2016, 55(7): 74–78 20 Foucault M. Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Frankfurt/M.: Fischer; 1993 (Originalausgabe von 1963) 21 Friesacher H. Pflegeverständnis. In: Ullrich L, Stolecki D (Hrsg.). Intensivpflege und Anästhesie. 3. überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015, 94–102 22 Goffmann I. Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und an- derer Insassen. Frankfurt/M.: Suhrkamp; 1973 (Originalausgabe von 1961) 23 Beine KH, Turczynski J. Tatort Krankenhaus. Wie ein kaputtes System Miss- handlungen und Morde an Kranken fördert. München: Droemer; 2017 24 Schreiner PW. Gewalt in der Pflege. Pflege & Gesellschaft 2001, 6(2): 51–63 25 Bischof S. Gewalt in der Intensivpflege. intensiv 2010, 18(2): 86–90 26 Strätling-Tölle H (Hrsg.). 50 Tage intensiv. Oder: Die menschliche Würde im Krankenhaus. Frankfurt/M: Mabuse; 2000 27 Benner P, Tanner CA, Chesla A. Pflegeexperten. Pflegekompetenz, klinisches Wissen und alltägliche Ethik. Bern u. a.: Huber; 2000 28 Maio G. Geschäftsmodell Gesundheit. Wie der Markt die Heilkunst abschafft. Berlin: Suhrkamp; 2014 29 Hartzband P, Groopman J. The New Language of Medicine. N Engl J Med 2011, 365: 1372–1373 30 Friesacher H. Pflegende und Ärzte auf der Intensivstation – eine schwierige und belastende Beziehung. intensiv 2011, 19(3): 126–129 31 Krobath T, Heller A (Hrsg.). Ethik organisieren. Handbuch der Organisations- ethik. Freiburg i. Br.: Lambertu;: 2010 32 Deutscher Ethikrat. Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus. Stellungnahme. Berlin, 2016 33 Aiken L, Sloane DM, Bruuyneel L et al. Nurse staffing and education and hospi- tal mortality in nine European countries. A retrospective observational study. The Lancet 2014, 383(9931): 1824–1830 34 Wesuls R, Heinzmann T, Brinker L. Professionelles Deeskalationsmanagement (ProDeMa). Praxisleitfaden zum Umgang mit Gewalt und Aggression in den Gesundheitsberufen. 4. Aufl. Herausgegeben von der Unfallkasse Baden- Württemberg. Stuttgart; 2005 Autor Dr. Heiner Friesacher Pflegewissenschaftler und Dipl. Berufspädagoge, freier Hochschul dozent an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Gründungsherausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift intensiv. Diverse Publikationen in Fachzeitschriften und Fachbüchern. E-Mail: Heiner@Friesachers.de Bibliografie DOI 10.1055/s-0043-120866 Intensiv 2018; 26: 30–37 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0942-6035 www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 39 – Karl H. Beine – Weltweit sind in den vergangenen Jahren mehr als 40 Tötungsse­ rien in Kliniken juristisch aufgearbeitet worden, seit 1976 sieben in Deutschland (→ Spezifi zierung), eine in Österreich und eine in der Schweiz.1 Einige Tötungsserien geschahen in Pfl egeheimen; in Deutschland sind davon zwei gerichtsbekannt geworden.2 In England sorgte Victorino C. für Schlagzeilen. Er hatte im Stepping Hill Hospital in der Nähe von Manchester zwei Men­ schen mit Insulin ermordet und es in 19 weiteren Fällen versucht. Im Mai 2015 verurteilte der Manchester Crown Court den 49­Jäh­ rigen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.3 Großes Aufsehen hat die 50­jährige kanadische Kranken­ schwester Elisabeth W. erregt. Sie hatte nachweislich acht Patien­ ten mit Insulin ermordet. Im Juni 2017 verurteilte ein Gericht in Ontario sie zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.4 Den sieben deutschen Tätern wurden bisher 56 vollendete Tötungsdelikte nachgewiesen. Im Fall Niels H. steht die genaue Opfer zahl noch nicht fest.5 Die Zahl der nicht beweisbaren, aber verdächtigen Tötungen beträgt in Deutschland mehr als 150. Die Täterwerdung vollzog sich in den Teams, meist über lange Zeiträu­ me. Fast immer geschahen die Taten in Anwesenheit von Berufs­ kollegen, und fast immer gab es frühzeitig Gerüchte und hinwei­ sende Spitznamen wie z. B. Hexe oder Todesengel. Die Zeiträume zwischen ersten erkennbaren Hinweisen vor Ort und der Über­ führung der Täter betrugen Monate oder gar Jahre, in denen es zu weiteren Tötungen kam.7 Über die tatsächliche Häufi gkeit von Tötungshandlungen in deutschen Kliniken gibt es keine gesicher­ ten Erkenntnisse. Eine eigene Pilotstudie befragte Ärzte, Kranken­ und Altenpfl eger mit einem Fragebogen zu diesem Themenkom- plex. 5.066 Personen beendeten den Fragebogen, 4.629 wurden in die Studie eingeschlossen. Je nach Berufsgruppe gaben zwischen 1,42 % (Pfl ege) und 3,39 % (Ärzte) der Befragten an, bereits selbst einmal aktiv das Leiden von Patienten beendet zu haben. Mehr als zwei Drittel der Personen, die selbst lebensbeendende Hand­ lungen durchgeführt hatten, waren nie um aktive Sterbehilfe ge­ beten worden.8 Niels H. Seit August 2017 ist das Ausmaß der Tötungsserie des deutschen Krankenpfl egers Niels H. erkennbar.9 Niels H. hat sehr wahr­ scheinlich zwischen 2000 und 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst mehr als 100 Menschen umgebracht.6 Zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe war Niels H. bereits im Februar 2015 verurteilt worden, u. a. wegen Mordes in zwei Fäl­ len. Er hatte auf der Intensivstation des Krankenhauses in Del­ menhorst Patienten getötet.10 Das war bereits der dritte Strafpro­ zess, der auf Ereignisse zurückging, die vor mehr als zehn Jahren begannen wurden. Im Juni 2005 hatte nämlich eine Delmenhorster Kollegin be­ obachtet, wie Niels H. einem Patienten nicht verordnetes Ajma­ lin (= Gilurytmal®, ein selten verwendetes Medikament gegen Herzrhythmusstörungen, das überdosiert zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen und Blutdruckabfall führt) spritzte, die Zufuhr eines verordneten Medikaments stoppte und den Alarm ausschaltete. Sie informierte Kollegen und Vorgesetzte. Ein „Kri­ sengespräch“, zwei Tage später, endete ergebnislos. Niels H. wurde im Dienst belassen, da dies ohnehin der letzte Arbeitstag vor sei­ nem Urlaub war. Noch am selben Abend tötete Niels H. einen wei­ teren Patienten. Einige Tage später wandten sich die Verantwortli­ chen der Klinik an die Polizei.6 Gegen Niels H. waren in dieser Angelegenheit bereits vor 2015 zwei Prozesse geführt worden. Im ersten Verfahren verurteilte das Landgericht Oldenburg Niels H. 2006 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einem fünfjährigen Berufsverbot wegen versuch­ ten Totschlags.11 Weil dieses Urteil angefochten wurde, blieb Niels H. aber zunächst auf freiem Fuß und auch das Berufsverbot galt nicht.12 So arbeitete Niels H. zu dieser Zeit als Pfl eger in einem Al- tenheim und im Rettungsdienst.13 Im zweiten Prozess verurteilte das Landgericht Oldenburg Niels H. im Jahr 2008 aufgrund des gleichen Sachverhalts wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverlet­ zung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Mona­ ten. Außerdem wurde ein lebenslanges Berufsverbot verhängt.14 Seit Mai 2009 ist Niels H. durchgängig inhaftiert. Nicht zuletzt das hartnäckige Engagement einer Hinterblie­ benen, die den Verdacht hatte, dass Niels H. ihre Mutter auf der Delmenhorster Intensivstation getötet haben könnte, führte schließlich zu weiteren Ermittlungen und einem dritten Straf­ prozess, der im Oktober 2014 begann und im Februar 2015 en­ dete.15 In diesem dritten Prozess wurde festgestellt, dass Niels H. mehreren Patienten das nicht verordnete Ajmalin gespritzt hat­ te. Er wollte lebensbedrohliche Krisen verursachen, um sich ei­ nen „Kick“ zu verschaff en – so seine Angaben zum Motiv. Er war bei Notfällen immer sofort präsent und kaum einer beherrsch­ te die Reanimationstechnik so gut wie Niels H. So konnte er sich als „grandioser Retter“ präsentieren. Dafür bekam er von Kolle­ gen und Vorgesetzten viel Anerkennung.16 Die Ajmalin­Bestel­ lungen stiegen erheblich an, seitdem Niels H. in Delmenhorst ar­ beitete. Von 50 Ampullen im Jahr 2002 auf 380 Ampullen im Jahr 2004. Diese Bestellmengen waren nicht aufgefallen, obwohl Aj­ malin selten verordnet wurde. Ein deutlicher Anstieg war auch bei den Sterbefällen zu beobachten. In den Jahren 2003 und 2004 starben 177 bzw. 170 Personen, mehr als zwei Drittel verstar­ ben während der Dienstzeit von Niels H. oder kurz danach. In den Jahren davor und danach starben zwischen 61 bzw. 98 Men­ schen.10 ! Spezifizierung der genannten Fälle Spezifizierung der genannten Fälle Die Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf Tötungsserien in Kliniken, mit mehr als einem Opfer im Erwachsenenalter, die Die Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf Tötungsserien in Kliniken, mit mehr als einem Opfer im Erwachsenenalter, die eine Gerichtsverhandlung nach sich zogen. Unberücksichtigt bleiben Tötungen in Heimen, im Bereich der ambulanten Behandlung bzw. Pfl ege und im Kindesalter. www.thieme.de/intensiv intensiv 1 | 18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 41 Täterprofile In den Gerichtsverfahren wurden alle Täter forensisch­psychia­ trisch untersucht, getestet und diagnostiziert. Kein Täter war so gravierend psychisch krank, dass er schuldunfähig gewesen wäre. Lediglich Reinhard B. wurde als vermindert schuldfähig beurteilt. Die Täter sind von ihren Opfern in zwei Fällen gebeten worden, ihr Leiden zu beenden. In den 54 anderen Fällen erfolgte die Tö­ tung ohne Zustimmung des Opfers. Der Frauenanteil in den Pflegeberufen beträgt im deutschen Krankenhausbereich rund 86 %.27 Die verurteilten Täter sind über­ wiegend männlich und kommen in Deutschland ausschließlich aus der pflegerischen Berufsgruppe. Der Anteil der männlichen Täter ist demnach deutlich höher, als dies nach der Geschlechter­ verteilung innerhalb des Pflegedienstes im Krankenhaus zu er­ warten gewesen wäre. Fast alle Täter wurden im Kollegenkreis – lange vor ihrer Ver­ haftung – mit hinweisenden Spitznamen belegt. Wolfgang L. hieß hinter vorgehaltener Hand „Vollstrecker“, Michaela R. war der „Todesengel“ und von Niels H. sprach man als „Rettungs­Rambo“ oder „Todes­H****“. Die Täter verwendeten auffällig häufig eine besonders rohe und zynische Sprache. Es ist nicht mehr die Rede davon, dass je­ mand gestorben ist, sondern ein Patient ist „abgekackt“, „abge­ kratzt“ oder ein Patient „hat den Löffel abgegeben“. Michaela R. dokumentierte nach dem Tod einer Patientin: „Kreislauf mäßig – bis saumäßig – führt nicht mehr flüssig ab – bitte öfter mal in LH (Leichenhalle, KB) nachsehen, ob Pat noch ruhig liegt – war unruhig – Pat wurde auf eigenen Wunsch um 22:18 Uhr dorthin verlegt.“28 Ein gemeinsames Persönlichkeitsmerkmal, das bei allen Tä­ tern festgestellt wurde, war eine ausgeprägte Selbstunsicher­ heit. Weitere gemeinsame Persönlichkeitseigenschaften waren nicht zu erkennen. Mögen sich in jeder Einzelbiografie der spä­ teren Täter auch Entwicklungslinien für die spätere Delinquenz schlüssig herleiten lassen, ein übergreifendes Erklärungsmus­ ter liefern Kindheitserfahrungen, Bindungsverhalten oder Le­ www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 43 k c o t S e b o d A / e c a R n a D Ein erhöhter Medikamentenverbrauch bei gleichzeitig erhöhter Sterberate ist ein Warnsignal, dem nachgegangen werden sollte (Symbolbild). Wünsche, deren Prognosen. Eine französische Krankenschwester, die Patienten getötet hatte, formulierte es so: „Es ist auch wahr, dass man sein eigenes Leiden erleichtert, indem man das des an­ deren erleichtert, weil man es teilt.“30 Beide Tätergruppen eint, dass sie besonders unfähig waren, Leidenszustände professionell zu begleiten und mitzutragen und der eigenen Hilflosigkeit ange­ messen zu begegnen. Das sprachlos­aggressiv abgewehrte Ohn­ machtsgefühl entlädt sich in selbstgemachten Notfällen oder di­ rekten Tötungen. Tatort Krankenhaus Kliniken sind Schutzräume, in denen Tötungen und erst recht Serientötungen am wenigsten erwartet werden. Das gleiche gilt für die Helfer, denen man derartige Straftaten gar nicht zutraut. Umso größer das Entsetzen, wenn eine Mordserie bekannt wird, wie jetzt in Delmenhorst und in Oldenburg. Wie kann es sein, dass niemand Einhalt gebietet, obwohl erhöhte Sterberaten, erhöhte Medikamentenverbräuche und verdächtiges Verhalten registriert werden? Wie kann es sein, dass Zusammenhänge, die retrospek­ tiv betrachtet ganz offensichtlich sind, über lange Zeit ignoriert werden? Aufdeckungsbarrieren Eine wichtige Erklärung für die langen Tatzeiträume und die ho­ hen Opferzahlen hat ein ehemaliger Kollege von Irene B. an der Charité vor Gericht geliefert: „Wir sind ja alle hier, um das Le­ www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

CNE Schwerpunkt | Gewalt auf Intensivstationen 45 Patiententötungen verhindern Voraussetzung für die Risikominimierung ist, dass die Mitarbeiter in Kliniken über solche Straftaten informiert sind und Verbrechen dieser Art auch am eigenen Arbeitsplatz für möglich halten. Die Frühwarnzeichen (z. B. Persönlichkeitsveränderungen bei einem Teammitglied, Ausbleiben von Reaktionen der Vorgesetzten auf Hinweise, Beschwerden von Patienten oder Angehörigen, Häufung von unerwarteten Todes­ oder Notfällen, Fehlbestände bei Medi­ kamenten, zynischer und verrohter Sprachgebrauch, einschlägige Spitznamen) müssen als solche erkannt – und die Kollegen unbe­ dingt direkt angesprochen werden. Die Medikamentenverbräuche müssen überwacht werden und das nicht nur bei teuren Medika­ menten. Schließlich ist es notwendig, gezielte toxikologische Un­ tersuchungen und die Leichenschauen zu verbessern. Die Kontrolle allein wird aber die Risiken nicht ausreichend senken. Dazu bedarf es der kollegialen Achtsamkeit, der genau­ en Beobachtung, der sorgfältigen Information und Kommunika­ tion. Diese Aufgaben können nur dort ausreichend erledigt wer­ den, wo genügend Mitarbeiter auch ausreichend geschult sind und die nötige Zeit haben, und wo das direkte Gespräch mit Pa­ tienten, Angehörigen und Kollegen gefördert wird. Bei der gegen­ wärtigen Personalausstattung wird sich ein solches Arbeitsklima kaum entwickeln können. Tötungsserien in Kliniken sind in ein Versorgungssystem ein­ gebettet, das durch Gewinnstreben und unverantwortlichen Personalabbau bei zunehmenden Leistungsanforderungen ge­ kennzeichnet ist. Dadurch werden lange Tatzeiträume und hohe Opferzahlen bei Krankentötungen begünstigt. Literatur 1 Yorker B, Kizer KW, Lampe P et al. Serial Murder by Health Care Professionals. Journal of Forensic Sciences 2006; 51(4): 1–10 2 Beine KH. Patiententötungen: Kliniken und Heime als Tatort. Straftaten im Ge- sundheitssystem [Teil 1]. Heilberufe 2017; 69(9): 40–42 3 Pidd H, Grierson J. Stepping Hill nurse Victorino Chua guilty of murdering pati- ents. Filipino to be sentenced on Tuesday for killing two patients and harming others by contaminating treatments with insulin at Stockport hospital. Online unter www.theguardian.com/uk-news/2015/may/18/stepping-hill-nurse- victorino-chua-guilty-of-murdering-patients, letzter Zugriff 17.09.2017 4 Thanh Ha T. Ex-nurse Elizabeth Wettlaufer sentenced to life in prison for Ontario nursing home murders. Online unter https://beta.theglobeandmail. com/news/national/ex-nurse-serial-killer-wettlaufer-prison/ article35460700/?ref=http://www.theglobeandmail.com&, letzter Zugriff 17.09.2017 5 Staatsanwaltschaft Oldenburg (9.11.2017): Toxikologische Untersuchungen abgeschlossen. Online unter https://www.staatsanwaltschaften.niedersach sen.de/startseite/staatsanwaltschaften/oldenburg/presseinformationen 6 NN. Niels H.: Polizei deckt 84 weitere Tötungen auf. Online unter www.ndr.de/ nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Niels-H-Polizei-deckt-84- weitere-Toetungen-auf,krankenpfleger524.html, letzter Zugriff 17.09.2017 7 Beine KH. Krankentötungen in Kliniken und Heimen. Aufdecken und verhin- dern. 2. Aufl. Freiburg im Breisgau: Lambertus; 2011 8 Beine KH, Schubert T. Das Dunkelfeld intentional lebensbeendender Handlungen durch Ärzte und Pflegekräfte. Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(13): 83–88 9 Hertreiter L. Er hörte auf, die Opfer zu zählen. Die größte Mordserie der deut- schen Nachkriegsgeschichte: Krankenpfleger Niels H. soll mindestes 90 Patien- ten umgebracht haben. Süddeutsche Zeitung, 29.08.2017: 8 10 Landgericht Oldenburg, Urteil vom 26.02.2015, AZ: 5 Ks 1/14, 1–45 11 Landgericht Oldenburg, Urteil vom 22.12.2006, AZ: 5 Ks 7/06, 1–34 12 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.12.2008, AZ: 3 StR 519/08 2008, 1–2 13 Beine KH, Turczynski J. Tatort Krankenhaus. Wie ein kaputtes System Miss- handlungen und Morde an Kranken fördert. München: Droemer; 2017 14 Landgericht Oldenburg, Urteil vom 23.06.2008, AZ: 4 Ks 1/07 2008, 1–29 15 Müller D. Der Berufskiller. Unter den Augen von Kollegen und Chefs wurde der Krankenpfleger Niels H. zum Serienmörder. Die Zeit, 19.02.2015: 15–17 16 Ramelsberger A. Organversagen. Der Pfleger Niels Högel konnte zum Mas- senmörder werden, weil niemand genau hinsah. Süddeutsche Zeitung, 14.07.2016: 3 17 Adam E, Berndt C. „Zutiefst beschämt“. Überraschende Wendung im Prozess in Oldenburg: Krankenpfleger Niels H. räumt im Gespräch mit einem Psychia- ter die Tötung von 30 Patienten ein. Süddeutsche Zeitung, 09.01.2015: 8 18 Krogmann K. Mindestens 84 weitere Opfer durch Serienmörder Högel. Schockierende Bilanz der Soko Kardio: Ex-Krankenpfleger Niels Högel hat ver- mutlich mehr als 90 Menschen getötet. Online unter https://www.nwzonline. de/oldenburg/blaulicht/oldenburg-bilanz-der-soko-kardio-mindestens-84- weitere-opfer-durch-serienmoerder-hoegel_a_32,0,2944485873.html, letzter Zugriff 13.10.2017 19 NN. Die „Karriere“ eines Serienmörders. Online unter https://www.ndr.de/ nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Die-Karriere-eines-Serien moerders,krankenpfleger402.html, letzter Zugriff 17.09.2017 20 Landgericht Oldenburg, Urteil vom 26.02.2015, AZ: 5 Ks 1/14 2015, 1–45 21 Landgericht Berlin, Urteil vom 29.06.2007, AZ: (522) 1 Kap Js 1904/06 Ks (1/07) 2007, 1–54 22 Landgericht Kempten, Urteil vom 20.11.2006, AZ: 1 Ks 212 Js 1408/04, 1–130 23 Landgericht Bielefeld, Urteil vom 22.07.1993, AZ: 10 Ks 46 Js 572/90 StA Bie- lefeld, 1–166 24 Landgericht Wuppertal, Urteil vom 11.09.1989, AZ: 25 Ks 26 Js – 233/86 (21/88 V), 1–253 25 Landgericht Freiburg, 08.05.1981, AZ: Ks 1/77 VII AK 47/79, 1–137 26 Landgericht Wuppertal, Urteil vom 02.08.1976, AZ: 30 Ks 1/75 (46/75 V), 1–302 27 Bölt U. 86 % der Pflegekräfte in Krankenhäusern sind weiblich (2012). Online unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/ zdw/2012/PD12_010_p002.html, letzter Zugriff 17.09.2017 28 Gibiec C. Tatort Krankenhaus. Der Fall Michaela Roeder. Bd. 36. Dietz-Taschen- buch. Bonn: Dietz; 1990 29 Creutzburg D. Wie sich das Ansehen verschiedener Berufe ändert. Feuerwehr- männer, Ärzte und Krankenpfleger haben den besten Ruf. Online unter www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/wie-sich-das-ansehen- verschiedener-berufe-aendert-13785696.html, letzter Zugriff 13.10.2017 30 Malèvre C. Mes Aveux. Paris: Éditions Fixot; 1999 31 Jauer M. Ich werde dafür büßen müssen. Süddeutsche Zeitung, 19.04.2007: 10 32 Gude H, Hackenbroch V, Jüttner J. Die Schuld der anderen. Der Krankenpfle- ger Niels Högel tötete Patienten in Serie. Nun droht Klinikverantwortlichen der Prozess, weil sie ihn nicht gestoppt haben. Hinweise gab es genug. Der Spie- gel, 29.10.2016: 52–55 33 Aiken LH, Sermeus W, van den Heede K et al. Patient safety, satisfaction, and quality of hospital care: cross sectional surveys of nurses and patients in 12 countries in Europe and the United States. BMJ 2012; 344: e1717 34 Böcken J, Kostera T. Pflegepersonal im Krankenhaus. Mehr Pflegepersonal er- höht die Versorgungsqualität – Konkrete Vorgaben zum Stellenplan sind erfor- derlich. Online unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/ publikation/did/spotlight-gesundheit-pflegepersonal-im-krankenhaus/, letzter Zugriff 17.09.2017 Autor Prof. Dr. med. Karl H. Beine Seit 1999 Chefarzt der Klinik der Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatik am St. Marien-Hospital in Hamm. Gleichzeitig vertritt er als Lehrstuhlinhaber das Fach Psychiatrie und Psychotherapie in Forschung und Lehre an der Universität Witten/Herdecke. Er befasst sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema Krankentötung und hat dazu mehrere Forschungsarbeiten veröffentlicht. E-Mail: karl-h.beine@marienhospital-hamm.de Bibliografie DOI 10.1055/s-0043-120868 Intensiv 2018; 26: 38–45 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0942-6035 www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

Rundumblick 47 Steuerung anhand entsprechender Kenn- zahlen ist der Fixpunkt der Bemühungen. Die Leitkategorie ist die Ökonomie, nicht Pflege und Medizin. Welche fatalen Aus- wirkungen diese Umorientierung hat, be- legen die Autoren anhand vieler Beispiele aus der gängigen Praxis und mit diversen Studien. So führt der Personalabbau im Pflegebereich (der Bereich Pflege ist ein großer Kostenfaktor) zu einer Arbeits- verdichtung und Überlastung. Pflegende müssen so viele Patienten versorgen, dass dadurch die Qualität der Versorgung sinkt und die Fehlerzahlen steigen. Die monetä- ren Anreize des derzeitigen Vergütungs- systems führen zu medizinisch kaum zu rechtfertigenden Behandlungen (extrem hohe Zahlen an Fußamputationen bei Di- abetikern, viele Kaiserschnittgeburten, lange Beatmungszeiten auf Intensivsta- tionen …). Insgesamt mutiert die Fürsor- gebeziehung der Helfer zu einer reinen Dienstleistungsbeziehung. Die Mischung aus ökonomischer Prozessoptimierung, Überlastung der Helfer, hohe Fehlerquo- te, einer immer noch hierarchischen Füh- rungskultur und mangelnden Kommunika- tionskultur ist der Nährboden für Gewalt gegen Schutzbefohlene. Dieses wird im dritten und vierten Kapitel thematisiert. Die Falldarstellungen von Martina R. und Rainer L., die jeweils in Wuppertal bzw. in Sonthofen Patienten ermordet haben, zeigt eindringlich die Verflechtungen zwi- schen den persönlichen Situationen der Täter und den Verdrängungs- und Vertu- schungsmechanismen in den Kliniken. Im fünften Kapitel legen Beine und Tur- czynski sieben Forderungen für eine Sys- temkorrektur vor. Sie reichen von besserer Ausbildung und besserer Begleitung im Alltag über Methoden des Konfliktmanage- ments und einer neuen Fehlerkultur bis zu Systemveränderungen (Schluss mit „Men- genausweitung“ und „Arbeitsverdichtung“, Steuerung orientiert am Patientenwohl und nicht an Prozessoptimierung) und der Ein- setzung von Patientenfürsprechern in Form von Landespatientenschutzbeauftragten (in Niedersachsen seit Juli 2016). Das sechste Kapitel enthält ein „Plädoyer für eine andere Medizin“, wobei der Begriff der Medizin hier weit gefasst ist und Pflege und andere Helfer mit einschließt. Übrigens sind auch Altenpflegeheime und deren Mit- arbeiter im gesamten Buch immer wieder explizit mit angesprochen, sodass der Titel des Buches ein wenig zu eng fokussiert ist. Zum Ende dieser Besprechung bleibt dem Rezensenten nur zu sagen, dass die Lektüre dieses Buches Pflicht für alle Entscheider, (Gesundheits-)Politiker und Mitarbeiter in Kliniken und Heimen sein sollte, und das ist keine leere Floskel. Beine KH, Turczynski J. Tatort Krankenhaus. Wie ein ka- puttes System Misshandlungen und Morde an Kranken fördert. München: Droemer; 2017. ISBN: 978–3-426– 27688-4, 249 S., 19,99 € Heiner Friesacher, Langwedel Termine Weiterbildung zu Pflegeexperten für Nicht-Medikamentöses Schmerzmanagement (P.N.M.S.) 13.–17.10.2018 und 10.–14.11.2018 Nicht-medikamentösen Maßnahmen wird letzten Jahren zunehmend Auf- in den merksamkeit geschenkt. Sie werden als Erweiterung des pflegerischen Repertoires im Rahmen des Schmerzmanagements an- gesehen. Diese Maßnahmen sind nicht als Ersatz für die medikamentöse Schmerz- therapie gedacht, sondern als Ergänzung im Sinne der integrativen Medizin. Auch der DNQP Expertenstandard „Schmerz- management in der Pflege bei akuten Schmerzen“ fordert ein aktuelles Wissen der Pflegefachkräfte und dessen Umset- zung über nicht-medikamentöse Maßnah- men zur Schmerzlinderung. Außerdem soll- te die Einrichtung/Klinik sicherstellen, dass diese Maßnahmen auch umgesetzt werden können. Die P.N.M.S.-Weiterbildung wird von der Klinikum Bayreuth GmbH veranstaltet und richtet sich an Pflegekräfte in Krankenhäu- sern, Pflegeheimen und Ambulanten Pfle- gediensten mit Kontakt zu Schmerzpatien- ten. Das multiprofessionelle Dozententeam besteht aus erfahrenen, überregionalen Fachleuten. Das erlernte Wissen kann dazu beitragen, die Schmerzen der Patienten mit schonenden, nicht-medikamentösen Maßnahmen zu reduzieren. Die Kenntnisse können im Rahmen eines integrativen Ge- samtkonzepts in das Schmerzmanagement integriert werden. Infos und Anmeldung unter www.klinikum- bayreuth.de/karriere/pnms/ oder per E-Mail an stefan.scharnagel@klinikum-bayreuth.de. PFLEGEFACHKRÄFTEN DEN RÜCKEN STÄRKEN bezahlte individuelle Fortbildungen sehr gute Bezahlung 3 Monatsschnitt bei Urlaub und Krankheit Auto mit Tankkarte und vieles mehr +49 / 8624 / 87530-0 oder schreiben Sie uns info@bambach.care get better people www.thieme.de/intensiv intensiv 1|18

DGF 49 i Lebenslauf von Franz Wagner Lebenslauf von Franz Wagner Berufsausbildung: Gesundheits- und Krankenpfl eger 1979 Weiterbildung/Studium: Weiterbildung Intensivpfl ege, Weiterbildung Stationsleitung, Weiterbildung Lehrer für Pfl egeberufe, Master-Studium Pfl ege- und Gesundheitswissenschaften Berufstätigkeit: Krankenpfl eger in den Bereichen Psychiatrie und Intensivpfl ege, Lehrer für Pfl egeberufe, QM-Beauftragter, stv. Schulleiter, Direktor des Instituts für Pfl egeforschung am Klinikum Nürnberg, Bundesgeschäftsführer Deutscher Berufsverband für Pfl egeberufe (DBfK) e. V. Arbeitsschwerpunkte: Pfl egebildung, EU und Internationales, Selbstverwaltung, Pfl ege- und Gesundheitspolitik, Qualitätsmanagement Gremientätigkeit: Vize-Präsident des Deutschen Pfl egerats von 2006 bis 2017, 1. Vize-Präsident ICN 2005–2009, Vertreter des DBfK bei EFN, ICN, EFNNMA, Vorsitzender Kuratorium Stiftung Zentrum für Qualität, Commission on Magnet bei ANCC seit 2010 u. a. m. benötigen. Die bereits auf den Weg gebrachte Bundespfl egekam- mer wird hier gleichfalls einen bedeutenden Meilenstein setzen. Wichtige Themen der nächsten Jahre sind die Findung einer sach- gerechten Personalbemessung, die Umsetzung und Fortführung der Bildungsreform in der Pfl ege sowie die Weiterentwicklung der Pfl ege im Kontext eines neuen Aufgabenzuschnitts der Gesund- heitsberufe. Wir brauchen für den bereits bestehenden, gravieren- den Fachkräftemangel in der Pfl ege die richtigen Lösungen. Hierzu gehören eine bessere Bildung sowie ein besserer Qualifi kationsmix der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Weiter muss die Arbeit in der Pfl ege auf mehr Schultern verteilt werden. Diesen und weiteren Herausforderungen, zu denen u. a. die Verbesse- rung der Gesundheitskompetenz unserer Gesellschaft, wie auch die Sicherung der Nachhaltigkeit der Pfl egeleistungen sowie die Quali- tätsbemessung der Leistungen zählen, werden wir uns als Deutscher Pfl egerat zusammen mit weiteren Partnern und Akteuren des Pfl ege- und Gesundheitswesens mit aller Kraft stellen.“ Neben der Wahl von Franz Wagner zum Präsidenten des Deutschen Pfl egerats wurde turnusgemäß das gesamte Präsidium des Deut- schen Pfl egerats neu besetzt. DGF-Mitglieder stellen sich vor Für diese Ausgabe stand uns Prof. Dr. Christian Rester Rede und Antwort. Der gelernte Krankenpfl eger ist Professor für Gerontolo- gie und Demografi sche Entwicklung und Leiter des Studiengangs „Pfl ege Dual“ an der Fakultät Angewandte Gesundheitswissen- schaften der TH Deggendorf. Seit wann bist du in der DGF? Ehrlich? Noch nicht so lange. Ich bin quasi Neumitglied! Nicht, dass ich nicht berufspolitisch interessiert gewesen wäre. Mich hat nur auf Station nie jemand zu einer DGF­Mitgliedschaft angespro­ chen! Und berufl ich habe ich zwei Leben geführt: eines auf der In- tensivstation, eines als Theologe. Ich wollte Pfarrer werden. Dann habe ich geheiratet und wurde DGF­Mitglied. Ich hatte auch ein Problem mit der Haltung vieler Kollegen, die den Ärzten hinter­ herlaufen. Intensivpfl ege war für mich immer die Chance, inten- sive Pfl ege zu machen. Pfl ege auf einer Apparatestation hat mich nicht so interessiert. Heute kann ich beides gut verbinden. t a r e g e fl P r e h c s t u e D Die Ratsversammlung des Deutschen Pfl egerats mit dem neuen Präsidi- um (erste Reihe v. l. n. r.: Rolf Höfert, Andrea Lemke, Irene Maier, Franz Wagner, Christine Vogler und Birgit Pätzmann-Sietas). Von der Ratsversammlung gewählt wurden Irene Maier (Vize-Prä- sidentin), Christine Vogler (Vize-Präsidentin), Andrea Lemke (Prä- sidiumsmitglied), Yvonne Bovermann (Präsidiumsmitglied), Birgit Pätzmann-Sietas (Präsidiumsmitglied) und Rolf Höfert (Präsidiums- mitglied). t a v i r p Was hat dich dazu bewegt, DGF-Mitglied zu werden? Heimatgefühle und Freundschaften. Die Intensivstation ist der Ort, wo ich herkom­ me. Hier bin ich zu Hause. Ich habe beina­ he zwei Jahrzehnte auf Intensivstationen verbracht und ich verbinde mit dieser Zeit ein Gefühl von Identität, das ich woanders nicht empfi nde. Seit drei Jahren arbeite ich nicht mehr ak­ tiv auf einer Intensivstation, aber ich wür- de das sofort wieder machen. Ich vermisse diese Arbeit sehr. Die meisten Menschen, die ich kenne, kommen aus dem Bereich Anästhesie und Intensivstation. Mit der DGF-Mitgliedschaft ver- binde ich diese Heimatgefühle. Gleichzeitig bin ich seit Längerem mit der Frage einer möglichen Akademisierung von Intensivpfl ege beschäftigt. Prof. Dr. Christian Rester. www.dgf-online.de intensiv 1 | 18

DGF 51 diesem Jahr: „Freisein, Entwicklung und Autonomie in der Praxis – Aufgaben und Kompetenzen von Advanced Practice Nurses“. Das Department Pfl ege und Management an der HAW sowie das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf als Kooperationspart- ner gestalteten die Themen rund um ANP in zahlreichen Vorträ- gen und Workshops mit. So fanden Themen wie Qualifi kations- anforderungen, Best Practice Beispiele zur Integration von Pfl egexperten ANP und konkrete Pfl egeprojekte wie das Delirma- nagement eine interessierte und große Zuhörerschaft. Die aktive Teilnahme ist wichtig, da die Aktivitäten rund um den Einsatz von Pfl egeexperten APN in Hamburg wahrgenommen und unterstützt werden. Der nächste Expertenworkshop ANP/APN fi ndet vom 8.–9. März 2018 an der HAW und am UKSH statt. Das Thema lautet dann „Mas- ter APN – und dann? APN goes forward – Developing and Imple- mentation“. Nähere Informationen per E/Mail unter katrin.blanck- koester@haw-hamburg.de. F G D Diese 20 Studierenden sind gemeinsam nach Freiburg gefahren. Thüringen – Vereinsgründung einstimmig beschlossen Zur letzten Sitzung des Landespfl egerats am 27. September 2017 wurde einstimmig die Gründung des Vereins „LPR Thüringen e. V.“ beschlossen. Gleichzeitig wurden der jetzige Vorstand, die Beisitzer und die festgelegte Satzung bestätigt. Vorsitzende des LPR Thü- ringen ist weiterhin Martina Röder, Geschäftsführerin/Heimleitung der Neanderklinik Harzwald GmbH. Für kommendes Jahr wurden schon jetzt die nächsten Meilenstei- ne festgelegt. Am 16. Mai 2018 wird eine Landespfl egekonferenz in Erfurt stattfi nden. Diese wird durch den LPR Thüringen e. V. or- ganisiert. Schwerpunkte werden das neue Pfl egeberufegesetz und die Selbstverwaltung sowie die Schaff ung einer Pfl egekammer in Thüringen sein. In Zukunft wird jeder Mitgliedsverband im LPR Thüringen drei stän- dige Vertreter benennen. Somit ist die kontinuierliche Anwesenheit der einzelnen Mitgliedsverbände bei allen Treff en des LPR zu ge- währleisten. Die nächste Mitgliederversammlung ist für den 10. Januar 2018 vor- gesehen. Termine 2018 Datum 14.02.2018 Veranstaltung Symposium Intensivmedizin + Intensivpfl ege 15.–17.03.2018 Deutscher Pfl egetag 18.–20.06.2018 13th World Congress of Nurse Anesthetists 27.–29.09.2018 Deutscher Fachpfl egekongress und Deutscher OP-Tag 28.09.2018 Mitgliederversammlung der DGF i Impressum DGF Impressum DGF Ort Bremen Berlin Budapest Münster Münster Folgen Sie uns! Redaktion DGF-Mitteilungen c/o Susann Gebhardt, Helios Parkklinikum Leipzig, Strümpelstrasse 41, 04289 Leipzig c/o Dominik Zergiebel, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A 10, 48149 Münster Verantwortlich für den Inhalt zeichnet der Vorstand der DGF, i. A. Susann Gebhardt und Dominik Zergiebel www.dgf-online.de intensiv 1 | 18

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