gestellt. Darüber hinaus dienen Pflanzen uns als Baustoffe, können als Genuss- und Rauschmittel sowie als Heilmittel eingesetzt werden – um nur einige ihrer weiteren Potenziale aufzuzählen. Stellen wir uns einmal eine Welt ohne Pflanzen vor, dann wird uns bewusst, dass die Pflanzenwelt uns noch durch einen weiteren Aspekt be- reichert: ihre Formen- und Farbenvielfalt. Diese regt uns immer wieder an, zu staunen und einen Moment innezuhalten. Aus der pflanzlichen Mannigfaltigkeit ermöglicht sie es uns, Freude, Kreati- vität, Inspiration und Kraft zu schöpfen. Eine Welt ohne Pflanzen wäre unvorstellbar grau, trist und leer. Pflanzen erschaffen die Welt, in der wir leben. Die Beziehung zwischen Mensch und Pflanze Der erste Kontakt zu unseren heutigen Nahrungspflanzen geschah wahrscheinlich „beiläufig“, als umherziehende Menschen Wild- früchte entdeckten, verzehrten und zu lagern begannen. Kam man dann später an die gleichen Rastplätze zurück, fanden sich die be- kannten und bevorzugten Nahrungspflanzen wieder, die sich teil- weise versamt und ausgebreitet hatten. Diese wurden dann in der nächsten Phase gezielt gefördert und angepflanzt, was aktuellen Forschungen nach etwa vor 11.000 Jahren begann. Heute weisen unsere Nutzpflanzen biologische Merkmale auf, die für Wildpflanzen eigentlich nachteilig sind, wie etwa feste Ähren, große und gleich- zeitig heranreifende Samen und Früchte. Trotzdem gehören viele dieser Arten zu den am weitesten verbreiteten Pflanzenarten auf der Erde. Wie haben sie dies geschafft? In unserer Selbstwahrneh- mung sehen wir uns hierbei als den aktiven Partner in der Beziehung Mensch – Pflanze. Wir erkennen nützliche Aspekte, arbeiten diese dann züchterisch heraus und gestalten so die Pflanze nach unseren Wünschen um. Wir sind das aktive Subjekt, welches die passive Pflanze formt. Was wäre nun aber, wenn die Pflanze gar nicht ganz so passiv wäre? Die Eigenschaften der domestizierten Pflanzen sind nämlich nicht allein das Ergebnis gezielter Auslese durch den Men- schen. Vielmehr haben sich die Pflanzen offenbar aktiv an die ver- änderten Bedingungen angepasst, die während der Kultivierung geherrscht haben, und dabei haben sie den Menschen für ihre Be- lange rekrutiert. Ohne uns dessen bewusst zu sein, haben wir diese Pflanzen bereitwillig über die ganze Welt verbreitet. Bereits mit dem Säen, Ernten und Lagern von Samen erbringt der Mensch unbewusst eine exklusive Dienstleistung für die Pflanze, die ihr Überleben si- cherstellt. Dies fällt uns leicht, da die erfinderischen Pflanzen sehr erfolgreich darin sind, bestimmte wesentliche menschliche Bedürf- nisse oder Begierden zu erfüllen: • Nahrung • Heilung • Rausch • Schönheit Die Pflanze, als ultimativer Alchemist, produziert aus den anorga- nischen Ausgangsstoffen und dem Sonnenlicht die materielle Basis dieser menschlichen Bedürfnisse oder Begierden. Im Zuge dieses Prozesses gelingt es ihr, etwas Lebendiges zu (er)schaffen. Die ent- stehenden Körper bereichern uns aber nicht nur auf der materiellen Ebene. Wie drückt es Gustav Theodor Fechner so poetisch treffend aus: „Die Pflanze macht aus roher Erde, Wasser, Luft und faulen Stoffen herrliche Gestalt und Farbe (…)“. Gerade die Schönheit der Pflanzenwelt schätzen wir ungemein, auch wenn uns dies vielleicht nicht immer wirklich bewusst ist. Kaum jemand käme auf die Idee einer geliebten Person einen Korb Äpfel zu schenken. Diese sind zwar nahrhaft und wohlschmeckend und lassen sich im Zweifel auch zu einem berauschenden Getränk vergären, wir sind aber eher dazu geneigt in solchen Fällen Blumen zu schenken. Warum ist das so? Die Schönheit der Pflanzen Dieses Faible für blühende Pflanzen lässt sich oberflächlich betrach- tet dadurch erklären, dass diejenigen unserer Vorfahren, die ein ge- wisses botanisches Talent besaßen, im Vorteil waren, wenn es dar- um ging, vielversprechende Lagerplätze zu entdecken. Sie wussten, dass sich bestimmte Blüten demnächst zu nahrhaften Früchten entwickeln würden. So ließ sich erkennen, wann man wieder an den entsprechenden Ort zurückkehren musste, um sich mit Früchten einzudecken. Könnte es aber nicht auch sein, dass die pflanzliche Schönheit etwas in uns anspricht, was über diesen Aspekt hinaus- geht? Denn wir Menschen fühlen uns offenbar stark von der Formen- und Farbenvielfalt der zarten Blütenstrukturen angesprochen – man spricht auch von evolutiv fixierter Phytophilie. Blumen begleiten uns von der Geburt bis ins Grab, seit mindestens 13.000 Jahren wer- den sie bei Begräbnissen eingesetzt. Die Menschheit hat daher ir- gendwann mit der Kultivierung der Blumen begonnen, und dies ohne, dass hieraus ein direkter materieller Nutzen für diese auf- wändige Arbeit entstehen würde. Untersuchungen zeigen, dass Blu- men eine direkte, unmittelbare und auch langfristige Auswirkung auf uns haben: Emotionale Reaktionen, Stimmung, soziales Ver- halten und sogar das Gedächtnis werden durch sie beeinflusst. Hier- durch werden sie zu einem unersetzlichen Begleiter auf der Welt. „Durch die Blume“, verbinden wir uns mit dem Lebendigen, wir schöpfen Kraft und Inspiration aus unseren pflanzlichen Begleitern, egal ob sie uns in Feld, Wald, Flur oder unserer Wohnung begegnen. Zwei Aspekte sind hier besonders wichtig: Die Formen- und die Farbenvielfalt der pflanzlichen Kreationen. Form und Farbe Der pflanzliche Körper stellt nicht einfach eine regellose Anhäufung von Materie dar, sein Aufbau folgt bestimmten Schemata. Dies er- möglicht uns Menschen die Erkennung der einzelnen Pflanzenarten. Die Ordnung der Strukturen, ihrer Blätter und Blüten ist sicherlich auch ein bedeutender Teil, der uns für die Pflanze entflammt. Es lohnt sich dabei, genau hinzuschauen: Viele Pflanzen zeigen uns auf anschauliche Weise geometrische Formen, wie etwa den kugelför- migen Blütenstand des Zierlauchs, der sich in einzelne Blütensterne auflöst oder auch die sternförmigen Blüten des Tausendgülden- krauts. Pflanzen würden aufgrund ihrer Formen und Symmetrien ideale Beispiele für einen lebendigen Geometrieunterricht darstel- len. Die Formen sprechen uns aber auch auf emotionaler Ebene an: Sie vermitteln Gefühle und Inspirationen. Rechts oben: Sehnsucht nach dem Licht: Im Frühjahr entstehen die ersten prachtvollen Formen- und Farbenspiele wie hier beim Leberblümchen (Hepatica nobilis). Quelle: Matthias Plath Rechts unten: Entspannend: Der blaue Farbton der Gemeinen Wegwarte (Cichorium intybus). Quelle: Matthias Plath 70