Viele Kinder und Jugendliche sind körperlich und psychisch stark belastet. Von der Betroffenen zur Expertin In all dieser Zeit hatte Nadjila Bendig-Behrens viel Kontakt zu Pflegefachkräften, von denen sie sich von Beginn an sehr ernst und wahr- genommen fühlte. „Als ich auf die ITS kam, hat mich eine Pflegekraft abgeholt, ist mit mir ins Zimmer gegangen und auch dort mit mir ge- blieben. Das hat mir sehr geholfen.“ Sie bekam Respekt vor dem, was Pflegekräfte leisten, wünschte sich mehr Fachwissen auf Augenhöhe – und wurde selbst zur Pflegefachkraft. Ihre Mutter starb, bevor sie Examen machte. Nach ihrer Ausbildung studierte sie Gesundheits- und Pflegemanagement und berät jetzt seit etlichen Jahren berufstätige – erwachsene – pflegende Angehörige. Daneben betreut sie eine Nachrichten- und Vernetzungsplattform, die im Dezember 2023 mit ihrem Online- und Schüler in Nordrhein-Westfalen, die zwischen 10 und 22 Jahre alt waren, nach einer Pflegeverantwortung in der Familie. Rund 6 von 100 Befragten trugen solch eine Pflege im Verborgenem Alle diese jungen Menschen möchte das Projekt Young Carer Coach erreichen. Dabei ist es egal, ob es sich um Angehörige mit Demenz, Verantwortung, 64 Prozent davon waren Depression, Krebs oder Diabetes mellitus Mädchen. Rechnet man diese Zahlen auf ganz handelt. Nadjila Bendig-Behrens betont, dass Deutschland hoch, leben hier etwa eine halbe Million pflegende Kinder und Jugendliche. In weiterführenden Schulen sitzt also wahr- Young Carer nicht nur bedeutet, dass jemand aufräumt, kocht, zu Arztbesuchen begleitet oder sich um die Geschwister kümmert. „Auch scheinlich in jeder Klasse eine oder einer von die emotionale Unterstützung gehört dazu“, ihnen. Der Abschlussbericht der Studie listet genau auf, was die jungen Pflegenden leisten: Ihr Einsatz reicht „von gelegent lichen Hilfe- sagt sie. „Die kranke Person zu trösten zum Beispiel, ihr Mut zuzusprechen, sie aufzu- heitern und zu unterstützen.“ stellungen bis hin zur alleinverantwortlichen Ein zentrales Ziel des Projekts ist es, alle für Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Die Kinder helfen bei der Mobilisation, bei Körper- und Intimpflege, bei der Nahrungsaufnahme und der Ausscheidung, sie übernehmen medizini- das Thema zu sensibilisieren und junge Pflegende zu vernetzen. Doch obwohl sie Bei- träge in Social-Media-Accounts veröffentlichen, dort Wissen, Tipps und Anregungen teilen, sie Angebot gestartet ist: die Plattform „Young sche Tätigkeiten wie Tabletten oder Spritzen Ärztinnen und Ärzte anschreiben und in Carer Coach“ (www.youngcarercoach.de), die richten und verabreichen, leisten emotionale diesem Sommer in München sogar einen von der „An Deiner Seite – Gerhard und Unterstützung und sorgen für die Sicherheit Aktionstag organisierten, bleibt es herausfor- Gertrud Schmieder Stiftung“ getragen wird. des pflegebedürftigen Angehörigen. Sie dernd, Young Carer zu erreichen. Denn auch Sie richtet sich an alle, die in einer ähnlichen kümmern sich auch um den Haushalt und um Situation sind, wie Nadjila Bendig-Behrens es jüngere Geschwister. Zudem sind sie immer war: an Kinder, Jugendliche und junge Erwach- in Bereitschaft, um schnell auf unvorher- sene, die sich regelmäßig um hilfsbedürftige Angehörige kümmern. Die Pflegemanagerin merkt in der Beratung, dass auch Erwachsene bei der Pflege ihrer Angehörigen an ihre Grenzen stoßen. „Und wenn es für sie schon schwer ist, wie soll es dann für Jugendliche oder Kinder sein?“ Eine halbe Million Kinder und Jugendliche als pflegende Ange- hörige oder „Young Carer“ sorgen regelmäßig für chronisch kranke Familienmitglieder, oft für die Mutter oder den Vater oder für ein Großelternteil, sie helfen ihnen oder pflegen sie. Ihre Situation wurde mittlerweile in et- lichen Studien untersucht. 2017 befragten Pflegewissenschaftlerinnen der Universität Witten/Herdecke über 6 000 Schülerinnen CNE.magazin 5.24 | © 2024. Thieme. All rights reserved. sehbare Krisen reagieren zu können.“ Zur Person Nadjila Bendig-Behrens war 20 Jahre, als ihre Mutter erkrankte. Das brachte sie dazu, eine Krankenpflegeausbildung zu machen und Gesundheits- und Pflege- management zu studieren. Ehrenamt- lich brennt und engagiert sie sich für das gemeinnützige Projekt Young Carer Coach. wenn das Phänomen „Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige“ mittlerweile in einer Reihe von Studien untersucht wurde, werden Betroffene nach wie vor nicht wahr- genommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einmal reden viele Kinder und Jugendliche nicht über ihre Tätigkeiten zu Hause, aus Angst, stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. Gerade Familien, in denen die Kinder intensiv eingebunden sind, fürchten sich davor, vom Jugendamt auseinandergerissen zu werden – meist unbegründet. Eine andere Ursache: Oft ist den Betroffenen selbst gar nicht klar, dass sie Young Carer sind. Die meisten Kinder und Jugendliche übernehmen ihre Aufgaben sehr selbstverständlich. Wenn etwa ein Elternteil an Multipler Sklerose erkrankt ist, wachsen sie manchmal auch sehr langsam in die Rolle hinein. „Wir erhalten viele Nachrichten von momentanen oder ehemaligen Young Carern, die zum Beispiel schreiben: ,Meine Mama hatte 7