pflege und mehr Hörbücher entstehen überall Zusammen mit einer Freundin fuhr sie damals zur Gründerin des Projektes, Judith Grümmer, in die Eifel. Die Hörfunkjournalistin unterhielt das Familienhörbuch damals als Pilotstudie der Palliativabteilung des Uniklinikums Bonn noch fast allein. Kurze Zeit später gründete sie daraus ein gemeinnütziges Unternehmen, für das mittler weile rund achtzig Menschen arbeiten, Freiberufler und Ehrenamtliche, neben Audiobiografinnen und Tontechnikern zum Beispiel auch Psychoonkologinnen. Sie sind in ganz Deutschland verteilt, so dass sie die Hörbücher flexibel und zügig aufnehmen können, in der Regel innerhalb von drei Monaten nach dem ersten Kontakt. „Unsere Projektteilnehmende haben sehr wahrschein lich nur noch wenig ver bliebene Lebenszeit“, sagt Carmen Dreyer. „Und gleichzeitig auch wenig Zeit, weil sie Therapien bekommen und noch ihre Familien haben.“ Das Familien- hörbuch finanziert sich ausschließlich über Spenden. Für die Betroffenen ist die Aufnahme kostenlos. Wo die Hörbücher entstehen – in der Regel an drei vollen oder sechs halben Tagen –, kann ganz unterschiedlich sein, am Küchentisch zu Hause genauso wie im Hotel oder im Büro. Sie haben auch schon Hörbücher im Hospiz aufgenommen. Ein Lied und das ganze Leben Anika B. erinnert sich, dass sie in der Eifel bei Judith Grümmer in einem wunderschönen Haus saß, ein Feuer im Kamin brannte , es Tee und Kaffee gab und sie ins Grüne guckte . „Das alles tat der Seele gut.“ Sie hatte ein paar Sachen im Kopf, die ihr wichtig waren: Sie wollte ein Gute-Nacht-Lied vorsingen und eine Geschichte vorlesen, die sie und ihre Kinder so gern hatten, „Das kleine Ich bin ich“. Und sie wusste, was sie einzelnen Menschen sagen wollte, ihren Eltern, ihrem Mann und ihren Kindern. Aber ein Hörbuch strukturiert und professionell 10 begleitet aufzunehmen, war umfassender, als sie geahnt hatte. „Sich noch einmal bewusst mit dem ganzen Leben auseinanderzusetzen, war gut“, sagt sie. „An vieles habe ich mich erst erinnert, weil jemand gefragt hat.“ Alle Audiobiografen des Familienhörbuchs haben eine entsprechende Fortbildung an der Akademie für Palliativmedizin in Bonn absol viert. Journalistinnen und Journalisten, die meisten aus dem Hörfunk, manche auch aus dem Fernsehen, trainieren dabei zum Beispiel Gespräche mit Schau spielern, die Betroffene imitieren. Sie be sprechen mit Psychoonkolo ginnen schwierige Situationen und beschäfti gen sich damit, was Sterben und Tod für sie selbst bedeuten. Für den Kurs gibt es Wartelis ten, weil so viele daran teilnehmen möchten. Jeder hat wohl das Bedürfnis, etwas zu hinterlassen in der Welt. Ich auch. Themenwechsel Zum Vorbereiten erhalten die Erkrankten ein Handbuch mit Tipps. Sie könnten sich zum Beispiel alte Fotos anschauen oder sich über- legen, welche Fragen sie selbst ihren Eltern stellen würden. „Einige kommen allerdings unvorbereitet“, erzählt Carmen Dreyer. „Man che haben sich zu schwach gefühlt oder sich doch irgendwie gescheut.“ Ihrer Erfahrung nach werden diese Hörbücher genauso schön. „Es ist vielleicht nur anstrengender, die Fäden zu knüpfen.“ Gar nicht so selten sehen sie, dass das Vor bereiten den Familien hilft, wieder mehr und anders miteinander zu sprechen. Ihr Alltag wird oft von der Krankheit, den Therapien, von Trauer, Wut und Hilflosigkeit bestimmt. Es tauchen andere Themen auf, wenn die Erkrankten dann auf einmal die Eltern fragen, wie das noch mal war, im ersten Skiurlaub oder mit der grässlichen Tante im Kindergarten. Eine Teilnehmerin rief eine Freundin an, die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesprochen hatte, um für das Hörbuch zu fragen, wie der Musiklehrer von damals hieß. Die Freundin wusste es nicht nur, sie kam danach auch noch zu einem Wiedersehen. Anika B. hat das Aufnehmen ihres Hör- buches als angenehm, nicht als anstrengend empfunden. Sie erzählte, wie viel sie als Kind draußen im Siegburger Land gespielt hatte, von schönen, aber auch von Mobbing- Erfahrungen in der Schule. Wie es war, als sie, ihre Kinder, geboren wurden. Sie erzählte von den Beziehungen zu den Vätern – ihre Kinder haben verschiedene Väter – und wie es war, als ihr Mann, ein Krankenpfleger, ihr im Kranken haus einen Heiratsantrag machte. Sie erzählte ihren Kindern, was sie an ihnen toll CNE.magazin 3.24 | © 2024. Thieme. All rights reserved.