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Herausgeberboard Schriftleitung Dr. med. Hans-Michael Mühlenfeld seit 1993 in Bremen als Arzt für Allgemeinmedizin in einer Gemeinschaftspraxis für Familienmedizin niedergelassen. Landesvorsitzender des Bremer Hausärzteverbandes; Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin der Universitäten Göttingen und Oldenburg; Vorstandsvorsitzender des In- stitut für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Haus- ärzteverband; Entwicklung der Teamversorgung in Hausarztpraxen mit dem VERAH® Projekt 2007; ab 2012 Tagungspräsident der practica®; ab 2012 Aufsichtsratsmitglied HÄVG; Mitglied im Beschwerdeausschuss der Ärztekammer Bremen. Herausgeber Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, MPH Studium der Medizin und Public Health in Frankfurt, Lyon und Boston. Facharzt Innere Medizin (American Board of Internal Medicine). Facharzt Allgemeinmedizin, angestell- ter Arzt in Teilzeit in einer Landarztpraxis. Seit 2011 Direk- tor der Abteilung Allgemeinmedizin Universitätsmedizin Greifswald. Leiter des Kompetenzzentrums Weiterbildung Mecklenburg-Vorpommern. Außerordentliches Mitglied der Arzneimit- telkommission der Deutschen Ärzteschaft; Präsidiumsmitglied der Deut- schen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Dr. med. Reingard Glehr Studium in Wien und Berlin, Ausbildungen in Österreich, Deutschland, Schweiz, Spanien und Tansania. Seit 2018 niedergelassene Hausärztin in Hartberg, Steiermark. Zu- sätzlich Senior Lecturer und wissenschaftliche Mitarbeite- rin am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz, neben der Lehre Schwerpunkte in der Stärkung interprofessioneller Zusammenarbeit und evidenzbasierter Medizin in der Primärversorgung sowie Schmerz-, Sport- und psychosomatische Medizin. Dr. med. Jürgen Herbers Niedergelassen als Facharzt für Allgemeinmedizin seit 2002 in Gemeinschaftspraxis. Zusatzbezeichnung Sozial- medizin, Sportmedizin, Naturheilverfahren, Palliativmedi- zin, Ernährungsmedizin. Akademische Lehrpraxis Universi- tät Tübingen, Forschungspraxis Universität Heidelberg. im Deutschen Hausärztever- Fortbildungsbeauftragter band, Landesverband Baden-Württemberg, Vorstandsmitglied im Insti- tut für hausärztliche Fortbildung e.V. (IhF). Prof. Dr. med. Ute Hoffmann Studium der Humanmedizin an der LMU und TU in Mün- chen, Studienaufenthalte in Nizza, London und Edinburgh; 2008 Habilitation und 2014 apl.-Professur an der Universi- tät Regensburg. Fachärztin für Innere Medizin, Nephrolo- gie, Diabetologie, Geriatrie und Hypertensiologie (DHL). Seit 2011 Leitung der Abteilung Nephrologie, seit 2016 stellvertretende Chefärztin und seit 2019 Chefärztin der Klinik für Allge- meine Innere Medizin und Geriatrie im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg. Teilnahme an der Verbundweiterbildung zur allgemeinärzt- lichen Weiterbildung KoSta Oberbayern. Dr. med. Charlotte Hoser Studium bis 2010 TU München, Weiterbildung Innere Me- dizin in Husum, Gefäßchirurgie Landshut, und Allgemein- medizin in einer Landarztpraxis, seit 2016 angestellte Fachärztin für Allgemeinmedizin, aktuell in einer länd- lichen großen Praxis in Essenbach b. Landshut, seit 2019 mit Weiterbildungsbefugnis. Seit 2017 Dozentin der Semi- narreihe zur allgemeinärztlichen Weiterbildung KOSTA München/KWAB, von 2018–2021 im Vorstand der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE). Dr. med. Wolfgang C. G. von Meißner, MHBA Studium in Ulm, Jacksonville, AL (USA) und Oulu (Finn- land). FA Anästhesiologie, Zusatzbezeichnungen Notfall- medizin und Intensivmedizin am Klinikum Stuttgart. Quereinstieg bei den Hausärzten am Spritzenhaus in Bai- ersbronn. Seit 2016 dort als Hausarzt niedergelassen. Ge- sellschafter der Ärzte vorOrt – MEDI-MVZ GmbH mit meh- reren hausärztlichen MVZ-Standorten in Baden-Württemberg. Sprecher von MEDI Freudenstadt. Mitglied im Zulassungsausschuss Karlsruhe, im Landesärztekammerausschuss Notfallmedizin und Physician Assistant Beauftragter des IFFM e.V. PD Dr. med. Nicolas T. Schwarz Medizinstudium an der Université Catholique de Louvain, Belgien, und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. 1991 Promotion in Tübingen. Weiterbildungszeit in Tübin- gen und Bonn. 1998–2000 Research Fellow an der Univer- sity of Pittsburgh, Medical Center Pittsburgh, USA. 2002 Habilitation in Bonn. Seit 2005 Chefarzt der Chirurgischen Klinik, Friedrich-Ebert-Krankenhaus GmbH, Neumünster. 2 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: | © 2022. Thieme. All rights reserved.

Studienreferate Blutungsrisiko bei erwei- terter Antikoagulation nach unprovozierter Thromboembolie Khan F et al. Long-Term Risk for Major Bleeding During Extended Oral Anticoagulant Therapy for First Unprovoked Venous Thromboembolism: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann In- tern Med 2021; 174: 1420–1429 doi:10.7326/ M21-109434516270 Nach einer ersten unprovozierten ve- nösen Thromboembolie sollte über 3 bis 6 Monate eine Antikoagulation er- folgen, um Rezidivereignissen vorzu- beugen. Nach diesem Zeitraum muss darüber entschieden werden, ob die Medikation fortgesetzt wird. Der Nutzen der erweiterten Antikoagula- tion bemisst sich unter anderem an der Gefahr schwerer Blutungskompli- kationen. Ein internationales For- scherteam beleuchtete dieses Risiko nun mithilfe der MAJESTIC-Studie. Mittels systematischer Literaturrecher- che identifizierten die Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftler 27 thematisch relevante Studien, darunter 14 randomi- sierte kontrollierte und 13 Kohortenstu- dien, und unterzogen sie einer Meta- analyse. Das Studienkollektiv bildeten 17 202 Patientinnen und Patienten, die nach einer ersten, symptomatischen, un- provozierten bzw. durch schwache, tran- siente Risikofaktoren provozierten venö- sen Thromboembolie eine dreimonatige orale Antikoagulationsbehandlung erhal- ten hatten und im Anschluss über min- destens 6 weitere Monate mit den Blut- verdünnern behandelt worden waren. Den primären Studienendpunkt bildete das erste Major-Blutungsereignis gemäß International Society on Kriterien der Thrombosis and Haemostasis (ISTH). Hierunter fallen Hb-wirksame, transfusi- onsbedürftige oder zum Tod führende Blutungen sowie Blutung in kritischer Lokalisation (intrakraniell, intraspinal, intraokulär, perikardial, intraartikulär, in- tramuskulär mit Kompartment-Syndrom, retroperitoneal). Ergebnisse Bei 9982 Personen kamen zur erweiter- ten Antikoagulation Vitamin K-Antago- nisten (VKA) und in 7220 Fällen direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) zum Ein- satz. In diesen beiden Kollektiven ver- zeichnete das Forscherteam 1,74 bzw. 1,12 Major-Blutungen pro 100 Personen- jahre. Die kumulative 5-Jahresinzidenz von Major-Blutungen unter VKA betrug 6,3%. Für die DOAKs konnte dieser Wert nicht berechnet werden, da lediglich Da- ten bis zu einem Jahr erweiterter DOAK- Therapie zur Verfügung standen. Im VKA-Kollektiv erlitten signifikant mehr Frauen als Männer eine Major-Blutung (Incidence Rate Ratio/IRR 1,55; 95%-KI 1,17–2,06), wogegen im DOAK-Kollektiv diesbezüglich keine Geschlechtsunter- schiede bestanden. Sowohl unter VKA als auch unter DOAK beobachtete das Forscherteam bei den Personen im Alter über 65 Jahre im Vergleich zu den jünge- ren Patientinnen und Patienten eine sig- nifikant höhere Blutungsinzidenz (VKA: IRR 1,84; 95%-KI 1,32–2,57 bzw. DOAK: IRR 2,92; 95%-KI 1,50–5,70). Gleiches galt für Personen mit einer Kreatinin- Clearance <50ml/min, für Personen mit einem vorangegangenen Blutungsereig- nis, für Personen mit einer begleitenden plättchenhemmenden Therapie sowie für Personen mit einem Hb-Wert <10g/ dl. Die gepoolte Case-Fatality-Rate der Major-Blutung betrug im VKA-Kollektiv 8,3% und im DOAK-Kollektiv 9,7%. FAZIT Die Verlängerung der Antikoagulation über bis zu 5 Jahre nach einer ersten unprovozierten venösen Thrombo- embolie, so das Fazit der Autorinnen und Autoren, geht mit einem be- trächtlichen Langzeitrisiko für schwe- re Blutungen einher. Sie hoffen, dass ihre Metaanalyseergebnisse die Bera- tung der betroffenen Patientinnen und Patienten im Hinblick auf die Vor- und Nachteile der Medikationsverlän- gerung sowie im Hinblick auf die Dauer der Antikoagulanzienverord- nung erleichtern können. Dr. med. Judith Lorenz, Künzell Osteoporosetherapie: Muss die Knochendichte regelmäßig gemessen werden? Kline GA et al. Diminishing Value from Multiple Serial Bone Densitometry in Women Receiving Antiresorptive Medication for Osteoporosis. J Clin Endocrinol Metab 2021; 106: 2718–2725 doi:10.1210/clinem/dgab21133784384 Unter einer pharmakologischen Os- teoporosebehandlung erfolgen übli- cherweise regelmäßig Knochendich- temessungen, um die Wirksamkeit der Medikamente zu objektivieren. Sind solche seriellen Messungen bei guter Therapieadhärenz überhaupt sinnvoll? Oder anders gesagt: Wie häufig wird durch das Monitoring ein suboptimales Therapieansprechen entdeckt? Diesen Fragen ging ein ka- nadisches Forscherteam nach. Wirkstoffe Mithilfe verschiedener Gesundheitsre- gister identifizierten die Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler 1369 post- menopausale Frauen im Alter über 40 Jahre, die zwischen 1996 und 2018 in der kanadischen Provinz Manitoba eine Basis-Knochendichtemessung (Dual Energy X-ray Absorptiometry/DXA) ab- solviert hatten, anschließend auf eine antiresorptive Osteoporosemedikation eingestellt worden waren und im Verlauf 2 weitere DXA-Kontrollen erhalten hat- ten. Zwischen den einzelnen Messungen waren die Medikamente weder abge- setzt noch umgestellt worden. Die ver- ordneten umfassten Bisphosphonate, Calcitonin, Raloxifen, Denosumab sowie systemische Östroge- ne. Die DXA-Messungen erfolgten an der Lendenwirbelsäule sowie an der Hüfte. Anhand der zu den 3 Messzeitpunkten gewonnenen Knochendichtewerte be- rechneten die Forscherinnen und For- scher die jeweiligen Veränderungen der Knochendichte im ersten und zweiten Messintervall sowie zwischen der ersten und dritten Messung (Gesamtintervall) und prüften, wie viele Patientinnen je- weils unzureichend auf die Therapie an- gesprochen hatten. Als suboptimales Therapieansprechen definierten sie da- bei einerseits den signifikanten Kno- chendichteverlust in beiden Monitoring- 4 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 4–6 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

Studienreferate FAZIT Leichte Formen der akuten Divertiku- litis, so das Fazit der Autorinnen und Autoren, können ambulant ohne An- tibiotika behandelt werden, ohne dass dabei die Sicherheit oder die therapeutische Effektivität leiden: Nachteile gegenüber der Antibiotika- therapie im Hinblick auf die Wieder- vorstellungs- und Hospitalisationsra- ten, die klinische Erholung oder das Komplikationsrisiko bestehen offen- bar nicht. Die Objektivierung und Einschätzung der Schwere einer Di- vertikulitis kann in der Praxis schwie- rig sein. Dr. med. Judith Lorenz, Künzell Blutdruckmessung: Wie wichtig ist die vorherige Ruhephase? Brady TM et al. Effects of Different Rest Period Durations Prior to Blood Pressure Measurement: The Best Rest Trial. Hypertension 2021; 78: 1511–1519 doi:10.1161/HYPERTENSIONA- HA.121.1749634601959 Seit Jahrzehnten fordern zahlreiche Leitlinien das Einhalten einer drei- bis fünfminütigen Ruhephase vor der Blutdruckmessung. In der Praxis ist diese Vorgabe jedoch nicht immer umsetzbar. Wie stark sich eine kürzer bzw. 2 gemessenen systolischen und di- astolischen Werte betrug 5,3 bzw. 3,0 mmHg. Mit diesen Werten als Referenz zeigte sich: Die nach nur 2 Minuten und die ganz ohne vorherige Ruhephase ge- messenen Blutdruckwerte unterschie- den sich nur minimal von den nach 5 Mi- nuten erhobenen Werten, wobei die sys- tolische Messung nach 0 Minuten die Nichtunterlegenheitskriterien (Messdif- ferenz innerhalb der Nichtunterlegen- heitsgrenzen von ±2 mmHg) erfüllte, die Messung nach 2 Minuten dagegen ver- fehlte. Bei den Personen mit einem sys- tolischen Blutdruck <140 mmHg lagen die absoluten Differenzen sowohl der Messung mit 0 als auch der mit 2 Minu- ten Ruhe innerhalb der Nichtunterlegen- heitsgrenzen. Bei den Personen mit einem systolischen Blutdruck ≥140 mmHg bzw. einem diastolischen Blutdruck ≥90 mmHg überschritten die Differenzen dagegen diese Grenzen. FAZIT Die Autorinnen und Autoren schluss- folgern: Bei der Mehrzahl der Indi- viduen, insbesondere bei Personen mit einem systolischem Blutdruck <140 mmHg, ist eine Blutdruckmes- sung ohne vorherige Ruhephase ver- tretbar, da sie zu ähnlichen Ergebnis- sen führt wie die Messung nach den empfohlenen 5 Minuten Ruhe. Dies kommt der Effizienz von Bluthoch- druck-Screeningprogrammen zu Gu- te, meinen sie: Durch die Verschlan- kung der Messprozedur kann das Screeningvolumen potenziell um etwa 60% gesteigert werden. Dr. med. Judith Lorenz, Künzell als 5 Minuten dauernde Ruhephase tatsächlich auf die Messergebnisse auswirkt, untersuchte nun ein US- Forscherteam mithilfe einer rando- misierten Studie. An der von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Johns Hopkins University School of Medicine initiierten Crossover-Studie nahmen 113 Erwachse- ne teil. Die Studienpopulation setzte sich zu je etwa einem Drittel aus Personen mit normalen Blutdruckwerten, Perso- nen mit erhöhten Blutdruckwerten (aber ohne Hypertonie) sowie Personen mit einer Hypertonie zusammen. Alle Pro- bandinnen und Probanden absolvierten – in zufälliger Reihenfolge – 3 automati- sierte Blutdruckmessungen am rechten Arm, wobei jeweils 3 Messwerte gewon- nen wurden: Ohne vorherige Ruhephase, nach 2 Minuten Ruhe sowie nach 5 Minu- ten Ruhe. Abschließend erfolgte in allen Fällen eine weitere Dreifachmessung nach 5 Minuten Ruhe. In Kombination mit der ersten Messung nach 5 Minuten Ruhe berechneten die Forscherinnen und Forscher daraus die anlagebedingte, intraindividuelle Blutdruckvariabilität. Vor jeder Messeinheit entleerten die Pro- banden die Blase und bewegten sich zu- nächst 2 Minuten lang, hielten sich da- nach 10 Minuten in einem Wartezimmer auf und liefen anschließend etwa 20 Me- ter bis zur Blutdruckmessstation. Auf diese Weise simulierte die Arbeitsgruppe das typische Bewegungsmuster von Per- sonen vor einer Screening-Blutdruck- messung. Ergebnisse Das Durchschnittsalter der Studienteil- nehmenden betrug 55 Jahre. Etwa ein Drittel waren Männer, drei Viertel afro- amerikanischer Abstammung und etwa die Hälfte der Personen nahm Antihyper- tensiva ein. Die durchschnittlichen sys- tolischen und diastolischen Blutdruck- werte waren zu allen 4 Messzeitpunkten ähnlich: Nach 0 und nach 2 Minuten Ru- hephase betrugen sie jeweils 127/74 mmHg, nach 5 Minuten (Messzeitpunkt 1) 128/75 mmHg und nach 5 Minuten (Messzeitpunkt 2) 127/76 mmHg. Die durchschnittliche absolute Differenz der nach 5 Minuten Ruhe zu Messpunkt 1 6 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 4–6 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung Ein oder mehrere Anzeichen Ersteinschätzung Klinik: ▪ zentrale Zyanose ▪ Tachypnoe ▪ Orthopnoe ▪ in-/exspiratorischer Stridor ▪ Bewusstseinsstörungen ▪ Hyperhidose ▪ Speichelfluss Keine Anzeichen Basismaßnahmen durchführen ▪ O2-Gabe ▪ venöser Zugang ▪ Monitoring der Vitalzeichen und 12-Kanal-EKG Stationäre Behandlung 1. Anamnese ▪ Klassifizierung – zeitlich (akut versus chronisch) – situativ – ursächlich ▪ Symptomintensität – Graduierung der Dyspnoe ▪ Medikamentenanamnese 2. Körperliche Untersuchung ▪ Auskultation von Thorax und Herz ▪ Palpation und Perkussion des Thorax ▪ Gesamtüberblick Konstitution ▪ Stimmung/psychischer Zustand 3. Laborchemische und apparative Diagnostik ▪ SARS-CoV-2-Test ▪ Blutbild (TSH, Glukose, CRP, Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), Nieren- und Leberfunktionsparameter, NT-proBNP, D-Dimere, Laktatdehydrogenase) ▪ EKG (Myokardischämie) ▪ Sonografie (Pleuraerguss, Perikarderguss, Aszites) ▪ erweiterte apparative Diagnostik: – Lungenfunktionsuntersuchung – Ergometrie – Röntgen Thorax ▶ Abb. 1 Diagnosealgorithmus Atemnot. CRP = C-reaktives Protein NT-proBNP = N-terminal-Pro Hormone Brain natriuretic Peptide SARS-CoV-2 = Severe Acute Respiratory Syndrome-Coronavirus 2 TSH = Thyreoidea stimulierende Hormon PR A XIS Klinische Alarmsignale ▪ zentrale Zyanose (SpO2 <90%) ▪ Tachypnoe (>20 Atemzüge/min) ▪ Einsatz der Atemhilfsmuskulatur (Orthopnoe) ▪ in-/exspiratorischer Stridor [4] ▪ Bewusstseinsstörungen ▪ Hyperhidrose (vermehrtes Schwitzen) ▪ Speichelfluss Cave Zuvor sollten die folgenden Basismaßnahmen durch- geführt werden: ▪O2-Gabe ▪ Legen eines venösen Zugangs ▪ kontinuierliches Monitoring der Vitalzeichen ▪ 12-Kanal-EKG 8 Cieslicka-Kieres Anna. SOP Akute Atemnot … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 7–12 | © 2021. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung PR A XIS Die 7 Fragen nach Ewert und Gläser bei Atemnot 1. Luftnot bei Belastung oder 2. in Ruhe? 3. Schwellung der Beine – ja/nein und wann – abends? 4. Nykturie ja/nein? 5. Bekannte chronische Lungen-/Herzerkrankung? 6. Andere Erkrankungen (Diabetes, Hypertonus, Neoplasie)? 7. Allergien/Nikotin? (nach [3, 5]) gefragt werden. Patienten mit kardialen Dekompensa- tionen berichten typischerweise Erstickungsgefühle mit Lufthunger, oft mit begleitenden ödematösen Un- terschenkeln und Füßen. Cave Die Dyspnoebeschreibung bei kardialen Patienten ist stark subjektiv mit sehr unterschiedlichem Wortlaut. Für manche ist sie ein Synonym für Angina pectoris, während andere die zwei Symptome zuverlässig trennen können [6]. Falls bei bisher kardiopulmonal gesunden Patienten plötzliche Luftnot, Pleuraschmerzen, Fieber und Hus- ten auftreten, kommt die Pneumonie als erste Diffe- renzialdiagnose in Frage. Hier hilft zur Schweregradab- schätzung hilft der CRB-65-Score (▶ Tab. 3). Merke Eine ambulante Behandlung kann bei CRB-65 = 0 durchgeführt werden, bei CRB-65 >1 soll eine zügige Hospitalisierung angestrebt werden. Cave Nicht ohne Bedeutung sind Allgemeinsymptome wie rezidivierendes Fieber, nächtliche Schweißausbrü- che, Gewichtverlust, Leistungsminderung – die soge- nannte „B-Symptomatik“, hinter welcher sich eine Tumorerkrankung verstecken kann [5]. Sofern psychische Gründe für Dyspnoe in Betracht ge- zogen werden, ist der „Patient Health Questionnaire 2“ (PHQ-2) einfach zu erfragen. Dank nur 2 Fragen nach Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Niedergeschla- genheit oder Schwermut, sowie nach mangelhaftem Interesse oder Freude an bisherigen Hobbys oder Tätig- keiten, ist eine relevante Depression einfach herauszu- finden [6]. Besonders bei jungen, bisher gesunden Patienten ist auch an eine psychogene Hyperventilation zu denken. Patienten mit bekannter chronisch obstruktiver Lun- generkrankung (COPD) geben neben Lufthunger auch gesteigerte Atemarbeit an. Für die Asthmatiker sind bei akuter Verschlechterung außer Lufthunger Ersti- ckungsgefühle charakteristisch. Wichtig sind auch vorangegangene respiratorische In- fekte und deren Begleitsymptome wie z. B. Husten und dessen Charakter – trocken/produktiv, Menge und Far- be des Schleims. und Engegefühle Nicht ohne Bedeutung ist die häufig übersehene Medi- kamentenanamnese. Die bronchospasmolytisch wir- kenden nicht-selektiven Betablocker oder die zur Bron- chokonstriktion führenden NSAID können akute Dysp- noeanfälle auslösen. Plötzlich auftretende Dyspnoe nach Koronarintervention muss nicht gleich auf eine Stentthrombose zurückführen werden, sondern kann z. B. eine Nebenwirkung des P2Y12-Antagonisten Tica- grelor (Brilique) sein. ▶ Tab. 3 CRB-65-Score [4] C = Konfusion Bewusstseinstrübung R B 65 Auswertung Atemfrequenz > 30/min Blutdruck diastolisch < 60 mmHg systolisch <90mmHg Alter > 65 Hinweis auf Mortalität 1 Punkt < 2% 1–2 Punkt 6–13% > 2 Punkt 23–34% 1 1 1 1 – – – 10 Cieslicka-Kieres Anna. SOP Akute Atemnot … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 7–12 | © 2021. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung KERNAUSSAGEN ▪ Patienten mit plötzlicher/akuter Atemnot stel- len aufgrund des breiten Spektrums der Diffe- renzialdiagnosen eine Herausforderung dar. ▪ Der Begriff „Dyspnoe” beinhaltet nicht nur die subjektive Wahrnehmung sensorischer Qualitä- ten in unterschiedlicher Intensität, sondern auch affektive und emotionale Dimensionen. ▪ Die erste diagnostische Differenzierung dient der Abgrenzung kardialer von pulmonalen und sonstigen Ursachen. ▪ Aktuell als erste diagnostische Maßnahme soll- te ein Nachweis des Sars-Cov-2-Virus-Status er- folgen. ▪ Ein standardisiertes Vorgehen spart Zeit und verbessert die Prognose der Patienten. Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessen- konflikt besteht. Autorinnen/Autoren Anna Cieslicka-Kieres Dr., Medizinstudium an der Medizinischen Universität Breslau. Fachärztin für Innere Me- dizin, Weiterbildungszeit abgeschlossen im Klinikum Landshut. Tätig als Assistenzärztin zur Weiterbildung in Allgemeinmedizin, Zen- trum für Allgemein und Innere Medizin, Ergolding. Korrespondenzadresse Dr. Anna Cieslicka-Kieres Überörtliche Gemeinschaftspraxis Zentrum für Innere und Allgemeinmedizin Landshuter Straße 8 84051 Essenbach Deutschland acieslicka-kieres@ziam-praxis.de Literatur [1] O’Donell DE, Banzett RB, Carrieri-Kohlman V et al. Patho- physiology of dyspnea in chronic pulmonary disease: a roundtable. Proc Am Thorac Soc 2007; 4: 145–418 [2] Parschall MB, Schwartzstein RM, Adams L et al. An official American Thoracic Society statement: update on the me- chanisms, assessment, and management of dyspnea. Am J Respir Crit Care Med 2012; 185: 435–452 [3] Ewert R, Gläser S. Dyspnea. From the concept up to diag- nostics. Internist 2015; 56: 865–871 doi:10.1007/s00108- 015-3690-3 [4] Herold G et al. Herold Innere Medizin 2018. Pneumologie. Köln: Herold; 2018 [5] Fröhlich G, Schorn K, Fröhlich H. Dyspnoe: Herausforderung in der internistisch-hausärztlichen Praxis. Hessisches Ärzte- blatt 2020; 12: 664–677 [6] Löwe B, Kroenke K, Gräfe K. Detecting and monitoring de- pression with a 2-item questionnaire (PHQ 2). J Psychosom Res 2005; 58: 163–171 [7] Dahmer J. Anamnese und Befund. Die symptom-orientierte Patientenuntersuchung als Grundlage klinischer Diagnostik. Ein interaktives Taschenbuch für Studium und Praxis. 10. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2006 [8] Ponikowski P, Voors AA, Anker SD et al. ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart fai- lure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC). Developed with the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J 2016; 37: 2129–200 [9] Herold G et al. Herold Innere Medizin, Angiologie 2018. Köln: Herold; 2018 Bibliografie Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 7–12 DOI 10.1055/a-1284-7758 ISSN 2699-8696 © 2021. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany 12 Cieslicka-Kieres Anna. SOP Akute Atemnot … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 7–12 | © 2021. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung ▶ Abb. 2 Schlauchverbandgaze (tg) in verschiedenen Durchmessern. Beispielhaft: Lohmann&Rauscher. Schritt 1 – Vorbereiten Für den Fingerverband rollen Sie eine Verbandlänge ab, die großzügig dem Doppelten der Strecke zwischen Fingerkuppe und Ellenbeuge des Patienten entspricht (erfahrungsgemäße Richtlänge) (▶ Abb. 3). ▶ Abb. 4 Aufziehen des Schlauchverbands auf den Applikator. Schritt 2 – Festhalten Vom Applikator streifen Sie eine „Fingerlänge“ ab, die- se legen Sie auf den Finger des Patienten. Proximal fi- xiert Ihre linke Hand den Verband (▶ Abb. 5). ▶ Abb. 5 Fixierung des Schlauchverbands auf der Hand und Ansetzen des Applikators. ▶ Abb. 3 Abmessen der nötigen Verbandlänge für den Fingerverband. Den entsprechend abgeschnittenen Schlauch stülpen Sie anschließend über den Applikator (▶ Abb. 4) 14 Bernau Ruben. Wiederentdeckt! Der Fingerverband … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 13–17 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung ▶ Abb. 9 Vorbereitung der Schlinge. a Aufschneiden des Schlauchverbands bis zum Fingergrundgelenk b auf der Beuge und c Streckseite. Cave Verwenden Sie eine Verbandschere nach Listerart, um Verletzungen zu vermeiden. Nun schlagen Sie auf Höhe des Handgelenks einen Luftknoten (▶ Abb. 10) Die beiden Schlauchverbandenden führen Sie auf die Beugeseite. Dort werden Sie verknotet und gekürzt ▶ Abb. 11. Fazit Schlauchverbände können Sie nach etwas Übung breit und einfach einsetzen. In der hausärztlichen Praxis wird sicherlich der Finger am häufigsten auf diese Art verbunden, es lassen sich aber auch die großen Gelen- ke derart verbinden und ruhigstellen. Fuß- und Hand- verbände sind einfach anzulegen. Besonders der Kopf- ▶ Abb. 10 Schlagen des Luftknotens auf Höhe des Hand- gelenks (streckseitig) ▶ Abb. 11 a Verknoten der beiden Schlauchenden. b Der fertige Schlauchverband von der Streckseite und cvon der Beugeseite. 16 Bernau Ruben. Wiederentdeckt! Der Fingerverband … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 13–17 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

Impressum Allgemeinmedizin up2date 3. Jahrgang Die Allgemeinmedizin up2date erscheint 4-mal jährlich. ISSN (Print): 2699-8696 eISSN: 2699-870X Copyright & Ownership Wenn nicht anders angegeben: © 2022. Thieme All rights reserved. Die Zeitschrift Allgemeinmedizin up2date ist Eigentum von Thieme. Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany Schriftleiter Dr. med. Hans Michael Mühlenfeld, Bremen Herausgebende Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, Greifswald Dr. med. Reingard Glehr, Hartberg Dr. med. Jürgen Herbers, Pleidelsheim Prof. Dr. med. Ute Hoffmann, Regensburg Dr. med. Charlotte Hoser, Landshut Dr. med. Wolfgang von Meißner, Baiersbronn Priv.-Doz. Dr. med. Nicolas T. Schwarz, Neumünster Die Herausgebenden sind nicht verantwortlich für in der Zeitschrift enthaltene Anzeigen und Beilagen. Verlag Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart oder Postfach 301120, 70451 Stuttgart Tel.: +49 711 8931-0, Fax: +49 711 8931-298 www.thieme.de, www.thieme.de/ allgemeinmedizin-u2d www.thieme-connect.de/products Web-App: www.thieme.de/eref-app Redaktion Sie erreichen die Redaktion unter: allgemeinmedizin-u2d.impressum@thieme.de V.i.S.d.P.: Sabine Görlich-Gündüz, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart Verantwortlich für den Anzeigenteil Thieme Media Pharmedia Anzeigen- und Verlagsservice GmbH Manfred Marggraf, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart oder Postfach 300880, 70448 Stuttgart Tel.: +49 711 8931-464, Fax: +49 711 8931-470 E-Mail: Manfred.Marggraf@thieme-media.de Produktionsmanagement Tel.: +49 711 8931-634, Fax: +49 711 8931-393 E-Mail: Antje.Wachsmann@thieme.de Abonnentenservice Wir bitten unsere Abonnent*innen, Adressänderungen dem Abonnentenservice mitzuteilen, um eine reibungs- lose Zustellung der Zeitschrift zu gewährleisten. 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Soweit in diesem Heft eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, dürfen die Lesenden zwar da- rauf vertrauen, dass Autor*innen, Herausgebende und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung der Zeitschrift entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applika- tionsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede*r Benutzende ist angehal- Versandkosten Gesamtkosten Bezugspreise 2022* Normalpreis Vorzugspreis für Ärzte in der Weiterbildung und Studenten Abo 200,00 151,00 Inland 31,40 31,40 institutioneller Jahresbezugspreis 500,00** 31,40 Ausland 38,10 38,10 38,10 Inland 231,40 182,40 Ausland 238,10 189,10 531,40 538,10 * Jährliche Bezugspreise in € (D), unverbindlich empfohlene Preise inkl. der gesetzl. MwSt (D). Im Ausland verstehen sich die Preise und Versandkosten exkl. der gesetzlichen MwSt. Preisänderungen vorbehalten. Preis für ein Einzelheft 72,00 € zzgl. Versandkosten ab Verlagsort. 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Wertschätzende Sprache und geschlechtergerechter Sprachgebrauch Thieme Publikationen streben nach einer fachlich kor- rekten und unmissverständlichen Sprache. Dabei lehnt Thieme jeden Sprachgebrauch ab, der Menschen belei- digt oder diskriminiert, beispielsweise aufgrund einer Herkunft, Behinderung oder eines Geschlechts. Thieme wendet sich zudem gleichermaßen an Men- schen jeder Geschlechtsidentität. Die Thieme Recht- schreibkonvention nennt Autor*innen mittlerweile kon- krete Beispiele, wie sie alle Lesenden gleichberechtigt ansprechen können. Die Ansprache aller Menschen ist ausdrücklich auch dort intendiert, wo im Text (etwa aus Gründen der Leseleichtigkeit, des Text-Umfangs oder des situativen Stil-Empfindens) z. B. nur ein generi- sches Maskulinum verwendet wird. Printed in Germany Satz: seitenweise, Tübingen Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale) 18 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 18 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

Allgemeinmedizin up2date 1 · 2022 Symptome – Syndrome 2 Dermatologie für Nichtdermatologen Jörg Hermann VNR: 2760512022161721701 DOI: 10.1055/a-1623-1844 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3 (1): 21–34 ISSN 2699-8696 © 2022. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Dermatologie für Nichtdermatologen Jörg Hermann Der Begriff „Effloreszenzenlehre“ ist Ihnen bestimmt geläufig. Wissen Sie aber auch, welche beschreibenden Vokabeln die Befundmitteilung an weiterbehan- delnde Dermatologen nützlich machen? Oder welche häufigen Dermatosen Sie selbst erkennen und behandeln können, und welche bösartigen Hauterkrankun- gen Sie sicher erkennen aber überweisen sollten? Und was macht eine Allergie aus – im Unterschied zur Unverträglichkeit? All dies erklärt dieser Beitrag. Einleitung Während die Ausbildung in der Dermatologie im Studi- um oft eher ein Nischendasein führt, bringt der Alltag in der Allgemeinaztpraxis bei ca. einem Viertel aller Pa- tienten dermatologische und allergologische Befunde mit sich, oft allerdings als Nebenaspekt. Viele Diagno- sen auf diesem Gebiet können in der Allgemeinarztpra- xis gestellt werden, vieles ist dort auch abschließend therapierbar, manches aber gehört in die Hände von Spezialisten. In diesem Fall ist es zielführend, die be- reits erhobenen Befunde richtig und fachkundig zu be- schreiben. Merke Wer bei Windpocken von „Pusteln und Pickeln“ spricht, outet sich als Laie. Wer bei korrekter Beob- achtung und Beschreibung die falsche Diagnose stellt, wird dennoch Respekt erhalten. Effloreszenzen Oft, aber durchaus nicht immer, lässt sich eine Hauter- krankung „auf einen Blick“ identifizieren. Nichtderma- tologen und Patienten erwarten dies praktisch immer, da die Erscheinungen ja ohne Geräte dem Auge zu- gänglich sind. Hinter den „Erblühungen“ stecken aber fast immer innere, immunologische Vorgänge. Die ▶ Tab. 1 zeigt eine Auswahl von Effloreszenzen. Wer Spaß daran findet, kann sich auch näher mit Schuppung (klein- und großlamellar), Erosionen, Ulkus und Exkoriationen befassen. Geläufig sollte sein, dass eine Geschwulst für Substanzvermehrung, das Ge- schwür für Substanzverlust steht. Die großen Dermatosen Die atopische Dermatitis Mit einer Prävalenz von über 10% bei Kindern und wahr- scheinlich über 3% bei Erwachsenen kommt diese chro- nische Dermatose praktisch jeden Tag in der allge- meinärztlichen Praxis vor. Leider geistert die alte Be- zeichnung „Neurodermitis“ weiter durch die Sprech- zimmer, sie sollte mangels Nachweises von neurologi- schen Ursachen verlassen werden. Vielmehr ist die ato- pische Dermatitis Teil des sogenannten „atopischen Formenkreises“, bei dem neben der genetischen Prä- disposition für immunologische „Fehlschaltungen“ Umwelteinflüsse eine wesentliche Rolle spielen. Dies widerspricht dem steten Wunsch von Therapeut und Patient nach Monokausalität und führt daher bei den Erkrankten oft zu absurden Eigentherapien. ▪ Anamnese Die Anamnese soll die Frage nach Beginn und Dauer der Hauterscheinungen, nach bekannten Allergien (Heuschnupfen) und nach Asthma umfassen, glei- ches bei der Familienanamnese [1, 2]. INFOBOX 1 Ekzem und Exanthem Exanthem ist ein Ausschlag, der sich über mindestens eine größere Körperregion erstreckt und aus o. g. Effloreszenzen (▶ Tab. 1) bestehen kann. Anlass zu vielen Expertendiskussio- nen ist die Vokabel „Ekzem“: eine histologisch uneinheitliche Entität, die klinisch mit flächiger Rötung, weniger Schuppung, bisweilen feinster Bläschen und in der Regel Juckreiz impo- niert. Der Kenner der atopischen Dermatitis Prof. Enno Chri- stoffers, seinerzeit Direktor der Universitätshautklinik Kiel, bemerkte in seinen Vorlesungen: „Ein Ekzem ist, was wie ein Ekzem aussieht!“ Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 23

a b c ▶ Abb. 1 Atopische Dermatitis. Prädilektionsstellen. Verteilungsmuster der atopischen Dermatitis je nach Lebensalter (a) Säuglinge (b) Kin- der (c) Jugendliche und Erwachsene. Quelle: Worm M, Burgdorf W. Atopische Dermatitis. In: Sterry W, Burgdorf W, Worm M, Hrsg. Checkliste Dermatologie. 7. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014. DOI: 10.1055/b-003–125808. a b ▶ Abb. 2 Prädilektionsstellen (a) Psoriasis vulgaris (b) Psoriasis inversa. Quelle: Tsianakas A. Psoriasis vulgaris. In: Moll I, Hrsg. Duale Reihe Dermatologie. 8. vollständig überarbeitete Aufl. Stuttgart: Thieme; 2016. DOI: 10.1055/b-003–129293. Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 25

▶ Abb. 5 Pricktest am Unterarm. Durchführung (Tropfen mit Lanzette). Quelle: Stefaniak R. Pricktest. In: Sterry W, Hrsg. Kurzlehrbuch Dermatologie. 2., aktualisierte Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018. DOI: 10.1055/b-006-149283. Heuschnupfen und allergisches Asthma Häufigste Auslöser dieser „Typ-1“ genannten Allergie sind an sich harmlose Naturstoffe: ▪ Gräser und Baumpollen, ▪ Tierepithelien (nicht -haare), ▪ Insektengifte, ▪ Hausstaubmilben. Am häufigsten ist der Heuschnupfen: in der saisonalen Form schon am Telefon zu diagnostizieren, bei der pe- rennialen (ganzjährigen) Form eher durch einen Prick- Test an der Haut (▶ Abb. 5). Weniger häufig ist das al- lergische Asthma, klassisch mit vornehmlich exspirato- rischer Luftnot. Die Übergänge zum nicht allergischen „intrinsischen“ Asthma sind fließend. Für beide Formen sind etablierte Stufentherapien in den Leitlinien niedergelegt mit zahlreichen Medika- menten von H1-Antihistaminika bis zu systemischen Immuntherapeutika. Eine besondere Aufgabe für den Allgemeinarzt ergibt sich bei Durchführung einer spe- zifischen Immuntherapie (falsch: Desensibilisierung): Hierbei ist die Therapieadhärenz über 3 Jahre der Schlüssel zum Erfolg – es bedarf aber wegen der nicht unmittelbaren Spürbarkeit des Therapieerfolges einer hingebungsvollen Patientenführung. Als einzige kausa- le Therapie ist sie mühsam, aber unersetzlich. Kontaktekzem Dem Ekzem ist nicht anzusehen, ob es toxisch, endo- gen oder durch eine Kontaktallergie ausgelöst wurde. Die „Typ-4“ genannte allergische Reaktion an der Haut tritt langsam, nach und nach an Stellen auf, an denen wiederholt Kontakt mit einer auslösenden, sensibilisie- renden Substanz stattfindet. Die Anamnese, insbeson- dere zu Beruf und Hobby, kann auf die Spur führen, fast ▶ Abb. 6 Akneiforme Arzneimittelnebenwirkung nach Cetuximab. Quelle: Lautenschlager S. Hautveränderungen infolge von Medikamentennebenwirkungen und Intoxika- tionen. In: Battegay E, Hrsg. Differenzialdiagnose Innerer Krankheiten. 21., vollständig überarbeitete und erweiter- te Aufl. Stuttgart: Thieme; 2017. DOI: 10.1055/b-004- 129980. immer ist dann ein Epikutantest erforderlich (i. d. R. beim Spezialisten). Dieser Test ist jedoch nur im Zu- sammenhang mit guten anamnestischen Angaben ver- wertbar, die in der hausärztlichen Praxis gewonnen wurden. Die Therapie besteht langfristig in der konse- quenten Meidung des Auslösers. Bei beruflicher Verur- sachung entsteht i. d. R. ein BG-Fall mit nützlicher Un- terstützung (Hautarztverfahren entsprechend dem D- Arztverfahren bei Unfällen). Intoleranzen oder Pseudoallergien Da hier der immunologische Vorgang der Sensibilisie- rung fehlt, kann eine Reaktion schon beim ersten Kon- takt auftreten. Arzneimittelreaktionen Arzneimittelreaktionen gehen häufig mit einem Exan- them einher (Beispiel in ▶ Abb. 6). Sie sind entweder al- lergischer Genese (Typ I–IV nach Coombs und Gell) oder häufig auch nicht-immunologischer Natur. Das Bild ist bunt, von blassen, makulösen Ausschlägen über Urtikaria mit oder ohne Quincke-Ödem bis hin zu massiven, hämorrhagischen und großblasigen Haut- veränderungen mit lebensbedrohlichem Verlauf. Merke Die allgemeinärztliche Arbeit besteht darin, zunächst in „schwer krank“ und „nicht schwer krank“ zu un- terscheiden, und dann in beiden Fällen vor allem die Medikamentenanamnese kleinstteilig und sorgfältig zu sichern. Besonderes Augenmerk gilt dem „wann, was“. Patien- ten nehmen ja bekanntlich mitnichten alle verordneten Mittel planmäßig ein – kaufen aber in Apotheken und Drogeriemärkten OTC Präparate, die nicht als Arznei- Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 27

Merke Die rasche Behandlung erspart dem Patienten die chronische Lymphadenitis mit der Gefahr des Rezidivs und des Lymphödems. Das rezidivierende Erysipel gehört in die Hand des Dermatologen. Scharlach Als Platzhalter für (immer seltener werdende) Kinder- krankheiten sei Scharlach genannt. Auslöser sind auch hier Streptokokken, die ihrerseits durch Viren befallen sind und in der Folge ein Toxin bilden. Es existiert keine Impfung. Das klinische Vollbild ist sehr charakteris- tisch: schweres Krankheitsgefühl, nach wenigen Tagen Exanthem aus kleinen, rötlichen Papeln, erst lokalisiert, dann generalisiert unter Aussparung der Mundregion (Scharlachgesicht), dazu nicht selten die „Himbeerzun- ge“. Gegen die Toxine entsteht Immunität, nicht aber gegen den bakteriellen Erreger. Eine Reinfektion mit den gleichen Streptokokken erzeugt schließlich nur noch eine Tonsillitis, ggf. ganz ohne Hauterscheinun- gen. Therapie: Penicillin, Antipyretika. Virale Hauterkrankungen Pityriasis rosea Einmal im Leben erwischt es fast jeden. Mal sind es we- nige Flecke, mal ist die Haut ganz bunt. Oft geht ein einzelner Fleck mehrere Tage den anderen voran, fast pathognomonisch. Die Flecken folgen den Hautspaltli- nien, bisweilen gibt es im späteren Stadium leichte Schuppung (▶ Abb. 8). Die Beschwerden sind besten- falls minimal. Die Abheilung erfolgt immer ohne Inter- vention nach 2 Wochen. Die erste Effloreszenz könnte zur Diagnose Tinea verleiten, das Vollbild kann auch stark nach einer Lues aussehen. Alter und Anamnese geben meist den Ausschlag und ersparen die Syphilis- Serologie. Warzen, Verrucae vulgares Eine DD gibt es fast nicht. Häufigster Ort bei Kindern sind die Hände, bei Älteren die Fußsohlen (▶ Abb. 9). Dort evtl. mit Clavus („Hühnerauge“) zu verwechseln, der aber meist mehr Hornhaut bildet und nicht das für Warzen typische Mosaikmuster zeigt. Merke Therapie bei Kindern: entschlossenes Abwarten, ggf. Placebo bzw. Suggestionstherapie. Es gilt mehr denn je: nihil nocere! Therapie bei Erwachsenen: chemisch (Salpetersäure) oder mechanisch (Kürettage), auch dort eher zurück- haltend, je nach Leidensdruck oder Beschwerdebild. Hohes Rezidivrisiko! ▶ Abb. 7 Gesichtserysipel. Hochrote, ödematöse Schwellung der linken Wange mit zungenförmigen Aus- läufern über dem Nasenrücken. Quelle: Meissner M. Erysi- pel. In: Moll I, Hrsg. Duale Reihe Dermatologie. 8. voll- ständig überarbeitete Aufl. Stuttgart: Thieme; 2016. DOI: 10.1055/b-003-129293. ▶ Abb. 8 Pityriasis rosea. Quelle: Fölster-Holst R. Andere Viren. In: von Stebut-Borschitz E, Maurer M, Berneburg M, Steinbrink K, Hrsg. Facharztprüfung Dermatologie und Venerologie. 2., aktualisierte Aufl. Stuttgart: Thieme; 2020. DOI: 10.1055/b000000044. noch unangenehmer ist die Lokalisation im Gesicht (▶ Abb. 7), hier ist die Eintrittspforte die Nasenschleim- haut. (DD für beide: Herpes zoster! Dieser tritt aber eher mit geringem Fieber auf, ist weniger intensiv ge- färbt, mit Bläschen und segmental). Therapeutisch kommt Penicillin zum Einsatz. Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 29

HINWEIS FÜR DIE PR A XIS ABC(DE)-Regel Als auffällig gelten ▪ A wie Asymmetrie: fehlende Achssymmetrie gilt als auffällig ▪ B wie Begrenzung: unscharfe oder unregelmäßig begrenzte Male sind verdächtig ▪ C wie Colour: schwarze oder mehrfarbige Male sind Grund zur Sorge ABC wird gerne ergänzt durch ▪ D wie Durchmesser: über 5 mm eher auffällig ▪ E wie Entwicklung: das Hautmal hat sich in letzter Zeit ver- ändert Mit dem bloßen Auge gilt es, die ABC(DE)-Regel (Box „Hinweis für die Praxis“) der braunen Flecke anzuwen- den (▶ Abb. 10). Im Zweifel sollte der Allgemeinmedizi- ner solche Male zum Spezialisten schicken. Weißer Hautkrebs Sehr viel häufiger als das Melanom sind Basaliome und Spinaliome, oft unter „weißer Hautkrebs“ zusammen- gefasst, obwohl Klinik, Therapie und Prognose sich deutlich unterscheiden. Hinzu kommen noch sehr sel- tene Krebsarten. Basaliome (Basalzellkarzinome) entstehen besonders häufig auf den „Sonnenterassen“ des Gesichts, d. h. an den Orten intensiver Besonnung: Nase, Wange, Schlä- fen. Entscheidend ist es, daran zu denken. Wegen des langsamen Wachstums neigen Patienten dazu, als Anamnese „schon immer da“ anzugeben oder irgend- welche Unfälle als Erklärung vorzutragen, „beim Blu- mengießen am Kaktus gestochen“. Basaliome metasta- sieren erst sehr spät, letale Fälle sind rar. Daher wird oft von „halbbösartigen Tumoren“ gesprochen. Im Krebs- register werden sie je Patient nur einmal gezählt, sonst wäre die Zahl der Hauttumore etwa gleich groß wie die Zahl aller anderen Krebsarten zusammen. Die lokale Destruktion ist besonders im Gesicht aber oft schon bei kleineren Tumoren beeindruckend. Merke Wer ein Basaliom hatte, bekommt auch noch eines. Die Erhabenheit des Randes, oft perlschnurartig, und Gefäße unter dem Auflichtmikroskop weisen den Weg zur Diagnose. Eine Pigmentierung jeder Couleur ist möglich (▶ Abb. 11). Varianten am Rumpf und in Haut- falten sehen oft sehr untypisch aus. Im Zweifel hilft nur die Histologie. Die Therapie besteht in einer vollständi- gen Exzision mit histologischer Randkontrolle. ▶ Abb. 10 Melanom. ▶ Abb. 11 Basaliom. Merke Das Melanom wird durch die kumulative UV-Bestrah- lungsdosis befördert, aber nicht am Ort der erfolgten Bestrahlung. Frühe (flache) Melanome werden fast immer überlebt, späte Melanome haben trotz mo- derner Therapie immer noch schlechte Prognosen [6]. Die Mehrzahl der Allgemeinmediziner nimmt – oft be- reits in der Weiterbildung – an einer 8-stündigen stan- dardisierten Schulung zur Hautkrebsfrüherkennung teil, die sich fast ausschließlich mit Epidemiologie be- fasst und kaum mit Klinik. Der Grund dafür ist, zu ver- deutlichen, dass man am unsortierten Patientengut der Allgemeinpraxis Tausende normaler Naevi besichti- gen muss, bevor man ein Melanom findet – was in der Summe die Aufmerksamkeit des Arztes über alle Ma- ßen beansprucht. Es wurde nachgewiesen, dass auch altersstandardisiert die Zahl der Melanome zunimmt: in 12 Jahren um 55%, ohne Alters-Standardisierung so- gar um 77%. Die Sterberate stieg um 58% bei Männern und um 30% bei Frauen – dies allerdings nur aufgrund steigender Lebenserwartung! Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 31

Punkte sammeln auf CME.thieme.de Diese Fortbildungseinheit ist in der Regel 12 Monate online für die Teilnahme verfügbar. Unter https://eref.thieme.de/CXIF1FA oder über den QR-Code kommen Sie direkt zur Startseite des Wissenstests und zum Artikel Sie finden dort auch den genauen Einsendeschluss. Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, finden Sie unter https://cme.thieme.de/hilfe eine ausführ- liche Anleitung. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg beim Beantworten der Fragen! VNR 2760512022161721701 Frage 1 Welche Aussage ist richtig? Frage 4 Welche Aussage ist richtig? A Mykosen sind mit Breitbandantimykotika immer erfolg- B C reich zu behandeln. Scharlach befällt zuerst peroral die Haut. Streptokokken führen zu sehr unterschiedlichen Hauter- scheinungen. D Bei Erythema migrans muss immer eine Serologie gemacht werden. Borreliose wird durch grampositive Stäbchen verursacht. E A Hauterscheinungen sollten auf der Überweisung möglichst exakt mit den Worten des Patienten wiedergegeben wer- den. Papeln und Pusteln sind Worte für dieselbe Entität. Einen Fleck kann man sehen und fühlen. B C D Bei Scharlach treten als erstes Symptom meist Quaddeln auf. E Masern, Mumps und Röteln sind seltene Kinderkrankheiten. Frage 2 Welche Aussage zur Psoriasis-Arthritis trifft zu? Frage 5 Welche Aussage ist richtig? A Sie tritt meist vor den Hautmanifestationen auf. B Ein Nagelbefall reduziert das Risiko für eine Psoriasis-Ar- thritis. Typisch ist der symmetrische Befall. C D Eine Daktylitis ist nahezu pathognomonisch. E Bei leichter Psoriasis ist eine Psoriasis arthropathica nahezu ausgeschlossen. Frage 3 Welche Aussage ist richtig? A Laktoseintoleranz kommt vor allem bei Mitteleuropäern B C vor. Laktoseintoleranz bleibt immer lebenslänglich erhalten. Vermehrte Laktosezufuhr kann zu Histaminausschüttung führen. D Vermehrte Histaminausschüttung kann zu Quaddeln füh- ren. E Histaminsensible Patienten sollten abends regelmäßig Rotwein trinken. A B C D E Am Rumpf haben Basaliome immer große „Perlen“ als Merkmal. Basaliome zeichnen sich durch häufige Zweittumore aus. Am häufigsten sind Basalzellkarzinome in Hautfalten und können mit Intertrigo verwechselt werden. Spinalzellkarzinome sind die häufigsten Hauttumore beim Menschen. Basaliome sind immer farblos. Frage 6 Welche Aussage ist richtig? A Beim Melanom sind infauste Prognosen häufig. B Die Dicke des Melanoms gibt keinen Hinweis auf die Prog- nose. C Melanome entstehen am Ort intensiver UV-Bestrahlung. D Lebenslange Sonnendosis hat Einfluss auf die Wahrschein- lichkeit der Entstehung eines Melanoms. Fehlende Pigmentierung schließt ein Melanom aus. E Hermann Jörg. Dermatologie für Nichtdermatologen … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 21–34 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 33

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Allgemeinmedizin up2date 1 · 2022 Spezifische Patientengruppen 3 Depressive Erkrankungen in der Hausarztpraxis Sven Schulz Florian Wolf VNR: 2760512022161721719 DOI: 10.1055/a-1398-4588 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3 (1): 37–54 ISSN 2699-8696 © 2022. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Depressive Erkrankungen in der Hausarztpraxis Sven Schulz, Florian Wolf Die Behandlung depressiver Erkrankungen ist u. a. aufgrund der Häufigkeit ein wesentlicher Bestandteil hausärztlicher Tätigkeit. Die Aufgaben umfassen Diag- nostik, adäquate Therapie und Koordination der Versorgung, v. a. bei schweren und chronischen Verläufen. Eine zusätzliche Herausforderung besteht, wenn Antriebs- oder Hoffnungslosigkeit vorliegen oder Symptome, die existenzielle Themen wie Schuld, Sinnfragen bis hin zur Suizidalität beinhalten. Einleitung Zur Diagnostik und Therapie depressiver Erkrankungen liegen umfangreiche Erkenntnisse vor. Die S3-Leitlinie/ Nationale Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression“ (NVL Depression 2015) wurde unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DE- GAM) zusammengefasst und enthält – basierend auf den vorliegenden Erkenntnissen – wesentliche Empfeh- lungen zu Diagnostik, Therapie und Versorgungsabläu- fen. In diesem Beitrag wird die Behandlung von Men- schen mit depressiver Erkrankung auf Grundlage der NVL und aktueller Forschungserkenntnisse sowie unter besonderer Berücksichtigung des hausärztlichen Kon- textes dargestellt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgen- den das generische Maskulinum verwendet, welches alle Geschlechter gleichermaßen einbezieht. Epidemiologie Depressive Störungen gehen mit einer relevanten Ein- schränkung von Lebensqualität und Leistungsfähigkeit der Betroffenen einher, verursachen immense direkte und indirekte Kosten und stellen zunehmend häufig ei- nen Grund für Arbeitsunfähigkeit dar [1, 2, 3, 4]. Mit einer nationalen wie internationalen 12-Monats- Prävalenz von 6–8% gehören depressive Erkrankungen zu den aus epidemiologischer Sicht wichtigsten Erkran- kungen überhaupt [5, 6]. Merke Etwa jeder zehnte Patient (Punktprävalenz ca. 9– 11%), der sich in der Hausarztpraxis vorstellt, erfüllt die Kriterien einer depressiven Störung [7, 8, 9]. Die administrative Prävalenz, also die Häufigkeit der verschlüsselten Depressionsdiagnosen, liegt im Bun- desdurchschnitt bei etwa 13%; hierbei unterscheidet sich die Verteilung deutlich in Bezug auf ▪ das Alter (Zunahme mit steigendem Alter), ▪ das Geschlecht (Frauen etwa doppelt so häufig be- troffen wie Männer) und ▪ die Region (höchste Prävalenzen in Bayern, Berlin und Baden-Württemberg) [10]. Bei der Versorgung depressiver Störungen überneh- men Hausärzte in der Regel weit mehr als nur eine ko- ordinierende und betreuende Funktion. Da eine kurz- fristige psychotherapeutische bzw. fachärztlich psychi- atrische (Anschluss-)Behandlung häufig nicht verfüg- bar ist oder vom Patienten nicht gewünscht wird, bleibt die Hausarztpraxis oft oder zumindest zeitweise die einzige Anlaufstelle. Dementsprechend wird die Mehrheit aller ambulanten depressiven Patienten aus- schließlich hausärztlich behandelt [10, 11]. Symptomatik depressiver Erkrankungen Das breite Spektrum möglicher Symptome depressiver Erkrankungen lässt sich in psychische, psychomotori- sche und somatische Symptome unterteilen. ▪ Psychische Symptome: Hier können als sog. Hauptsymptome eine ge- drückte Stimmung auftreten (an dieser Stelle auch der Verweis auf die Herkunft des Wortes Depressi- on aus dem französischen Wort für „Senkung“), Verlust von Interesse und Freude sowie verminder- ter Antrieb und erhöhte Ermüdbarkeit (▶ Abb. 1). Weitere mögliche psychische Symptome sind ver- minderte Konzentration und Aufmerksamkeit, ver- mindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Sui- zidphantasien/-handlungen, Libidoverlust, Grü- beln, Einengung der Wahrnehmung, Wahn, fehlen- Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 39

▪ der ICD-10 (International Classification of Diseases; in der 10. Überarbeitung) oder ▪ des im Forschungskontext gebräuchlichen US-ame- rikanischen Diagnosemanuals DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; 5. Aufla- ge) [14, 15]. Diese Spezifizierung ist von großer Bedeutung, da sich hieraus unmittelbare Konsequenzen für den Behand- lungsverlauf und die Prognose ergeben [16]. ICD-10: Dauer, Hauptsymptome, Zusatzsymptome Zur Diagnosestellung und Schweregradeinteilung einer depressiven Episode nach ICD-10 müssen ▪ mindestens 2 (bei einer schweren Episode 3) Hauptsymptome über einen Zeitraum von mindes- tens 2 Wochen bestehen, ▪ für eine leichte Episode müssen bei den Betroffenen außer den Hauptsymptomen mindestens 2 Zusatz- symptome vorhanden sein, ▪ für die mittelgradige Episode 3–4 Zusatzsymptome und ▪ für die schwere Episode mindestens 4 Zusatzsymp- tome (▶ Abb. 1). Diese Differenzierung nach Schweregrad kann nach ICD-10 sowohl bei monophasischen (F32) als auch bei rezidivierenden depressiven Störungen (F33) ange- wandt werden [14]. Im DSM-5 wird für die unipolare depressive Störung der Begriff „Major Depressive Dis- order“ verwendet, wobei für das Vorliegen einer de- pressiven Episode nach DSM-5 mindestens fünf Symp- tome und in der ICD-10 für die leichte depressive Epi- sode lediglich vier Symptome (zwei Haupt- und zwei Zusatzsymptome) erforderlich sind. Somatisches Syndrom Bei leichten bzw. mittelgradigen depressiven Episoden kann auch klassifiziert werden, ob zusätzlich zu den Haupt- und Zusatzsymptomen ein somatisches Syn- drom vorliegt – früher auch als „endogene“ oder „auto- nome“ Depression bezeichnet. Typische Merkmale des somatischen Syndroms sind: ▪ Interessenverlust oder Verlust der Freude an nor- malerweise angenehmen Aktivitäten ▪ mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umge- bung oder freudige Ereignisse emotional zu reagie- ren ▪ frühmorgendliches Erwachen, 2 oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit ▪ Morgentief ▪ objektiver Befund einer psychomotorischen Hemmung oder Agitiertheit ▪ deutlicher Appetitverlust ▪ Gewichtsverlust, häufig > 5% des Körpergewichts im vergangenen Monat ▪ deutlicher Libidoverlust FALLBEISPIEL 1A Erstmanifestation/Identifikation somatischer Symptome Die 40-jährige Frau M. stellt sich am Montagmorgen in der Sprechstunde mit den Worten vor, sie „schaffe es heute nicht auf Arbeit“. Es gebe dort Schwierigkeiten, sie wisse nicht, wie sie es schaffen solle. Auf Nachfrage berichtet sie, dass sie vor 2 Monaten neu in dem Supermarkt angefangen habe. Die Ein- arbeitung sei ihr schwergefallen, mit den Mitarbeitern komme sie mäßig zurecht. Sie könne die Arbeit nicht gut koordinieren. Seit der Zeit habe sie auch Rückenschmerzen und abends sei sie sehr erschöpft. Im Erscheinungsbild ist Frau M. sehr auf ihr Äußeres bedacht. Im Kontakt wirkt sie wenig schwingungsfähig, ernst und zu- rückhaltend. Sie erzählt kaum aus sich heraus, Ihre Antworten kommen zögerlich, mit leiser Stimme. Frau M. ist eine bekannte Patientin der Praxis. Bisherige Kon- sultationen erfolgten aufgrund von Vorsorgeuntersuchungen und akuten Infekten, meist der oberen Atemwege. Chronische Erkrankungen bestehen nicht. Als gelernte Schneiderin hat sie seit der Lehre als Verkäuferin in verschiedenen Einrichtungen gearbeitet. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder im Alter von 3 und 7 Jahren. Merke Bei vorliegendem somatischen Syndrom ist häufiger eine Abkopplung von äußeren Faktoren zu beobach- ten, und die Suizidgefahr ist erhöht. Hier ist eine zü- gige Anbindung an den Fachspezialisten anzustreben. Chronische Verlaufsformen Etwa 15–30% aller Patienten mit einer depressiven Epi- sode entwickeln einen chronischen Verlauf mit einer persistierenden Symptomatik von 2 oder mehr Jahren [12]. Bis heute liegt für den Begriff „chronische Depres- sion“ keine einheitliche Definition vor. Eine Abgren- zung von den in der ICD-10 definierten „rezidivieren- den depressiven Störungen“ (F33) ist häufig schwierig. Ferner muss die „chronische Depression“ von einer „therapieresistenten Depression“ unterschieden wer- den, auch wenn für beide Störungsbilder große Über- schneidungen bestehen [17]. Als Dysthymie bezeichnet man eine mindestens 2 Jahre anhaltende und gewöhnlich fluktuierende Stimmungs- störung, bei der die Symptomatik leichter ausgeprägt ist als bei einer depressiven Episode – das heißt, dass die Kriterien für eine depressive Störung nicht dauer- haft erfüllt werden (▶ Abb. 2). Wird eine solche anhal- tende affektive Störung von einer voll ausgeprägten depressiven Episode überlagert, spricht man in Fach- kreisen von einer „Double Depression“. Das amerikani- sche Klassifikationssystem DSM-5 fasst die Diagnosen Dysthymie und chronische Major Depression unter Be- rücksichtigung klinischer Gesichtspunkte zusammen in Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 41

Risikofaktoren Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer depres- siven Störung ist bei vorhandenen Risikofaktoren er- höht. Sind diese nicht aus der bisherigen Anamnese be- kannt, sollten sie situativ eruiert werden. Die NVL De- pression 2015 gibt folgende Risikofaktoren an: ▪ frühere depressive Episode ▪ familiäre Vorbelastung ▪ Suizidversuche in der eigenen oder familiären Ge- schichte ▪ aktuell belastende Lebensereignisse ▪ somatische Komorbidität oder komorbide Sub- stanzabhängigkeit ▪ Mangel an sozialer Unterstützung Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer depres- siven Störung ist bei vorhandenen Risikofaktoren er- höht. Sind diese nicht aus der bisherigen Anamnese be- kannt, sollten sie situativ eruiert werden. Bekannte Risikofaktoren finden sich in der NVL Depression und einem aktuellen Review (siehe Infobox 2). INFOBOX 2 Evidenzbasierte Risikofaktoren für das Auf- treten einer depressiven Störung [21] ▪ Verwitwung ▪ körperlicher Missbrauch in der Kindheit ▪ Übergewicht ▪ Vorliegen von 4–5 metabolischen Risiko- faktoren ▪ sexuelle Dysfunktion ▪ berufliche Belastung ▪ frühere depressive Episode ▪ familiäre Vorbelastung ▪ Suizidversuche in der eigenen oder familiären Geschichte ▪ aktuell belastende Lebensereignisse ▪ somatische Komorbidität oder komorbide Substanzabhängigkeit ▪ Mangel an sozialer Unterstützung Früherkennung Eine anhaltende Diskussion bezieht sich auf das Scree- ning depressiver Störungen. Die aktuelle NVL Depressi- on empfiehlt kein routinemäßiges Screening bei allen Patienten, jedoch den Einsatz von (nicht näher be- schriebenen) „Maßnahmen zur Früherkennung“ bei Hochrisikopatienten, u. a. in der Hausarztversorgung [16]. In der täglichen hausärztlichen Versorgung ist das aktive Erfragen von Symptomen (direkt oder über Testinstrumente) bei jedem Kontakt nicht zielführend, insbesondere bei häufigeren Konsultationen. Eine er- höhte Aufmerksamkeit bei Konsultationen von Risiko- patienten ist jedoch wichtig, und bei Hinweisen auf eine mögliche depressive Symptomatik sollte entspre- chend dem oben beschriebenen Procedere weitere Di- agnostik erfolgen. Differenzialdiagnostik Somatische vs. psychische Symptomatik Die Herausforderung der Differenzialdiagnostik be- steht in der Vielfalt der möglichen psychischen und so- matischen Symptome. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich um eine „entweder-oder-Konstellation“ oder um eine „sowohl-als-auch- Konstellation“ im Sinne ei- ner Ko-/Multimorbidität handeln kann. Geht es bei füh- rend somatischen Symptomen um die Abgrenzung von ▪ „entweder“ depressiver ▪ „oder“ einer anderen somatischen Erkrankung (wie z. B. Tumorerkrankung, Multiple Sklerose, Schlagan- fall, Anämie oder Hypothyreose), ist die genaue Erhebung vorhandener psychischer Symptome Stimmung, Selbstwertverlust, Schuldgefühle, …) hilfreich. (Freudlosigkeit, gedrückte Zudem sollte bei entsprechendem Verdacht eine fokus- sierte Labordiagnostik und/oder bildgebende Diagnos- tik erfolgen. Merke Für die Diagnosestellung einer depressiven Störung ohne hinreichenden differenzialdiagnostischen Ver- dacht wird in der Leitlinie keine Labordiagnostik bzw. Bildgebung gefordert. Depressive vs. andere psychische Erkrankungen Bei der Abgrenzung zu anderen psychischen Erkran- kungen sind insbesondere demenzielle Erkrankungen, Angst- und Panikstörungen, bipolare Störungen, Sub- stanzmissbrauch, Ess- und Persönlichkeitsstörungen zu bedenken. Bei diesen kommen häufig Symptome vor, die auch bei einer depressiven Erkrankung auftre- ten können. Von besonderer differenzialdiagnostischer Bedeutung sind aufgrund der Prävalenz in der Haus- arztpraxis vor allem Angst-/Panikstörungen und de- menzielle Erkrankungen. Differenzierend sollte bei Ver- dacht nach spezifischen Symptomen der jeweiligen Er- krankung gefragt werden. Eine Übersicht von Beispiel- fragen zum differenzialdiagnostischen Screening psy- chischer Erkrankungen zeigt die ▶ Tab. 1. Depressive Episode vs. depressive Anpassungsstörung Differenzialdiagnostisch ist die depressive Episode auch von der depressiven Anpassungsstörung, zu der auch die Trauerreaktion zählt, abzugrenzen. Anpas- sungsstörungen Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 43

Die Behandlung kann entsprechend erschwert sein. Insbesondere bei chronischer depressiver Erkrankung ist der Fokus der Behandlung an die jeweils führende Erkrankung anzupassen. Suizidalität Suizidalität ist ein mögliches Symptom einer depressi- ven Erkrankung. Während auch bei Gesunden poten- ziell der Gedanke vorhanden sein kann, nicht mehr da sein zu wollen (z. B. um einem Konflikt oder einer not- wendigen Entscheidung aus dem Weg zu gehen), be- steht bei depressiv Erkrankten ein erhöhtes Risiko für ▪ das Auftreten von Suizidgedanken (60–70% haben während einer depressiven Episode Suizidgedan- ken), ▪ einen damit verbundenen Handlungsdruck und letztlich auch für ▪ die Umsetzung. So ist das Suizidrisiko bei depressiv Erkrankten ca. 30- mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Ungefähr 70% der jährlich ca. 10 000 Suizide in Deutschland ge- hen auf eine depressive Erkrankung zurück [16]. Ent- sprechend besteht die klare Empfehlung, bei Verdacht auf eine depressive Störung Suizidalität abzuklären. Ri- sikofaktoren für Suizidalität sind in der Infobox 3 aufge- führt (siehe auch Fallbeispiel 2). Die Empfehlung der NVL Depression lautet, bei Patien- ten mit depressiver Störung Suizidalität regelmäßig, bei jedem Patientenkontakt klinisch einzuschätzen und ggf. zu explorieren [16]. Im hausärztlichen Setting mit vermehrt leichten bis mittelgradigen Schweregra- den steht in der Regel bei Verlaufskontrollen zunächst die klinische Einschätzung im Vordergrund. Vorgehensweise Die klinische Einschätzung beinhaltet zunächst die Fra- ge an den Patienten, ob suizidale Gedanken bestehen (z. B.: „Haben sie in letzter Zeit daran denken müssen, nicht mehr leben zu wollen?“). Die meisten Patienten sind erleichtert, wenn sie danach gefragt werden, und es wird, entgegen teilweise noch bestehenden Vorstel- lungen, keine Suizidalität ausgelöst. Bestehen suizidale Gedanken, ist weiter abzuklären, ▪ ob ein Handlungsdruck besteht (z. B.: „Können Sie diese Gedanken beiseiteschieben?“) und ▪ wie akut dieser ist (z. B.: „Haben Sie schon konkrete Vorbereitungen getroffen?“). Merke Besteht akute Suizidalität, ist zu klären, ob der Pa- tient absprachefähig ist. Wenn ja, sollte in kurzfristi- gen (1–2 Tage) Terminen der Verlauf kontrolliert werden. INFOBOX 3 Bei der Einschätzung von Suizidalität sind Risikofaktoren zu beachten [16]: ▪ Suizidversuche in der Vergangenheit bzw. Suizide in der Familie ▪ soziale Isolation und fehlende soziale Unterstützung ▪ schädlicher Konsum von Alkohol oder anderen Drogen ▪ außergewöhnlich belastende Erlebnisse (z. B. Folter) bzw. außergewöhnlich belastende Erlebnisse in der Kindheit (z. B. körperliche Gewalt, sexueller oder emotionaler Missbrauch, Vernachlässigung, Heimunterbringung) ▪ Arbeitsplatzverlust; finanzielle Probleme ▪ chronische Schmerzen ▪ Beziehungskonflikte und Beziehungsverluste ▪ Zugang zu tödlichen Mitteln und Methoden FALLBEISPIEL 2 Akute Suizidalität In der Sprechstunde ruft eine bekannte Patientin der Praxis an und bittet dringend um Hausbesuch, da ihr Ehemann versucht habe sich umzubringen. Bei Eintreffen sitzt der bisher unbe- kannte 63-Jährige im Wohnzimmer und wirkt deutlich unruhig. Die Ehefrau und eine Freundin der Familie sind zugegen. Er berichtet, dass er sich heute früh auf dem Weg zur Arbeit (selbstständig mit einer Baufirma) bei einer Pause auf einem Autobahnparklatz zu Fuß in den fahrenden Verkehr begeben habe. Im letzten Moment sei er vor einem vorbeikommenden LKW zurückgewichen. In der weiteren Befragung (gesamter Aufenthalt beim Patienten ca. 60 Minuten) berichtet er von fi- nanziellen Sorgen, zunehmendem Alkoholkonsum und dass er nicht wisse, wie es weitergehen soll. Über das beruhigende Gespräch kann eine ausreichend trag- fähige Beziehung aufgebaut werden. Der Patient wirkt zuneh- mend erleichtert und ruhiger. Eine stationäre Aufnahme lehnt er ab, gleichzeitig kann er sich von akuter Suizidalität distan- zieren. Eine kontinuierliche Begleitung durch die Ehefrau und die Freundin der Familie ist gewährleistet. Wir vereinbaren die Vorstellung in der Praxis am nächsten Tag. Für den Fall zuneh- mender Unruhe und suizidalen Handlungsdrucks in der Zwi- schenzeit wird die Vorstellung in der psychiatrischen Ambu- lanz bzw. der Kontakt zum Rettungsdienst mit allen bespro- chen. Als Bedarfsmedikation bei Unruhe erhält er 1 Tablette Lorazepam (1 mg). Hilfreich kann ein Antisuizidvertrag sein, in dem sich der Patient verpflichtet, sich bis zum nächsten Termin nichts anzutun. In der konkreten Ausführung reicht als „Vertrag“ ein Zettel mit der schriftlichen, unterschrie- benen Erklärung dazu. Ggf. sollten Kontaktstellen (z. B. eigene Praxis, psychiatrische Ambulanz) mit notiert werden, an die sich Patienten wenden können. Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 45

setzt werden [22]. Die elektrokonvulsive Therapie (EKT) ist als wirksame Behandlung therapieresistenter und schwerer depressiver Störungen zumeist dem sta- tionären Setting vorbehalten und spielt in der ambu- lanten Versorgung kaum eine Rolle. Medikamentöse Behandlung Die (medikamentöse) antidepressive Therapie wird in 3 Abschnitte unterteilt: Akutphase, Erhaltungsphase, Rezidivprophylaxe bzw. Langzeitprophylaxe (▶ Abb. 3). Der Behandlungsabschnitt bis zur Wiederherstellung des ursprünglichen Funktionszustands bzw. eines weit- gehend symptomfreien Zustands (Remission) wird als Akuttherapie bezeichnet. Zur Akutbehandlung von de- pressiven Störungen sind zahlreiche Medikamente in Deutschland zugelassen. In einer großen systemati- schen Übersichtsarbeit und Netzwerk-Metaanalyse konnte für 21 unterschiedliche antidepressive Wirk- stoffe eine Überlegenheit gegenüber Placebo festge- stellt werden [23]. Eine Übersicht der Wirkstoffklassen zeigt die Infobox 5. INFOBOX 5 Wirkstoffklassen Antidepressiva [24] ▪ SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-In- hibitoren; z. B. Citalopram, Sertralin, Fluoxetin, …) ▪ tri- und tetrazyklische Antidepressiva (Ami- tryptilin, …) ▪ SSNRI (Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wie- deraufnahme-Inhibitoren; Venlafaxin, Duloxe- tin) ▪ MAO-Hemmer (Monoaminooxidase-Hemmer; Moclobemid, …) ▪ Alpha2-Rezeptor-Antagonisten (Mirtazapin, …) ▪ selektive Noradrenalin- und Dopamin Rückauf- nahme-Hemmer (Buproprion) ▪ Melatonin-Rezeptor-Agonist (Agomelatin) ▪ Serotonin-Wiederaufnahme-Verstärker (Tia- neptin, …) ▪ nicht klassifiziert: Lithium, Trazodon, Johannis- kraut In der S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression gibt es keine vorrangige Empfehlung für einen bestimmten Wirkstoff oder eine bestimmte Wirkstoffklasse. Zur Auswahl des eingesetzten Antidepressivums wird je- doch die Berücksichtigung folgender Kriterien empfoh- len [16]: ▪ Verträglichkeit (u. a. unterschiedliche Nebenwir- kungsprofile) ▪ Überdosierungssicherheit ▪ Ansprechen in einer früheren Krankheitsepisode ▪ Handhabbarkeit ▪ Anwendungserfahrung des Arztes ▪ Möglichkeiten bei Nichtansprechen ▪ Komorbidität und Komedikation ▪ Patientenpräferenzen Merke Für den hausärztlichen Kontext ist es ratsam, sich auf wenige (2–3) Substanzen/ Substanzklassen zu be- schränken und diese hinsichtlich Dosierung, Neben- wirkungsprofil und Anwendung gut zu kennen. Die Dosierung sollte in der Regel niedrig beginnen und ggf. im Verlauf gesteigert werden (Dosierungsempfeh- lungen sind im Anhang 2 der NVL Depression 2015 auf- geführt). Als Strategien bei Nichtansprechen auf die Therapie sind sowohl eine Dosissteigerung (bis zur Ma- ximaldosis), ein Wechsel des Antidepressivums als auch eine Kombinationstherapie möglich. Als Kombinations- therapie wird lediglich die Kombination von SSRI bzw. Trizyklikum mit Mirtazapin oder Mianserin empfohlen [16]. Die Serumspiegelkontrolle bei Nichtansprechen ist grundsätzlich möglich, spielt nach unserer Erfah- rung jedoch im hausärztlichen Kontext kaum eine Rol- le. Die Beendigung einer medikamentösen Therapie sollte ausschleichend erfolgen, um Absetzsymptome zu vermeiden. FALLBEISPIEL 1B Bei der 40-jährigen Frau (siehe Fallbeispiel 1a) wurde die medikamentöse Therapie mit 10 mg Citalopram begonnen. Es erfolgte eine schritt- weise Steigerung der Dosis über 20 mg auf die Maximaldosis von 40 mg, jeweils als tägliche Ein- malgabe morgens. Im Verlauf wurde, u. a. auf- grund seiner schlafanstoßenden Wirkung, Mirta- zapin zur Nacht hinzugefügt. Da die Überlegenheit von Antidepressiva gegenüber Placebo in Abhängigkeit der Depressionsschwere zu Behandlungsbeginn zunimmt, wird nach dem jeweilig vorliegenden Schweregrad differenziert [16]: ▪ Bei leichten depressiven Episoden sollten Antide- pressiva nicht generell zur Erstbehandlung einge- setzt werden, sondern allenfalls unter besonders kritischer Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnis- ses (Empfehlungsgrad B). ▪ Zur Behandlung der akuten mittelgradigen depres- siven Episode wird der Einsatz von Antidepressiva empfohlen (Empfehlungsgrad A). Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 47

Psychosomatische Grundversorgung in der Hausarztpraxis Ein viel diskutiertes Hindernis bei der koordinierten Zu- sammenarbeit zwischen Hausärzten und (ärztlichen oder psychologischen) Psychotherapeuten stellen die langen Wartezeiten auf Psychotherapie-Termine dar [32]. Für die hausärztliche Versorgung von Patienten mit Depressionen ist es daher hilfreich, basale psycho- therapeutische Maßnahmen anbieten und anwenden zu können. Dazu gehört unter anderem ▪ das Vermitteln von körperlich-seelischen Zusam- menhängen, ▪ die Aktivierung und Alltagsstrukturierung, ▪ das Aufdecken und Bearbeiten von Konflikten, ▪ Trauerarbeit, ▪ Partnerberatung, und nicht zuletzt ▪ die Entwicklung von Bewältigungs- und Selbsthilfe- strategien (siehe Infobox 6). Arzt-Patienten-Beziehung Die Arzt-Patienten-Beziehung kann bei der Behandlung von Menschen mit depressiver Störung sowohl für die Diagnostik als auch für die Therapie genutzt werden. Gleichzeitig unterliegt sie besonderen Herausforderun- gen und erfordert eine besondere Beachtung und be- wusste Gestaltung. Versorgungssehnsucht Bei unterschiedlichen ätiopathogenetischen Faktoren und Erklärungsmodellen für die Entstehung depressi- ver Störungen ist die tiefenpsychologisch-psychodyna- mische Sichtweise für das Verstehen der Beziehungs- muster hilfreich. Aus dieser Sichtweise heraus kann bei depressiv Erkrankten unbewusst ▪ eine Versorgungssehnsucht verbunden mit Abhän- gigkeit in Beziehungen, son – hier: den Arzt - zu verlieren, von dem sie eigent- lich die Erfüllung ihrer Versorgungwünsche erwarten. Enttäuschung und der Ärger ▪ richten sich stattdessen gegen die eigene Person (Wendung gegen das Selbst), ▪ äußern sich in Forderungen nach noch mehr Versor- gung bzw. in Klagen über mangelnde Versorgung (z. B. über nicht wirkende Medikamente/Behandlun- gen) oder ▪ zeigen sich in Non-Adhärenz. Dabei bleiben die Patienten oftmals passiv und legen die Verantwortung in das Gegenüber. Bleiben diese Wünsche und Gefühle in der Arzt-Patienten-Beziehung unreflektiert, kann es einerseits dazu führen, dass der Arzt versucht, die Versorgungswünsche zu erfüllen, da- bei seine eigenen Grenzen nicht beachtet und schließ- lich selbst erschöpft und genervt ist. Andererseits kann dies beim Arzt auch zu Ärger und aggressiven Maßnah- men wie z. B. übertriebener Diagnostik oder harschem Verhalten gegenüber dem Patienten führen. Eine de- taillierte Darlegung dieser Aspekte findet sich in „Pra- xis der Psychosomatischen Grundversorgung“ [36]. Hilfreiche ärztliche Strategien Die Reflexion und Verbalisierung der Gefühle kann eine hilfreiche Strategie sein („Ich könnte gut verstehen, wenn sie enttäuscht oder verärgert sind, dass es noch nicht besser geht.“). Die eigenen Grenzen sollten eben- falls reflektiert, beachtet und deutlich gemacht wer- den. Weitere hilfreiche Strategien sind ▪ ein bewusstes und abgegrenztes Sich-zur-Verfü- gung-Stellen als Zuhörer, ▪ das Aufrechterhalten und Fördern einer positiven Perspektive, ▪ das Vermeiden von Ratschlägen, ▪ das Fördern des Selbstwertgefühls der Patienten ▪ eine unterdrückte Wut und Enttäuschung, die sich und gegen die eigene Person wendet, sowie ▪ das Vermeiden von Drohungen und Beschämungen. ▪ eine gestörte Selbstwertregulation bestehen [35]. Merke Die Versorgungssehnsucht beruht auf einem existen- ziellen Zuwenig an Versorgung, emotionaler Spiege- lung, Nähe und Geborgenheit in der frühen Kindheit. Es ist zu beachten, dass diese Versorgungssehnsucht den Betroffenen meist nicht bewusst ist. Stattdessen erhoffen sie, in Beziehungen Versorgung zu erhalten. In der hausärztlichen Versorgung kann dies durch For- derung nach Zuwendung in Form von Zeit (längere Konsultationen), Aufmerksamkeit und Ressourcen (z. B. Physiotherapie) erfolgen. Werden ihre Versorgungs- wünsche nicht erfüllt, sind die betroffenen Patienten enttäuscht und verärgert. In der Regel können sie diese Gefühle jedoch nicht äußern und damit in die Bezie- hung bringen, da sie (unbewusst) befürchten, die Per- Diese Aspekte sollten bei allen Formen depressiver Er- krankungen Beachtung finden. Mit zunehmender Aus- prägung der Erkrankung stehen jedoch die oben darge- stellten Therapiemaßnahmen im Vordergrund. Spezifika in der Hausarztpraxis Wie bereits beschrieben stellt die NVL Depression eine wichtige Handlungsempfehlung für die Behandlung depressiv Erkrankter dar. Ein striktes Befolgen der Leit- linienempfehlungen bei hausärztlich behandelten Pa- tienten mit depressiver Erkrankung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer relevanten Verbesserung der Symptomatik. Vielmehr scheinen Faktoren wie Schwe- regrad, beruflicher Status, sozialer Rückhalt und Ko- morbidität das Behandlungsergebnis maßgeblich zu beeinflussen [37]. Demnach müssen bei der Therapie Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 49

Autorinnen/Autoren Literaturverzeichnis Sven Schulz Dr. med., Medizinstudium an der Friedrich Schiller Universität Jena 1995-2002, FA für Allgemeinmedizin 2009, seit 2008 am Institut für Allgemeinmedizin forschend und lehrend tätig, seit 2009 angestellt hausärztlich in Camburg/Saale tätig, Psychotherapieausbil- dung (tiefenpsychologisch) 2013-2019. Forschungs- und Interessensschwerpunkte: Psychische Erkrankungen, Pro- fessionalitätsentwicklung, Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten. Florian Wolf Dr. med., Studium der Humanmedizin in Marburg und Kapstadt 2006-2013. Master- studium (MBA) Health Care Management an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena 2014-2017. Seit 2019 Facharzt für Allgemeinmedizin bei der Dr. med. Kielstein Ambulante Medizini- sche Versorgung GmbH. Seit 2019 Wissenschaftlicher Mit- arbeiter am Institut für Allgemeinmedizin Jena und Regio- nalkoordinator Thüringen des Forschungspraxennetzes RE- SPoNsE. Schwerpunkte: (Chronische) Depression, For- schung in und für Praxen, Delegation, Point-of-Care-Tests Korrespondenzadresse Dr. med. Sven Schulz Universitätsklinikum Jena Friedrich-Schiller-Universität Institut für Allgemeinmedizin Bachstraße 18 07743 Jena Deutschland Sven.Schulz@med.uni-jena.de Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbe- stimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Sven Schulz, Jena. IHF-Zertifizierung Dieser Artikel wurde gemäß den Kriterien des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IHF) e.V. zertifiziert. [1] Malhi GS, Mann JJ. Depression. Lancet 2018; 392: 2299– 2312 doi:10.1016/S0140-6736(18)31948-2 [2] König H, König HH, Konnopka A. The excess costs of de- pression: a systematic review and meta-analysis. Epidemiol Psychiatr Sci 2019; 29: e30 doi:10.1017/ S2045796019000180 [3] Evans-Lacko S, Knapp M. Global patterns of workplace pro- ductivity for people with depression: absenteeism and pre- senteeism costs across eight diverse countries. Soc Psy- chiatry Psychiatr Epidemiol 2016; 51: 1525–1537 doi:10.1007/s00127-016-1278-4 [4] Ferrari AJ, Charlson FJ, Norman RE et al. Burden of Depressi- ve Disorders by Country, Sex, Age, and Year: Findings from the Global Burden of Disease Study 2010. PLoS Medicine 2013; 10: e1001547 doi:10.1371/journal.pmed.1001547 [5] Kessler RC, Bromet EJ. The epidemiology of depression across cultures. Ann Rev Pub Health 2013; 34: 119–138 doi:10.1146/annurev-publhealth-031912-114409 [6] Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwach- sener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Ge- sundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt. 2014; 85: 77–87 doi:10.1007/s00115-013-3961-y [7] Bramesfeld A, Schwartz FW. Volkskrankheit Depression: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Psychiatr Prax 2007; 34: S247–S51 [8] Jacobi F, Höfler M, Meister W et al. Prävalenz, Erkennens- und Verschreibungsverhalten bei depressiven Syndromen. Eine bundesdeutsche Hausarztstudie. Nervenarzt 2002; 73: 651–658 [9] Sielk M, Altiner A, Janssen B et al. Prävalenz und Diagnostik depressiver Störungen in der Allgemeinarztpraxis: Ein kriti- scher Vergleich zwischen PHQ-D und hausärztlicher Ein- schätzung. Psychiatr Prax 2009; 36: 169–174 [10] Melchior H, Schulz H, Härter M. Faktencheck Gesundheit: Regionale Unterschiede in der Diagnostik und Behandlung von Depressionen. Faktencheck Gesundheit Bertelsmann Stiftung. Gütersloh: Bertelsmann; 2014 [11] Gaebel W, Kowitz S, Zielasek J. The DGPPN research project on mental healthcare utilization in Germany: inpatient and outpatient treatment of persons with depression by diffe- rent disciplines. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2012; 262: 51–55 doi:10.1007/s00406-012-0363-2 [12] Stegenga BT, Kamphuis MH, King M et al. The natural course and outcome of major depressive disorder in primary care: the PREDICT-NL study. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2012; 47: 87–95 doi:10.1007/s00127-010-0317-9 [13] Conradi HJ, Bos EH, Kamphuis JH et al. The ten-year course of depression in primary care and long-term effects of psy- choeducation, psychiatric consultation and cognitive behavioral therapy. J Affect Disord 2017; 217: 174–182 doi:10.1016/j.jad.2017.03.064 [14] Dilling H, Mombour W, Schmidt M et al. World Health Or- ganization. Internationale Klassifikation psychischer Stö- rungen: ICD–10 Kapitel V (F). Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis. Göttingen: Hogrefe; 2016 [15] APA – American Psychiatric Association. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5). American Psychiatric Pub 2013; 05: 160–171 Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 51

Punkte sammeln auf CME.thieme.de Diese Fortbildungseinheit ist in der Regel 12 Monate online für die Teilnahme verfügbar. Unter https://eref.thieme.de/CXGQUFI oder über den QR-Code kommen Sie direkt zur Startseite des Wissenstests und zum Artikel Sie finden dort auch den genauen Einsendeschluss. Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, finden Sie unter https://cme.thieme.de/hilfe eine ausführ- liche Anleitung. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg beim Beantworten der Fragen! VNR 2760512022161721719 Frage 1 In der ICD-10 wird für die Diagnosestellung von depressiven Störungen zwischen Haupt- und Zusatzsymptomen unterschie- den. Welche der folgenden Symptome zählen nicht zu den Zu- satzsymptomen? Frage 5 In der Hausarztpraxis kann zum Screening auf das Vorliegen ei- ner depressiven Erkrankung der sogenannte Zwei-Fragen-Test durchgeführt werden. Welche der folgenden Fragen ist Be- standteil des Tests? vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Antriebsmangel bzw. erhöhte Ermüdbarkeit A negative und pessimistische Zukunftsperspektiven B C D verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit E Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit A Haben Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, deprimiert oder hoffnungslos gefühlt? B Wollten Sie sich im letzten Monat das Leben nehmen oder haben Sie vermehrt an Ihren Tod gedacht? C Haben Sie sich im letzten Monat einsam, alleine oder nutz- Frage 2 Wie lange müssen depressive Symptome mindestens bestehen, damit die Diagnose depressive Episode nach ICD-10 gestellt werden kann? A eine Woche zwei Wochen B C vier Wochen D drei Monate E sechs Monate Frage 3 Welche der folgenden Substanzgruppen ist in Deutschland nicht zur Akutbehandlung einer depressiven Störung zugelas- sen? A Melatonin-Rezeptor-Agonist B Selektiver Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibi- tor Alpha2-Rezeptor-Antagonist C D Selektiver Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitor E Dopamin-Agonist Frage 4 Welches Symptom gehört nicht zum somatischen Syndrom? A Libidoverlust B Interessenverlust C Appetitverlust D Realitätsverlust E Gewichtsverlust los gefühlt? D Haben Sie im letzten Monat schlechter geschlafen oder weniger Appetit verspürt? E Hatten Sie im letzten Monat Probleme sich einfache Dinge zu merken oder sich zu konzentrieren? Frage 6 Welches der folgenden Ziele zählt nicht zu den allgemeinen Be- handlungszielen bei Patienten mit depressiven Erkrankungen? A Symptomminderung/Remission B C Aufarbeitung tiefgreifender Entwicklungsstörungen berufliche, psychosoziale Leistungsfähigkeit/Teilhabe wie- derherstellen D Wiederherstellen des seelischen Gleichgewichts E Risiko für Rückfall, Wiedererkrankung mindern Frage 7 Für welches der folgenden Psychotherapieverfahren besteht die beste Evidenz in Bezug auf die Behandlung depressiver Er- krankungen? A Hypnose/Hypnotherapie B Musik- und Tanztherapie C D biodynamische Körperpsychotherapie E kognitive Verhaltenstherapie tiergestützte Therapie Schulz Sven et al. Depressive Erkrankungen in … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 37–54 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 53

m o c . e b o d a . k c o t s / o f o t o h p z r e t s a m © Wissen, das sich abhebt www.thieme.de/newsletter

Allgemeinmedizin up2date 1 · 2022 Spezifische Patientengruppen 3 Geriatrisches Basisassessment Clemens Grupp VNR: 2760512022161721818 DOI: 10.1055/a-1489-0997 Allgemeinmedizin up2date 2022; 3 (1): 57–69 ISSN 2699-8696 © 2022. Thieme. All rights reserved. Thieme

CME-Fortbildung Geriatrisches Basisassessment Clemens Grupp Noch um die Jahrtausendwende im klinischen Alltag weitestgehend unbekannt – vielleicht mit Ausnahme von geriatrischen Einrichtungen – hat das geriatrische Basisassessment in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen. Welche Entwicklun- gen dazu geführt haben, welche wesentlichen Komponenten es umfasst und welche potenziellen Konsequenzen und Nutzen es für die Patienten hat – dies alles soll im Folgenden erörtert werden. Einleitung Das hausärztlich-geriatrische Basisassessment wurde zunächst unter der EBM-Ziffer 03240 und seit 2013 in der aktuell gültigen Fassung unter der EBM-Ziffer 03360 in den EBM aufgenommen. Doch nicht nur in der Hausarztpraxis, sondern auch in der Klinik spielen Aspekte des geriatrischen Assessments eine zuneh- mend wichtigere Rolle, beispielsweise bei diagnosti- schen und therapeutischen Entscheidungen oder der Indikationsstellung zu rehabilitativen Maßnahmen. Weshalb ein geriatrisches Basisassessment? Die soziodemografische Entwicklung ist bekannterma- ßen gekennzeichnet durch eine sich rasch vergrößern- de Gruppe älterer, insbesondere über 80-jähriger Men- schen. Zudem steigt der Anteil der allein Lebenden in dieser Bevölkerungsgruppe. In diesem Personenkreis hat für viele ein selbstbestimmtes, möglichst autono- mes Leben eine sehr hohe Priorität, vor allem der Ver- bleib in eigener Häuslichkeit [1]. Der Erhalt des Niveaus der Selbstversorgungsfähigkeit kann sich aufgrund physischer oder psychischer Erkrankungen bzw. Pro- bleme verschlechtern. Insbesondere bei einem schlei- chenden Verlauf wird diese Zustandsverschlechterung, die mit akuter Selbstgefährdung einhergehen kann, von den Betroffenen und manchmal auch von den nächsten Bezugspersonen nicht wahrgenommen – oder möchte nicht wahrgenommen werden, beispiels- weise aus der Angst heraus, die Eigenständigkeit zu verlieren. Um hier Defizite frühzeitig zu erkennen und mittels entsprechender Interventionen die Lebensqua- lität bestmöglich zu erhalten, ist gerade beim biolo- gisch älteren Menschen ein Screening auf vorhandene oder drohende Einschränkungen anhand eines geriatri- schen Basisassessments sinnvoll. Diese Defizite beim Älteren werden begünstigt bzw. sind assoziiert mit ei- ner geriatrietypischen Multimorbidität sowie Frailty. ABKÜR ZUNGEN ATL BMI CERAD Consortium to Establish a Registry for Alzheimer's Aktivitäten des täglichen Lebens Body-Mass-Index Disease DEGAM Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Depression-im-Alter-Skala Einheitlicher Bewertungsmaßstab Grad der Behinderung Geriatrische Depressionsskala Gebührenordnungsposition Kassenärztliche Bundesvereinigung Instrumental Activities of Daily Living DIA-S EBM GdB GDS GOP KBV IADL MNA-SF Minimal Nutritional Assessment-Short Form MoCA Montreal Cognitive Assessment MMST Mini Mental Status Test TFDD Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung Timed „up & go”-Test TUG VERAH Versorgungsassistent/in in der Hausarztpraxis FALLBEISPIEL Eine 84-jährige Frau wohnt nach dem Tod ihres Ehemanns alleine in der ersten Etage eines Mehrfamilien-Hauses. Sie ver- sorgt sich bislang weitgehend selbst. Die Patientin hat 2 Kin- der, die allerdings weiter entfernt wohnen und zu denen in erster Linie telefonischer Kontakt besteht. Ein Angebot, in die Nähe eines ihrer Kinder zu ziehen, lehnt sie strikt ab: „es gehe ihr gut, sie schaffe alles selbst – vielleicht später einmal“. Allerdings beobachtet die Nachbarin, dass die Patientin vor allem mit Einkäufen Probleme hat, die Treppe hochzukommen. Sie hilft ihr deshalb gelegentlich bei größeren Besorgungen. In Gesprächen mit der Nachbarin dreht es sich bei ihr immer um die gleichen Themen, das Wetter und ihren Gesundheitszu- stand, den sie trotz diffuser Schmerzen vor allem im Bereich des Rückens selbst als tolerabel einschätzt. Ansonsten beste- hen offenbar keine wesentlichen sozialen Kontakte. Grupp Clemens. Geriatrisches Basisassessment … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 57–69 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 59

Patient ▶ mindestens 70 Jahre alt und ▪ Pflegegrad oder ▪ mindestens eines dieser geriatrischen Krankheitsbilder: – Mobilitätsstörung mit Fallneigung und Altersschwindel – kognitive, emotionale oder verhaltensbezogene Beeinträchtigungen – sog. Frailty-Syndrom – Inkontinenz (Harn oder Stuhl) –chronisches Schmerzsyndrom ▶ Alzheimer Erkrankung/Demenz ▶ Morbus Parkinson Geriatrisches Basisassessment Evaluation: Selbstversorgungs- fähigkeit obligat: Mobilität fakultativ: kognitive/emotionelle Funktionsstörungen Standardisierte Verfahren: Hirn- Anleitung Anpassung leistungsstörungen soziale Situation Individuell angepasste Konsequenzen aufgrund der festgestellten Defizite: – ggf. Einleitung eines weiterführenden geriatrischen Assessments ggf. gemäß EBM 03980 und Umsetzung der daraus – direkte hausärztliche Einleitung weiterführender diagnostischer und/oder therapeutischer Maßnahmen nach individuellen Gegebenheiten resultierenden Maßnahmen ▶ Abb. 1 Das Geriatrische Basisassessment nach EBM 03360. Merke Das Basisassessment setzt obligat einen Arzt-Patien- ten-Kontakt voraus. Allerdings müssen die Testver- fahren nicht zwingend ärztlich durchgeführt werden. Die Aufgabe des Arztes ist es, die Resultate dieser Un- tersuchungen zu beurteilen und aus diesen die ent- sprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Be- funderhebung kann durch hierfür geschultes Assis- tenzpersonal erfolgen. In der Regel führt dies die MFA oder die speziell geschulte VERAH durch – es kann so- wohl in der Praxis als auch in der eigenen Häuslichkeit stattfinden. Ziel des Assessments ist die Erhebung und/oder das Monitoring organbezogener und über- greifender motorischer, emotioneller und kognitiver Funktionseinschränkungen. Es betrifft also die Berei- che, die für den Erhalt einer bestmöglichen Autonomie des Betroffenen von großer Bedeutung sind. Das Assessment soll mittels standardisierter, wissen- schaftlich validierter Testverfahren erfolgen. Diese sind im Einzelnen nicht vorgegeben. Die derzeit ge- bräuchlichsten Verfahren werden im nächsten Kapitel näher dargestellt. ▪ Sie sollen obligat folgende Bereiche abdecken: – Selbstversorgungsfähigkeit, – Mobilität und Sturzgefahr sowie – mögliche emotionelle und kognitive Funktions- einschränkungen. ▪ Als fakultative Leistungsinhalte werden aufgeführt – die Beurteilung von Hirnleistungsstörungen mit- tels standardisierter Testverfahren sowie – die Abklärung der sozialen Situation in Bezug auf das familiäre und häusliche Umfeld sowie des Wohnraums und ggf. Arbeitsplatzes (bei der Ziel- gruppe dieses Assessments i. d. R. ohne Bedeu- tung). Hier soll bei Fähigkeits- und Funktionsstörungen die Anleitung zur Anpassung an diese erfolgen. Des Weite- ren ist ggf. eine Abstimmung mit mitbehandelnden Ärzten erforderlich. Das hausärztlich-geriatrische Basi- sassessment sollte jedes 2. Quartal erhoben werden, bei Durchführung in diesem Intervall wird es auch nach GOP vergütet [7]. In der Hausärztlichen Leitlinie Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis wird dessen Durchführung im Detail erörtert [8]. Grupp Clemens. Geriatrisches Basisassessment … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 57–69 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 61

▶ Tab. 1 Testverfahren, die im Rahmen eines geriatrischen Basisassessments eingesetzt werden können. (Daten nach [17]). ca. Zeitbedarf [Min.] Beispiele für daraus resultie- rende Maßnahmen 2–5 ▪ gezielte Physio- oder Ergo- therapie ▪ hauswirtschaftliche Unter- stützung ▪ Einschaltung Sozialdienst ▪ rehabilitative Maßnahmen ▪ Krankengymnastik ▪ Hilfsmittelversorgung (z. B. Rollator) ▪ Wohnraumanpassung (barrierefrei) ▪ Regelung der medikamen- tösen Versorgung (Medika- mentencheck) ▪ Einschaltung eines Sozial- dienstes ▪ ggf. Einleitung einer Betreuung ggf. Einleitung einer anti- depressiven Therapie sozialmedizinische Beratung; Anregung zur Einleitung von: ▪ Hilfsmittelversorgung (Rollator, Lifter etc.) ▪ Einbindung eines Sozial- dienstes ▪ Beantragung sozialer Leistungen/Rehabilitation (GdB, Pflegegrad) ▪ Hausnotruf-System ▪ Wohnraumanpassung ▪ (Vorsorge-)Vollmachten etc. Abklärung von Beurteilung/Assessment Anmerkung zum Test Alltagskompetenz/ Selbsthilfefähigkeit Instrumentelle Alltagskompetenz Mobilität Barthel-Index Geriatrisches Screening nach Lachs IADL nach Lawton/Brody Timed „up & go”-Test (TUG) Tandem-Stand/Gang Stuhl-Aufsteh-Test Kognition MMST/MoCA Uhrentest TFDD Fremdeinschätzung nach Verhaltensbeobachtung von 10 Punkten zu basalen ATL 15 Fragen zu Frailty-assoziierten Problemen (u. a. Sehen und Hören), keine Testung von basalen ATL Überprüft in erster Linie Fähig- keiten zur hauswirtschaftlichen Selbstversorgung Zeit für Aufstehen vom Stuhl und 3 m Gehen (hin und zurück) ohne Hilfsperson, Hilfsmittel erlaubt Überprüft Stand- und Gang- sicherheit Zeit für 5-maliges Aufstehen vom Stuhl mit gekreuzten Armen Interview und Handlungs- aufgaben (Zeichnen, Schreiben) Zeichnen eines Ziffernblatts und einer Zeigerstellung (z. B. 11:10 Uhr) Test umfasst sowohl einen Ab- schnitt zur Beurteilung der Kog- nition als auch der Depression Emotion Geriatrische Depressions- skala (GDS) Befragung zu 15 Punkten (mehr/ weniger zutreffend?) Depression im Alter-Skala (DIA-S) Befragung zu 10 Punkten 5–12 5–10 2–5 2–5 2–3 10–15 2–5 10–15 5–7 3–5 Soziale Situation Sozialanamnese Befragung erfasst z. B.: 15–20 ▪ personen- und umfeld- bezogene Kontextfaktoren ▪ soziale Kontakte und Unter- stützung ▪ häusliche/außerhäusliche Aktivitäten ▪ vorhandene Hilfsmittel ▪ wirtschaftliche Verhältnisse ▪ Wohnsituation ▪ rechtliche Verfügungen ATL: Aktivitäten des täglichen Lebens; GdB: Grad der Behinderung; IADL: Instrumental Activities of Daily Living; MMST: Mini Mental Status Test; MoCA: Montreal Cognitive Assessment; TFDD: Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung Grupp Clemens. Geriatrisches Basisassessment … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 57–69 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 63

▪ Screening-Tests: z. B. anhand der Kurzversion MNA- SF (Minimal Nutritional Assessment-Short Form) lassen sich der Ernährungsstatus einfach und schnell evaluieren und gefährdete Patienten identifizieren, um die Befunde dann z. B. anhand der Langversion dieses Screenings weiter abzuklären [20]. Evaluation des sozialen Umfelds Ergeben sich physische und/oder psychische Auffällig- keiten im Rahmen des Assessments, können diese sehr unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen, je nachdem, ▪ in welcher familiären Situation (z. B. völlig alleine le- bend? Angehörige in der Nähe/im Haus/in der Woh- nung? Sind diese bereits selbst physisch oder psy- chisch eingeschränkt?) und ▪ in welchen häuslichen Gegebenheiten (barrierefrei? eigene Wohnung? Wohneinrichtung?) sich der Betroffene befindet. Unter den fakultativen Leistungen des EBM 03360 ist die Anleitung zur Anpas- sung des familiären und häuslichen Umfelds sowie des Wohnraums an vorhandene Fähigkeits- und Funktions- störungen aufgeführt. Hier sollten auch der Pflege-/ Hilfsmittelbedarf ermittelt und die rechtlichen Verfü- gungen (z. B. Vorsorgevollmacht) erfasst werden, um ggf. Weiteres zu veranlassen. Konsequenzen eines geriatrischen Basisassessments Einleitung eines weiterführenden geriatrischen Assessments Zeigen sich im Rahmen des geriatrischen Basisassess- ments Auffälligkeiten, die anhand eines weiterführen- den geriatrischen Assessments durch einen hierfür be- rechtigten Geriater bzw. eine geriatrische Institutsam- bulanz abgeklärt werden sollten, so kann dies der Hausarzt veranlassen. Sowohl die Initiierung dieses weiterführenden geriatrischen Assessments als auch die Einleitung und Koordination der darin empfohlenen Maßnahmen durch den Hausarzt werden nach GOP 30980 [21] bzw. 30988 [22] des EBM honoriert. Aller- dings stehen derzeit zur Durchführung dieses weiter- führenden geriatrischen Assessments nicht überall be- rechtigte Einrichtungen in vertretbarer Entfernung zur Verfügung. Einleitung direkter Maßnahmen durch den Hausarzt Die direkte Einleitung entsprechender diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen nach der Feststel- lung entsprechender Defizite durch den betreuenden Hausarzt ist sicherlich die häufigste Konsequenz eines geriatrischen Basisassessments. Beispiele hierfür zeigt die ▶ Tab. 1 auf. Über diese hinausgehend können sich FALLBEISPIEL Die Patientin wurde eines Morgens von der Hauswirtschafterin somnolent am Boden liegend aufgefunden. Diese veranlasste die umgehende Einweisung in die Klinik. Hier zeigte sich ein schwerer Harnwegsinfekt als Ursache der Zustandsverschlech- terung. Bei Aufnahme lag der Barthel-Index bei 15 Punkten, sie konnte nicht aufstehen, eine kognitive Testung war initial nicht mög- lich. Vom betreuenden Hausarzt wurde das letzte vorherge- hend aufgeführte geriatrische Basisassessment zur Verfügung gestellt, welches ein deutlich besseres Bild gezeigt hatte. Die im Vergleich zu diesem auch nach Sanierung des Infekts wei- terhin physisch und psychisch deutlich reduzierte Patientin erhielt deshalb eine stationäre geriatrische Rehabilitation. Zu deren Ende lag der Barthel-Index wieder bei 70 Punkten, im TUG erreichte sie 24 Sekunden mit Rollator. Allerdings wies sie signifikante kognitive Defizite im MMST mit 19 Punkten auf. Die weiterführende Abklärung der Kognition mittels der neuropsychologischen CERAD-Testbatterie ergab Hinweise auf erhebliche kognitive Einschränkungen, die gegen eine Selbstversorgung allein zu Hause sprach. Die Patientin war jetzt bereit, in ein Betreutes Wohnen mit Anbindung an eine Pflegeeinrichtung zu ziehen. Dort hatte sie auch die Möglichkeit, täglich eine warme Mahlzeit zu bekommen. Die Betreuung erfolgte weiter durch den Hausarzt. Dieser veran- lasste unter anderem die weitere physiotherapeutische Be- übung, die von Seiten der Rehabilitationsklinik bei erheblicher Gangunsicherheit empfohlen worden war. aus der sozialmedizinischen Beratung zu Vollmachten und Einstufungen wichtige Aspekte ergeben. So ist derzeit beispielsweise bei einem Pflegegrad ≥3 oder entsprechendem GdB sowie Merkzeichen die Verord- nung von Transportscheinen ohne vorherige Prüfung durch die Krankenkassen möglich [23]. Von großer Bedeutung für die Versorgung des Betrof- fenen kann ebenfalls, sofern vorhanden, die Einbezie- hung betreuender/pflegender Angehöriger sein. Emp- fehlungen hierzu gibt eine entsprechende Leitlinie der DEGAM [24]. Bei komplexen Defiziten wäre, sofern in der Umgebung vorhanden, die Einweisung in eine ger- iatrische Tagesklinik oder die Einleitung einer geriatri- schen Rehabilitation (ambulant, mobil oder stationär) in Erwägung zu ziehen. Merke Je nach Begleit- und insbesondere sozialen Umstän- den können die individuellen Konsequenzen eines geriatrischen Basisassessments trotz ähnlicher Be- funde für die jeweiligen Patienten sehr unterschied- lich sein. Grupp Clemens. Geriatrisches Basisassessment … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 57–69 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 65

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Punkte sammeln auf CME.thieme.de Fortsetzung ... Frage 10 Welche Antwort ist falsch? Das geriatrische Basisscreening nach EM 03360 ist vorgesehen für Patienten mit folgend aufgeführten gesicherten Diagnosen: > 70-Jährige mit Dysphagie > 70-Jährige mit Inkontinenz A Morbus Parkinson B C D Diabetes mellitus E Demenz vom Alzheimer-Typ Frage 8 Welche Antwort ist falsch? Malnutrition beim älteren Menschen A lässt sich durch Messung des Wadenumfangs abschätzen B hängt u. a. von Faktoren ab, die im geriatrischen Basis- assessment evaluiert werden ist mit erhöhter Morbidität und Mortalität während und nach Hospitalisierung assoziiert C D ist als Bestandteil des geriatrischen Basisassessments nach EBM 03360 zu evaluieren ist u. U. verknüpft mit seiner sozialen Situation E Frage 9 Welche Antwort ist falsch? Das geriatrische Basisassessment A zielt auf besseres Erkennen schleichend fortschreitender B C kognitiver Veränderungen ist als Ersatz für Vorsorgemaßnahmen bei > 70-Jährigen zu sehen zielt auf den Erhalt des Niveaus der Selbstversorgungs- fähigkeit D dient zur Einschätzung der Sturzrisikos E gilt als Anregung zur Einleitung von Maßnahmen zur Wohnraumanpassung Grupp Clemens. Geriatrisches Basisassessment … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 57–69 | © 2022. Thieme. All rights reserved. 69

Statt Fakten pauken das Warum verstehen Das Verständnis der Pathophysiologie ist die Basis für eine begründete und präzise Diagnostik und Therapie. Die 11. Auflage des von Walter Siegenthaler etablierten Standardwerks trägt dem rasanten biomedizinischen Wissenszuwachs Rechnung. Es eröffnet Ihnen den Zugang zu den grundlegenden medizinischen Fragestellungen. Durch seinen Praxisbezug schlägt es zudem die Brücke zur Klinik. • Klare Struktur: Physiologische Grundlagen, allgemeine und spezielle Pathophysiologie • Didaktische Aufbereitung für besseres Verständnis • Interessante Hintergrundinformationen: „The story behind“ Buch + Online-Version in der eRef ISBN 978 3 13 243596 4 199,99 € [D] www.thieme.de/shop i e m e h T © o t o F . 9 9 4 3 A R H , t r a g t t u t S r e t s i g e r s l e d n a H d n u - z t i S , G K g a l r e V e m e h T g r o e G i . t e n h c e r e b r e t i e w n e t s o k d n a s r e V n e d n e l l i a f n a e d n e d r e w ] D l [ b a h r e ß u a n e g n u r e f e i L i e B . n e t l a h e b r o v r e m ü t r r I d n u n e g n u r e d n ä s i e r P

CME-Fortbildung Unter dieser Rubrik sind bereits erschienen: Delirmanagement Ute Hoffmann Heft 1/2022 Das Entlassmanagement aus klinischer Sicht Ute Hoffmann Heft 3/2021 ALLES ONLINE LESEN IHR ONLINE-SAMMELORDNER JETZT FREISCHALTEN Mit der eRef lesen Sie Ihre Zeitschrift: online wie offline, am PC und mobil, alle bereits erschienenen Artikel. Für Abonnenten kostenlos! https://eref. thieme.de/allgemeinmedizin-u2d Sie möchten jederzeit und überall auf Ihr up2date-Archiv zu- greifen? Kein Problem! Ihren immer aktuellen Online- Sammelordner finden Sie unter: https://eref.thieme.de/24RUF Sie haben Ihre Zeit- schrift noch nicht freigeschaltet? Ein Klick genügt: www.thieme.de/eref-registrierung.

CME-Fortbildung ▶ Tab. 1 Charakteristika des hyper- und hypoaktiven Delirs Psychomotorische Verhaltensweisen Hyperaktives Delir Hypoaktives Delir Charakteristika ▪ gesteigerte motorische Unruhe und Rastlosigkeit ▪ ungeduldiges, eventuell aggressives Verhalten ▪ optische Halluzinationen ▪ Patienten fühlen sich z. T. wahnhaft bedroht ▪ Mortalität: 15 % [8]. ▪ motorische und kognitive Verlangsamung ▪ reduzierte Aktivität ▪ Antriebslosigkeit bis hin zur Apathie ▪ verminderte Lautäußerung ▪ Mortalität: 33 % [8]. ▶ Tab. 2 Medikamente und andere Faktoren, die ein Delir auslösen können. Medikamente, die ein Delir auslösen können Andere auslösende Faktoren Steroide Opiate Neuroleptika Benzodiazepine Antihistaminika NSAR Schmerzen operativer Eingriff Infektionen Seh- und Hörbehinderung Schlafmangel Bewegungsmangel Trizyklische Antidepressiva Entzug von Opiaten, Benzodiazepi- nen oder anderen Sedativa Digitalis Antikonvulsiva Lithium Betablocker Antiparkinsonmittel Anticholinergika Obstipation Harnverhalt – – – – INFOBOX 1 Prädisponierende Faktoren für die Entwicklung eines Delirs ▪ männliches Geschlecht ▪ Demenz ▪ Depression ▪ Schädel-Hirn-Trauma ▪ Frailty ▪ Drogen-/Alkoholabhängigkeit ▪ Hörminderungen, Sehbeeinträchtigungen ▪ Multimorbidität ▪ Polypharmazie Merke Da ein schnelles Absetzen von Opiaten, Benzodiaze- pinen oder anderen Sedativa ein Delir auslösen kann, sollten diese Medikamente schrittweise reduziert werden. Delirprävention Die Identifikation von prädisponierenden Faktoren hilft, bei Personen mit erhöhtem Delir-Risiko präventi- ve Maßnahmen zu ergreifen. Durch ein Screening für und durch Prävention von Risikofaktoren konnte die Entstehung eines Delirs bei fast einem Drittel in einer Vielzahl an Gesundheits- und Krankenhauseinrichtun- gen verhindert werden [5, 9]. Hierbei hilft es vor allem, Medikamente mit deliroge- nen unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu vermei- den, abzusetzen oder zu reduzieren (s. auch ▶ Tab. 2). Abklärung Anamnese Da das Delir eine akute Veränderung darstellt und eine Eigenanamnese oft nicht zielführend ist, liegt der erste Schlüssel der Diagnosestellung in der Fremdanamnese. Hiermit können mögliche prädisponierende Faktoren und Delir-Auslöser ggf. erkannt werden. Folgende Fragen sollten an die Angehörigen oder bei Menschen aus stationären Pflegeeinrichtungen auch an das Pflegepersonal gestellt werden: ▪ Wie waren die kognitiven Funktionen? Lag bereits eine Demenz oder eine neuropsychiatrische Erkran- kung vor? ▪ Wie war die körperliche Aktivität? ▪ Wie waren die Fähigkeiten, die Aktivitäten des tägli- chen Lebens zu bewerkstelligen (anziehen, waschen etc.)? ▪ Ist der Patient gestürzt (Schmerzen)? ▪ Hat/hatte der Patient Kopfschmerzen (Subduralhä- matom)? ▪ Liegt ein regelmäßiger Alkohol- oder Drogenkon- sum vor? Falls ja, welche Menge? ▪ Werden Over-the-counter-Präparate (OTC) einge- nommen? ▪ Liegen chronische Erkrankungen und Medikamen- teneinnahme vor? ▪ Wurde die Medikation zuletzt verändert? Letzteres ist auch aus Arztbriefen und Medikamenten- plänen zu entnehmen, die bei einer Krankenhausein- weisung unbedingt mitgegeben werden sollten. 76 Hoffmann Ute. Delirmanagement … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 73–84 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung ▶ Tab. 3 Differenzialdiagnosen beim Auftreten eines Delirs [17] Differenzialdiagnosen Beispiele Intoxikationen Psychosen Kokain-, Stimulanzien-, Cannabis-, Lösungsmittel- oder Halluzinogen-Missbrauch Pharmakogene (L-Dopa) und toxische anticholinerges und serotonerges Syndrom – primär psychiatrische Erkrankungen z. B. schizophrene Psychose, Manie, aber auch somatoforme oder psychogen-dissoziative Symptome Alkoholfolgeerkrankungen Wernicke-Korsakow-Syndrom, Alkoholhalluzinose Enzephalopathien ▪ posthypoxisch, posthypoglykämisch ▪ hepatische Enzephalopathie ▪ renale Enzephalopathie ▪ hyperthyreote Enzephalopathie ▪ septische Enzephalopathie Epilepsie epileptisch-postiktale Syndrome, nicht konvulsiver Status epilepticus traumatische zerebrale Läsionen Hirnkontusion, subdurales Hämatom nach initialem epileptischem Anfall oder Sturz Transiente globale Amnesie – autoimmune Enzephalitiden durch NMDA-Antikörper oder andere antineuronale Antikörper, z. B. paraneoplastisch oder auto- immunbedingt Entzündungen des ZNS virale oder bakterielle Enzephalitis/Meningoenzephalitis Patienten auf Transportwegen oder in Wartebereichen allein gelassen werden. Neben der Anamnese und der sorgfältigen körperli- chen internistischen, neurologischen und psychiatri- schen Untersuchung sollten als weitere Diagnostik eine Laboruntersuchung und ggf. Zusatzuntersuchun- gen (vgl. ▶ Tab. 4 und ▶ Tab. 5) durchgeführt werden. Hat der Patient allerdings ein hyperaktives Delir, er- weist sich diese Diagnostik oft als unmöglich durch- führbar [6]. Merke Eine Sedierung für Untersuchungen, die nicht zwin- gend notwendig sind, sollte möglichst vermieden werden. FALLBEISPIEL 2 Ein 78-jähriger Patient wird elektiv zur Hüft-Total-Endopro- these aufgenommen. Vor der Operation wird er noch internis- tisch vorgestellt. Es besteht unter Diuretikaeinnahme und sommerlicher Hitze ein exsikkierter Volumenstatus mit erhöh- ten Kreatininwerten. Zudem werden bei bekanntem Typ 2- Diabetes Blutzuckerwerte >250 mg/dl gemessen. Sowohl eine Exsikkose als auch eine Hyperglykämie und zudem Narkose- mittel sind Risikofaktoren, um ein Delir zu entwickeln. Um ein postoperatives Delir zu vermeiden, erfolgen präoperativ Rehy- drierungsmaßnahmen sowie eine Insulinanpassung. ▶ Tab. 4 Basislabor in der Abklärung Delir Zur Abklärung Basislabor Infekt CRP, Blutbild, Urinstatus Nierenerkrankung Kreatinin Lebererkrankung Bilirubin, Ammoniak Blutzuckerentgleisung Glucose Elektrolytstörung Ca, Na, K, Magnesium Hyper-/Hypothyreose TSH, fT3, fT4 Hyperkapnie Bei Krankenhauspatienten: Arterielle oder kapilläre BGA Behandlungsoptionen Es sollten primär nicht-medikamentöse Behandlungs- optionen ausgeschöpft werden. Die Angaben von An- gehörigen über Vorlieben, Gewohnheiten und Routine- abläufe des Patienten können dabei gut unterstützen, siehe Infobox 2. Patienten sollten in sensibler Art und Weise regelmäßig bezüglich ihrer Orientierung und ggf. Halluzinationen oder Angstzuständen beobachtet und/oder befragt werden. 78 Hoffmann Ute. Delirmanagement … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 73–84 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

CME-Fortbildung ▶ Tab. 6 Medikamentöse Behandlung eines Delirs Im Vordergrund stehende Symptome/ Patientengruppen lebhafte Halluzinationen, Aggressionen und Agitation bei Menschen mit De- menz Mittel der ersten Wahl Dosierung Bemerkungen/ Besonderheiten Risperidon 1–3× tgl. 0,5–1 mg – psychomotorische Unruhe Melperon bis zu 3× tgl. 25 mg–50 mg Pipamperon 1–2× täglich 12–40 mg Patienten mit M. Parkinson Quetiapin 1–3× täglich 12,5–75 mg Pat. mit M. Parkinson und lebhaften Halluzinationen Clozapin Testdosis 6,25–12,5 mg, Tagesdosis 25–50 mg an- streben. Gabe eher tagsüber oder als Bedarf (HWZ 46 Stunden) HWZ bis 17 h, dadurch bei nächtlicher Unruhe gut geeignet geringere extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen geringere extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen UAW: Agranulozytose starke sedierende und anticholinerge Wirkung, prokonvulsive Effekte, Spei- chelfluss grund additiver kardiotoxischer Effekte beider Sub- stanzen maximal 1 mg Risperidon pro Tag und 75 mg Melperon pro Tag eingesetzt werden kann. Zudem soll- te unter der Therapie ein EKG erfolgen (QTc-Zeit). Merke Die Leitlinien empfehlen eine antipsychotische The- rapie mit der niedrigsten Initialdosis mit langsamer Dosissteigerung, die insgesamt nicht länger als 1 Woche gegeben werden sollte. Eine Kontraindikation besteht bei Patienten mit Parkin- son oder Lewykörperchen-Demenz. Bei diesen Patien- ten kommen Clozapin und Quetiapin in Frage, da diese geringere extrapyramidal-motorische Nebenwirkun- gen aufweisen, siehe ▶ Tab. 6. Gerade bei älteren und geriatrischen Patienten sollte auf Benzodiazepine wegen der Erhöhung der Sturzge- fahr und möglicher paradoxer Wirkung sowie auf Hal- FALLBEISPIEL 3 Die 81-jährige Patientin hat im Rahmen einer Pneumonie mit Fieber ein hyperaktives Delir entwickelt. Sie möchte nachts im Schlafanzug das Eigenheim nach draußen verlassen. Auf Nachfrage ihres Ehemannes, warum sie nicht zuhause bleiben wolle, berichtet sie über Männer, die so viel Baulärm machen würden. Es gelingt dem Ehemann, die Patientin zu beruhigen und sie wieder zum Bett zu bringen. Er legt sich daneben und sorgt für eine dunkle, angenehme Schlafsituation. Nach einem vierstündigen Schlaf wacht die Patientin mitten in der Nacht auf und schlägt in der Luft. Sie wolle die Fledermäuse vertrei- ben. Der Hausarzt verschreibt Risperidon; dadurch lassen sich die Symptome beheben. operidol aufgrund der Nebenwirkungen und der gerin- gen Wirksamkeit verzichtet werden. Haloperidol wird auch bei Menschen mit Demenz auf- grund fehlender Evidenz für Wirksamkeit zur Behand- lung von Agitation nicht empfohlen. Es gibt allerdings Hinweise auf Wirksamkeit von Haloperidol auf aggres- sives Verhalten mit geringer Effektstärke. Unter Beach- tung der Risiken (extrapyramidale Nebenwirkungen, zerebrovaskuläre Ereignisse, erhöhte Mortalität) kann der Einsatz bei diesem Zielsymptom erwogen werden [18]. Bei Intensivpatienten mit Delir war in einer groß- angelegten Metaanalyse unter Monitorbedingungen der Alpha-2-Agonist Dexmedetomidin am wirksams- ten, gefolgt von atypischen Neuroleptika, Opioiden und typischen Neuroleptika. Haloperidol und das atypi- sche Neuroleptikum Zisapridon führten bei Intensivpa- tienten nicht dazu, ein Delir zu verkürzen [6, 19]. Spezialisierte Mitbehandlung Wenn das Delir über eine Woche hinaus besteht, sollte eine Einweisung oder Verlegung in eine altersspeziali- sierte und oder gerontopsychiatrische Krankenhausab- teilung oder eine ambulante psychiatrische Vorstellung vor allem dann erwogen werden, wenn eine Fremd- oder Eigengefährdung besteht, eine Rund-um-die Uhr- Betreuung erfolgen muss oder eine Verbesserung von agitiertem Verhalten oder psychotischen Symptomen durch die First-line-Therapie nicht zu erreichen ist. Verlauf Die Prognose ist bei Patienten mit Delir schwer vorher- zusagen. Während die mittlere Dauer mit einer Woche beschrieben wird [20], kann das Delir oft solange an- dauern, bis der Patient wieder zurück in seiner häusli- chen Umgebung ist. Nach einer Episode eines Delirs er- 80 Hoffmann Ute. Delirmanagement … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 73–84 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

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Fragen und Antworten | CME Punkte sammeln auf CME.thieme.de Fortsetzung ... Frage 8 Welches Medikament eignet sich zur Behandlung der psycho- motorischen Unruhe bei nächtlich betonten Verwirrtheitspha- sen am besten? Pipamperon Zopiclon A Risperidon B C D Mirtazapin E Benzbromaron. Frage 9 Welche Aussage ist falsch? Risperidon kann mit Melperon kombiniert werden. kann extrapyramidale Nebenwirkungen haben. A hat eine antihalluzinogene Wirkung. B C D kann zur QTc-Zeit-Verlängerung führen. E wird vor allem abends gegeben. Frage 10 Welche Aussage ist falsch? Eine ambulante oder stationäre (Mit-) Behandlung durch (Geronto-)psychiater A sollte bei allen älteren Menschen mit Delir erfolgen, die B C eine antipsychotische medikamentöse Therapie benötigen. sollte erfolgen, wenn eine Fremd- oder Eigengefährdung besteht. sollte bei der Notwendigkeit einer Rund-um-die Uhr-Be- treuung erfolgen. D sollte erfolgen, wenn keine Besserung durch die First-line- E Therapie zu erreichen ist. sollte erfolgen, wenn das Delir über eine Woche hinaus be- steht. 84 Hoffmann Ute. Delirmanagement … Allgemeinmedizin up2date 2022; 3: 73–84 | © 2022. Thieme. All rights reserved.

UNSERE FRAGEN. IHRE EXPERTISE. PULSE – die Befragungsplattform der Thieme Gruppe NEU Ihre Antworten wirken weiter. Für eine bessere Medizin. Bei PULSE platzieren Sie Ihre Meinungen und Einschätzungen direkt. Mitmachen lohnt sich: Mit regelmäßigen Umfragen sammeln Sie Punkte und können diese gegen Prämien oder Spenden eintauschen. Immer unverbindlich – Sie entscheiden jeweils, ob Sie teilnehmen. Zudem erhalten Sie Einblicke in ausgewählte Studienergebnisse. Durch Ihre Antworten bringen wir die ärztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung, die Patientenversorgung und den wissenschaftlichen Austausch gemeinsam voran. Jetzt mitmachen: Die ersten 500 Teilnehmer erhalten 500 Extra-Punkte! Das Composing wurde von Thieme unter Verwendung der folgenden Bilder erstellt (v.l.n.r.): © Rido/stock.adobe.com, © Mangostar/stock.adobe.com, © Bernd Leitner/stock.adobe.com, © Nana_studio/stock.adobe.com – Stock photo. Posed by models pulse.thieme.de