BLICKPUNKT MEDIZIN Mit mRNA-Impfungen Tumoren bekämpfen Intensiv weitergeforscht wird auch auf dem Feld der mRNA-Impfungen. So arbeiten Unternehmen und Forschungsinstitute der- zeit an entsprechenden Impfstoffen gegen mehr als 25 Infektionskrankheiten – dar- unter unter anderem Tuberkulose, Infekti- onen mit Noro-, CMV- oder Epstein-Barr- Viren sowie die Tropenkrankheiten Nipah und Zika [12]. Prof. Özlem Türeci von BioNTech in Mainz berichtete über Fortschritte bei den Krebs- vakzinen. Auch wenn der Name anderes suggeriert, geht es dabei nicht um Präven- tion, sondern um Therapie – auch hier wie- der stark personalisiert. Das Prinzip: Indivi- duelle Tumorantigene werden identifiziert und in mRNA codiert. Diese mRNA wird dann appliziert mit dem Ziel, dass die Anti- gene produziert und präsentiert werden. Dadurch werden T-Killer-Zellen aktiviert, die dann die Tumorzellen gezielt vernich- ten. Es handelt sich also um eine Immun- therapie, die auf den Tumor zugeschnit- ten ist. Lange Zeit war die suboptimale Stabilität der mRNA im Gewebe ein Problem. Das konnte durch Modifikationen an den bei- den Enden der mRNA gelöst werden. Für den Transport der mRNA ins lymphatische Gewebe nutzen die Mainzer eine Metho- de, die sich mRNA-Lipoplex-Technologie nennt [8]. Dass das prinzipiell funktioniert, konnte in einer ersten klinischen Studie bei malignem Melanom gezeigt werden [9]: „Wir sehen einige Stunden nach Appli- kation metabolische Aktivität in Milz und Lymphknoten als Hinweis darauf, dass Immun zellen mobilisiert werden und pro- liferieren“, so Türeci. Zu sehen sei auch, dass Pa tien ten und Pa tien tinnen, die vor- her keine zytotoxischen T-Zellen gegen den Tumor aufwiesen, diese ausbildeten und dass sie, wenn sie zuvor nicht auf Check- point-Inhibitoren reagiert hatten, nach Behandlung mit der Krebsvakzine ein The- rapieansprechen zeigen. Erste Studiendaten gibt es mittlerweile auch beim Adenokarzinom des Pan kreas INTERVIEW: RNA-THER APIEN: „FASZINIERENDE VIELFALT“ Prof. Dr. Dr. Thomas Thum, Hannover Prof. Dr. Stefan Endres, München Das Paul-Martini-Symposium 2024 hat sich RNA-Therapien gewidmet. Wissen- schaftliche Leiter waren Prof. Thomas Thum, Hannover, und Prof. Stefan Endres, München. Was ist so faszinierend an der RNA-Forschung? Endres: Mich fasziniert v. a. die Vielfalt an Zielstrukturen, die wir mit RNA als Wirkstoff adressieren können – und dass wir sie für 4 grundsätzlich verschiedene Therapiemechanismen nutzen können: Wir haben zum einen die codierenden RNAs, die wir applizieren, damit im Kör- per die gewünschten Peptide und Pro- teine entstehen. Das ist das Prinzip der mRNA-Impfung. Das 2. sind inhibierende RNAs, mit denen wir schädigende bzw. krankmachende mRNAs oder MicroRNAs binden und damit selektiv die Protein- synthese unterdrücken oder modulieren können, Stichworte siRNA und ASOs. Der 3. Mechanismus ist eine Immunstimulati- on. Hier täuschen wir mit RNA quasi eine Infektion vor und nutzen das, um Immun- reaktionen gegen Tumore zu verstärken. Und schließlich lassen sich aus RNA auch Aptamere formen, die wie Antikörper spe- zifisch bestimmte Zielproteine abfangen können, etwa Wachstumsfaktoren. Mehrere RNA-basierte Medikamen- te haben es schon zur Zulassung geschafft. Was werden wir in den nächsten Jahren noch sehen? Thum: Da sehe ich mehrere Bereiche. Ex trem spannend mit Blick auf sehr seltene Erkrankungen finden ich die Möglichkeit, mittels RNA maßgeschneiderte Medika- mente herzustellen. Das Personalisieren der RNA-Therapie ist ein völlig neues Para- digma! Auch bei Herzerkrankungen und Krebs läuft viel RNA-Forschung, die sich früher oder später in Zulassungen nieder- schlagen wird. Konkret bei Lungenerkran- kungen, Herzinsuffizienz und Myokardin- farkt sind einige Medikamente schon in der fortgeschrittenen klinischen Entwick- lung. Und dann gibt es das weite Feld der neurologischen Erkrankungen, wo sich insbesondere ASOs in Stellung bringen, da diese relativ leicht ins Gehirn gelangen. Sehen Sie noch andere RNA-Klassen, deren therapeutisches Potenzial gehoben werden könnte? Thum: Ja, und zwar als Targets. Aktuell in den Fokus rücken da die MicroRNAs. Und dann gibt es noch die so genannten langen nicht-codierenden RNAs und die zirkulären RNAs. Auch da werden wir eine klinische Transition in Richtung Pa tien ten sehen, weil diese beiden RNA-Klassen z. T. sehr organ- bzw. zelltypspezifisch sind. Das steht aber noch nicht unmittelbar bevor. Ein anderer Trend sind neue Deli- very-Technologien, bei denen Liganden an die RNA-Wirkstoffe gebunden werden, um sie noch zielgerichteter in bestimmte Zellen oder Organe zu bringen. Im Zusammenhang mit der RNA- Forschung wird gerne vom „neuen zentralen Dogma des Lebens“ geredet. Das alte lautete „DNA macht RNA macht Protein“. Wie lautet das neue? Endres: Was wir hinter uns lassen, ist ein Denken, das im Wesentlichen unidirek- tional von der DNA zum Protein führt – wenn man mal von reverser Transkription absieht. In der neuen Sicht wirken einer- seits die Proteine zurück auf Transkrip tion und Translation. Und zum Zweiten, und das ist das Neue, wissen wir heute, dass auch die RNA regulierend zurückwirkt auf Transkription und andere zelluläre Prozes- se. Das alles einzubeziehen, wird der Kom- plexität des Lebens besser gerecht. 4 Sonderpublikation der Thieme Gruppe | © 2025. Thieme. All rights reserved.